Was Anwälte sich von Richtern wünschen

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Tibor
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Tibor »

julée hat geschrieben: Aber im Rahmen der Beweiswürdigung sind ja durchaus tatsächliche Lebenssachverhalte zu beurteilen. Und wenn man keinen Sachverständigen fragt, der einem dann die passende "Erfahrung" vermittelt, ist man letztlich auf den "gesunden Menschenverstand" und seine Erfahrungen zurückgeworfen. Die Frage, ob die Geschichte einer Partei glaubhaft ist, beurteilt sich am Ende auch danach, ob dass irgendwie zur "allgemeinen Lebenserfahrung" passt, also dazu, wie so etwas typischerweise abläuft. Mit gesundem Menschenverstand und einem gewissen wirtschaflichen und sozialen Grundverständnis mag man sehr weit kommen, aber je mehr man sich mit einem Thema (beruflich oder privat) beschäftigt hat, um so besser dürften die Vorstellungen vom Typischen sein. Und bei Personen, die von sich aus eher zu lebensfremden Annahmen tendieren, dürfte die Lebens- und Berufserfahrung ein wichtiges Korrektiv sein, mit dem sie in der Folge zu lebensnäheren Annahmen kommen. Bei sehr jungen Berufsanfängern dürfte zudem das Problem bestehen, dass sie die fehlende Berufserfahrung auch nicht durch wirklich durch Lebenserfahrung "ausgleichen" können, also schneller "naiv" wirklich oder das im Brustton der Überzeugung Vorgetragene nicht so leicht als falsch entlarven können.
Ok, da geb ich dir Recht. Das ist zutreffend, aber auch hier dürfte "mangelnde Lebenserfahrung" kein Hinderungsgrund sein, wenn man als Richter dann eben zu Hilfspersonen greift. Letztlich hat man in vielen Konstellationen ja die institutionalisierte Lebenserfahrung mit auf der Richterbank (ehrenamtliche Richter, Schöffen), die als faktisches Korrektiv auftreten.
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Niederegger »

Die Mitwirkung von Laienbeisitzern überzeugt mich . von weitem gesehen - eher bei den Arbeitsgerichten oder den Kammern für Handelssachen, wo spezieller beruflicher Sachverstand/Lebenserfahrung eingebracht werden soll. Bei den Strafgerichten glaube ich, dass man mit der Mitwirkung von Laienrichtern vor allem das Vertrauen der Bevölkerung in die Strafjustiz stärken will (keine Geheimsache, Erfahrung rechtsstaatlichen Vorgehens aus erster Hand). In der Sache würde ich als Strafrechtsferner aber vermuten, dass die Qualität der Strafurteile und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung bei den hier zu beurteilenden Lebenssachverhalten im Durchschnitt nicht schlechter wäre, wenn man ganz ohne Laienrichter auskäme. Juristen sind ja nicht per se lebensfremder als irgend jemand anders. ;) Wo die Strafrichter nicht weiterkommen, würde wohl der Sachverständige genügen.
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batman
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von batman »

Niederegger hat geschrieben:die Qualität der Strafurteile und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung
Die lässt sich in erster Linie anhand des schriftlich abgesetzten Urteils bewerten. Und an dem wirkt ohnehin kein Laienrichter mit.
Niederegger
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Niederegger »

Aber einzelne eigene Ideen zur Beweiswürdigung werden doch auch die Laienrichter einbringen, wenn auch die Formulierung der Urteils vom Berufsrichter stammt? -

Und Frage an die Richterkollegen: Ist es in Eurer Praxis schon mal vorgekommen, dass ihr bei einem Abstimmungsergebnis 2 Laienrichter gegen 3 Berufsrichter gegen die eigene Überzeugung einen Freispruch begründen musstet (§ 263 StPO), oder gibt es im Ergebnis regelmäßig keine auf die Endentscheidung durchschlagenden Divergenzen?
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julée
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von julée »

