Referendariat als bedürfnisgerechte Ausbildung?

Alle Themen rund um das Referendariat (Organisation, Ablauf, Wahlstation im Ausland etc.)

Moderator: Verwaltung

Benutzeravatar
non-liquet
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1440
Registriert: Dienstag 11. Mai 2004, 16:19
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von non-liquet »

[NB: Irgendwie entfernen wir uns gewaltig vom Thema des Threads...]
davwm hat geschrieben:Naja, eigentlich geht es in dem Thread nicht um Studienort sondern ums Referendariat und da ist es wirklich nicht einfach, nach 1. Staatsexamen in einem anderen EU-Land zur Anwaltszulassung zu gelangen. Studienabschlüsse werden ja nur bei Gleichwertigkeit anerkannt - was angesichts der verschiedenen Studieninhalte meist ausscheidet - eine echte Freizügigkeit gibt es erst ab Erwerb der Anwaltszulassung.
Aber nachdem die Ausbildung im UK doch alles andere meilenweit überragt, muss das für die dort ausgebildeten Über-Juristen doch ein Klacks sein!
Die Länge der Ausbildung ist ja eher für schlechtere Absolventen ein massives Problem, wenn man statt 3 Jahren Bachelor zwingend 6,5 - 7 Jahre in einer Ausbildung hängt,
Studiengänge wie Unternehmensjuristin/Unternehmensjurist Universität Mannheim (LL.B.) (Verwaister Link http://www.jura.uni-mannheim.de/Studium/Unternehmensjurist(in) (LL.B.)/ automatisch entfernt) existieren und werden nachgefragt. Dass man allein damit nicht als Rechtsanwalt auftreten darf - nun, irgend einen Preis muss man eben zahlen.
sondern eher den Umstand, dass man die Ausbildung in Deutschland mit minimaler Reformfreude ganz erheblich verbessern könnte. Aber ich merke schon, dass die Juristen ihrem konservativen Ruf auch im Internet gerecht werden ;)
Minimale Reformfreude ist eben etwas anderes als missionarischer Eifer.

Thesen, wie Du sie aufstellst, sind ja nichts so furchtbar Neues. Sie kommen immer mal wieder zum Vorschein, nachdem jemand einige Monate lang im Ausland verbracht hat und dann mit leuchtenden Augen zu berichten weiß, wie toll alles anderswo ist; so als habe man dort die Zauberformel für die perfekte Juristenausbildung gefunden. Nur gibt es die halt nicht. Mir scheinen die Vorteile des angloamerikanischen Rechtskreises sich halt ganz besonders auf das Eigenmarketing zu konzentieren. Wenn dann jemand ankommt und z. B. britische Renommier-Universitäten als Regelfall für das dortige Hochschulwesen hinstellt, sieht man ja, dass dieses Bestreben auf fruchtbaren Boden gefallen ist.

Letzten Endes ist es müßig, eine 1:1-Übertragung anderer Strukturen und Gebräuche zu verlangen, wenn damit über ganz grundlegende Unterschiede in den betreffenden Rechtskulturen hinweggegangen wird.

Viel interessanter als so etwas wäre: Wie kann man die Stärken der deutschen Ausbildung bewahren und sie zugleich um einzelne Vorteile ergänzen, die man anderswo vorfindet? Dafür ist es dann allerdings weniger hilfreich, alles allein unter dem Blickwinkel zu betrachten, wie man den ganzen Betrieb großkanzlei-tauglicher machen kann.
Swann
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6456
Registriert: Donnerstag 28. Dezember 2006, 09:04

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Swann »

Der Rechtsstandort England und Wales ist übrigens abseits der kleinen Welt der Glitzertürme keineswegs das Land der Seligen. Es ist m.E. völlig absurd, sich England und Wales als Vorbild für eine Reform der deutschen Juristenausbildung auszuwählen.
Swann
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6456
Registriert: Donnerstag 28. Dezember 2006, 09:04

