Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Für alle Themen, die in der Rechtspraxis auftauchen, inkl. Fragen zu Kanzlei-Software

Moderator: Verwaltung

Antworten
Pippen
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1296
Registriert: Dienstag 4. April 2006, 22:10

Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Pippen »

Was macht ihr, wenn jmd. Schmerzensgeld fordert, aber gleichzeitig das Kostenbelastungsrisiko höchstmöglich minimieren will? Antrag ohne Mindestbetrag? Ob das sinnvoll ist (damit geht jedes Rechtsmittel flöten), sei mal dahingestellt, aber viel schiefgehen kann da eigentlich nicht, oder? Im schlimmsten Fall sieht der Richter den Klageantrag als zu unbestimmt, muss aber ja darauf hinweisen, so dass man dann einen Mindestbetrag von 0.5 Euro angeben kann und damit kein Kostenrisiko hat (92 II 1 dürfte Pflicht sein). Auch Anwaltskosten hinsichtlich der SG-Anspruchs dürften in solch einem Fall (weder vorgerichtlich noch gerichtlich) nur im Mindestsatz entstehen bzw. wenn mehr, dann nur falls SG zugesprochen wird, so dass man diese beim Gegner regressieren kann.

Ist da ein Denkfehler drin? Was würdet ihr sagen/machen, wenn ein Md. mit solch einem Vorschlag an euch herantritt?
Herr Schraeg
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2811
Registriert: Montag 15. März 2010, 10:35
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Herr Schraeg »

Wenn Du in der mündlichen Verhandlung auf den entsprechenden Vorhalt des Richters das Klageziel mit "mind. 0,5 €" präzisierst, werfe ich als gegnerischer Anwalt Dir ein 50 Cent-Stück auf den Tisch und mache Erfüllung geltend.
Swann
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6456
Registriert: Donnerstag 28. Dezember 2006, 09:04

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Swann »

Pippen hat geschrieben:Was macht ihr, wenn jmd. Schmerzensgeld fordert, aber gleichzeitig das Kostenbelastungsrisiko höchstmöglich minimieren will?
Wasch mich, aber mach mich nicht nass.
Antrag ohne Mindestbetrag? Ob das sinnvoll ist (damit geht jedes Rechtsmittel flöten), sei mal dahingestellt, aber viel schiefgehen kann da eigentlich nicht, oder? Im schlimmsten Fall sieht der Richter den Klageantrag als zu unbestimmt, muss aber ja darauf hinweisen, so dass man dann einen Mindestbetrag von 0.5 Euro angeben kann und damit kein Kostenrisiko hat (92 II 1 dürfte Pflicht sein).
Es gibt durchaus Gerichte (OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 955), die entgegen der wohl überwiegenden Rspr. in diesen Fällen nur eine Überschreitung von 20 % des Mindestbetrags als von § 308 ZPO gedeckt sehen. Kannst ja deinem Mandanten dann erklären, warum er 60 Cent Schmerzensgeld bekommt.

Ansonsten ist es psychologisch natürlich hinsichtlich des Ankereffektes eine großartige Idee. Eine top Strategie. Fast so gut wie deine Beweisantragsidee für Zschäpe.
spotlessmind
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 173
Registriert: Samstag 12. Dezember 2009, 18:54
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von spotlessmind »

:phanta
Benutzeravatar
Tibor
Fossil
Fossil
Beiträge: 16446
Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Tibor »

Herr Schraeg hat geschrieben:Wenn Du in der mündlichen Verhandlung auf den entsprechenden Vorhalt des Richters das Klageziel mit "mind. 0,5 €" präzisierst, werfe ich als gegnerischer Anwalt Dir ein 50 Cent-Stück auf den Tisch und mache Erfüllung geltend.
:D
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
Thandor79
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 169
Registriert: Freitag 24. Oktober 2014, 17:45
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: AW: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Thandor79 »

Herr Schraeg hat geschrieben:Wenn Du in der mündlichen Verhandlung auf den entsprechenden Vorhalt des Richters das Klageziel mit "mind. 0,5 €" präzisierst, werfe ich als gegnerischer Anwalt Dir ein 50 Cent-Stück auf den Tisch und mache Erfüllung geltend.
:D
Pippen
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1296
Registriert: Dienstag 4. April 2006, 22:10