Tibor hat geschrieben:Das ist zutreffend, aber auch hier dürfte "mangelnde Lebenserfahrung" kein Hinderungsgrund sein, wenn man als Richter dann eben zu Hilfspersonen greift. Letztlich hat man in vielen Konstellationen ja die institutionalisierte Lebenserfahrung mit auf der Richterbank (ehrenamtliche Richter, Schöffen), die als faktisches Korrektiv auftreten.
Vor allem kann die "Hilfsperson" ja auch der erfahrene Kollege im Nebenzimmer sein (man kann ja nicht für alles offiziell ein Sachverständigengutachten einholen), der einem kurzerhand erklärt, wie das beim Gebrauchtwagenhandel üblicherweise so abläuft - und nach dem 3. Verfahren sollte man auch aus eigener Anschauung wissen, was Sache ist.
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Zippocat »

Niederegger hat geschrieben:oder gibt es im Ergebnis regelmäßig keine auf die Endentscheidung durchschlagenden Divergenzen?
Dies.
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famulus
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von famulus »

Zippocat hat geschrieben:
Niederegger hat geschrieben:oder gibt es im Ergebnis regelmäßig keine auf die Endentscheidung durchschlagenden Divergenzen?
Dies.
Aber sicherlich nur wegen des Zwei-Augen-Prinzips? :D
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Zippocat »

Gefragt war ja nach: regelmäßig. Es gibt immer auch mal wieder Abweichungen der Beurteilung, sowohl unter Berufsrichtern als auch ggü. Schöffen, aber ich habe es erst einmal erlebt, dass deswegen abgestimmt werden musste.
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Syd26 »

Tibor hat geschrieben:Ok, da geb ich dir Recht. Das ist zutreffend, aber auch hier dürfte "mangelnde Lebenserfahrung" kein Hinderungsgrund sein, wenn man als Richter dann eben zu Hilfspersonen greift. Letztlich hat man in vielen Konstellationen ja die institutionalisierte Lebenserfahrung mit auf der Richterbank (ehrenamtliche Richter, Schöffen), die als faktisches Korrektiv auftreten.
Leider fehlt ein solches Korrektiv in ganz normalen zivilrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht.
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Stalker »

Niederegger hat geschrieben:Aber einzelne eigene Ideen zur Beweiswürdigung werden doch auch die Laienrichter einbringen, wenn auch die Formulierung der Urteils vom Berufsrichter stammt? -

Und Frage an die Richterkollegen: Ist es in Eurer Praxis schon mal vorgekommen, dass ihr bei einem Abstimmungsergebnis 2 Laienrichter gegen 3 Berufsrichter gegen die eigene Überzeugung einen Freispruch begründen musstet (§ 263 StPO), oder gibt es im Ergebnis regelmäßig keine auf die Endentscheidung durchschlagenden Divergenzen?
Es gibt ja das Beratungsgeheimnis, aber mir wurde schon mehrmals in Schöffensachen vom Vorsitzenden nach einer Sitzung durch die Blume nahegelegt, Rechtsmittel einzulegen... ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von falsus »

Es scheint auch nicht unüblich, die Entscheidungsgründe so zu formulieren, dass die Hemmschwelle beim Berufungsgericht sinkt.
Gelöschter Nutzer

Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Vielleicht hat noch jemand Interesse am Ausgangsthema "Was Anwälte sich von Richtern wünschen" :)

Bisher sind das offenbar:

- Gute Terminsvorbereitung (in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht)

- Terminsanberaumung mit Rücksicht auf Ort des Kanzleisitzes / Anreisezeit

Was noch?

* Wie wichtig sind frühzeitge Vergleichsvorschläge?

* Wie wichtig deren Begründung und was sollte die Begründung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages enthalten?

* Wünscht man sich vom Richter eher kurze und knappe Entscheidungsgründe im Urteil oder soll es ausführlicher sein oder ist das am Ende sowieso egal?

* Wünscht man sich anerkennende Äußerungen, um vor dem Mandant gut dazustehen oder ist das egal?

* Wie sehr sollen Richter die Parteien zu einem Vergleich "drängen"?