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Swann »

davwm hat geschrieben:Aber ich merke schon, dass die Juristen ihrem konservativen Ruf auch im Internet gerecht werden ;)
Es ist ja kein Zeichen einer besonders konservativen Einstellung, unsinnige Vorschläge abzulehnen, sondern nur ein Gebot der Vernunft.
davwm
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 112
Registriert: Samstag 2. Januar 2016, 15:03
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von davwm »

Die Ablehnung überrascht mich nicht wirklich, die Schärfe schon. Eigentlich hatte ich ja nur vorgeschlagen, als Alternative zum Referendariat die Anwaltszulassung auch nach 2 Jahren praktischer Tätigkeit und Bestehen der Anwaltsklausuren des 2. Examens zu verleihen. Wenn das heilige deutsche Referendariat dem Modell so überlegen ist, würde sich das ja in der Praxis in kürzester Zeit herausstellen?

Ich denke aber, die Diskussion ist eher fruchtlos und hängt tatsächlich wenig mit dem Oberthema zusammen. Dass Deutschland in der Juristenausbildung - und in der praktischen Rechtsanwendung - einen ziemlichen Sonderweg eingeschlagen hat, der international keinerlei Nachahmung ausgelöst hat, sollte aber finde ich schon zu denken geben. Natürlich ist die Echokammer aus Unis und Justiz "Wir sind die tollsten Juristen!" ziemlich stark, aber praktische Beispiele, wo sich deutsche Juristen im internationalen Bereich durchsetzen konnten, fehlen völlig.
in dubio
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 108
Registriert: Freitag 17. Juli 2015, 10:51
Ausbildungslevel: RA

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von in dubio »

Urs Blank hat geschrieben:
Vorschlag: Staatsreferendariat für den Dienst in Justiz und Verwaltung. Daneben eine von der Anwaltschaft organisierte Vorbereitung auf den Anwaltsberuf. Jeweils spezielle Examina.

PS. Für diese Skizze beanspruche ich keinerlei Originalität.
Wieso soll ausgerechnet Justiz und Verwaltung zusammen ausgebildet/geprüft werden? Das ist doch genauso heterogen wie die Anwaltschaft insgesamt. Die Schnittpunkte des Juristen beim Landratsamt zum Anwalt mit Schwerpunkt auf Verwaltungsrecht bzw. beim Staatsanwalt zum Strafverteidiger sind mit Sicherheit größer als beim Zivilrichter zum Leiter des Ordnungsamtes (die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen).
Und wo findet sich bei dieser Trennung Sozial- oder Steuerrecht?

In der Praxis merke ich immer wieder, dass mir die juristischen Grundlagen v.a. bei Fragen in "fremden" Rechtsgebieten helfen. So schlecht kann die Ausbildung also nicht sein.
Aber: Diese Fähigkeiten habe ich mit Sicherheit nicht im Referendariat erlangt. Das erscheint mir im Nachhinein (mit ein paar Jahren Abstand) als grandiose Zeitverschwendung. Das Grundproblem hat Urs Blank mE gut herausgearbeitet. Es spricht doch für sich, dass nahezu jeder wenigstens 3 Monate vor den Klausuren taucht.

Mein schlechter Eindruck des Referendariats rührt vor allen Dingen von einem schlechten (hauptamtlichen) AG-Leiter her. Die praktischen Stationen fand ich indes (mit Ausnahme eines Teils der Verwaltungsstation) eher gut. Die Ausbilder waren durch die Bank motiviert und (anders als der Hauptamtler...) sichtlich an der Entwicklung "ihres" Referendars interessiert. Besonders positiv ist mir dabei die Ausbildungsstation in Erinnerung. Vielleicht verkläre ich das im Nachhinein ein wenig, aber ich habe den Eindruck, in den Kaffee-Gesprächen mit meinem Ausbildungsanwalt am meisten gelernt zu haben. Grund für diesen Eindruck mag sein, dass ich dort ohne die Hinterkopffrage "Und wo ist das jetzt Gelernte für welchen Klausurtyp relevant?" saß.
(kleiner Hinweis zum eigentlichen Thread-Topic: Ich habe kein zusätzliches Stationsentgelt von ihm bekommen. Der Deal war meine Mit-/Zuarbeit gegen seine Zeit.)

