Parteiverrat ./. Prozessbetrug

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Ant-Man
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von Ant-Man »

joee78 hat geschrieben:Interessante Umfrage dazu im aktuellen Anwaltsblatt: Ist der Anwalt noch "Organ der Rechtspflege" oder nur noch "reiner Interessenvertreter"?

Dazu folgender Fall: Ein Anwalt stellt einem Kollegen ein Schriftstück im Auftrag seines Mandanten am letzten Tag einer Frist von Anwalt zu Anwalt per EB zu, § 195 ZPO. Der Kollege ruft wiederum seinen Mandanten an und erklärt ihm, wenn er das Schriftstück annehme, gelte es als rechtzeitig zugestellt - dann müsse er 100.000,- € zahlen. Daraufhin untersagt ihm der Mandant die Annahme. Der Anwalt verweist auf § 195 ZPO iVm. § 14 S. 1 BORA, die ihn zur Unterzeichnung des EB verpflichten. Der Mandant droht seinem Anwalt für den Fall der Unterzeichnung des EB mit einer Anzeige wegen Parteiverrats. Der Anwalt unterzeichnet daraufhin das EB nicht - der gegnerische Anwalt hat daraufhin keinen Nachweis über die rechtzeitige Zustellung und damit den Fall verloren. Er zeigt seinen Kollegen "wegen schwerer schuldhafter Verletzung von Berufspflichten" bei der RAK an.

http://www.haufe.de/recht/kanzleitipps/zustellung-von-anwalt-zu-anwalt-und-berufsrecht_222_261518.html (Verwaister Link automatisch entfernt)
Siehe die aktuelle Entscheidung des BGH, Urteil vom 26.10.2015, Az. AnwSt(R) 4/15, wonach einen Anwalt gegenüber seinen Kollegen keine Pflicht zur Mitwirkung bei Zustellungen zu Lasten des eigenen Mandanten trifft.
AlicImWunderland
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von AlicImWunderland »

Hm, ich muss zugeben, dass ich bei dieser Konstellation niemals auf die Idee gekommen wäre einen versuchten Prozessbetrug anzunehmen. Ist es in der anwaltlichen Praxis nicht gang und gäbe erst einmal alles was auch nur irgendwie denkbar ist zu fordern um dann "hilfsweise" und "äußerst hilfsweise" die tatsächlich realistischen Forderungen zu stellen nach dem Prinzip "mal gucken wie viel man rausholen kann"? Mir reicht die bloße Behauptung das ein Anspruch besteht noch nicht wirklich aus um eine Täuschungshandlung bzw. ein Einwirken auf das Vorstellungsbild des Richters zu bejahen. Es entspricht doch gerade dem Wesen des Prozesses, dass Ansprüche geltend gemacht werden, deren Bestand dann vom Richter zu bewerten ist.

Meiner Meinung nach kann daher die bloße Behauptung eines Anspruchs der nicht besteht noch nicht ausreichen um eine Strafbarkeit zu begründen. Anders liegt der Fall wenn man den Richter vom Bestand des Anspruchs zu überzeugen versucht und dabei unwahre Tatsachen vorspiegelt.

Mal abgesehen davon dürfte es aber wohl sowieso schwer werden den Vorsatz des Anwalts nachzuweisen. Er kann ja stets behaupten, die Rechtslage einfach falsch bewertet und wirklich an das Bestehen des Anspruchs geglaubt zu haben.
julée
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von julée »

Ansprüche zu stellen, löst entsprechende Gerichts- und Anwaltsgebühren aus - man kann also nicht nur mal so ganz unverbindlich gucken "was geht".