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Pippen »

Swann hat geschrieben: Es gibt durchaus Gerichte (OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 955), die entgegen der wohl überwiegenden Rspr. in diesen Fällen nur eine Überschreitung von 20 % des Mindestbetrags als von § 308 ZPO gedeckt sehen.
Das ist natürlich immer ein Risiko, aber hier ein geringes, weil die ganz überwiegende Rspr. das anders sieht - und zu Recht, wenn man nur einen Mindestbetrag als bestimmten Klageantrag ausreichen läßt, der damit denklogisch nach oben offen ist.
Ansonsten ist es psychologisch natürlich hinsichtlich des Ankereffektes eine großartige Idee.
Die Idee ist eben: Man fordert SG mit einem Euro Mindestbetrag und weist das Gericht (unter Verwahrung, dass hierin eine indirekte Erhöhung des Mindestbetrages gesehen werden soll) darauf hin, dass es die Rsp. zu x beachten möge, wo 10.000 € SG gezahlt wurden; man kann sogar den Ankereffekt und das Kostenminimierungsproblem offensiv ansprechen und so das Gericht immunisieren. ME kann dann der Streitwert der Sache nur 1 € sein und damit gegneranwaltiche/gerichtliche Kosten auch nur in entsprechender Höhe anfallen (kein Kostenrisiko), während auf der anderen Seite das SG kein besonderes Minimierungsrisiko erfahren dürfte. Man könnte im Innenverhältnis mit dem Md. sogar einen höheren Streitwert annehmen. Rein theoretisch müsste das eigentlich das anwaltliche Standardvorgehen sein.

Ich persönlich würde es nicht machen, weil es unter den Richtern zuviele Schrägs und swanns gibt, aber die Frage sei gestattet, ob es handfeste juristische Gründe dagegen gibt.
Herr Schraeg
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2811
Registriert: Montag 15. März 2010, 10:35
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Herr Schraeg »

Pippen hat geschrieben:Ich persönlich würde es nicht machen, weil es unter den Richtern zuviele Schrägs und swanns gibt, aber die Frage sei gestattet, ob es handfeste juristische Gründe dagegen gibt.
Ja. Mein Einwand oben war völlig ernst gemeint und hat im übrigen nichts mit der Rechtsauffassung des Gerichts zu tun. Wenn Du Schmerzensgeld von mind. 1 € klageweise geltend machst, erfülle ich als Gegenseite schlicht durch Zahlung von 1 €, ohne dass Du oder das Gericht etwas dagegen machen könnten. Du minimierst zwar das Kostenrisiko Deines Mandanten, aber er bekommt eben auch nur 1 €.
Benutzeravatar
batman
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8287
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 12:06
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von batman »

Pippen hat geschrieben:ME kann dann der Streitwert der Sache nur 1 € sein
Ist er aber nicht, sondern der Betrag, den das Gericht - den Klägervortrag als wahr unterstellt - als angemessenes Schmerzensgeld ansieht.
Ryze
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 127
Registriert: Samstag 14. April 2012, 19:17
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Ryze »

Pippen hat geschrieben: Ich persönlich würde es nicht machen, weil es unter den Richtern zuviele Schrägs und swanns gibt, aber die Frage sei gestattet, ob es handfeste juristische Gründe dagegen gibt.
§ 3 ZPO, § 63 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GKG. Du sollst und kannst zwar einen Streitwert (§ 61 S. 1 GKG und § 253 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) angeben, er bindet den Richter aber nicht. Zuguterletzt wird der Gegner (zurecht) Beschwerde einlegen, solltest du an ein/en altes Eisen/Frischling geraten sein, der sich über den Streitwert und die Bedeutung für die Prozessparteien keine Gedanken macht und deinen Fantasiewert übernimmt, wobei es für den Extremfall von 1 € nahezu ausgeschlossen ist, dass das jemand mitmacht.
Pippen
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1296
Registriert: Dienstag 4. April 2006, 22:10

