Pragmatisch sein?

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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Philtan
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Pragmatisch sein?

Beitrag von Philtan »

Hallo Forengemeinde,
ich hab da mal ne kurze Frage...
Ich habe dieses Jahr Abi gemacht (1,1) und mache im Moment ein Freiwilligenjahr. Nächstes Jahr will ich ein Studium beginnen. Ich interessiere mich für so gut wie jedes geistes- und sozialwissenschaftliche Fach (Geschichte, Philosophie, Sowi, Fremdsprachen etc.). Nur welchen Beruf daraus machen? Dass Journalisten es ziemlich schwer haben ist bereits zu Schulzeiten zu mir durchgedrungen und je mehr ich in den Medien über die Jobsituation an Universitäten lese, desto stärker habe ich den Verdacht, dass es auch dort wenig ordentliche Stellen gibt. So bin ich dann auf Jura gekommen (und auf dieses Forum). Ich hab mir auch schon 2 Vorlesungen angeschaut und diese haben mich jetzt auch nicht abgeschreckt. Der Arbeitsmarkt scheint auch ganz ok zu sein.

So weit so gut könnte man meinen. Jetzt habe ich allerdings ein Medizinstudium im Hinterkopf. Manche Bereiche interessieren mich mehr (Kinderarzt, Psychfächer) andere weniger (Augen, HNO). Der Arbeitsmarkt scheint ziemlich gut zu sein und man kann wohl auch leichter im Ausland arbeiten (Für mich als Frankreichliebhaber interessant).
Ich weiß natürlich, dass ich das selber entscheiden muss, aber will trotzdem mal eure Meinung hören. Ist es absurd aus pragmatischen Gründen das Medizinstudium dem Jurastudium vorzuziehen? Diese Frage bereitet mir echt schlaflose Nächte.

LG Phil
julée
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

Wenn Du wirklich Arzt werden willst, dann tue es, aber sonst: Ja, es ist absurd, ein Medizin- oder Jurastudium allein wegen der vermeintlich besseren Jobaussichten zu beginnen. Genauso gut könntest Du irgendwas anderes wegen der Jobaussichten auf Lehramt studieren - ich denke mit dem Typ Lehrer hat jeder so seine Erfahrungen gesammelt. Und ich persönlich wollte keinen Beruf ausüben, nur weil er sicher und gut bezahlt ist und ggf auch im Ausland liegen kann. Es hat ja keiner gesagt, dass es leicht sein muss, an den Traumjob zu kommen. Aber bereits vorher aufzugeben, ist nicht pragmatisch, sondern eher feige ;)

Wo machst Du denn Dein Freiwilligenjahr? Im medizinischen Bereich?
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Theopa
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Theopa »

Im extrem unwahrscheinlichen Fall, dass es für dich tatsächlich eine 50:50 Entscheidung werden sollte, würde ich aus rein pragmatischen Gesichtspunkten der Medizin den Vorzug geben. Dort würde ich zumindest eher die Chance sehen, einmal gutes Einkommen UND viel Freizeit zu haben. Als Jurist muss man sich doch eher zwischen den beiden Punkten entscheiden und kann die Entscheidung später auch deutlich schlechter revidieren.
julée
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

Auch bei den Ärzten dürfte es nicht alles auf einmal geben:

Im Krankenhaus gibt es auch die Nacht- und Wochenendschicht - das ist der Freizeitgestaltung eher abträglich. Als niedergelassener Arzt gibt es auch die Teilnahmepflicht am Bereitschaftsdienst und man trägt das unternehmerische Risiko und muss dann ggf Sprechstunden zu Zeiten anbieten, zu denen andere schon auf dem Golfplatz stehen. Und wenn man nicht nur Privatpatienten behandelt, muss man auch mit dem leben, was im System der GKV für die Ärzte übrig bleibt. Geld scheffeln mit viel Freizeit scheint mir auch für Ärzte nicht durchgängig möglich zu sein.
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Wenn ich mir die Kollegen hier im Haus ansehe - gemischte Struktur: Jungärztin in der Chirurgie und gestandener Oberarzt in der Anästhesie - würde ich niemals tauschen wollen:

