Wahrheitspflicht des Anwalts

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Gelöschter Nutzer

Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Moin,

entschuldigt bitte wenn ich fälschlicherweise im "Allgemeinen Forum" poste. Ich bin kein Jurist und weiß daher meine Frage nicht besser einzuordnen. That being said:

Darf ein Verteidiger eine Frage stellen, bei der er weiß, daß die Antwort der Unwahrheit entspricht?

Beispiel: Straftat wurde in Hamburg begangen. Zeuge kann bezeugen, daß der Angeklagte zum Tatzeitpunkt in Berlin war.
Der Verteidiger weiß jedoch, daß das nicht der Wahrheit entspricht.

Szenario A: Der Zeuge bezeugt in gutem Gewissen, unwissend der Tatsache, daß seine Wahrnehmung nicht der Wahrheit entspricht.

Szenario B: Der Zeuge lügt offensichtlich absichtlich.

Ich habe selbt etwas recherchiert
https://duckduckgo.com/?q=anwalt+zeuge+wahrheitspflicht
aber ich würde mich über einige Expertenmeinungen freuen.

Grüße
Joe
joee78
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Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von joee78 »

Im Strafrecht gibt es keine Wahrheitspflicht - der Angeklagte darf lügen, er darf nur keinen anderen belasten.

Der Strafverteidiger ist also verpflichtet, dem Zeugen die entsprechenden Fragen zu stellen, deren Antworten seinen Mandanten entlasten können. Der Zeuge selbst ist allerdings verpflichtet die Wahrheit zu sagen und wird daher auch vom Gericht entsprechend belehrt. Der Verteidiger ist allerdings nicht der Anwalt des Zeugen und darf daher auch - wenn dieser eine Falschaussage macht - keinen diesbezüglichen Hinweis ans Gericht geben, ansonsten begeht er Parteiverrat, § 356 StGB.
Sind Sie ein Mensch? Sowas Ähnliches, ich bin Anwalt.

Blade II
Gelöschter Nutzer

Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

joee78 hat geschrieben:der Angeklagte darf lügen.
Das ist ja wohl klar.
joee78 hat geschrieben:er darf nur keinen anderen belasten
Und auch das zumindest nachvollziehbar.

Aber ich meinte doch offensichtlich nicht den Angeklagten als Zeugen.

joee78 hat geschrieben:Der Strafverteidiger ist also verpflichtet, dem Zeugen die entsprechenden Fragen zu stellen, deren Antworten seinen Mandanten entlasten können.
Also, wie gesagt, ich bin ja kein Jurist, aber § 159 StGB ("Versuch der Anstiftung zur Falschaussage") scheint dem zu widersprechen.

Aber ich lasse mich natürlich gerne belehren. Dafür bin ich hier.

................

Anders gefragt:
Wenn der Zeuge denkt, die wahrheitsgetreue Antwort wäre "Berlin", dann wäre das ja keine Falschaussage. Demzufolge kann es ja auch keine Anstiftung zur Falschaussage geben? Auch wenn der Anwalt weiß, daß die Aussage falsch ist?

Wenn der Zeuge jedoch weiß, daß "Hamburg" die einzig wahre Antwort ist, und trotzdem eine Willenserklärung abgibt "Berlin" zu sagen, dann könnte die Frage doch als Anstiftung zur Falschaussage gewertet werden, oder?

Oder sind einfach beide Fälle eine Anstiftung zur Falschaussage?
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Ara
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Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Ara »

Joe Koenig hat geschrieben: Anders gefragt:
Wenn der Zeuge denkt, die wahrheitsgetreue Antwort wäre "Berlin", dann wäre das ja keine Falschaussage. Demzufolge kann es ja auch keine Anstiftung zur Falschaussage geben? Auch wenn der Anwalt weiß, daß die Aussage falsch ist?
Das ist nicht ganz so einfach. Es gibt nämlich auch die "Verleitung zur Falschaussage" nach § 160, dazu muss der Zeuge nicht zwingend wissen, dass er gerade eine Falschaussage begeht.

