Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

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thh
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von thh »

Tobias__21 hat geschrieben:Ich habe gerade einen Fall, bei dem mich die Anklage an einer Stelle etwas drückt. Wenn eine bestimmte Einlassung des Angeklagten (verteidigt) kommt, stimmt der angeklagte Betrugsschaden in dubio pro reo der Höhe nach nicht mehr und man fliegt auch aus einem der Regelbeispiele raus. Ich habe dazu auch eine entspr. BGH Entscheidung. Wenn das nun tatsächlich so kommt und das Gericht nicht von selbst einen Hinweis gibt, oder das erörtert, sollte ich das dann machen? Wie mach ich das am Besten? Einfach ansprechen, dass ich aus dem und dem Grund der Überzeugung bin, dass man einen anderen Schaden anlegen muss? Oder einen Hinweis nach § 265 "anregen"?
Du müsstest ja wohl in Deinem Plädoyer darauf eingehen (und ggf. auch entsprechend beantragen). Dann müsste das Gericht ggf. wieder in die Beweisaufnahme eintreten und den Hinweis erteilen. Weil das blöd ist: ja, das solltest Du dann ansprechen. Wie man das macht, ist Geschmackssache und vom eigenen Stil und dem Verhandlungsstil des Gerichts abhängig - meist genügt es, das einfach anzusprechen, wenn gefragt wird, ob die Beweisaufnahme geschlossen werden kann. Ob man das dann damit verbindet, einen Hinweis "anzuregen", würde ich von der Situation abhängig machen.
Tobias__21 hat geschrieben:Würde das ggf. auch der Verteidiger ansprechen und seine Verteidigung danach ausrichten, oder würde der (wissentlich) gar nichts sagen, das Urteil schlucken und Revision einlegen?
Sich auf die Revision zu veranlassen enthält mehrere Risiken: Man weiß nicht, ob das Gericht nicht doch - spätestens beim Abfassen der Urteilsgründe - das Problem erkennt und dazu passende Feststellungen trifft. Man weiß auch nicht, ob die Revision gelingt. Man weiß nicht, ob es nicht eine Berufung statt einer Revision wird. Und schließlich macht es meistens wenig Sinn, den Angeklagten mit den Kosten einer unnötigen Instanz zu belasten. - In Ausnahmefällen mag es taktisch sinnvoll sein, eine Entscheidung hinauszuzögern, aber das dürfte eher selten sein.
Tobias__21 hat geschrieben:Wenn dann würde man doch eher versuchen andere Revisionsgründe zu schaffen und trotzdem auf die richtige Strafzumessung hinwirken?
Taktisch macht es in der Regel nur Sinn, bereits in der Instanz das bestmögliche Ergebnis anzupeilen und ggf. zu versuchen, für den Fall der Fälle Revisionsgründe zu schaffen, wenn das Ergebnis nicht gut genug ist.
Tobias__21 hat geschrieben:Das bringt mich noch auf eine andere Frage: Wenn die StA befürchtet, dass der Angeklagte Rechtsmittel einlegt, dann wird sie doch ihrerseits auch zu Rechtsmitteln greifen um dem Verböserungsverbot vorzugreifen.
Nein, in der Regel nicht. Das untersagen - für den Regelfall - bereits die RiStBV. In der Breite entspricht das meiner Beobachtung nach auch der tatsächlichen Übung. Beiderseitige Berufungen sind eher selten.
Tobias__21 hat geschrieben:Angenommen die StA befürchtet eine Revision und legt ihrerseits Berufung ein. Welches Rechtsmittel geht dann vor,
Die Berufung. Das ist die sog. "Sperrberufung", auf die - wie man hört - mancher Richter hofft oder gar nach ihr fragt, wenn es an Zeit oder Können (oder Lust ...) fehlt, ein revisionssicheres Urteil abzusetzen.
Tobias__21 hat geschrieben:Geht die dann vor und die Revision ist unzulässig, wegen anderweitiger Rechtshängigkeit?
Sie wird als Berufung behandelt.