Das wären ein paar Punkte, die mir einfallen würden. Freue mich auf Antworten!
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Borbarad »

Zurück zum Thema, galant verknüpft mit der Alters-/Erfahrungsdiskussion:

Ich wünsche mir manchmal vom Richter ein wenig Respekt vor dem teilweise zaghaften Auftreten eines jungen Anwalts, der auch mal nachdenken muss. Ist mir in meiner Anfangszeit häufiger vorgekommen, dass altersweise RIchter einen nicht ausreden ließen und einem über den Mund gefahren sind, nur weil man halb so alt war wie sie selbst. Da musste ich lauter und energischer werden. Das muss nicht sein und hat unter nominell Gleichgestellten (Volljuristen) nichts zu suchen.

Der Richter war auch mal jung und unsouverän
http://www.youtube.com/watch?v=uiskWM1hzL8

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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Mr_Black »

Reiner von Vielen hat geschrieben:
* Wie wichtig sind frühzeitge Vergleichsvorschläge?
Was meinst Du mit "frühzeitig"? Der ideale Zeitpunkt wäre ja die Güteverhandlung.

Reiner von Vielen hat geschrieben:* Wünscht man sich anerkennende Äußerungen, um vor dem Mandant gut dazustehen oder ist das egal?
Wenn das Gericht 1 : 1 die Argumente des Anwaltes teilt wäre ein Hinweis der Art: "Wie die Klägerseite zutreffend ausführt (...)" manchmal ganz nett. Das ist aber auch schon die höchste Form von Anerkennung, die man erwarten kann.
- Söldner des Rechts -
Orkan der Rechtspflege
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Re: Was Anwälte sich von Richtern wünschen

Beitrag von Herr Schraeg »

Reiner von Vielen hat geschrieben:- Terminsanberaumung mit Rücksicht auf Ort des Kanzleisitzes / Anreisezeit
Eher: Terminsansetzungen nach telefonischer Absprache, um das furchtbare Hin und Her der Verlegungsanträge zu vermeiden.
Reiner von Vielen hat geschrieben:* Wie sehr sollen Richter die Parteien zu einem Vergleich "drängen"?
Vorschlagen: ja. Drängen, wenn eine Partei sich bereits eindeutig ablehnend geäußert hat: nein.
Reiner von Vielen hat geschrieben:* Wünscht man sich anerkennende Äußerungen, um vor dem Mandant gut dazustehen oder ist das egal?
Das ist egal.
Reiner von Vielen hat geschrieben:* Wünscht man sich vom Richter eher kurze und knappe Entscheidungsgründe im Urteil oder soll es ausführlicher sein oder ist das am Ende sowieso egal?
Na ja, ich komme von der Verwaltungsrechtsseite, wo ellenlange Urteile mit absätzelangen Verweisungsketten auf Entscheidungen vor 50 Jahren an der Tagesordnung sind. Also: grundsätzlich knapp und präzise, wenn nicht ein verdammt guter Grund es anders gebietet. Aktuelles Beispiel, das mich masslos ärgert:

Ich greife eine Satzung mit einem formellen und zwei materiellen Argumenten an. Gericht gibt zu verstehen, dass es meiner formellen Argumentation folgen wird. Gegner und ich bitten das Gericht inständigst, sich auch zu den streitigen materiellen Fragen zu positionieren, weil ansonsten der Gegner den formellen Fehler korrigiert und wir ein zweites Verfahren, dann zu den materiellen Fragen, führen werden. Natürlich entscheidet das Gericht nur zur formellen Frage, ohne die Entscheidung hilfsweise auf die materielle Frage zu stützen oder dazu ein obiter dictum abzugeben. Also führen wir das Verfahren jetzt nochmals und dazu noch einige andere Verfahren, die sich auf die erneut angegriffene Satzung stützen. Über ein Dutzend überflüssiger Verfahren mit einem erheblichen Zeit- , Arbeits- und Kostenaufwand, der durch eine Seite zusätzlicher Ausführungen im ersten Verfahren hätte vermieden werden können.
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