Ansonsten ist es ein sehr vermintes Feld. Vor allem wenn ein Anwalt einen Zeugen benennt von dem er weiß, dass er falsch aussagen wird es sehr problematisch. Merkt er erst während der Vernehmung, dass der Zeuge falsch aussagt, muss er aber die Fragen nicht einstellen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Gelöschter Nutzer

Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ara hat geschrieben: Das ist nicht ganz so einfach. Es gibt nämlich auch die "Verleitung zur Falschaussage" nach § 160, dazu muss der Zeuge nicht zwingend wissen, dass er gerade eine Falschaussage begeht.
Ja, genau darauf wollte ich (u. a.) hinaus. Danke.
Ara hat geschrieben:Ansonsten ist es ein sehr vermintes Feld. Vor allem wenn ein Anwalt einen Zeugen benennt von dem er weiß, dass er falsch aussagen wird es sehr problematisch.
Hmm, ich hätte jetzt gedacht, daß genau in diesem Fall die Rechtslage sehr eindeutig wäre. Aber wahrscheinlich hast Du das auch gemeint.
Ara hat geschrieben:Merkt er erst während der Vernehmung, dass der Zeuge falsch aussagt, muss er aber die Fragen nicht einstellen.
Wie jetzt?

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V: Wo haben Sie den Angeklagten zum Tatzeitpunkt gesehen?
Z: In Berlin.
 [jetzt müsste der Verteidiger ja wissen, daß der Zeuge lügt (oder zumindest irrt).  Darf er dann noch weiterhin verfahren mit:]
V: Wo genau in Berlin?
Z: Café Schoenbrunn.
V: Danke für Ihre Aussage.
Danke.

BTW: Weiß jemand, ob sich das US-amerikanische Recht (also bspw. NY Penal Code) dsbzgl. wesentlich vom bundesdeutschen unterscheidet? ("Subornation of perjury" ggü "Verleitung zur Falschaussage")
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Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Richter Gnadenlos »

M.E. darf der Verteider sehr wohl fragen "Wo genau in Berlin?". Das ist die naheliegende nächste Frage bei der sehr unkonkreten Antwort "In Berlin."

Der Verteidiger kann zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ob der Zeuge lügt oder irrt. Die Bitte um Konkretisierung (genau das würde das Gericht/ die Staatsanwaltschaft, die vor dem Verteidiger das Fragerecht haben, auch fragen) muss also nicht der Bestätigung der falschen Aussage führen, sondern kann dem Zeugen auch vor Augen führen, dass er sich möglicherweise irrt.
Gelöschter Nutzer

Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Der Verteidiger kann zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, ob der Zeuge lügt oder irrt.
Ich bitte um Entschuldigung, aber wir diskutieren doch hier (u.a) unter der Prämisse, daß der Anwalt es weiß, oder nicht?
genau das würde das Gericht/ die Staatsanwaltschaft, die vor dem Verteidiger das Fragerecht haben, auch fragen
Spielt das eine Rolle? Das ist doch nur ein (verbesserungswürdiger) "Legal Puzzler". Es geht nicht um Rechtsberatung. Spaß, nicht Arbeit.

Die legale Implikation, in realitat, ist doch nebensächlich.
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famulus
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Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von famulus »

