gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

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Calipso
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gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Calipso »

Hallo,

mal wieder eine Frage: ich hab in Abwesenheit meines Mandanten einen widerruflichen Vergleich geschlossen, wobei die Frist noch nicht abgelaufen ist und für den Fall des Widerrufs bereits der Termin zur Verkündung des Urteils bestimmt wurde. Es waren Zeugen benannt, wurden aber nicht gehört und waren auch nicht geladen.

Nach Rücksprache mit der Mandantschaft und eines Zeugen ergibt sich, dass der Gegner lügt wie gedruckt u dies wohl auch in der Verhandlung getan hat.

Nun zu meiner Frage: Wenn ich den Vergleich für die Mandantschaft widerrufe, kann ich dann die Fortsetzung des Verfahrens plus die Ladung der Zeugen beantragen? Also dass ich das natürlich beantragen kann ist mir klar, die Frage ist nur, ob das Gericht das dann auch macht.

Alternativ könnte der Vergleich ja nicht innerhalb der Frist widerrufen, sondern danach gem. § 123 BGB angefochten werden, problematisch ist dann nur die Unverzüglichkeit der Anfechtung.

Die Frage ist auch, ob ich den ganzen Vertrag nun nicht auch gem. § 123 BGB anfechten kann, da der Gegner auch beim Vertragsschluss schon gelogen haben muss. Das mit den Beweislasten ist mir klar.

Hab schon viel gegoogelt, aber keine wirkliche Antwort gefunden.

Vielen Dank schon mal u vG
Calipso
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immer locker bleiben
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von immer locker bleiben »

Das Termin zur Verkündung einer Entscheidung (doch wohl nicht wörtlich "Urteil", oder?) anberaumt wurde, gehe ich davon aus, dass in der mündlichen Verhandlungen die Anträge auch gestellt wurden. Damit liegt der Ball jetzt in der Spielfeldhälfte des Gerichts. Wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält, gibt es ggf. weder eine Beweisaufnahme noch weitere Schriftsatzfristen, sondern in der Tat ein Urteil.

In der Regel ist nach mündlicher Verhandlung weiterer Vortrag nach § 296a ZPO unzulässig. Denkbar wäre eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO iVm § 580 Nr. 3 oder Nr. 4 ZPO, wenn die Voraussetzungen einer der beiden dort genannten Fallgruppen durch die von Dir angenommene Lügerei erfüllt sind UND diese nicht nur vorgetragen, sondern auch glaubhaft gemacht werden.

Ich würde diesen Weg (also Widerruf des Vergleichs und dann Vortrag und Glaubhaftmachtung der Gründe für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung) dann auch für erfolgversprechender halten, als den einer Anfechtung des Vergleichs nach § 123 BGB.
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Calipso
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Calipso »

Danke für deine Antwort!

Ja, die Anträge wurden gestellt.

Ich werd dann wohl widerrufen u die Fortsetzung beantragen, weil es der Mandantschaft auch so wichtig ist und der Richter durchaus ein echtes Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts gezeigt hat. Die sich nun im Nachhinein vermutlich als Falschaussagen des Gegners entpuppten Äußerungen wurden zudem protokolliert - und es passt dann auch für mich irgendwie ins Gesamtbild.

Dann verliert die Mandantschaft evtl, aber eine Berufung wäre dann möglich u wäre sinnvoll, wenn die Zeugen gehört werden würden u der Richter meine Klage abweist. Zumal es zu dem Randbereich, in dem ich da tätig bin, mittlerweile doch auch einiges an Rechtsprechung (u.a. zu einer Teilfrage auch BGH-Rechtsprechung) gibt, für die der Richter aber irgendwie nicht offen war, obwohl ich in der Klageschrift sogar aus den Urteilen zitiert hatte.

LG, Calipso
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immer locker bleiben
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von immer locker bleiben »

Wenn Du in der Sache noch vortragen willst, dann würde ich eher versuchen, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu erreichen, als auf das Berufungsverfahren zu bauen ... (ich kenne allerdings auch den Sach- und Streitstand nicht).
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Syd26
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Syd26 »

Wenn die Zeugen geladen waren, aber nicht gehört wurden, weil man einen Vergleich geschlossen hat, dann kann die Sache doch eigentlich nicht entscheidungsreif sein. Es kommt natürlich darauf an, was sonst noch im Termin besprochen wurde.

Ich würde auch den bereits vorgeschlagenen Weg gehen.

Ich mache das so gut wie nie, aber in diesem Falle wäre es auch mal denkbar, den Richter anzurufen und ihm die eigene weitere Vorgehensweise kurz zu schildern.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von immer locker bleiben »

Syd26 hat geschrieben:Wenn die Zeugen geladen waren, aber nicht gehört wurden, weil man einen Vergleich geschlossen hat, dann kann die Sache doch eigentlich nicht entscheidungsreif sein.
Theoretisch ja. Aber dann sind da ja noch die Richter, die einfach mal profilaktisch die Zeugen laden und hinterher überlegen, ob sie die wirklich brauchen ...
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batman
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von batman »

Der Widerruf des Vergleichs ist schon haftungsrechtlich der "sicherste Weg".

