[ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

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Tobias__21
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[ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Tobias__21 »

Hallo,

ich habe neulich gelesen, dass manche Kläger ihre Ansprüche an einen Dritten abtreten, meist Angehörige, um vor Gericht als Zeuge in eigener Sache aussagen zu können.

Dass eine Partei eines Rechtsstreits nicht zugleich aus Zeuge vernommen werden kann, ist mir klar. Aber was ist der Hintergrund eines solchen Vorgehens? Welche Vorteile bietet das? Die "Parteivernehmung" ist ja auch ein Beweismittel. Also warum macht es einen Unterschied, ob man als Partei, oder als Zeuge auftritt? Ist der Zeugenbeweis mehr wert?

Generell wohl schon, aber doch nicht in solchen Fällen in denen Partei und Zeuge im selben Lager stehen, etwa durch familiäre Verbundenheit. Der Richter weiss doch auch ganz genau was da gespielt wird, und warum man die Forderung abgetreten hat.

Aktuelles Beispiel: Der Lokführer SE+Schmerzensgeld von den Erben eines Suizidenten will tritt seine Ansprüche an die Ehefrau ab und sagt als Zeuge aus.

Mir ist der Sinn einfach nicht klar, warum reicht es nicht aus, dass der Lokführer als Partei vernommen wird und den Sachverhalt schildert?
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Kroate
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Kroate »

Weil die Vernehmung der beweispflichtigen Partei nicht ohne weiteres möglich ist, vgl. 447, 448 ZPO.

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Tobias__21
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Tobias__21 »

Danke, das war mir nicht bewusst, den § 447 ZPO kannte ich noch gar nicht :)

Man nimmt also die Abtretung sicherheitshalber vor, um dessen Voraussetzungen, Einverständnis der anderen Partei, zu umgehen, oder?

Sind die Voraussetzungen des § 448 ZPO in der Praxis so hoch, dass das Gericht idR von einer Anordnung der Vernehmung der Parteien absehen wird?

Solche Fälle, in denen bei der streitigen Tatsache nur die Parteien und keine Dritte anwesend waren, gibt es doch ziemlich oft. Bspw. im Verhältnis Arzt / Patient, bei Verkehrsunfällen, etc. Rät man in solchen Fällen dann als Anwalt immer zu Abtretung, um eine Zeugenaussage zu ermöglichen?

Edit:

Wäre ein solches Vorgehen während des Prozesses auch noch zulässig? Wenn bspw die andere Partei das Einverständnis verweigert, § 447 ZPO, und man tritt dann während des Prozesses die Forderung ab? Das würde ja dann zu einem Parteiwechsel führen...
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julée
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von julée »

Tobias__21 hat geschrieben: Sind die Voraussetzungen des § 448 ZPO in der Praxis so hoch, dass das Gericht idR von einer Anordnung der Vernehmung der Parteien absehen wird?
Es ist ein "Anbeweis" erforderlich und es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache sprechen; die bloße Beweisnot genügt grds. nicht.

Und da stellt sich das Problem: wenn man der Partei ihren schriftlichen Vortrag nicht glaubt, weil er nicht durch irgendwelche Indizien verifizierbar ist oder er auch nicht so plausibel ist, dass es eigentlich nur so gewesen sein kann, dann wird auch die Parteivernehmung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zur Ausräumung letzter Zweifel führen. Und dann ist aus Sicht des Gerichts eine Parteivernehmung eher vermeidenswert, weil man ansonsten der Partei ins Urteil schreiben müsste, wie wenig glaubhaft das ist, was sie so erzählt.