Die Schelte gegen die Anwaltschaft kann ich daher nicht nachvollziehen. Ja, die Anwalts-AG war auch bei mir Mist. Aber der Grund ist doch hausgemacht. Ein Motivator für Justiz- und Verwaltungsjuristen ist doch, dass sich Engagement in der Ausbildung gut für eine Beförderung macht (ein hauptamtlicher AG-Leiter landet ja nahezu automatisch danach am OLG). Dieser Motivationsfaktor fehlt bei Anwälten und lässt sich sinnvollerweise nur mit Geld ausgleichen. Dass dabei nicht der normale anwaltliche Stundensatz rausspringen kann (und soll - schließlich sollte man schon Überzeugungstäter haben), ist auch klar. Für das jetzige Salär bekommt man aber eben nur die Idealisten mit zu viel Tagesfreizeit... Als Anhaltspunkt für ein vernünftiges Honorar für einen selbständigen Freiberufler könnte man ja als Vergleich mal den Stundensatz eines Repetitors oder eines Dozenten bei einem FA-Lehrgang heranziehen. Für die Finanzierung könnte ich mir einen Topf, der zu 50% vom Staat und zu 50% von Anwaltschaft, Notaren, Versicherungen, WPGs, Unternehmen (es gibt ja bekanntlich Syndici, die keine Kammermitglieder sind) gefüllt wird, vorstellen.
Die Anwaltschaft als solche sehe ich für die theoretische Ausbildung darüber hinaus nicht in der Pflicht. Wenn man Juristen so ausbildet, wie wir das tun, dann ist das eben eine staatliche Aufgabe.
julée
Fossil
Fossil
Beiträge: 13077
Registriert: Freitag 2. April 2004, 18:13
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von julée »

@in dubio: Jein, wenn die Anwaltschaft der Ansicht ist, die Referendare würden nicht ausreichend auf eine anwaltliche Tätigkeit vorbereitet werden, dann halte ich es für eine berechtigte Frage, warum sie nicht innovative Konzepte innerhalb des bestehenden Systems entwickelt und anbietet, die die Ausbildung substantiell verbessern. Seien es freiwillige Seminare oder zusätzliche "Vorlesungen", die auf unterschiedliche anwaltliche Tätigkeiten zugeschnitten sind.

Bislang haben doch die Maßnahmen zur vermeintlichen Anwaltsorientierung der Ausbildung allenfalls zu einer Explosion des Prüfungsstoffes geführt, während der praktische Nutzen von Anwalts- und neuerdings Kautelarklausuren wohl eher gegen null geht. Und die Verlängerung der Anwaltsstation hat doch für viele nur den Vorteil, dass Zeit für eine unbemerkte Tauchstation ist (die man vermutlich nicht bräuchte, wenn man nicht die Kaiser-Skripten zur RA-Klausur auswendig lernen "müsste" und in der Versuchung wäre, sich doch zumindest ein paar Vertragsformulierungen einzuprägen).

Vorschlag: Streichung von sämtlichen anwaltlichen Aufgabenstellungen* in den Klausuren, dafür Pflicht eine bestimmte Anzahl an (gut gemachten) anwaltlichen Ausbildungsveranstaltungen bis zu den Klausuren nachzuweisen. Meinetwegen auch mit benoteten Scheinen, die man später an die Bewerbung heften kann. - Was natürlich voraussetzte, dass die Anwaltschaft in der Lage und bereit ist, ein solches Programm auf die Beine zu stellen.


