Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

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julée
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von julée »

Wobei in der echten Provinz, wo ich aufgewachsen bin (das nächste LG ist mehr als 50 km entfernt), bei einem echt bizarren Auftritt eines Anwalts nicht der Richter, der ihn nicht weiterempfiehlt, das Problem wäre, sondern der Umstand, dass die Gegenseite die Story kopfschüttelnd bis entsetzt weitererzählte (wenn der eigene Anwalt noch eine Anekdote hinzufügen konnte, um so besser) und damit veritable Teile des potentiellen Mandantenkreises erreichte, da quasi jeder jeden kennt.
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Syd26
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von Syd26 »

julée hat geschrieben:Wobei in der echten Provinz, wo ich aufgewachsen bin (das nächste LG ist mehr als 50 km entfernt), bei einem echt bizarren Auftritt eines Anwalts nicht der Richter, der ihn nicht weiterempfiehlt, das Problem wäre, sondern der Umstand, dass die Gegenseite die Story kopfschüttelnd bis entsetzt weitererzählte (wenn der eigene Anwalt noch eine Anekdote hinzufügen konnte, um so besser) und damit veritable Teile des potentiellen Mandantenkreises erreichte, da quasi jeder jeden kennt.
Da ist wohl was dran. :D

Zur Ausgangsfrage: Ich finde es wichtig, die richtige Balance zwischen den Interessen des Mandanten und dem eigenen Ruf zu finden. Da muss man in der Großstadt eher nicht so drauf achten.

Eine aussichtslose Klage, die nie erhoben wird, ist natürlich kein Problem, denn von ihr weiß niemand etwas (außer Anwalt und Mandant). Die Einlegung sämtlicher Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, sei es nur zur Verzögerung, wirkt da schon wieder anders, wobei ich gerade das schwierig finde, da es ja um die Interessen des Mandanten geht - und dieser hat jedes Recht, auch aussichtslose Rechtsmittel zu verfolgen.
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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batman
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von batman »

Ich hoffe Du hast vor Deinen ehemaligen Heimatgerichten vor Deinem Umzug keine verbrannte Erde hinterlassen ;)
Samson
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von Samson »

Syd26 hat geschrieben:
julée hat geschrieben: Eine aussichtslose Klage, die nie erhoben wird, ist natürlich kein Problem, denn von ihr weiß niemand etwas (außer Anwalt und Mandant). Die Einlegung sämtlicher Rechtsmittel und Rechtsbehelfe, sei es nur zur Verzögerung, wirkt da schon wieder anders, wobei ich gerade das schwierig finde, da es ja um die Interessen des Mandanten geht - und dieser hat jedes Recht, auch aussichtslose Rechtsmittel zu verfolgen.
Ist das hier wirklich Konsens, das aussichtslose Rechtsmittel/Klagen erhoben werden, wenn der Mandant das unbedingt will? Bei uns ist üblich, da zu sagen "dafür gegen wir unseren Namen nicht her, gehen sie damit woanders hin". (Außer bei schon erwähnten Golffreunden...)
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von Swann »

Samson hat geschrieben: Ist das hier wirklich Konsens, das aussichtslose Rechtsmittel/Klagen erhoben werden, wenn der Mandant das unbedingt will? Bei uns ist üblich, da zu sagen "dafür gegen wir unseren Namen nicht her, gehen sie damit woanders hin". (Außer bei schon erwähnten Golffreunden...)
Konsens ist es nicht, aber einige Berufsträger haben sich offensiv dazu bekannt, dass sie sich eher in der Rolle des Abzeichners als des Anwalts sehen.
Syd26
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von Syd26 »

batman hat geschrieben:Ich hoffe Du hast vor Deinen ehemaligen Heimatgerichten vor Deinem Umzug keine verbrannte Erde hinterlassen ;)
Der Kanzleiumzug ist nicht zwingend mit einem völligen Nichtstun vor den ehemaligen Heimatgerichten verbunden. ;) Es bestehen durchaus noch Altlasten.
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Trojan
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von Trojan »

Syd26 hat geschrieben:Bis vor wenigen Wochen war ich mehrere Jahre in einer bayerischen Großstadt als Anwältin tätig. AG, LG und OLG vorhanden nebst ArbG und LAG etc. Dass man kurz hintereinander 2 mal auf den selben Richter traf, war eher unwahrscheinlich.

Demnach kannte ich eigentlich keine/n Kollegen/in, der/die Skrupel davor hatte, auch aussichtslose Anträge einzureichen. Ggf. mit dem Risiko, sich zu blamieren, aber aufgrund der Größe des Gerichts lief das eher unter "was soll's, am nächsten Tag kommt einer, der "Schlimmeres" macht". :D

Nun bin ich in der Provinz gelandet. Stadt mit LG und AG sowie ArbG. Die Kollegen hier sind wirklich sehr zurückhaltend mit dem, was sie tun. Ich verstehe natürlich, dass man sich hier seinen guten Ruf nicht ruinieren will und man bei einem kleineren Gericht eher darauf achtet, was man wie tut.

Aber woher kommt diese Angst? Was wäre denn so tragisch, wenn man tatsächlich mal "untergeht"? Das Haftungsrisiko liegt allein beim Anwalt und letztendlich ist es dessen Sache und die des Mandanten. Ich gehe davon aus, dass den meisten Richtern bewusst ist, warum der Rechtsanwalt so handelt (nämlich, weil es der Mandant so wünscht und dieser beratungsresistent ist).

Man scheut sich sogar, Klagen zu erheben, weil es zur relevanten Rechtsfrage (noch) keine Rechtsprechung gibt.

Mir fehlt da etwas das Verständnis. Klärt mich bitte auf. Vielleicht bin ich großstadtgeschädigt. ;)
Wie dieses Verhalten beim Gericht ankommt: Anwalt hat nicht die wirtschaftliche Grundlage um dieses abstruse Mandat abzulehnen (kein Kontrahierungszwang) oder ihm fehlt das juristische Verständnis die Aussichtsloisgkeit des Falls zu erkennen. Beides führt zu einem mitleidigen Blick (der auch im Kopf hängen bleibt) und ggf Frustration ...
So wird das dann auch auf dem Gerichtsflur unter den Kollegen besprochen... Hört man von allen Seiten.
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immer locker bleiben
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Re: Die Angst des Anwalts vor dem örtlichen Gericht

Beitrag von immer locker bleiben »

Samson hat geschrieben:Bei uns ist üblich, da zu sagen "dafür gegen wir unseren Namen nicht her, gehen sie damit woanders hin". (Außer bei schon erwähnten Golffreunden...)
Das sollte jedenfalls so sein, es gibt Momente, da ist der Vorsatz schwer einzuhalten, aber grundsätzlich sollte man es genaus so handhaben.

Mit sinnlosen Aktionen macht man sich nirgends Freunde und auch gegenüber dem Mandanten, der auf einer sinnlosen Aktion besteht, verlagert sich der Streit nur auf den späteren Zeitpunkt nach der rechtskräftigen Niederlage vor Gericht. Wehe dem. der dann seine Gebühren noch nicht in der Akte hat.
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