(Edit: Eagnai war schneller und hat auch die Fundstellen geliefert ...)
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

Vielen Dank, für Eure ausführlichen Antworten! Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung (§ 335 III) :D Apropos Entscheidung durch Rechtsmittel hinauszögern: Ich habe mal in einer Sache in der ich Sitzungsvertreter war, mitbekommen dass der Richter und der Verteidiger unverblümt (nach Schluss der Verhandlung) darüber gesprochen haben, dass der Anwalt ja mal Berufung einlegen kann, denn so wie das LG gerade am Anschlag ist und der Fall ja wenig dramatisch war, das sicher eine Weile dauern wird und man so ja die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch hinauszögern könnte. Da hab ich auch erstmal dumm geschaut :) Der Angeklagte hat aber auch mir Leid getan. War FoFE und es war jetzt halt einfach mal eine kurze Freiheitsstrafe fällig. Im Endeffekt war er auch selbst schuld, aber ein böser Mensch wars nicht :)
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Eagnai »

Tobias__21 hat geschrieben:Apropos Entscheidung durch Rechtsmittel hinauszögern: Ich habe mal in einer Sache in der ich Sitzungsvertreter war, mitbekommen dass der Richter und der Verteidiger unverblümt (nach Schluss der Verhandlung) darüber gesprochen haben, dass der Anwalt ja mal Berufung einlegen kann, denn so wie das LG gerade am Anschlag ist und der Fall ja wenig dramatisch war, das sicher eine Weile dauern wird und man so ja die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch hinauszögern könnte. Da hab ich auch erstmal dumm geschaut :)
Solche Bemerkungen von Richterseite habe ich schon häufiger gehört, finde die aber auch eher unproblematisch... dass man durch die Einlegung eines Rechtsmittels die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hinauszögern (oder die vollstreckbare Freiheitsstrafe in der Berufungsinstanz doch noch in eine Bewährungsstrafe umwandeln) kann, ist schließlich kein Geheimnis, das weiß ein Verteidiger auch ohne dahingehende Bemerkung des Richters.

Etwas lästiger finde ich es, wie oben schon erwähnt, wenn der Richter zwar nach Antrag oder fast nach Antrag entscheidet, mich aber im Anschluss trotzdem bittet, doch Berufung einzulegen, falls der Angeklagte Rechtsmittel einlegt.

In der Praxis ist die Einlegung einer Berufung der Staatsanwaltschaft nur aus dem einen Grund, dass der Angeklagte Rechtsmittel einlegen könnte, zum Glück tatsächlich eher die Ausnahme, es kommt aber durchaus vor. Der Grund ist dann übrigens meistens nicht, dass die Staatsanwaltschaft eine Revision des Angeklagten dadurch zur Berufung "degradieren" möchte, dass sie selbst Berufung einlegt, weil Sprungrevisionen gegen AG-Urteile ohnehin selten sind -
sondern meistens geht es darum, dass man in der Berufungshauptverhandlung durch die ja nur bei beiderseitiger Berufung bestehende Möglichkeit der Verschlechterung ein Druckmittel haben möchte, um den Angeklagten ggf. zu einer beiderseitigen Berufungsrücknahme bewegen zu können (so nach dem Motto "Sie wissen ja, dass hier statt einem Jahr auch anderthalb herauskommen könnten, aber wenn Sie Ihre Berufung zurücknehmen, wäre ich gnädigerweise bereit, das auch mit meiner zu tun").
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

Es war nicht wirklich so, dass der Richter den Strafverteidiger darauf hingewiesen hat, die haben eher lachend darüber gesprochen, weil es für den Angeklagten (der schon weg war) doch etwas arg war wegen so nem Scheiss in den Knast zu gehen. Dass da in der Berufung Bewährung rauskommt, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dafür waren die einschlägigen Vorstrafen viel zu viel, er hat das Limit wirklich bis zum Äußersten ausgereizt und eine dritte Bewährung (zwei waren noch offen), wäre hier wohl nicht mehr in Betracht gekommen. Darauf habe ich auch in meinem Plädoyer Bezug genommen. Ich hätte mich auch der dritten Bewährung nicht verschlossen, aber er hat einfach nichts angeboten. Aber vielleicht zeigt er sich in der Berufung ja auch anders und wirft sich in den Staub :) Das wäre übrigens so ein Fall, wo ich mir durchaus vorstellen könnte, dass die Schöffen da eher geneigt sind die Bewährung zu geben und es zumindest Diskussionen gibt.