Bei Verkehrsunfällen o. ä. behilft man sich ggf. mit einer persönlichen Anhörung der Parteien, aber ob das Gericht das macht, ist wohl tlw. fraglich, so dass die Abtretungslösung aus Anwaltssicht wohl zumindest erwägenswert ist, weil die Zeugenvernehmung nicht so leicht abgelehnt werden kann. Das ändert allerdings nichts daran, dass man auch einem Zeugen nicht zwingend glauben muss. Insbesondere, wenn er nur durch eine solche Gestaltung gewonnen wurde.
Tobias__21 hat geschrieben:Wäre ein solches Vorgehen während des Prozesses auch noch zulässig? Wenn bspw die andere Partei das Einverständnis verweigert, § 447 ZPO, und man tritt dann während des Prozesses die Forderung ab? Das würde ja dann zu einem Parteiwechsel führen...
Das Problem ist: beim Parteiwechsel braucht man nach der Rechtsprechung nach Beginn der mündlichen Verhandlung die Einwilligung des Beklagten (§ 269 I ZPO) - und wenn es nur darum geht, jetzt noch einen Zeugen zu gewinnen, wäre der Beklagte schön blöd, wenn er dem zustimmen würde.
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Tobias__21 »

Vielen Dank!
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Pippen
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Pippen »

ME gibt es eine BGH-Rsp., wonach einer Partei, die über keinen Zeugen verfügt, via 448 oder 141 zwingend zu helfen ist. Das führt de facto zu einem Parteizeugnis in Beweisnotfällen, weil Aussagen iRd 141/448 nicht weniger Wert sind als Zeugenaussagen. Dadurch würde sich dann die taktische Abtreterei im Vorfeld eines Prozesses erübrigen. Im Gegenteil: Es könnte ein Kunstfehler sein, weil damit natürlich der Richter Verdacht schöpfen kann, während ersteres Vorgehen naiver und damit glaubwürdiger wirkt.
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batman
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von batman »

Diese BGH-Rechtsprechung gibt es m.W.n. nach nicht. Kannst Du uns eine Fundstelle nennen? Ich meine nicht die Fälle, in denen § 448 ZPO aus Gründen der "Waffengleichheit" zur Anwendung kommt.
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Torquemada
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Torquemada »

Die Aussage, dass einer in Beweisnot befindlichen Partei "zwingend zu helfen" sei (sei es über § 141 ZPO oder durch erleichterte Anwendung des § 448 ZPO), findet sich in der Tat nur in den Entscheidungen zu den "Vier-Augen-Konstellationen".

Aber dass der Tatrichter nicht gehindert sei, "im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben", hat der BGH schon immer so gesagt (zB BGH LM Nr. 163 zu § 823 BGB (Dc); BGH NJW-RR 1990, 1061, 1063; BGH NJW 1993, 1638, 1640).
Tobias__21
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von Tobias__21 »

In meinem Lokführer Fall - Lokführer tritt SE Ansprüche die er gegen Erben des Suizidenten hat an seine Frau ab, die dann klagt - war dieses Vorgehen doch somit eigentlich völlig unnötig, oder?

In der Presse wurde das teilweise als "juristischer Kniff" dargestellt....
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batman
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Re: [ZPO] Aussage als "Zeuge in eigener Sache"

Beitrag von batman »

Torquemada hat geschrieben:Aber dass der Tatrichter nicht gehindert sei, "im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt ist, den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen zu geben", hat der BGH schon immer so gesagt (zB BGH LM Nr. 163 zu § 823 BGB (Dc); BGH NJW-RR 1990, 1061, 1063; BGH NJW 1993, 1638, 1640).
Was angesichts des Wortlauts von § 286 I 1 ZPO ("des gesamten Inhalts der Verhandlungen") auch nicht verwundert.
Tobias__21 hat geschrieben:In meinem Lokführer Fall - Lokführer tritt SE Ansprüche die er gegen Erben des Suizidenten hat an seine Frau ab, die dann klagt - war dieses Vorgehen doch somit eigentlich völlig unnötig, oder?
Das kommt darauf an, was hier alles beweiswürftig war und welche Beweismitel dem selbst klagenden Lokführer zur Verfügung gestanden hätten.
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