Schichtdienst, nicht sonderlich guter Verdienst, wenige Karriereoptionen und immer dieses verdammte Junkie-Blut als Worst Case.
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von OJ1988 »

Von der Situation am Arbeitsmarkt her betrachtet würde ich an deiner Stelle - sofern die Interessen wirklich gleich verteilt sind - eher zu Medizin tendieren. Von meinen Bekannten, die jetzt alle fertig werden, musste sich keiner lange umschauen, auch die Abschlussnote war (wollte man nicht unbedingt in die Chirurgie oder die Uni-Klinik) viel weniger wichtig als bei uns Juristen.
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

OJ1988 hat geschrieben:Von der Situation am Arbeitsmarkt her betrachtet würde ich an deiner Stelle - sofern die Interessen wirklich gleich verteilt sind - eher zu Medizin tendieren. Von meinen Bekannten, die jetzt alle fertig werden, musste sich keiner lange umschauen, auch die Abschlussnote war (wollte man nicht unbedingt in die Chirurgie oder die Uni-Klinik) viel weniger wichtig als bei uns Juristen.
Der Vergleich stimmt aber auch nur, wenn man als Jurist weder eine gute Note noch eine ausreichende Spezialisierung mitbringt.
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Theopa »

julée hat geschrieben:Auch bei den Ärzten dürfte es nicht alles auf einmal geben
Für die Meisten nicht, darum schrieb ich auch nur "Chance". Besonders niedergelassene Fachärzte in guten Gegenden kommen aber mit einer wirklich moderaten Arbeitsbelastung auf ein sehr ordentliches Einkommen. Natürlich ist das weit weg vom Regelfall, bei Juristen ist eine solche Situation aber mE noch deutlich unwahrscheinlicher.
julée
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

Man muss in einer guten Gegend dann aber auch erst mal eine Vertragsarztzulassung in einem lukrativen Fachgebiet erhalten. Natürlich kann der Plan funktionieren, in München-Bogenhausen eine Privatpraxis aufzumachen und nachmittags um 15 Uhr auf dem Golfplatz zu stehen - aber genauso gut kann es vermutlich funktionieren, dort eine Kanzlei aufzumachen und Stundensätze von 300 € aufwärts zu kassieren und ein paar Associates die Arbeit machen zu lassen, während man selbst auf dem Golfplatz Akquise macht.
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Herr Schraeg »

Pragmatismus in allen Ehren, aber Du bist noch soviele Jahre vom Berufseinstieg als Jurist oder Arzt entfernt, dass Prognosen über die Berufsaussichten eher substanzlose Prophezeiungen sind. Sowohl als Jurist als auch als Arzt ist die Kombination "Viel verdienen und wenig arbeiten" zwar möglich, aber sehr selten - und auch dann regelmässig nur als Ergebnis "einiger" Berufsjahre, in denen um so mehr gearbeitet wurde.

Richtig ist allerdings die Überlegung zum Ausland. Wenn Du später langfristig im Ausland leben und arbeiten willst, hast Du als Arzt mehr Möglichkeiten. Ansonsten sollte man sich für das Studienfach entscheiden, das einem mehr Spass und Freude bereiten wird.
Bushmills
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Bushmills »

Ich hoffe das kommt jetzt nicht falsch rüber, aber du solltest dir bewusst machen, dass du es als Arzt mit einem Querschnitt der Gesellschaft zu tun bekommst. Nicht alle Patienten sind nette alte Damen, einige sind nur nerfig, andere dagegen tatsächlich eine Zumutung. Ich bin in einem Medizinerhaushalt aufgewachsen, und ich selbst wäre nie im Leben (!) selber Arzt geworden.


Wenn du damit menschlich zurecht kommst, dann mach Medizin.
Wenn nicht, dann mach lieber Jura.
julée
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

Bushmills hat geschrieben: Nicht alle Patienten sind nette alte Damen, einige sind nur nervig, andere dagegen tatsächlich eine Zumutung.
Der Satz funktioniert allerdings auch mit "Mandanten", "Parteien / Beteiligte", "Beschuldigte" , kurzum mit "Menschen" ;)

@Sympathiebeamter: Es ging aber gerade um die Verknüpfung zwischen "gutes Einkommen" und "viel Freizeit". Und gerade bei Letzterem müssen Ärzte doch erhebliche Abstriche hinnehmen.
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Philtan
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von Philtan »

Das sind ja schon viele Antworten, danke dafür!

