Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort?

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OJ1988
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Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort?

Beitrag von OJ1988 »

Kann mir jemand letztverbindlich Auskunft darüber geben, was ich in Fällen, in denen eine BAK zwischen 2 und 3 Promille und damit auch § 21 StGB zumindest im Raum steht, bei einem Strafurteil in die tatsächlichen Feststellungen ("II.") schreibe?

1) Gesichert scheint zu sein, dass zumindest das Ergebnis des BAK-Gutachtens und der Zeitpunkt ihrer Vornahme rein muss. Klar, ergibt auch Sinn, wo sonst.

2) Gehört aber z.B. auch die BAK zum Tatzeitpunkt, also das Ergebnis der Rückrechnung, in die tatsächlichen Feststellungen?

3) Und was ist mit der "conclusio", dass der Täter im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit iSd § 21 StGB handelte, kommt das in die tatsächlichen Feststellungen? Für die Ebene der Strafzumessung ("IV.") bliebe dann immerhin noch die eigentlich interessante Frage, ob man von der obligatorischen Strafmilderungsmöglichkeit des § 21 StGB Gebrauch macht oder es eben bleiben lässt.
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[enigma]
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von [enigma] »

Ja, ja und ja. Insbesondere zu 3). Hatte ich gestern erst bei nem Urteil anders gemacht (also die Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit erst in der Strafzumessung erwähnt, die zugrundeliegenden Tatsachen aber unter II.) und meine Richterin hat mir lang und breit erklärt, dass auch die Feststellung der verminderten Schuldfähigkeit unbedingt in II. stehen muss.
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OJ1988
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von OJ1988 »

Ah, sehr gut! War selbst beim StA :-w

Aber 1) kommt dann trotzdem rein, oder fällt das wegen 2) unter den Tisch?
Zuletzt geändert von OJ1988 am Samstag 7. November 2015, 19:54, insgesamt 2-mal geändert.
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[enigma]
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von [enigma] »

Den Fall hatte ich jetzt noch nicht. Denke aber, dass beides in die Feststellungen zum Sachverhalt muss. Denn der BAK-Wert zum Messzeitpunkt ist ja der Ausgangspunkt für die Rückrechnung und damit den Tatzeit-BAK. Die Rückrechnung wird vom Gericht aber selbst vorgenommen. Wenn du den Ausgangswert unter den Tisch fallen lässt, lässt sich aus dem Urteil nicht mehr nachvollziehen, ob die Rückrechnung korrekt ist. Das aber wie gesagt ohne Gewähr.
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von OJ1988 »

Hab nochmal im Russack-Skript zum Urteil nachgeschaut. Dort wird vertreten, dass in der Sachverhaltsschilderung ausschließlich die Anlnüpfungspunkte, die man für die Rückrechnung braucht, mitzuteilen seien (also 1)). Die Rückrechnung und die Prüfung der Vss. des § 21 StGB seien dann in der "rechtlichen Würdigung" (!) vorzunehmen. Wo die Frage der fakultativen Strafmilderung zu klären sei, dazu schweigt er sich aus.
Das ist doch echt zum Kotzen, nirgends bekommt man Gewissheit. Dabei sind das banalste Fragen.
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von [enigma] »

Naja, es sind halt auch Aufbaufragen, bei denen wohl viel vertretbar sein dürfte. Laut meiner Ausbilderin mit über 30 Jahren Erfahrung als Strafrichterin und Vorsitzende am Schöffengericht muss bei § 21 in II. der Satz "Die Fähigkeit des/der Angeklagten, das Unrecht der Tat zu erkennen, war in Folge der Alkoholisierung erheblich vermindert" fallen. Das beantwortet ja schonmal 3)

Nun würde ich wie gesagt dazu tendieren, auch die Umstände, aus denen sich dieses Ergebnis ergibt (also BAK-Werte und Rückrechnung) in II. unterzubringen. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung wäre das aber wohl auch nicht falsch.
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von non-liquet »

Auch wenn es praktisch häufig vorkommt, ist die Darstellung für Einsteiger tatsächlich nicht ganz einfach. Die persönlichen Geschmäcker und Stilvorstellungen einzelner Ausbilder tun ihr Übriges.

