Tarifeinheitsgesetz - DB-Streiktraumatisierter Gesetzgeber?

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Niederegger
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Tarifeinheitsgesetz - DB-Streiktraumatisierter Gesetzgeber?

Beitrag von Niederegger »

Habe gerade einen Blick ins aktuelle Bundesgesetzblatt Teil I Nr. 28 S. 1130 getan und die Aktivität des Gesetzgebers mit der Einfügung von § 4 a TVG zum 10.7. auf mich wirken lassen.
Sehe ich es richtig, dass der Gesetzgeber hier versucht, eine Traumatisierung durch den DB-Streik konstruktiv aufzuarbeiten, oder hat das Ganze wieder andere Hintergründe und ich verstehe die Gesetzesabsicht nicht? Welche Anwendungsfälle hat das Gesetz vielleicht sonst im Blick? :-k
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Tikka
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Re: Tarifeinheitsgesetz - DB-Streiktraumatisierter Gesetzgeb

Beitrag von Tikka »

Der Gesetzgeber versucht einfach mit dem Chaos klarzukommen, den der vierte Senat des BAG hinterlassen hat, als dieser den Grundsatz der Tarifeinheit nach Jahrzehnten über Nacht aufgegeben hat und die Auswirkungen immer deutlicher zu spüren sind. Das betrifft sicherlich das Thema "Bahnstreik" (EVG/GDL) aber auch die Streiks bei der Lufthansa (Tarifpluralität verdi/Cockpit/Ufo) und bei dem medizinischen Bereich (verdi/Marburger Bund etc.)
Ob dem so beizukommen ist, wird aber warhscheinlich nicht in Berlin, sondern letztlich in Karlsruhe oder Straßburg entschieden.

Leider ist bei diesem Gesetz viel Politik im Spiel, was selten ein Pfand für gut gemachte Gesetze ist. Dabei kommt der Druck im Übrigen gar nicht so sehr aus der Arbeitgeberecke (aber natürlich auch von dort). Das ganze ist eher ein Kind der Beziehung zwischen der SPD (die auch das Gesetz fachlich verantwortet) und den DGB Gewerkschaften.
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Niederegger
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Re: Tarifeinheitsgesetz - DB-Streiktraumatisierter Gesetzgeb

Beitrag von Niederegger »

Danke! ;)
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Bushmills
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Re: Tarifeinheitsgesetz - DB-Streiktraumatisierter Gesetzgeb

Beitrag von Bushmills »

Ich frage mich nur, ob sich im Hinblick auf das Streikrecht dank dem §4a IV TVG letztendlich viel ändern wird.

Ziel des Gesetzes war wohl den Spartengewerkschaften das Streikrecht zu nehmen.
Ein Tarifvertrag einer Spartengewerkschaft, der in Tarifkonkurrenz zu dem Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft
steht, könnte keine Anwendung mehr finden.
Damit wäre ein Streik, der auf Abschluss eines sowieso nie zur Anwendung kommenden Tarifvertrags gerichtet ist von vornherein unverhältnismäßig.
So war zumindest die Überlegung.

Ziel des §4a IV TVG war es wohl, auch die Mitglieder der Spartengewerkschaft in den Genuss originäre Tarifbindung kommen zu lassen.
Absatz 4 spricht von "Nachzeichnung". Das setzt mMn voraus, dass die Spartengewerkschaft einen eigenen Tarifvertrag abschließen muss, der
dann im Anschluss nachgezeichnet wird.
Was ist aber, wenn die Spartengewerkschaft nur zu für den Arbeitgeber deutlich ungünstigeren Bedingungen einen Tarifvertrag abschließen will, sich der Arbeitgeber diesem Tarifabschluss aber verweigert? (z.B weil er Angst hat, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb ändern)

Das hätte zur Folge, dass die Mitglieder der Spartengewerkschaft -obwohl sie einer tariffähigen Koalition angehören- nicht originär tarifgebunden sind.
Die Spartengewerkschaft zum Abschluss desselben Tarifvertrags wie die Mehrheitsgewerkschaft zu verpflichten geht wohl aufgrund der Tarifautonomie nicht. Die Mitglieder der Spartengewerkschaft würden also faktisch zum Betritt in die Mehrheitsgewerkschaft gezwungen, was aufgrund der negativen Koalitionsfreiheit schwierig ist.
Die einzige Möglichkeit auch diese Arbeitnehmer originäre Tarifbindung zukommen zu lassen wäre also ein Tarifvertrag der Spartengewerkschaft.

Der Abschluss des Tarifvertrags wäre also nötig, weshalb auch wenn er keine direkte Anwendung findet die Abwägung in der Verhältnismäßigkeitsprüfung beeinträchtigen wird. Somit hätten die Spartengewerkschaften also nach wie vor ein Streikrecht.


Davon abgesehen regelt §4a TVG nur den Fall der Tarifkonkurrenz. Verhalten sich die Gewerkschaften in Zukunft solidarisch und tarifieren nurnoch für
ihren Mitgliederkern, können in Tarifpluralität stehende Kleinstgewerkschaften nach wie vor munter weiterstreiken.

Ich bin schon sehr gespannt, wie sich das alles entwickelt.
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