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Pippen »

Herr Schraeg hat geschrieben: Mein Einwand oben war völlig ernst gemeint und hat im übrigen nichts mit der Rechtsauffassung des Gerichts zu tun. Wenn Du Schmerzensgeld von mind. 1 € klageweise geltend machst, erfülle ich als Gegenseite schlicht durch Zahlung von 1 €, ohne dass Du oder das Gericht etwas dagegen machen könnten.
Wie verstehst du "mindestens"? Wenn ein Gläuger "mindestens x" fordert oder fordern kann, dann kann man durch x nicht (vollständig) erfüllen, weil klar ist, dass nicht klar ist, ob das x bereits ausreicht oder nur ein Teil eines Größeren ist. Du müsstest daher nachfragen, ob du mit 1 € vollständig erfüllen kannst und dann wäre meine Antwort, dass das der Richter schätzen möge und wir deshalb hier wären. Immerhin würde sich der Rechtsstreit damit teilweise erledigen^^.

@batman, ryze: Wenn das Gericht einen höheren Streitwert annähme, dann hieße es zwingend, dass es dem Kläger das SG zugesteht und dann gewinnt er und damit hätte er keine Kosten. Das ist nicht das Problem. Wenn das Gericht das SG aber nicht als rechtmäßig ansieht, dann wäre der Streitwert 1 €, weil er sich nach dem Mindestbetrag der Klage richtet und der Kläger hätte minimale Kosten. So wie es viele Anwälte machen, die schon im Mindestbetrag recht hoch greifen (was wie gesagt Standard ist wg. Ankereffekt und vor dem Md. sieht's auch besser aus), kann das dumm ausgehen, wenn das Gericht einen SG-Anspruch verneint oder nur einen Bruchteil zuspricht. Dieses Risiko würde ich gern wegtaktieren. Beschwerde dagegen wird kaum erfolgreich sein, denn es wird nirgens verlangt, dass man einen bestimmten Mindestbetrag bezeichnet, nur einen nach seinen Vorstellungen. Auch die bei Teilklagen - die letztlich ähnlich kosten- und risikominimierend funktionieren sollen wie meine Idee hier - übliche negative Feststellungsklage wird wohl nicht gehen, weil man dort ja feststellen müsste, dass "der Bekl. dem Kl. keine 100.000 € SG zahlen muss" und eine solche Klage wäre wg. Rechtshängigkeit der streitgleichen SG-Klage wohl unwirksam.

Ich sehe (noch) nichts Handfestes gegen meine Idee als neues Standardverfahren der Anwaltschaft in SG-Prozessen, außer dass die Richter mit den Augen rollen und alsbald ihre Kasuistik so ändern würden, dass das nicht mehr klappt.
Benutzeravatar
batman
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8287
Registriert: Donnerstag 29. April 2010, 12:06
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von batman »

§ 61 GKG ist ja schon genannt worden. Spätestens wenn Du nur einen Mindestbetrag von 1 € beantragst und einen Klagevortrag lieferst, der keinerlei Schmerzensgeld rechtfertigt, wird Dich das Gericht auffordern, sachgerechte Angaben zum Streitwert zu machen.

Mal ein anderes Beispiel zur Illustration: Der Antragsteller initiiert ein selbstständiges Beweisverfahren und will 100 schwerwiegende Baumängel nebst Mangelbeseitigungskosten festgestellt haben. Der Sachverständige findet keinen einzigen Mangel. Wie hoch ist der Streitwert?
Benutzeravatar
immer locker bleiben
Fossil
Fossil
Beiträge: 10448
Registriert: Mittwoch 28. November 2007, 18:06
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von immer locker bleiben »

Pippen hat geschrieben:Was macht ihr, wenn jmd. Schmerzensgeld fordert, aber gleichzeitig das Kostenbelastungsrisiko höchstmöglich minimieren will?
Es hilft alles nichts, wenn der Mdt Geld haben will, muss er das Kostenrisiko in Kauf nehmen. Was wäre denn ein realistischer Betrag? Ansonsten: klassischer Fall für Prozessfinanzierung.
You might remember me from such posts as this.
Bild
Ryze
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 127
Registriert: Samstag 14. April 2012, 19:17
Ausbildungslevel: RA