*Die staatlichen Aufgaben sind m. E. ausreichend, um die rechtlichen Fähigkeiten abzuprüfen und die grundlegende Beherrschung von Formalien, der Fähigkeit zum Umgang mit einem nicht feststehenden Sachverhalt usw. Und die StA-Klausur ist ja strukturell bereits eine taktische "Angriffsklausur", wenn man so will. Ebenso wie eine Behördenklausur Elemente einer "Verteidigungs- und Gestaltungsklausur" aufweist. Das könnte man ggf. noch etwas verstärkt abfragen.
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
Benutzeravatar
Tibor
Fossil
Fossil
Beiträge: 16446
Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Tibor »

Das Problem ist, dass es auch nicht "die Anwaltschaft" gibt. Die Kammern tun zwar immer so, als seien sie Vertreter aller Anwälte. Das Gegenteil wurde aber in vielen Kammerbezirken offenbar, als es um die Rechtsstellung der Syndizi ging. Tatsächlich vertreten die Kammern dann wohl die typischen Einzelanwälte bzw Sozietäten von bis zu 20 Anwälten.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
julée
Fossil
Fossil
Beiträge: 13077
Registriert: Freitag 2. April 2004, 18:13
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von julée »

Klar, aber was hindert die größeren Kanzleien daran ein entsprechendes, gemeinsames Engagement zu entwickeln?
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
davwm
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 112
Registriert: Samstag 2. Januar 2016, 15:03
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von davwm »

julée hat geschrieben:Klar, aber was hindert die größeren Kanzleien daran ein entsprechendes, gemeinsames Engagement zu entwickeln?
Ich denke, es dürfte regelmäßig effektiver sein, selektiv die eigenen Berufseinsteiger je nach Fachgebiet in den Bereichen auszubilden, in denen noch Wissen gebraucht wird, als massig Energie in die allgemeine Referendarsausbildung zu stecken. Teilweise gibt es in Kanzleien finde ich schon ziemlich tolle Ausbildungsangebote, aber eben eher Sachen wie Drafting in English, Accounting&Corporate Finance, Excel-Kram, die nicht examensrelevant sind und wohl viele daher nicht interessieren würden. (Braucht man zugegeben auch in den meisten Berufen nicht)

Kleine Ausnahme: In Hamburg gibt es einen fantastischen gemachten Arbitration-Wochenkurs für Referendare, Zusammenarbeit mehrerer Kanzleien und des örtlichen Max-Planck-Instituts, aber das ist glaube ich einmal im Jahr für 25-30 Referendare (nach dem Windhundprinzip vergeben), wenn man sowas in einem Flächenland für alle machen würde, wäre das glaube ich einfach zu teuer.
julée
Fossil
Fossil
Beiträge: 13077
Registriert: Freitag 2. April 2004, 18:13
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von julée »

Wenn man "effektiv" will, dann darf man sich aber nicht beschweren, dass der Staat die Absolventen nicht passgenau und fertig frei Haus liefert. ;) Und im Verbund wäre der Aufwand ja eher überschaubar (um den Bogen zum Thema zurückschlagen: mit der eingesparten Stationsvergütung könnte man sehr viele Ausbildungsveranstaltungen finanzieren *duck*).
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
Herr Schraeg
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2811
Registriert: Montag 15. März 2010, 10:35
Ausbildungslevel: RA

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Herr Schraeg »

julée hat geschrieben:Wenn man "effektiv" will, dann darf man sich aber nicht beschweren, dass der Staat die Absolventen nicht passgenau und fertig frei Haus liefert. ;) Und im Verbund wäre der Aufwand ja eher überschaubar (um den Bogen zum Thema zurückschlagen: mit der eingesparten Stationsvergütung könnte man sehr viele Ausbildungsveranstaltungen finanzieren *duck*).
Ich glaube, Du unterschätzt den Aufwand, um eine solche Ausbildungsveranstaltung zu konzipieren und lebendig, fundiert und aktuell zu halten. Und Du überschätzt vielleicht die Bereitschaft der Referendare, sich aktiv an freiwilligen Ausbildungsprogrammen ohne unmittelbare Examensrelevanz zu beteiligen. ;)