Mich hat das aber doch etwas erstaunt, dass das wohl usus zu sein scheint, die Vollstreckung durch Rechtsmittel herauszuzögern. Das ist ja eigentlich auch nicht der Sinn der Berufung. Aber nun ja, wenn man sie schon nicht begründen muss, why not :)

Was die vorsorgliche Berufung angeht um das Verschlechterungsverbot auszuschalten, habe ich schon gehört, dass das teilweise so gemacht wird. Auf der anderen Seite blamiert man sich doch auch einigermaßen als StA, wenn das Gericht dem Antrag des Sitzungsvertreters entspricht und die StA trotzdem eine Berufung nachschießt. Dann weiss das Gericht doch sofort, was hier gespielt wird. Ganz peinlich wird es ja dann, wenn die Berufung des Angeklagten ausbleibt. Wird die StA in der Regel nicht auch ihre Berufung begründen (§ 317 StPO), oder man sich nicht die Mühe nicht, weil es ja doch Zeit kostet?
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von thh »

Tobias__21 hat geschrieben:Wird die StA in der Regel nicht auch ihre Berufung begründen (§ 317 StPO), oder man sich nicht die Mühe nicht, weil es ja doch Zeit kostet?
Sie muss, laut RiStBV.
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Eagnai »

Tobias__21 hat geschrieben:Auf der anderen Seite blamiert man sich doch auch einigermaßen als StA, wenn das Gericht dem Antrag des Sitzungsvertreters entspricht und die StA trotzdem eine Berufung nachschießt. Dann weiss das Gericht doch sofort, was hier gespielt wird.
Erstens ist es, wie gesagt, dem Gericht häufig durchaus recht, wenn die StA vorsorglich Berufung einlegt für den Fall, dass der Angeklagte ebenfalls Rechtsmittel einlegt.

Zweitens ist es der von dir gezogene Rückschluss keineswegs zwingend - es kommt gar nicht so selten vor, dass zwar die Entscheidung des Gerichts dem Antrag des Sitzungsvertreters entspricht, die StA aber trotzdem eine (ernstgemeinte) Berufung einlegt. Denn über die Einlegung eines Rechtsmittels entscheidet final ja nicht der Sitzungsvertreter, sondern der Abteilungsleiter, und der kann ja durchaus eine andere Meinung haben als der Sitzungsvertreter und zum Beispiel der Auffassung sein, dass dessen Antrag (und damit auch das Urteil) völlig falsch sind. Manchmal stellt auch der Sitzungsvertreter im Nachgang selbst fest, dass er sich bei seinem Antrag irgendwo vertan hat und das Gericht dem irrig gefolgt ist, oder der Ausbilder bemerkt, dass sein Referendar sich vertan hat. Häufig legt man in solchen Fällen auch erstmal vorsorglich Berufung ein, um dann nach Rückkehr der Akte und Lektüre der Urteilsgründe in Ruhe zu prüfen, ob das Rechtsmittel tatsächlich Erfolg verspricht; zurücknehmen kann man es ja immer noch.
Tobias__21 hat geschrieben: Ganz peinlich wird es ja dann, wenn die Berufung des Angeklagten ausbleibt.

Nicht wirklich - in diesem Fall nimmt man die Berufung einfach wieder zurück mit der Folge, dass das Gericht sich über die Rechtskraft freut und niemand etwas peinlich findet.
Tobias__21 hat geschrieben: Wird die StA in der Regel nicht auch ihre Berufung begründen (§ 317 StPO), oder man sich nicht die Mühe nicht, weil es ja doch Zeit kostet?
Wie mein Vorredner schon sagte, nach RiStBV ist die Berufung zu begründen. Ich habe es auch noch nie erlebt, dass eine Berufung der StA, die ich verhandelt habe, nicht begründet worden war.
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

Danke. Ja, klar im Endeffekt kommt es auf die Behörde an und nicht den Sitzungsvertreter. Ich bin jetzt gerade von mir als Ref. ausgegangen, da ich ja meistens Strafvorschläge des Sb. in der Akte habe. Aber selbst da könnte es natürlich sein, dass sich anhand des Sitzungsberichts ergibt, dass die Strafe zu niedrig (oder zu hoch) war, je nachdem wie sich der Angeklagte in der HV aufgeführt hat. Von daher zieht auch mein Argument nicht mehr :)
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von thh »

Eagnai hat geschrieben:Denn über die Einlegung eines Rechtsmittels entscheidet final ja nicht der Sitzungsvertreter, sondern der Abteilungsleiter,


Bzw. - hier - zunächst der Dezernent, der aber eben auch in der Regel nicht der Sitzungsvertreter ist.
Eagnai hat geschrieben:Wie mein Vorredner schon sagte, nach RiStBV ist die Berufung zu begründen. Ich habe es auch noch nie erlebt, dass eine Berufung der StA, die ich verhandelt habe, nicht begründet worden war.
Andererseits - das muss man auch sagen - lautet die Begründung wohl nicht selten "Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem Rechtsmittel die Verhängung einer höheren, tat- und schuldangemessenen [Freiheits-]Strafe[, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann]". Das ist schnell geschrieben.

