Hallo zusammen,
ich hoffe, ihr könnt mir kurz helfen.
Aus der Zivilstation habe ich es so in Erinnerung, dass man bei Klageabweisung in der Begründetheit nur diejenigen Tatbestandsmerkmale
nennt, an denen der jeweilige Anspruch scheitert. Wenn also bspw. iRd § 823 I kein Verschulden festzustellen ist, dann schreibe ich in der
Begründetheit, dass die Klage unbegründet ist, weil auf Grund fehlenden Verschuldens kein Anspruch aus § 823 I herleitbar ist (und natürlich
auch keine andere Norm in Betracht kommt). Ich schreibe aber eben nicht, dass zB eine Rechtsgutsverletzung vorliegt und die Handlung des Beklagten dafür kausal war.
Ist dies im öffentlichen Recht tatsächlich anders? Ich habe eine Klausur zurückerhalten, in dem mir angestrichen wurde, dass ich zu mehreren
Punkten keine Ausführungen gemacht habe. Es ging um einen 80-V-er-Antrag. Ich war der Ansicht, dass der Bescheid, auf den sich die AOSV bezog,
materiell rechtswidrig war, da die Voraussetzungen der EGL nicht vorlagen.
Deshalb habe ich iRd Begründetheit des 80-V-Antrages lediglich dazu Ausführungen gemacht, dass das Aussetzungs- das Vollzungsinteresse überwiegt,
weil der VA offensichtlich rechtswidrig ist. Ich habe aber nichts dazu geschrieben, dass die AOSV formell ordnungsgemäß erfolgt ist und der zugrunde liegende Bescheid ebenfalls formell rechtmäßig ist. Denn darauf kommt es im Ergebnis ja eigentlich nicht an, wenn der Bescheid jedenfalls materiell rechtswidrig ist.
Muss ich also dennoch immer Ausführungen zu der formellen Ordnungsgemäßheit der AOSV und zur formellen Rechtmäßigkeit des VA's machen, wenn ich im Ergebnis dazu komme, dass der VA sowieso materiell rechtswidrig ist?
Ich dachte, der Urteilsstil verbietet "Zwar-Aber-Begrüdungen" im Sinne von: "Zwar erfolgte die AOSV formell ordnungsmäß, aber es überwiegt das Aussetzungs- das Vollziehungsinteresse, da der VA offensichtlich rechtswidrig ist."
Dankeschön!
Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Schwierige und einfache Frage zugleich. Ich zitiere einmal einen Kollegen aus der Zivilgerichtsbarkeit sinngemäß, mit dem ich mich kürzlich über genau dieses Problem unterhalten habe:
"Jeder, der im Urteil Zeit für obiter dicta hat, hat das Recht verwirkt, sich über seine Arbeitsbelastung zu beklagen."
Ich komme aus dem Zivilrecht und habe am VG erschrockene Blicke geerntet, als ich in die Runde sagte, mein bewilligender PKH Beschluss sei zwei Sätze lang.
In der Praxis hätte ich die Lösung so gewählt, wie du sie in der Klausur vorgenommen hast.
Es gibt aber für die Gegner des zivilistisch knappen Stils ein gutes Argument: Man arbeitet hier mit immer den selben Behörden zusammen, den muss man erklären wies richtig geht.
Für deine Klausur kann man natürlich nur darauf verweisen, dass zu allen problematischen Punkten jedenfalls hilfsgutachterlich Stellung zu nehmen ist. Ich weiß, dass das ärgerlich ist. Und ich "kämpfe" den Kampf gerade in der Praxis, wobei die Asylklagewelle hier schon einiges verändert hat.
Und um deine Frage zu beantworten: "Ist dies im öffentlichen Recht tatsächlich anders?"
Ja, kraft Gewohnheit.
"Jeder, der im Urteil Zeit für obiter dicta hat, hat das Recht verwirkt, sich über seine Arbeitsbelastung zu beklagen."
Ich komme aus dem Zivilrecht und habe am VG erschrockene Blicke geerntet, als ich in die Runde sagte, mein bewilligender PKH Beschluss sei zwei Sätze lang.
In der Praxis hätte ich die Lösung so gewählt, wie du sie in der Klausur vorgenommen hast.
Es gibt aber für die Gegner des zivilistisch knappen Stils ein gutes Argument: Man arbeitet hier mit immer den selben Behörden zusammen, den muss man erklären wies richtig geht.
Für deine Klausur kann man natürlich nur darauf verweisen, dass zu allen problematischen Punkten jedenfalls hilfsgutachterlich Stellung zu nehmen ist. Ich weiß, dass das ärgerlich ist. Und ich "kämpfe" den Kampf gerade in der Praxis, wobei die Asylklagewelle hier schon einiges verändert hat.
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Das dürfte auch dem Verständnis von Amtsermittlung und Art. 19 IV GG entsprechen. Das VG entscheidet keinen Rechtsstreit zwischen Privatparteien, es gewährt Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Hand und muss also begründen, warum die öffentliche Maßnahme rechtmäßig war oder nicht. Insoweit kommt der Justiz auch eine etwas andere Befriedigungsfunktion zu.
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Naja, das löst aber auf den ersten Blick nicht das Problem des TE. Wenn die Maßnahme rechtmäßig war, muss man voll durchprüfen. Wenn sie rechtswidrig war, wird dem betroffenen Bürger in der Regel egal sein, dass die Gegenseite auch zuständig war. Warum also dieser Begründungsaufwand?
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Den Unterschied schon gefunden?
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Kann man so sehen. Auf der anderen Seite ist es bei vielen Maßnahmen der Behörden zumindest möglich, dass sie - unter Behebung der aufgezeigten Mängel - noch einmal ergehen. Da kann man sofort durchprüfen und Anschlussstreitigkeiten vermeiden.Strich hat geschrieben: ↑Donnerstag 29. November 2018, 13:39 Naja, das löst aber auf den ersten Blick nicht das Problem des TE. Wenn die Maßnahme rechtmäßig war, muss man voll durchprüfen. Wenn sie rechtswidrig war, wird dem betroffenen Bürger in der Regel egal sein, dass die Gegenseite auch zuständig war. Warum also dieser Begründungsaufwand?
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Re: Unterschied Urteilsstil Zivilrecht <-> Verwaltungsrecht
Das ist natürlich richtig. Das kann man in der Praxis zumeist leicht überblicken.
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