Mit dem entsprechenden Schriftsatz würde ich klarstellen, dass Du als zu verkündende Entscheidung einen Beweisbeschluss erwartest, da die Sache aus Deiner Sicht nicht entscheidungsreif ist und die von Deiner Partei benannten Zeugen (und ggf. Gegenzeugen) zu vernehmen sind.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von thh »

Syd26 hat geschrieben:Wenn die Zeugen geladen waren, aber nicht gehört wurden,
Sie waren benannt, wurden aber nicht geladen, so der OP.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Versicherungsnehmer »

Nach Rücksprache mit der Mandantschaft und eines Zeugen ergibt sich, dass der Gegner lügt wie gedruckt u dies wohl auch in der Verhandlung getan hat.

Hoffentlich hast du den Vortrag auch bestritten.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Syd26 »

thh hat geschrieben:
Syd26 hat geschrieben:Wenn die Zeugen geladen waren, aber nicht gehört wurden,
Sie waren benannt, wurden aber nicht geladen, so der OP.
Okay, danke für den Hinweis, das hatte ich überlesen. Dann sollte man dem Gericht natürlich erst recht klar machen, dass man den Rechtsstreit für nicht entscheidungsreif hält.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Calipso »

Vielen, vielen Dank noch mal für eure Beiträge, vor allem auch diesen:
immer locker bleiben hat geschrieben:Wenn Du in der Sache noch vortragen willst, dann würde ich eher versuchen, die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu erreichen, als auf das Berufungsverfahren zu bauen ... (ich kenne allerdings auch den Sach- und Streitstand nicht).
und dieser hier:
batman hat geschrieben:Der Widerruf des Vergleichs ist schon haftungsrechtlich der "sicherste Weg".

Mit dem entsprechenden Schriftsatz würde ich klarstellen, dass Du als zu verkündende Entscheidung einen Beweisbeschluss erwartest, da die Sache aus Deiner Sicht nicht entscheidungsreif ist und die von Deiner Partei benannten Zeugen (und ggf. Gegenzeugen) zu vernehmen sind.
Ich habe bestritten, aber es wurde meiner Erinnerung nach nicht protokolliert ( das Protokoll habe ich noch nicht). Was aber protkoliert ist, sind die falschen Aussagen des Gegners. Und Bestreiten kann ich die zum Teil auch erst jetzt, weil ich nach Rücksprache mit der Mandantschaft und vor allem dem Zeugen zu neuen Erkenntnissen gekommen bin.

Die Zeugen waren nicht geladen! Daher müsste doch eine Fortsetzung mit Ladung der Zeugen möglich sein. Ich hatte in der Klageschrift auch schon die Einholung eines SV-Gutachtens beantragt.

Allerdings haben wir halt auch schon die Anträge gestellt.

Danke auch für diese Idee:
Syd26 hat geschrieben:Ich mache das so gut wie nie, aber in diesem Falle wäre es auch mal denkbar, den Richter anzurufen und ihm die eigene weitere Vorgehensweise kurz zu schildern.
Zum Glück war der Richter an der Aufklärung des Sachverhalts interessiert und das Gericht liegt in der "Pampa" wo sich die Richter erfahrungsgemäß auch mehr Zeit nehmen als hier in Berlin.

Vielleicht bringt so ein Anruf ja was.

Also klar ist mir, dass ich das daneben natürlich auch schriftlich mit Widerruf des Vergleichs und entsprechendem Antrag auf Fortsetzung des Prozesses machen muss.

Vielen Dank u lG
Calipso
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Swann »

Calipso hat geschrieben: Ich habe bestritten, aber es wurde meiner Erinnerung nach nicht protokolliert ( das Protokoll habe ich noch nicht). Was aber protkoliert ist, sind die falschen Aussagen des Gegners. Und Bestreiten kann ich die zum Teil auch erst jetzt, weil ich nach Rücksprache mit der Mandantschaft und vor allem dem Zeugen zu neuen Erkenntnissen gekommen bin.
Hast du dir denn für den Fall des Widerrufs des Vergleichs einen Schriftsatznachlass geben lassen?
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

Beitrag von Versicherungsnehmer »

Ich habe bestritten, aber es wurde meiner Erinnerung nach nicht protokolliert ( das Protokoll habe ich noch nicht). Was aber protkoliert ist, sind die falschen Aussagen des Gegners. Und Bestreiten kann ich die zum Teil auch erst jetzt, weil ich nach Rücksprache mit der Mandantschaft und vor allem dem Zeugen zu neuen Erkenntnissen gekommen bin.

Das sollte aber nicht passieren. Bestreiten und auf entsprechende Protokollierung achten. Falls Bestreiten (noch) nicht möglich, Schriftsatznachlass einräumen lassen. Wenn du Pech hast, könnte jetzt nämlich, je nachdem wie entscheidungserheblich der nunmehr offenbar unstreitige Vortrag der Gegenseite war, der Weg für ein Urteil ohne vorherige Beweisaufnahme frei sein.
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Re: gerichtlicher Vergleich Widerruf vs. § 123 BGB

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Vielleicht in diesem Zusammenhang nicht uninteressant:
BGH, Beschluss vom 07.04.2016 - I ZR 168/15
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