(Wobei - was sollte man bei einer Strafmaßberufung (und darum wird's ja in der Regel gehen) auch sonst schreiben?)
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

thh hat geschrieben:
Eagnai hat geschrieben:Denn über die Einlegung eines Rechtsmittels entscheidet final ja nicht der Sitzungsvertreter, sondern der Abteilungsleiter,


Bzw. - hier - zunächst der Dezernent, der aber eben auch in der Regel nicht der Sitzungsvertreter ist.
Warum wird das hier eigentlich so gehandhabt? Um einer Voreingenommenheit vorzubeugen? Ist das in größeren Verfahren auch so? Ich stelle es mir bspw. bei einem großen Mordprozess sehr schwierig vor, da einen anderen Sitzungsvertreter als den ermittelnden StA zu schicken.
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Eagnai »

Keine Ahnung, ob das in jeder Behörde gleich ist, aber hier hat es schlicht organisatorische Gründe, dass in der Regel nicht der zuständige Dezernent die Sitzungsvertretung wahrnimmt.

Oft finden ja z.B. an einem Sitzungstag beim selben Gericht zwei oder drei Schöffensachen nacheinander statt, da wäre es unsinnig, drei verschiedene Sitzungsvertreter hinzuschicken - es geht dann eben einer, der alle drei Sachen macht. Auch kann es leicht passieren, dass mal drei, vier Verfahren eines Dezernenten zufällig in derselben Woche terminiert werden mit der (kaum zumutbaren) Folge, dass derjenige dann in einer Woche plötzlich vier Sitzungstage hätte, oder dass sich Termine verschiedener Verfahren überschneiden. Deshalb wird zumeist einfach so eingeteilt, wie es gerade passt.

Es ist aber - jedenfalls bei uns - durchaus üblich, dass in große, umfangreiche oder sonst besonders wichtige Verfahren tatsächlich der Dezernent selbst geht, soweit es sich einrichten lässt bzw. mit seinen sonstigen Terminen, Urlaubsabwesenheiten etc. vereinbar ist. Bei Kapitalsachen gehen die Dezernenten meist selbst in ihre Sachen, die aus der Wirtschaft in der Regel auch, und bei Sexualdelikten und OK-Verfahren zumeist zumindest jemand aus derselben Abteilung. Teilweise bitten die Dezernenten auch selbst darum, diese oder jene Sache selbst machen zu dürfen.
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von thh »

Tobias__21 hat geschrieben:
thh hat geschrieben:Bzw. - hier - zunächst der Dezernent, der aber eben auch in der Regel nicht der Sitzungsvertreter ist.
Warum wird das hier eigentlich so gehandhabt?
Ressourcenproblem. Es wäre schlicht unmöglich, alle eigenen Sachen selbst in der Sitzung zu vertreten (man stelle sich das vor: 8-10 Strafrichtersachen, und jedesmal kommt ein anderer Staatsanwalt, der danach sofort an ein anderes Gericht rast ...), auch deshalb, weil ja auf die Terminslage der Verteidigung, nicht aber auf die eines Staatsanwalts Rücksicht genommen wird - die Staatsanwaltschaft ist immer in der Lage, einen Sitzungsvertreter zu schicken. Üblicherweise wird jeder Dezernent einmal die Woche zum Sitzungsdienst eingeteilt und kann daher dann eben auch nur bei einem Spruchkörper auftreten.