Auch § 138 I ZPO widerspricht einem Vortrag auf gut Glück. Die Behauptung eines Anspruchs und von den zugrundeliegenden Tatsachen lassen sich nicht so einfach trennen: Maßgeblich ist der Tatsachenvortrag - dieser muss wahrheitsgemäß erfolgen. Und ob die zugrundeliegenden Tatsachen richtig, zweifelhaft oder eindeutig falsch sind, kann der Anwalt durchaus erkennen. Und wenn er sagt "Anspruch auf Zahlung von 10.000 €, da (...) [Tatsachen]", dann ist man schnell bei einer Täuschung des Gerichts, wenn der Tatsachenvortrag falsch ist. Was sollte der Anwalt sonst tun wollen, als das Gericht (mehr oder weniger [nachweisbar] vorsätzlich) hinters Licht zu führen? Allein in dem Fall, in dem der Anwalt alle Tatsachen wahrheitsgemäß vorträgt und hieraus lediglich rechtlich falsche Schlüsse zieht, scheidet ein versuchter Prozessbetrug aus - es droht aber ggf. der Haftungsprozess, wenn der Mandant nicht entsprechend über die Risiken aufgeklärt worden ist.
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joee78
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von joee78 »

Ant-Man hat geschrieben:
joee78 hat geschrieben:Interessante Umfrage dazu im aktuellen Anwaltsblatt: Ist der Anwalt noch "Organ der Rechtspflege" oder nur noch "reiner Interessenvertreter"?

Dazu folgender Fall: Ein Anwalt stellt einem Kollegen ein Schriftstück im Auftrag seines Mandanten am letzten Tag einer Frist von Anwalt zu Anwalt per EB zu, § 195 ZPO. Der Kollege ruft wiederum seinen Mandanten an und erklärt ihm, wenn er das Schriftstück annehme, gelte es als rechtzeitig zugestellt - dann müsse er 100.000,- € zahlen. Daraufhin untersagt ihm der Mandant die Annahme. Der Anwalt verweist auf § 195 ZPO iVm. § 14 S. 1 BORA, die ihn zur Unterzeichnung des EB verpflichten. Der Mandant droht seinem Anwalt für den Fall der Unterzeichnung des EB mit einer Anzeige wegen Parteiverrats. Der Anwalt unterzeichnet daraufhin das EB nicht - der gegnerische Anwalt hat daraufhin keinen Nachweis über die rechtzeitige Zustellung und damit den Fall verloren. Er zeigt seinen Kollegen "wegen schwerer schuldhafter Verletzung von Berufspflichten" bei der RAK an.

http://www.haufe.de/recht/kanzleitipps/zustellung-von-anwalt-zu-anwalt-und-berufsrecht_222_261518.html (Verwaister Link automatisch entfernt)
Siehe die aktuelle Entscheidung des BGH, Urteil vom 26.10.2015, Az. AnwSt(R) 4/15, wonach einen Anwalt gegenüber seinen Kollegen keine Pflicht zur Mitwirkung bei Zustellungen zu Lasten des eigenen Mandanten trifft.
Der Fall geistert ja seit Monaten durch alle Anwaltsblätter - jetzt hat der BGH also ein Machtwort gesprochen. Im Berliner Anwaltsblatt von Oktober (S. 340) ist ein Hinweis, dass die "Beschwerden gegenüber Kollegen", die die Mitwirkung an der Zustellung verweigern, "massiv" zugenommen haben - und man die Bearbeitung der Beschwerden zurückstellt bis zu einer abschließenden Entscheidung des BGH.

Wie ich bereits gesagt habe - das Pendel geht zum Anwalt als reinem Interessenvertreter - der Mandant ist mir der nächste, eine noch irgendwie geartete Restkollegialität gibt es nicht mehr.

Zu meinem Ausgangspost: Passiert ist mir natürlich nichts. Wie die Vorredner schon sagten: Wenn man als Anwalt nur noch glasklar bestehende Ansprüche geltend machen dürfte, könnte man seinen Beruf aufgeben. :-w
Sind Sie ein Mensch? Sowas Ähnliches, ich bin Anwalt.

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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von Syd26 »

Danke für den Hinweis zu dieser Entscheidung.

Ich denke, das wird mittelfristig der Gesetzgeber klären müssen. Wie soll das denn bei Einführung des beA werden?

