Auf Vorlesungen komplett verzichten

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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Jora
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Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Jora »

Hey Leute,

bisher hab ich es so gemacht, dass ich grundsätzlich zu allen Vorlesungen gegangen bin und immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich nicht hingegangen bin. Mir ist das aufgefallen, dass ich selbst in guten Vorlesungen sehr wenig mitnehme. Viel effektiver ist für mich das lernen mit Hemmer Skripten, Die Fälle von Fallag und zur Vertiefung mit Lehrbüchern. Dies ist jedoch auch sehr zeitaufwendig und deswegen schaffe ich es so nicht mehr wirklich zu den Vorlesungen. Lerne jetzt meistens ausschließlich in der Bibliothek und gehe noch zu den 3 AGs.

Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil alle anderen weiterhin zu den Vorlesungen gehen und man schon etwas niedlich belächelt wird, wenn man sagt, man lernt jetzt schon in der Bibliothek. Es dieses verschulte Gefühl, den Anschluss zu verlieren, weil man was verpasst. Dabei habe ich wirklich das Gefühl, nur selbst in der Bibliothek effektiv zu lernen?

Was meint ihr, sollte ich wieder an den Vorlesungen teilnehmen? Bin jetzt im zweiten und habe alle 4 Scheine im ersten bestanden. Muss jetzt nochmal 4 schaffen, dann hab ich die Zwischenprüfung bestanden.
Samson
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Samson »

Jora hat geschrieben:Hey Leute,

bisher hab ich es so gemacht, dass ich grundsätzlich zu allen Vorlesungen gegangen bin und immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich nicht hingegangen bin. Mir ist das aufgefallen, dass ich selbst in guten Vorlesungen sehr wenig mitnehme. Viel effektiver ist für mich das lernen mit Hemmer Skripten, Die Fälle von Fallag und zur Vertiefung mit Lehrbüchern. Dies ist jedoch auch sehr zeitaufwendig und deswegen schaffe ich es so nicht mehr wirklich zu den Vorlesungen. Lerne jetzt meistens ausschließlich in der Bibliothek und gehe noch zu den 3 AGs.

Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, weil alle anderen weiterhin zu den Vorlesungen gehen und man schon etwas niedlich belächelt wird, wenn man sagt, man lernt jetzt schon in der Bibliothek. Es dieses verschulte Gefühl, den Anschluss zu verlieren, weil man was verpasst. Dabei habe ich wirklich das Gefühl, nur selbst in der Bibliothek effektiv zu lernen?

Was meint ihr, sollte ich wieder an den Vorlesungen teilnehmen? Bin jetzt im zweiten und habe alle 4 Scheine im ersten bestanden. Muss jetzt nochmal 4 schaffen, dann hab ich die Zwischenprüfung bestanden.
Vorlesungen habe nicht primär den Zweck wissen aufzunehmen. Dir entgeht durch das Verpassen von Vorlestungen aber folgenes:
a) Der Kontakt zu deinen Kommilitoninnen und Kommilitonen
b) Du hast nur in Vorlesungen die Chance, mit Dozenten zu diskutieren, Fragen zu stellen, deine juristische Rhetorik zu trainieren. Ein Prof sagte bei uns in der Tat mal: Wenn sie mir keine Fragen stellen und zu Feige sind, laut auf meine Fragen zu antworten, dann können sie auch zu Hause mein Buch lesen. Recht hatte er.
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Ara
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Ara »

Sowohl a) als auch b) kann man meines Erachtens genauso gut (meist sogar besser) in den AGs machen. Solange du zu den AGs gehst, sehe ich da wenig bis keine Probleme.

Ich hab nach dem 1. Semester auch nur noch ganz vereinzelt 1-2 Vorlesungen pro Semester besucht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Samson
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Samson »

Ara hat geschrieben:Sowohl a) als auch b) kann man meines Erachtens genauso gut (meist sogar besser) in den AGs machen. Solange du zu den AGs gehst, sehe ich da wenig bis keine Probleme.

Ich hab nach dem 1. Semester auch nur noch ganz vereinzelt 1-2 Vorlesungen pro Semester besucht.
In den AGs steht man aber nur im Dialog mit Wissmits, nicht mit richtigen, echten wirklichen Professoren, also supermegahammergroßen Juraobercheckern.
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Vortex
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Vortex »

Diese Art von Thread stirbt nie aus, oder?
Samson
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Samson »

Vortex hat geschrieben:Diese Art von Thread stirbt nie aus, oder?
Immer noch interessanter als die "Welche Großkanzlei nimmt mich und welche nicht" Threads.
julée
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von julée »

Samson hat geschrieben:
Vortex hat geschrieben:Diese Art von Thread stirbt nie aus, oder?
Immer noch interessanter als die "Welche Großkanzlei nimmt mich und welche nicht" Threads.
Beiden Fragen wohnt ja aus Sicht des Fragenden eine gewisse Berechtigung inne - wobei letztere Frage einfacher zu beantworten ist, nämlich mit "Versuch macht klug."