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Ryze »

Pippen hat geschrieben:Wenn das Gericht einen höheren Streitwert annähme, dann hieße es zwingend, dass es dem Kläger das SG zugesteht und dann gewinnt er und damit hätte er keine Kosten. Das ist nicht das Problem. Wenn das Gericht das SG aber nicht als rechtmäßig ansieht, dann wäre der Streitwert 1 €, weil er sich nach dem Mindestbetrag der Klage richtet und der Kläger hätte minimale Kosten.
Weder die erste noch die zweite Annahme treffen zu, wie kommst du nur darauf? Wie erwähnt, bindet mich eine Streitwertangabe nicht, entsprechend natürlich auch nicht dein Mindestverlangen. Ganz konkret: Wenn deine Klage eintrudelt und der Kostenbeamte die Sache vorlegt, da er mangels zutreffendem Streitwert keinen entsprechenden Gerichtskostenvorschuss verlangen kann, schaue ich mir die Klagebegründung an, sehe, dass du z.B. behauptest, dein Mandant habe eine Beinfraktur von einem verschuldeten Unfall des Beklagten davongetragen, woraufhin ich - ggf. nach der Lektüre entsprechender Schmerzensgeldtabellen und zugehöriger Urteile - den (zutreffenden) Streitwert für die behauptete Beinfraktur vorläufig auf 8.000 € festsetze. Der Kostenbeamte verlangt daraufhin die entsprechenden 609,00 € Gerichtskostenvorschuss, die Sache geht weiter und für den Fall, dass die Sache abgewiesen wird, kommen die entsprechenden Anwaltskosten einschließlich deiner eigenen auf Basis des Streitwerts von 8.000 € auf deinen Mandanten zu. Wo soll da nun dein Mindestverlangen von 1 € relevant werden?

Wie minimiert man das Kostenrisiko? Den durch eine Schmerzensgeldtabelle ermittelten und realistischerweise (!) zu erwartenden Wert nicht um mehr als 20% übersteigen. Abzuraten ist jedenfalls von der Praxis so mancher Anwälte, bei zwei Stunden Blindarmschmerzen des Mandanten, 200.000 € einzuklagen, auf eine Entscheidung zu einem Fall mit 2 Monaten Koma und Querschnittslähmung zu verweisen und in der Verhandlung völlig überrascht und empört zu tun. Ansonsten bleibt es beim Grundsatz: Wenn du verlierst, verlierst du auch kostenmäßig, wo liegt nun die Besonderheit bei einer Schmerzensgeldklage? Dafür gibt es Rechtsschutzversicherungen...

Die Erwägungen zur Teilklage treffen im Übrigen ebenfalls nicht zu.
Pippen
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1296
Registriert: Dienstag 4. April 2006, 22:10

Re: Risikominimierung beim Schmerzensgeld

Beitrag von Pippen »

Ryze hat geschrieben:Wo soll da nun dein Mindestverlangen von 1 € relevant werden?
Ja, du hast Recht, der Streitwert für die Gerichtskosten wird ja letztlich durch §§ 3ff. ZPO bestimmt und dort gilt ein Streitwert nach wirtschaftlichem Interesse aus der Sicht des Gerichts. Ähnliches dürfte für die Anwaltsgebühren gelten. Ich habe mich da durch die Übung täuschen lassen, dass bei bestimmten Geldforderungen der Streitwert idR in ebendieser Höhe angenommen wird und das ist zwar oft richtig, aber eben nicht zwingend und dieser Fall wäre so einer.

Damit funktioniert meine Idee nicht.
Die Erwägungen zur Teilklage treffen im Übrigen ebenfalls nicht zu.
Kannst du das näher erläutern? Ich würde schon sagen, dass der dortige Antrag wg. Rechtshängigkeit des gleichen Streitgegenstandes (als Klage) unzulässig wäre. Oder meinst du was anderes?
Antworten