Hierzu Klemke in "Einführung in die Praxis der Strafverteidigung":
Dies gilt insbesondere für die Bennenung von Zeugen. Hat er lediglich Zweifel an der Richtigkeit einer potentiell entlastenden Zeugenaussage, ist er zur Stellung eines Beweisantrages in aller Regel verpflichtet. Anderenfalls würde er in Kauf nehmen, ein möglicherweise zuverlässiges entlastendes Beweismittel zu unterdrücken. Der Verteidiger sollte jedoch bei dem Umgang mit Zeugen die größtmögliche Vorsicht sicht walten lassen. Andererseits läuft er Gefahr, bald selbst mit einem Ermittlungsverfahren überzogen zu werden. Der Strafverteidiger ist verpflichtet, seinen Mandanten im Rahmen der Gesetze bestmöglich zu verteidigen. Er ist nicht verpflichtet, an der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruches mitzuwirken. Er hat schon gar nicht für die Richtigkeit von Zeugenaussagen einzustehen und ist insbesondere nicht verpflichtet, eine Falschaussage zu verhindern. Er überschreitet jedoch nach der Rspr. die Grenzen zulässiger Verteidigung, wenn er den Sachverhalt aktiv verdunkelt oder verzerrt, insbesondere Beweisquellen verfälscht. Bei einer von ihm sicher als unwahr erkannten Zeugenaussage verdunkelt er dann aktiv den Sachverhalt, wenn er Einfluss auf das Zustandekommen der Aussage nimmt. Dies ist dann der Fall, wenn er den Zeugen zu einer Falschaussage veranlasst, wenn er ihn in seinem Entschluss bestärkt, wenn er einen zur Falschaussage entschlossenen Zeugen als Beweismittel benennt oder wenn er den Inhalt der Falschaussage mit ihm abstimmt. Hier macht sich der Verteidiger nicht nur wegen Strafvereitelung strafbar, sondern auch wegen Teilnahme an einem Aussagedelikt.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
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Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Richter Gnadenlos »

Joe Koenig hat geschrieben: Ich bitte um Entschuldigung, aber wir diskutieren doch hier (u.a) unter der Prämisse, daß der Anwalt es weiß, oder nicht?
Ich weiß es nicht. Dein Sachverhalt ist unklar gestellt. Ich bin davon ausgegangen, dass der Anwalt die Wahrheit kennt und in Szenario A der Zeuge irrt und in Szenario B der Zeuge lügt, ohne dass der Anwalt automatisch weiß, welcher Fall vorliegt.

Joe Koenig hat geschrieben: Spielt das eine Rolle? Das ist doch nur ein (verbesserungswürdiger) "Legal Puzzler". Es geht nicht um Rechtsberatung. Spaß, nicht Arbeit.
Die legale Implikation, in realitat, ist doch nebensächlich.
Als Praktiker wollte ich nur darauf hinweisen, dass der Sachverhalt etwas realitätsfern ist. Mir war nicht bewusst, dass Dir dies als Laie bewusst war und nur eine rein abstrakte Erörterung erwünscht war.

Im Übrigen entschuldige ich mich dafür, dass Teile meines Beitrags für Dich offensichtlich überflüssig waren.
Gelöschter Nutzer

Re: Wahrheitspflicht des Anwalts

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Richter Gnadenlos hat geschrieben:
Joe Koenig hat geschrieben:
Dein Sachverhalt ist unklar gestellt. Ich bin davon ausgegangen, dass der Anwalt die Wahrheit kennt und in Szenario A der Zeuge irrt und in Szenario B der Zeuge lügt, ohne dass der Anwalt automatisch weiß, welcher Fall vorliegt.
.
Ja, genauso war es gemeint.
Richter Gnadenlos hat geschrieben: Als Praktiker wollte ich nur darauf hinweisen, dass der Sachverhalt etwas realitätsfern ist. Mir war nicht bewusst, dass Dir dies als Laie bewusst war und nur eine rein abstrakte Erörterung erwünscht war..
OK, Danke, akzeptiert.
Richter Gnadenlos hat geschrieben: Im Übrigen entschuldige ich mich dafür, dass Teile meines Beitrags für Dich offensichtlich überflüssig waren.
Nein, bitte nicht. Ich wertschätze deine Meinung als Praktiker viel zu sehr, als daß ich Deine Entschuldigung einfach so hinnehmen könnte.
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