Es gibt sicherlich genügend Juristen, die auch ohne Vorlesungsbesuch erfolgreich waren. Gleichwohl halte ich es für falsch, Vorlesungen allein anhand von (unmittelbaren) Effizienzüberlegungen betrachten zu wollen - natürlich kann ich ein Buch zum Erbrecht oder auch zum Strafrecht AT locker in 12 x 1,5 Stunden lesen und durcharbeiten. Aber Querverbindungen herstellen, weiterführende Anregungen geben, methodische Fähigkeiten vermitteln, Widerworte geben usw. kann vielfach nur ein realer Dozent. Nur in die Vorlesung gehen und sich dort berieseln lassen, bringt natürlich relativ wenig, wenn man den Stoff nicht vor- bzw. nachbereitet - aber das heißt noch lange nicht, dass die bloße Schreibtischarbeit allein genauso effektiv ist und man daher auf den Vorlesungsbesuch verzichten könnte (Ausnahme: wirklich unterirdische Vorlesungen). Und AGs sorgen natürlich für Austausch, aber sie sind kein Vorlesungsersatz.

Im Ernst: Ich kann auch Jahre nach dem Studium bestimmte Wissensbrocken einzelnen Vorlesungen zuordnen oder sagen wie der Fall dazu war, tlw. auch Sachen, die man im Lehrbuch nicht mit der Intensität wahrnehmen würde - und ich würde mich jetzt nicht als auditiver Typ bezeichnen, aber die Anreizsituation (und damit die Chance, dass man sich an Dinge wieder erinnert) ist besser, wenn man in einer Vorlesung sitzt, als wenn man Tag für Tag in der Bibliothek sitzt und Skripten bunt anmalt.
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Jora
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Jora »

Ich muss dazu grundsätzlich sagen, dass ich ein Einzelkämpfer bin. Von meinem Charakter her schlage ich mich lieber alleine durch und habe auch keine Ängste zu vereinsamen. Unternehme dann meistens etwas mit fachfremden Menschen oder Freunden aus der Abizeit. Sicherlich habe ich auch zwei, drei gute Bekanntschaften gemacht in den Vorlesungen, jedoch bin ich halt mehr der Einzelkämpfer. Zum Beispiel die Vorlesungen Staatsorga/BGB AT im ersten. Ich bin bis zur Semestermitte zu jeder Veranstaltung gegangen. Ich hab wirklich alles gemacht was geht, saß sogar im Methodenkurs BGB, eine Veranstaltung ohne Abschlussklausur die jeden Montag um 8:00 stattfand und wo wir wirklich schon nach 4 Wochen nur noch mit 40 Mann da rumsaßen(bei 500 Erstsemestern auch irgendwie traurig oder?). Jedenfalls war ich wirklich überall dabei. Dies war zum reinkommen unerlässlich und ich würde es genauso wieder machen. Schließlich hat man dort auch nette Leute kennengelernt. Zur Semestermitte dachte ich mir dann, ok die erzählen einem soviel da vorne und das Wissen kann ich auch gut aufsaugen. Aber wie schreibe ich denn bitte eine Abschlussklausur? Darauf kommts schließlich an. Natürlich muss man vertiefen und natürlich muss Systemverständnis gelehrt werden. Aber man muss eben auch Klausuren bestehen sonst lacht einem das BAFÖG Amt nach viertem ins Gesicht und dann wars das.

Und dort gings eig schon los. Wäre ich weiter zu den Staatsorga/BGB AT Vorlesungen gegangen, wäre ich bestimmt durchgefallen. Stattdessen saß ich da schon ab Mitte Dezember in der BIB und ich bin mir sicher, dass das der Schlüssel zum Bestehen war. Ich bewundere wirklich die Kommolitionen, welche nur in die Vorlesungen gehen und sodann alle Scheine mit Prädikat bestehen. Da freu ich mich für die Leute mit. Aber ich habe für mich gemerkt, dass ich der Lerntyp bin, der sich zeitaufwendig viel erarbeiten muss. Und da "stören" die Vorlesungen einfach, weil sie sehr zeitfressend und ineffizent sind.

Deswegen habe ich diesen Thread auch erstellt um Rückmeldungen zu bekommen. Vielleicht befinde ich mich ja auf einem totalen Irrweg :alright Aber hinzu kommt halt auch, dass viele Juristen dies auch empfehlen. Ich glaube es war Thomas Fischer, der meinte, um das Jura Studium erfolgreich durchzuziehen, muss man jeden Tag 8 Stunden lernen und ganz viele Fälle machen. Ich meine Fischer ist zwar sonderbar, trotzdem nicht irgendein Trottel der wirres Zeug erzählt. Er hat ja sehr viel erreicht in seinem Leben und auf mich wirkt sowas dann. Lese solche Empfehlung des Öfteren im Anwaltsmagazin oder anderen Jura Zeitschriften...
Swann
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Swann »

Jora hat geschrieben:Ich meine Fischer ist zwar sonderbar, trotzdem nicht irgendein Trottel der wirres Zeug erzählt.