Damit ein solches Ausbildungsprogramm Nutzen stiftet, muss es wirklich umfassend und intensiv sein. Richterschaft und Anwaltschaft arbeiten mit demselben Handwerkszeug. Der Unterschied liegt in der Aufgabenstellung und damit in der Denk- und Herangehensweise, die man nicht in einem Seminar oder zwei Blockveranstaltungen verinnerlicht.

Mit (gehörigem) zeitlichen Abstand betrachtet, ist die deutsche Juristenausbildung nicht so schlecht, wie sie gelegentlich gemacht wird:

Die - tatsächliche oder vorgebliche - mangelnde internationale Bedeutung deutscher Anwälte ist sicher kein tauglicher Massstab zur Beurteilung der Ausbildung, weil dafür das jeweilige regulatorische Umfeld der Anwaltstätigkeit, die Bedeutung der Rechtsordnungen und vor allem die Stärke der jeweiligen Wirtschaftssysteme ausschlaggebend sind.

Ich teile auch nicht das Wehklagen über die Praxisferne der Ausbildung. Natürlich muss man erst die konkreten Abläufe des jeweiligen konkreten "Betriebs" kennenlernen und natürlich wird man mit zunehmender Praxis regelmässig besser. Aber im Prinzip kann ich einen Tag nach dem Bestehen des 2. StEx eine Verhandlung führen, ein Urteil schreiben, einen Schriftsatz verfassen oder einen Vertrag aufsetzen. Welche andere akademische Ausbildung bietet eine solche Praxisnähe?

Richtig ist aber, dass die Ausbildung zu lang ist ( wobei sich das wieder relativiert, wenn man die in anderen europäischen Ländern übliche Zusatzausbildung zum Anwalt oder Richter zur Ausbildungsdauer dazuzählt). Anstatt das Prinzip des Einheitsjuristen mit seinen Vorteilen aufzugeben, wäre es da nicht naheliegender, die Ausbildungsinhalte radikal zu entschlacken, auf die Grundlagen zu beschränken und den Studenten "nur" die Methodik und das Handwerkszeug, um später mit unbekannten Rechtsgebieten umzugehen, beizubringen?
Benutzeravatar
JulezLaw
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 1697
Registriert: Freitag 1. Januar 2016, 16:47
Ausbildungslevel: Doktorand

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von JulezLaw »

Herr Schraeg hat geschrieben: Richtig ist aber, dass die Ausbildung zu lang ist ( wobei sich das wieder relativiert, wenn man die in anderen europäischen Ländern übliche Zusatzausbildung zum Anwalt oder Richter zur Ausbildungsdauer dazuzählt). Anstatt das Prinzip des Einheitsjuristen mit seinen Vorteilen aufzugeben, wäre es da nicht naheliegender, die Ausbildungsinhalte radikal zu entschlacken, auf die Grundlagen zu beschränken und den Studenten "nur" die Methodik und das Handwerkszeug, um später mit unbekannten Rechtsgebieten umzugehen, beizubringen?
Grundsätzlich stimme ich dem Vorschlag zu, das Ganze zu entschlacken. Und auch ohne "gehörigen Abstand" finde ich unser Ausbildungssystem tatsächlich recht gut, auch wenn man organisatorisch mE einiges verbessern könnte (Blockexamen etc.).
Aber die Ausdünnung des Stoffes birgt eben auch die Gefahr, dass eine Bewertung der Fähigkeiten umso schwerer fällt. Es ist doch jetzt schon fragwürdige Praxis der Repetitorien, diesen und jenen Fall unbedingt kennen zu müssen. Würden wir uns in diesem Zusammenhang darauf beschränken, bspw. nur die grundlegenden Fähigkeiten zu vermitteln und anhand von Fällen abzuprüfen, wäre der Bulimie-Lerner im Zweifel erfolgreicher als derjenige, der die Materie verstanden hat. Das könnte man nur lösen, indem man in den Examina dann doch wieder unbekannte Fälle stellt - sodass sich erneut jeder umfassend vorbereitet.