@Julée: Ich mach meinen Dienst im kirchlichen Bereich. Is ganz nett, aber das ich kein Pfarrer werden will, wusste ich schon vorher ;).

Es geht mir auch nicht darum, viel zu verdienen und wenig zu arbeiten.

Meine Überlegung war eher ein Studienfach zu wählen wo ich Interesse, Fähigkeiten und ordentliche Berufschancen verbinden kann. Bis Punkt 2 ist die Liste der potentiellen Studienfächer noch sehr lang, ab Punkt 2 fallen mir nur noch Jura und Medizin ein. 2 Freunde von mir werden Polizisten und wollten das schon immer. Ich kann mich irgendwie für vielees begeistern (Ok nicht für Maschinenbau).

Meine Eltern (Lehrer/sozialer Bereich) sagen immer: Egal was du tust, wir lieben und unterstützen dich. Ein Nachbar (Ministerialbeamter) meinte mal zu mir, ich solle die, wie er sie nennt, "schöngeistigen Fächer" meiden. Das sei doch nichts richtiges.
julée
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von julée »

Ich würde dann weniger danach fragen, ob es für alle in dem Fachbereich "ordentliche Berufschancen" gibt, sondern eher danach fragen, was für eine Art Tätigkeit Dir später vorschwebt: Eher was mit Menschen? Was Soziales? Was Künstlerisches? usw. Denn es bringt Dir ja nichts, einen guten Job zu haben, der Dir aber null Spaß macht. Und dann würde ich fragen, welcher Studiengang dazu passt und was Du ggf sonst nebenher tun musst, um das Ziel zu erreichen (Praktika, Auslandsaufenthalte, Zusatzstudium, was auch immer). Und dann kannst Du schauen, ob das Studium auch genügend "sichere" Alternativen bietet. Das Problem haben in der Regel nicht die Absolventen, die besonders gut und / oder spezialisiert sind und wissen, wohin sie wollen, sondern diejenigen, die einfach irgendwas studieren, auf die große Inspiration warten und dann nach 5 Jahren Studium erstaunt feststellen, dass eigentlich niemand auf sie gewartet hat.

Und wozu ich immer raten würde: Mut, ein Studium einfach auszuprobieren und es ggf auch nach 2 Semestern wieder abzubrechen, wenn es nicht so läuft, wie es soll oder es doch nicht so viel Spaß macht.
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wertsackbeutel
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Re: Pragmatisch sein?

Beitrag von wertsackbeutel »

+1 für Herrn Schraeg
+0,5 für den Duschgriff

@Sympathiebeamter: die 100k knackt ein Arzt im KH aber auch erst ab Facharztebene und dann zu Beginn auch nur durch die Dienste. Das sind dann auch mindestens 6 Jahre.

Die Option in die Niederlassung zu gehen besteht zwar. Aber zum Einen ist die Attraktivität sowohl fach- als auch ortsabhängig sehr unterschiedlich. Wird mir hier ein wenig zu hoch bewertet. Die Preise für viele Praxen fallen gerade. Kann natürlich bis zur Entscheidung durch den TE wieder anders sein.

Ich würde auch empfehlen zu hinterfragen, was soll es denn an Tätigkeit am Ende sein. Praktisch am Menschen oder für Menschen arbeiten. Das sind schon Unterschiede. Zu Beginn der Karriere dürfte sowohl im KH und in der GK ziemlich zu buckeln sein.

Wenn es dich wirklich zum Arbeiten ins Ausland zieht, muss man natürlich klar sagen, dass Jura den Nachteil hat, dass die Optionen hier deutlich limitierter sind. Man muss/sollte schon über einen parallelen ausländischen Abschluss nachdenken, wenn man neben wenigen GK Verbindungsstellen, einigen Syndikusposten, einer generellen Tätigkeit im WiWi Bereich oder dem diplomatischen Dienst, eine breite Chance haben will.

Wer in Europa Medizin studiert hat, ist da deutlich flexibler.
Wertsack: ein Beutel, der auf Grund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.
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