Str.
Er hat ja sehr viel erreicht in seinem Leben und auf mich wirkt sowas dann.
Das haben Kim Jong Un und Donald Trump auch.
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Vortex
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Vortex »

Thomas Fischer hat auch geschrieben, Jura sei leicht und man müsse nicht auswendig lernen...

Anyway, wenn keine Vorlesungen zu besuchen sich als der für dich richtige Weg herausgestellt hat, dann ist das doch okay. Hier passt finde ich "Versuch macht klug" auch ganz gut.
Ich würde zwar jeder Vorlesung am Anfang des Semesters erstmal eine Chance geben, aber wenn du der Meinung bist, selbst der beste Dozent der Welt würde es nicht schaffen, dass du in einer Vorlesung was lernst, bringt das natürlich auch wenig (man reißt sich andererseits nicht unbedingt ein Bein aus, wenn man zu Semesterbeginn ein Mal alle einschlägigen Vorlesungen "auscheckt". Zum Ende der Vorlesungszeit hin würde ich übrigens dasselbe machen, da gibt der Prof. doch gerne mal Klausurhinweise).
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Nietnagel »

Jora hat geschrieben: Was meint ihr, sollte ich wieder an den Vorlesungen teilnehmen?
NEIN. Was nichts bringt, hat keinen Sinn.

Du bist offenbar ein Lerntyp, der eher vom Selbststudium profitiert, als von Vorträgen. Das ist bei vielen Juristen so. Das Studium begünstigt Autodidakten. Ich bin nach dem 2. Semester, bis auf wenige Schwerpunkte, nie zu Vorlesungen gegangen und es hat mir nicht geschadet. Nutze die Sachen für Dich, die Dir etwas bringen!
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Mr_Black »

Samson hat geschrieben:
Vortex hat geschrieben:Diese Art von Thread stirbt nie aus, oder?
Immer noch interessanter als die "Welche Großkanzlei nimmt mich und welche nicht" Threads.
"Nimmt mich eine Großkanzlei, wenn ich nie eine Vorlesung besucht habe oder muss ich dann Richter werden?"
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Juratutorium »

Vortex hat geschrieben:Thomas Fischer hat auch geschrieben, Jura sei leicht und man müsse nicht auswendig lernen...
Irgendwie ist alles relativ...

Vor 1908 gab es keine Examensklausuren.
Bis zum Ende des 2. Weltkrieges gab es nur die Notenstufen "ausreichend", "gut" und "hervorragend". Über die Hälfte der Richter am OLG Frankfurt hatte damals die Note "ausreichend" im 2. Staatsexamen.
Ende der 70er Jahre lag die Schwelle zum "befriedigend" noch bei 6,00 Punkten und zum "vollbefriedigend" bei 8,00 Punkten.
Seit 1995 werden - sog. "Würzburger Thesen zur Juristenausbildung" - vermehrt exotische Fälle und nicht mehr die klassischen Standardfälle abgeprüft.
Im Jahr 2004 wurden im 2. Staatsexamen die Examenshausarbeit und der 3-tägigen Aktenvortrag abgeschafft.
Seit 2004 hat sich der Seitenumfang der amtlichen Musterlösungen bei 1-stündigen Aktenvorträgen verdoppelt.
Gleichzeitig ist der Umfang der Sachverhalte in den Klausuren stetig angewachsen.

Google meint:
Fischer wurde 1953 in NRW geboren (Vater: Arzt)
daheim abgehauen im Alter von 16
Schule abgebrochen in der 12. Klasse
Schreiner, Musiker, LKW-Fahrer
Abitur 1975 in Hessen (im Alter von 22)
eingezogen zum Panzergrenni, mittendrin verweigert, Rettungssanitäter
Germanistikstudent, Paketzusteller
ab 1980 Jurastudent
1. Examen 1984
2. Examen 1988
Eintritt in den Justizdienst in Bayern

Bei Jura hat es für ihn offensichtlich zum ersten mal in seinem Leben geklappt. Daher kommt vermutlich die These, dass es einfach sei. Jura hat auch den Vorteil, dass Klausuren und Hausarbeiten ohne Ansehen der Person korrigiert werden und damit auffällige Charaktereigenschaften des Verfassers erst mal keine Rolle spielen.

P.S.: Meine Ferndiagnose lautet, dass er Probleme mit Authoritäten hat (Vater, Lehrer, Chef, Ausbilder Schmidt, BGH-Nack, etc.).
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Ara
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Ara »

Ich habe keine Zweifel, dass Fischer auch ein ausgezeichneter Paketzusteller war!
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Juratutorium
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Re: Auf Vorlesungen komplett verzichten

Beitrag von Juratutorium »

Paketzusteller ist ein Job im Außendienst ohne direkte Aufsicht durch einen Boss. Es passt daher sehr gut zu seinem Persönlichkeitsprofil.
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