Aufklärungspflichten Anwalt

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hlubenow
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von hlubenow »

immer locker bleiben hat geschrieben:
Syd26 hat geschrieben:Ihr Ex-Anwalt hat ihr mehr oder weniger gesagt, dass sich sämtliche Rechtsstreite von selbst finanzieren würden, weil die Verfahren gewonnen werden würden.
Wenn er das tatsächlich so gesagt hat, dann haftet er für diesen Spruch, nicht erst für den fehlenden Hinweis auf den Prozessfinanzierer.
Wenn er aber stattdessen gesagt hätte "Wenn Sie einen Teil der Prozesse gewinnen, können Sie mit dem in diesen Prozessen erstrittenen Geld die übrigen Verfahren finanzieren", wäre da aber was dran, so daß es dann gar kein Beratungsfehler wäre. Das könnte man dann sogar ausrechnen, ab wann die Klägerin mit ihren Prozessen ins Plus gekommen wäre.

Mich nervt nur generell die zunehmende "Kostenlos-Mentalität" von Mandanten, die durch Rechtsschutzversicherungen, PKH und Prozessfinanzierer geschürt wird. Mit Mandanten, die einen eigentlich gar nicht bezahlen wollen, kann man schlecht arbeiten. Klappt dann die Bezahlung von dritter Seite nicht so, wie der Mandant sich das gedacht hat (z.B. ist die Sache nicht von den Rechtsschutzbedingungen erfaßt oder gibt es PKH nur gegen Raten), ist der Ärger vorprogrammiert.
In diese Richtung geht auch der Einwand "ich hätte aber auf Kostenübernehmer XY hingewiesen werden müssen". Außer einem Anwalt muß sich wohl niemand im Wirtschaftsleben (einschließlich anderen Vertrauenspersonen wie Ärzten oder sonstigen Beratern) einen solchen Einwand seinem Vergütungsanspruch für erbrachte Dienstleistungen entgegenhalten lassen.
Und ob es der Zweck von PKH und Rechtsschutzversicherungen war, einen solchen Einwand zu schaffen, darf auch bezweifelt werden.
Syd26 hat geschrieben:Eure Antworten zeigen mir aber, dass die Prozessfinanzierung bzw. die Aufklärung über diese Möglichkeit eine Sache ist, über die man mal nachdenken kann, die jedenfalls nicht abwegig ist.
Nachdenken kann man über alles. Allerdings hält die hier möglicherweise hM zwar eine Haftung im Grundsatz für möglich, zugleich hält sie aber einen Anspruch wegen dieser Haftung aufgrund der Argumentation von ILB nur in sehr seltenen Fällen für praktisch durchsetzbar.

Und was nun? Muß ich nun neben dem Hinweis nach § 49 b V BRAO weitere Hinweise auf etwaige Aussichten auf Kostenübernahme durch Beratungshilfe, PKH, Rechtsschutzversicherungen und Prozeßfinanzierer in die Vollmacht für Standard-RVG-Verfahren aufnehmen und mir von den Mandanten jedesmal schriftlich bestätigen lassen? Die Bürokratie wird immer abwegiger. Am Ende haben wir 500-Seiten-Verträge, die keiner mehr lesen kann, wie in Amerika.
julée
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von julée »

hlubenow hat geschrieben: In diese Richtung geht auch der Einwand "ich hätte aber auf Kostenübernehmer XY hingewiesen werden müssen". Außer einem Anwalt muß sich wohl niemand im Wirtschaftsleben (einschließlich anderen Vertrauenspersonen wie Ärzten oder sonstigen Beratern) einen solchen Einwand seinem Vergütungsanspruch für erbrachte Dienstleistungen entgegenhalten lassen.
Es geht noch schlimmer:

§ 630c Abs. 3 Satz 1 BGB: "Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren."
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
Syd26
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von Syd26 »

hlubenow hat geschrieben:Und was nun? Muß ich nun neben dem Hinweis nach § 49 b V BRAO weitere Hinweise auf etwaige Aussichten auf Kostenübernahme durch Beratungshilfe, PKH, Rechtsschutzversicherungen und Prozeßfinanzierer in die Vollmacht für Standard-RVG-Verfahren aufnehmen und mir von den Mandanten jedesmal schriftlich bestätigen lassen?
Dies wird das Gericht zu entscheiden haben. ;)

Ich gebe Dir prinzipiell aber Recht. Nur lag der vorliegende Fall anders. Die Klägerin hatte nicht unerhebliche Kostenvorschüsse bezahlt und war grundsätzlich gewillt und auch fähig, die Kosten zu tragen. Dies allerdings nach nicht erfolgter bzw. offensichtlich fehlerhafter Aufklärung über die Erfolgsaussichten sowie den erforderlichen Umfang der zu erhebenden Klagen.