Sollen jetzt die Gerichtsvollzieher noch mehr Zustellungen vornehmen? Die sind doch eh überlastet.
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von immer locker bleiben »

Ich dachte eigentlich, es wäre ganz einfach:

- Der RA ist zur Unterzeichnung des EB verpflichtet, wenn er das entsprechende Schriftstück in Empfang nimmt. (Das ist bei Faxeingängen außerhalb der Geschäftszeit durchaus erst der nächste Tag, "Zugang" und "Empfangnahme" sind nicht das gleiche). Das kann der Mdt meines Erachtens durch Weisung auch nicht unterbinden.
- Die Unterzeichnung des EB bestätigt nur die Zustellung an den RA. Ob das als Zustellung auch gegenüber dem Mandanten gilt, hängt davon ab, ob der RA eine Empfangsvollmacht hat. Im Prozess ist das in der Regel der Fall (siehe §§ 81 ff. ZPO). Außerhalb des Prozesses nur, wenn eine Empfangsvollmacht erteilt wurde. Das hängt ggf. von Inhalt des Mandates und vom Text der dem Gegner vorliegenden Vollmacht ab, solche Sätze wie "Falls Sie gleichwohl Klage erheben wollen, benennen Sie uns bitte als Prozessbevollmächtigte" sollte man sich daher im außergerichtlichen Schriftverkehr verkneifen).
- Daran kann der Mdt durch "Untersagen der Annahme" in der Regel gar nichts ändern. Wer als RA befürchtet, sein Mdt sei an einer Zustellung beim RA nicht interessiert (aus welchen Gründen auch immer) sollte in sein Vollmachtsformular keine Empfangsvollmacht aufnehmen und den Mandanten darauf hinweisen, dass im Falle einer Prozessvollmacht die §§ 81 ff. ZPO gelten und eine wirksame Zustellung unliebsamer Schriftstücke ggf. nicht vermieden werden kann

Ich handhabe es normaler Weise so, dass ich EBs von Schriftstücken, die mir nicht wirksam zugestellt werden können (z. B. Zustellung einer Klage nach Vertretung im außergerichtlichen Verfahren, wenn ich noch keine Prozessvollmacht habe), weil die Vollmacht das nicht hergibt, schon unterschreibe und zurückschicke, dann aber mit dem Vermerk, dass dies keine wirksame Zustellung gg. meinen Mandanten begründet. Bei Zustellungen am Ende des letzten Tages einer Frist hat der Gegner dann in der Regel Pech, weil er das EB natürlich erst am nächsten Tag zurück geschickt bekommt. Die spannende Frage, die innerhalb des Mandatsverhältnisses mit dem Mdt dann geklärt werden müsste, ist, ob der Mdt z. B. die Folge des § 189 ZPO auslösen möchte, indem er sich das fragliche Schriftstück einfach so weiterleiten lässt.

Umgekehrt würde ich in einem solchen Fall, bei dem ich mich eben nicht darauf verlassen kann, dass das mit der Zustellung so flutscht, das Schriftstück neben der Übermittlung per Fax mit EB auch noch nach §§ 177, 179 ZPO zustellen.
joee78 hat geschrieben:Wie ich bereits gesagt habe - das Pendel geht zum Anwalt als reinem Interessenvertreter - der Mandant ist mir der nächste, eine noch irgendwie geartete Restkollegialität gibt es nicht mehr.
Das handhabe ich noch nicht so. Solange wie ein Kollege mir noch nicht unangenehm aufgefallen ist, bin ich da schon kollegial (und das macht sich durchaus durch die entsprechende Gegenkollegialität bemerkbar). Wenn allerdings einer mit solchen Spielchen wie "EB nicht zurückschicken" oder ähnliches anfängt, dann kann ich auch asselig werden ...
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Re: Parteiverrat ./. Prozessbetrug

Beitrag von thh »

Syd26 hat geschrieben:Sollen jetzt die Gerichtsvollzieher noch mehr Zustellungen vornehmen? Die sind doch eh überlastet.
Dann dauert's halt ein paar Wochen oder Monate länger ...
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