Frage zum polnischen "Holocaust-Gesetz"

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Antarktos
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Frage zum polnischen "Holocaust-Gesetz"

Beitrag von Antarktos »

Guten Tag,

ich bin interessierter Laie und habe mich gerade etwas mit dem Gesetz über das Institut des Nationalen Gedenkens – Kommission für die Verfolgung von Verbrechen gegen das Polnische Volk beschäftigt. Dabei ist mir besonders ein Paragraph ins Auge gefallen.

Zitat aus dem Gesetzestext in der Übersetzung aus der Wikipedia:
(englische Übersetzungen wie zb hier sind vom Wortlaut quasi identisch)
„Art. 55a. 1. Wer öffentlich und faktenwidrig der polnischen Nation oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung zuschreibt für die durch das Dritte Reich begangenen nationalsozialistischen Verbrechen nach Art. 6 der Charta des Internationalen Militärtribunals, Annex zum Internationalen Gesetz über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse, das am 8. August 1945 in London unterzeichnet wurde (Gesetzblatt von 1947 Artikel 367), oder für andere Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, oder wer auf andere Weise die Verantwortung der wirklichen Täter dieser Verbrechen massiv herabmindert, unterliegt einem Bußgeld oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Im ersten Teil des Absatzes geht es um Nazi Kriegsverbrechen wie in Artikel 6 der Charta des Intern. Militärtribunals definiert. Aber direkt im Anschluss wird im Allgemeinen von Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen geredet.

Wie ich es also lese:

Jeder der dem polnischen Staat Mitverantwortung an
  • Nazi Verbrechen
  • oder anderen Verbrechen gegen den Frieden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen
zuschriebt, wird mit bis zu 3 Jahren Gefängnis bestraft.

Verstehe ich das richtig?

Also das es verboten ist dem polnischen Staat Verbrechen gegen Frieden, Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vorzuwerfen? Natürlich gibt es den Zusatz "faktenwiedrig", aber letztendlich würde ja was Fakt ist und was nicht von polnischen Gerichten beurteilt werden.

Könnte ich nun an Hand dieses neuen Gesetzes auch bestraft werden, wenn ich dem polnischen Staat zum Beispiel Kriegsverbrechen im Irakkrieg vorwerfen würde?

Viele Grüße,

Antarktos
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Schnitte
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Re: Frage zum polnischen "Holocaust-Gesetz"

Beitrag von Schnitte »

Bei der Frage würde ich erstmal den territorialen Anwendungsbereich des Gesetzes klären, also die Frage, ob das Gesetz auch dann anzuwenden ist, wenn die Tat im Ausland begangen wird. Beantworten kann ich das freilich nicht; ich würde mich aber nicht wundern, wenn das polnische Gesetz tatsächlich auch exterritoriale Wirkung für Taten, die außerhalb Polens begangen wurden, beanspruche würde. Ob das völkerrechtskonform ist, ist freilich eine andere Frage.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

--- Offizialat Freiburg, NJW 1994, 3375
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Re: Frage zum polnischen "Holocaust-Gesetz"

Beitrag von StudiVader315226 »

Unabhängig mal von der Anwendungsfrage: Würdest du in Polen dem polnischen Staat "faktenwidrig" (ich denke mal, dies soll so etwas wie das deutsche "wider besseres Wissen" bedeuten) eine Mitverantwortung an Kriegsverbrechen im Irak- oder Vietnamkrieg, am Völkermord in Ruanda oder Kambodscha zuschieben, könntest du ebenfalls für 3 Jahre ins Gefängnis wandern.

Das Gesetz kann wohl nur so ausgelegt werden, da stimme ich dem OP zu.
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