Vielleicht ist meine Kreativität zu eingeschränkt, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie die Fähigkeit zum juristischen Arbeiten fair überprüft werden soll, wenn gleichzeitig der Stoffumfang erheblich entschlackt wird. So verlieren wir mE dann das durchaus hohe Ansehen des deutschen Einheitsjuristen, der im Wesentlichen erst einmal alles können muss, bevor er sich spezialisiert.
The way I see it, every life is a pile of good things and bad things. The good things don’t always soften the bad things, but vice versa, the bad things don’t always spoil the good things and make them unimportant.
Benutzeravatar
Tikka
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3049
Registriert: Montag 23. Februar 2009, 09:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Tikka »

Als jemand der die englische Juristenausbildung zum Teil zumindest auch selbst geniessen durfte, warne ich vor Überhöhung derselben.
Nicht alles ist schlecht, aber es ist auch nicht alles gut. In erster Linie ist es eben etwas anders. Der britische Jurist mittlerer Art und Güte ist sicher nicht besser (ausgebildet) als der entsprechende deutsche Jurist.

Ich finde die Ausbildung zum sog. Volljuristen okay. Zumindest solange wir in Deutschland auch weiterhin das Modell fahren, das Zugang zu praktisch allen institutionalisierten juristischen Berufen vom (Nur)Notar über den Richter zum Verwaltungsjuristen oder Anwalt eben (nur) die Befähigung zum Richteramt ist.

Vielleicht liegt es daran, das das Ganze schon eine Weile her ist, aber ich fand das Referendariat insgesamt gesehen durchaus bereichernd. Die umfassenden Einblicke haben dazu beigetragen zu wissen was ich (beruflich) will. (Und wenn nur dadurch das ich gemerkt habe, was definitiv nichts für mich ist)
Keine Experimente! Wählt Adenauer.
in dubio
Häufiger hier
Häufiger hier
Beiträge: 108
Registriert: Freitag 17. Juli 2015, 10:51
Ausbildungslevel: RA

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von in dubio »

julée hat geschrieben:@in dubio: Jein, wenn die Anwaltschaft der Ansicht ist, die Referendare würden nicht ausreichend auf eine anwaltliche Tätigkeit vorbereitet werden, dann halte ich es für eine berechtigte Frage, warum sie nicht innovative Konzepte innerhalb des bestehenden Systems entwickelt und anbietet, die die Ausbildung substantiell verbessern. Seien es freiwillige Seminare oder zusätzliche "Vorlesungen", die auf unterschiedliche anwaltliche Tätigkeiten zugeschnitten sind.
Ist "die Anwaltschaft" tatsächlich dieser Auffassung? Dazu ist sie doch viel zu heterogen. Wenn es noch nicht einmal Einigkeit gibt, wer überhaupt dazugehört, wie soll dann Einigkeit über innovative Ausbildungskonzepte erzielt werden. Wenn da überhaupt etwas rauskommt, dann in Form eines lausigen Kompromisses, der noch mehr absurde Klausurtypen hervorbringt.
Und nochmal: Wenn der Staat will, dass sich "die Anwaltschaft" einbringt, muss er das adäquat bezahlen.