Daher folgendes ohne Gewähr:

- In den Feststellungen zur Sache wird erwähnt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt stark alkoholisiert war und die vom Gutachter ermittelte BAK mitsamt Zeitpunkt der Blutprobe(!) erwähnt; ggf. auch das Ergebnis einer AAK. Wenn man zum § 21 gelangt, wird zudem (in den Feststellungen) gesagt, dass der Angeklagte die Einsicht hatte, Unrecht zu tun, seine Fähigkeit, aufgrund dieser Einsicht zu handeln, jedoch aufgrund der Alkoholisierung erheblich eingeschränkt war.

- In der Beweiswürdigung wird dann im Rahmen der Feststellungen zur Schuldfähigkeit die Rückrechnung dargestellt; hier muss man neben dem Ergebnis vor allem auf die Angabe der vollständigen Parameter (also zugrunde gelegte Abbaurate, Dauer der Rückrechnung, Sicherheitszuschlag, Sondereffekte wie Nachtrunk etc.) achten, weil sonst eine lückenhafte Beweiswürdigung gerügt werden kann. Außerdem muss im zweiten Schritt dann dargestellt werden, was der Angeklagte selbst zu seinem Zustand gesagt hat (wenn es dazu eine Einlassung gegeben hat), und welche Ausfallerscheinungen die Zeugen sowie der Arzt bei der Blutentnahme (das BE-Protokoll wurde hoffentlich in der Hauptverhandlung verlesen) wahrgenommen haben. Bekanntlich reicht ja die bloße Mitteilung des BAK nicht aus, um die (Nicht-)Anwendung der §§ 20, 21 tragfähig zu begründen. Wenn ein Sachverständiger (Rechtsmediziner oder Psychiater) zu dieser Thematik gehört worden ist, bezieht man sich zu all dem auf dessen Gutachten.

- In der rechtlichen Würdigung taucht außer der Paragraphenangabe nichts auf - hier kann es allerdings in der Klausur geboten sein, dass man den toxischen Rausch unter die krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB subsumiert, was in der Praxis freilich niemand ausdrücklich hinschreibt.

- Die Frage, ob und wie sich das auf die Strafe auswirkt, gehört in der Strafzumessung erörtert (vermutlich fand Russack das so banal, dass er es gar nicht erst hingeschrieben hat). Hier kommt es auf die Fallgestaltung an, wie viel man da sagen muss. Gibt es einen Grund, die Strafmilderung aus § 21 StGB zu versagen (bei Straftaten unter Alkoholeinfluss gibt es das übrigens öfter, als man meinen sollte), dann muss das hier erörtert werden. Ansonsten geht es vor allem darum, den anwendbaren Strafrahmen richtig zu bestimmen. Bei der konkreten Strafzumessung schließlich nicht vergessen, die alkoholbedingte Enthemmung als Strafmilderungsgrund anzuführen.
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[enigma]
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von [enigma] »

non-liquet hat geschrieben:und welche Ausfallerscheinungen die Zeugen sowie der Arzt bei der Blutentnahme (das BE-Protokoll wurde hoffentlich in der Hauptverhandlung verlesen) wahrgenommen haben.
Sieh an, ich hätte das jetzt völlig selbstverständlich bereits unter II. erwähnt, weil die Ausfallerscheinungen doch ein Teil des objektiven Sachverhalts sind, oder?
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Re: Strafurteil, Blutalkohol und § 21 StGB: Prüfungsstandort

Beitrag von OJ1988 »

Diesen Aufbau finde ich mit Verlaub noch am Unlogischsten: Wenn du in den Feststellungen nur was zur BAK zum Zeitpunkt der Blutentnahme schreibst, dann kann mE in der Beweiswürdigung keine Rückrechnung angestellt werden. Sonst bezöge sich die Beweiswürdigung auf etwas, was in den Feststellungen gar nicht vorkam, nämllich die BAK zum Tatzeitpunkt.

@enigma: Nach der Lösung deiner Ausbilderin kommt die gesamte Rückrechnungskiste dann in der Beweiswürdigung? Da wird dann erklärt, wieso man zu dieser Tatzeit-BAK kommt und weshalb deswegen die Fähigkeit, Unrecht einzusehen blablabla gemindert war?
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