Vor der Strafkammer (ebenso natürlich dem Schwurgericht und allen anderen erstinstanzlichen Spruchkörpern am Landes- und Oberlandesgericht) werden die Sachen regelmäßig vom Sachbearbeiter vertreten, es sei denn, der ist krank oder im Urlaub (oder hat kollidierende Termine [1]), sonst zumindest aus derselben Abteilung. Am Schöffengericht gilt das - nachrangig - auch, wenn's eben zufällig passt; da ist aber, wenn es nicht um eine Spezialmaterie geht, die Sitzungsvertretung durch andere durchaus die Regel. Und beim Strafrichter geht nur in besonderen Ausnahmefällen (meistens wegen der Komplexität der Materie oder einer anderen Besonderheit der Sache [2]) der Sachbearbeiter oder ein informierter Sitzungsvertreter hin, ansonsten ist das Zufall, wer da auftritt. Nicht selten auch ein Rechtsreferendar. :)

[1] Auch da laufen oft verschiedene Sachen vor mehreren Kammern parallel, und mehr als 5 Sitzungstage pro Woche geht schon kalendarisch nicht. :) Auch drei Sitzungstage pro Woche sind auf Dauer schon anstrengend und führen zu Rückständen.

[2] Das kann eine Anklage gegen eine Person des öffentlichen Lebens sein oder auch eine Sache mit politischem oder Gang-Hintergrund o.ä., bei der der Sitzungsvertreter entsprechend erfahren sein sollte.
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

Danke Euch nochmals, dass Ihr euch immer die Zeit nehmt meine Fragen so ausführlich zu beantworten. Vieles ist sicher pillepalle, aber mich interessiert sowas einfach :D Für heute habe ich aber keine weiteren Fragen mehr :P
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Mimis »

Eagnai hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:Apropos Entscheidung durch Rechtsmittel hinauszögern: Ich habe mal in einer Sache in der ich Sitzungsvertreter war, mitbekommen dass der Richter und der Verteidiger unverblümt (nach Schluss der Verhandlung) darüber gesprochen haben, dass der Anwalt ja mal Berufung einlegen kann, denn so wie das LG gerade am Anschlag ist und der Fall ja wenig dramatisch war, das sicher eine Weile dauern wird und man so ja die Vollstreckung der Freiheitsstrafe noch hinauszögern könnte. Da hab ich auch erstmal dumm geschaut :)
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Etwas lästiger finde ich es, wie oben schon erwähnt, wenn der Richter zwar nach Antrag oder fast nach Antrag entscheidet, mich aber im Anschluss trotzdem bittet, doch Berufung einzulegen, falls der Angeklagte Rechtsmittel einlegt.

In der Praxis ist die Einlegung einer Berufung der Staatsanwaltschaft nur aus dem einen Grund, dass der Angeklagte Rechtsmittel einlegen könnte, zum Glück tatsächlich eher die Ausnahme, es kommt aber durchaus vor. Der Grund ist dann übrigens meistens nicht, dass die Staatsanwaltschaft eine Revision des Angeklagten dadurch zur Berufung "degradieren" möchte, dass sie selbst Berufung einlegt, weil Sprungrevisionen gegen AG-Urteile ohnehin selten sind -
sondern meistens geht es darum, dass man in der Berufungshauptverhandlung durch die ja nur bei beiderseitiger Berufung bestehende Möglichkeit der Verschlechterung ein Druckmittel haben möchte, um den Angeklagten ggf. zu einer beiderseitigen Berufungsrücknahme bewegen zu können (so nach dem Motto "Sie wissen ja, dass hier statt einem Jahr auch anderthalb herauskommen könnten, aber wenn Sie Ihre Berufung zurücknehmen, wäre ich gnädigerweise bereit, das auch mit meiner zu tun").
Dann macht jetzt für mich auch die "Sperrberufung" Sinn. Den Angeklagten in die Berufung zwingen mit dem Ziel der Berufungsrücknahme, so dass auch keine Revision mehr eingelegt werden kann. =D>
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Re: Exmatrikulation vor Ref und andere Fragen

Beitrag von Tobias__21 »

Ich habe heute mal einen Rechtsmittelvorschlag unterbreitet. Kam mir hart verarscht vor. Der Sachbearbeiter sieht es genauso :)
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Beitrag von thh »

Mimis hat geschrieben:Dann macht jetzt für mich auch die "Sperrberufung" Sinn. Den Angeklagten in die Berufung zwingen mit dem Ziel der Berufungsrücknahme, so dass auch keine Revision mehr eingelegt werden kann. =D>
Es geht eher darum, die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils in der Revisionsinstanz zu verhindern. Die Erfahrung eines Vorsitzenden Richters und die Belastungssituation in der Berufungskammer sollten es regelmäßig erlauben, ein revisionsfestes Urteil abzusetzen. Dann kann zwar eine Revision eingelegt werden, aber sie bleibt dann eben erfolglos.
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