Über die Sinnlosigkeit der Anwaltsklausuren sind wir uns einig. Ich finde sogar, dass man zusätzlich die Aufgabentypen der staatlichen Klausuren entschlacken kann, wenn es um "die grundlegende Beherrschung von Formalien, der Fähigkeit zum Umgang mit einem nicht feststehenden Sachverhalt usw." geht.
So wie es im Moment gelebt wird, bereitet das Referendariat (jedenfalls der verschulte Teil mit AG-Leiter) nur darauf vor, spezielle Klausuren zu schreiben. Die praktische Stationsausbildung hat mit dem Examen nichts zu tun.
Tikka hat geschrieben:Die umfassenden Einblicke haben dazu beigetragen zu wissen was ich (beruflich) will. (Und wenn nur dadurch das ich gemerkt habe, was definitiv nichts für mich ist)
Das kann ich voll und ganz unterschreiben.
Herr Schraeg hat geschrieben:Mit (gehörigem) zeitlichen Abstand betrachtet, ist die deutsche Juristenausbildung nicht so schlecht, wie sie gelegentlich gemacht wird:

Die - tatsächliche oder vorgebliche - mangelnde internationale Bedeutung deutscher Anwälte ist sicher kein tauglicher Massstab zur Beurteilung der Ausbildung, weil dafür das jeweilige regulatorische Umfeld der Anwaltstätigkeit, die Bedeutung der Rechtsordnungen und vor allem die Stärke der jeweiligen Wirtschaftssysteme ausschlaggebend sind.

Ich teile auch nicht das Wehklagen über die Praxisferne der Ausbildung. Natürlich muss man erst die konkreten Abläufe des jeweiligen konkreten "Betriebs" kennenlernen und natürlich wird man mit zunehmender Praxis regelmässig besser. Aber im Prinzip kann ich einen Tag nach dem Bestehen des 2. StEx eine Verhandlung führen, ein Urteil schreiben, einen Schriftsatz verfassen oder einen Vertrag aufsetzen. Welche andere akademische Ausbildung bietet eine solche Praxisnähe?
Auch das halte ich für richtig. Die Nörgelei über die deutsche Juristenausbildung im allgemeinen und das Referendariat im besonderen ist schon auf sehr hohem Niveau. Aber: Il meglio è l'inimico del bene. ;)
Benutzeravatar
Einwendungsduschgriff
Fossil
Fossil
Beiträge: 14744
Registriert: Mittwoch 28. Juni 2006, 19:16
Ausbildungslevel: Doktorand

Re: Verbot des Stationsentgelts für Referendare

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Einer der größten Vorteile eines Juristen in europäischen Vergleich, der seine komplette Ausbildung im Vereinigten Königreich absolviert hat, ist in aller Regel seine Muttersprache. Ansonsten gilt dort hinsichtlich vieler Ausbildungseigenheiten und der anschließenden Fähigkeit zur selbständigen Arbeit einer signifikanten Zahl junger Berufseinsteiger, gerade wenn man sie ihres liebgewonnenen case-law-Systems (NB: ich bin mir bewusst, dass wir nicht über US-amerikanische Zustände sprechen, aber die ehemalige Herrschaftsmacht teilt hier noch manches ihrer ehemaligen Untergebenen) beraubt - wenn wir gerade schon auf Italienisch kommunizieren -: Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!

(Hinterher geschickt: ich schätze Juristen aus diesem Rechtskreis sehr, aber ihre Fähigkeiten nach der Ausbildung so zu überhöhen, wie das hier getan wird, ist nicht sinnvoll. Ich habe drei befreundete Juristen aus dem Ausland - darunter ein ganz kluger Kopf aus Cambridge - diesen Thread hier geschickt und dort herrschte recht schnell Einigkeit, dass die Systeme zum einen nicht vergleichbar seien und zudem die gewachsenen landesspezifischen Typiken durch einen solchen Vergleich nur unerkomplex abgebildet werden. Der oben überspitze Satz zur Muttersprache stammt übrigens von diesem Kollegen aus Cambridge.)
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
Antworten