Es handelt sich gerade nicht um einen Fall der "Kostenlos-Mentalität".
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von Herr Schraeg »

Syd26 hat geschrieben:Die Klägerin hatte nicht unerhebliche Kostenvorschüsse bezahlt und war grundsätzlich gewillt und auch fähig, die Kosten zu tragen. Dies allerdings nach nicht erfolgter bzw. offensichtlich fehlerhafter Aufklärung über die Erfolgsaussichten sowie den erforderlichen Umfang der zu erhebenden Klagen.
Aber dann ist der Anknüpfungspunkt für ein vorwerfbares Fehlverhalten des Anwalts die mangelhafte Aufklärung über die Erfolgsaussichten und nicht der fehlende Hinweis auf die Möglichkeiten der Prozessfinanzierung.

Grundsätzlich muss ich doch als Anwalt bei einem RVG-Mandat weder über den Anfall der gesetzlichen Gebühren noch über deren Höhe aufklären (wenngleich das immer sinnvoll ist), wenn nicht für mich erkennbar ein Ausnahmefall vorliegt: besonders hoher Streitwert, wirtschaftliche Sinnlosigkeit des Vorgehens, für mich erkennbare Fehlvorstellungen des Mandanten über eine Rechtsschutzversicherung, usw. Ebensowenig muss ich über PKH aufklären, wenn ich keine Anhaltspunkte für eine Bedürftigkeit des Mandanten habe. Dementsprechend habe ich auch keine Aufklärungspflicht über Prozessfinanzierung, wenn der Mandant gewillt und fähig ist, die Kosten für die Rechtsverfolgung selbst zu tragen.

Unabhängig davon - aber das ist eine Frage der Kausalität - klingt der Sachverhalt so, dass die jeweiligen Streitwerte der über 100 Klagen nicht jeweils über 100.000 Euro liegen. Die grossen und seriösen Prozessfinanzierer aber beschäftigen sich erst ab sechsstelligen Streitwerten mit einer Sache. Man müsste also schon sehr genau eruieren und vortragen, für welchen Prozessfinanzierer die Sache überhaupt in Betracht gekommen wäre, um mit einer Verletzung einer Aufklärungspflicht über Prozessfinanzierung operieren zu können.
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von Syd26 »

Herr Schraeg hat geschrieben:Unabhängig davon - aber das ist eine Frage der Kausalität - klingt der Sachverhalt so, dass die jeweiligen Streitwerte der über 100 Klagen nicht jeweils über 100.000 Euro liegen. Die grossen und seriösen Prozessfinanzierer aber beschäftigen sich erst ab sechsstelligen Streitwerten mit einer Sache. Man müsste also schon sehr genau eruieren und vortragen, für welchen Prozessfinanzierer die Sache überhaupt in Betracht gekommen wäre, um mit einer Verletzung einer Aufklärungspflicht über Prozessfinanzierung operieren zu können.
Über die Kausalität sind wir uns ja einig. Mir ist schon bewusst, dass dies schwierig wird.

Mir geht es eher darum, ob überhaupt eine Aufklärungspflicht in diese Richtung besteht. Beantwortet man diese Frage mit Nein, braucht man über die Kausalität ohnehin nicht nachdenken.
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von joee78 »

Woraus sollte sich eine Pflicht ergeben darüber zu informieren, dass es Unternehmen gibt, die zu unterschiedlichsten - dem RA unbekannten - Konditionen Prozesse finanzieren, wenn ein Anwalt noch nicht mal darauf hinweisen muss, dass eine Erstberatung Geld kostet? Ebenso könnte man vom RA verlangen, den Mandanten zu fragen, ob er nicht seine reiche Oma anpumpt.
Sind Sie ein Mensch? Sowas Ähnliches, ich bin Anwalt.

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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von immer locker bleiben »

joee78 hat geschrieben:..., wenn ein Anwalt noch nicht mal darauf hinweisen muss, dass eine Erstberatung Geld kostet?
Das gilt nicht mehr flächendeckend, jedenfalls gegenüber Verbrauchern ist ein solcher Hinweis nötig. Siehe § 312 ff. BGB n. F. und insb. § 312a BGB iVm Art 246 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB.
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von Parabellum »

immer locker bleiben hat geschrieben:
joee78 hat geschrieben:..., wenn ein Anwalt noch nicht mal darauf hinweisen muss, dass eine Erstberatung Geld kostet?
Das gilt nicht mehr flächendeckend, jedenfalls gegenüber Verbrauchern ist ein solcher Hinweis nötig. Siehe § 312 ff. BGB n. F. und insb. § 312a BGB iVm Art 246 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB.
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von Syd26 »

Vielleicht interessiert es jemanden: Der Hinweis auf fehlende Aufklärung zu einem Prozessfinanzierer war nach derzeitigem Stand mehr als richtig. Ich könnte da ins Schwarze getroffen haben. Aber wie erwähnt: Letztendlich wird das Gericht darüber zu entscheiden haben. Höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt es offensichtlich noch nicht.
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Re: Aufklärungspflichten Anwalt

Beitrag von batman »

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