Enscheidungsfindung, Krise

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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sai
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von sai »

Suchender_ hat geschrieben:
Ich stimme zu, dass ein besseres "Aussieben" gut wäre. Dennoch sind die katastrophalen Durchfallquoten nicht nur darauf zurückzuführen, sondern auch auf eine schlechte Vorbereitung der Uni auf die Prüfung. Nochmal: in Großbritannien ist das etwa nicht so. Dort können es sich die (privaten!) Unis nämlich nicht leisten, ihre Studenten schlecht auf die Prüfungen vorzubereiten.
Wer sagt denn, dass es Aufgabe der Unis ist, Studenten auf Prüfungen vorzubereiten?
Es ist meiner Meinung nach in erster Linie Sache der (erwachsenen) Studenten selbst.
Verschulte Systeme wie Bologna gibt es doch mittlerweile nur deshalb so häufig, weil die meisten Leute zur Selbstorganisation einfach nicht in der Lage sind.
Wer ein ordentliches Examen erreicht, der kann selbstverständlich "rasch unbekannte Gesetze und Normen verstehen und korrekt einordnen sowie auslegen".
Ich kann dir aus der täglichen Praxis als Richter nur sagen, dass das eine sehr gewagte Annahme ist. Was man hier in Schriftsätzen zu lesen bekommt, ist mitunter abenteuerlich. Und nicht, weil es dem Mandanten hilft, sondern weil die Leute wirklich davon überzeugt sind.
i live in tokyo
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von i live in tokyo »

@Solar
In vielerlei werden wir sicherlich nicht auf einen Nenner kommen, aber eines muss nach 7 Seiten von meiner Seite gesagt werden.
Du, mein Freund, hast - so vermute ich - vor Jahren dein Examen geschrieben. Das Examen von vor 10 Jahren schreibe ich auch in 3 Stunden mit meinen Füßen und wäre entsetzt, unter 14p zu landen.
Die Zeiten haben sich geändert und Jura ist nicht mehr "lern die Basics und dann klappt das alles". Und auch hat das Studium wenig mit dem Beruf zutun. Wenigstens das ist mittlerweile auch bei den Professoren angelangt, die den Erstis - war an meiner Uni so - direkt vermitteln, dass Das, was sie nun machen, völlig nutzlos für das Berufsleben sei und die Studenten es irgendwann nach fleißigem Eintrichtern getrost vergessen können.

Ein Richter, der heute seit 20 Jahren im Dienst ist und nicht zufällig AGs leitet, der wird so ziemlich durch jede aktuelle Klausur fallen. Da wette ich das Sonnensystem darauf.

Das Jurastudium ist heute noch auf dem Stand 4000 vor Christus, während wir es nun fast 2018 haben. Ihr habt also alle schlicht null, nada, niente, 0 Ahnung von den Leiden heutiger Studenten. Das Jurastudium ist meines Wissens und verglichen mit anderen Studiengängen das am schlechtesten organisierte (weltweit?).

Alle sind uns voraus und wie hier schon einer erwähnte, deutsche Juristen sind nicht mehr wert als Fliegen auf dem internationalen Markt.
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ara hat geschrieben:
Candor hat geschrieben:ergibt +2
Nein. Ergibt "eine besonders hervorragende Zusammenfassung", je nachdem wie nah die Zusammenfassung am Notensprung war!
Okay, in der Schweiz wär die 6 die beste Note und ne 1 ganz ganz schlecht. Deshalb hab ich hier eher an +1 Like gedacht. :D

Bei meinen Eltern war es aber auch so wie in D, aber irgendwann wurde das in der Schweiz umgedreht, vielleicht in Angleichung an eine Mehrzahl der europäischen Länder.
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Ara
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Ara »

i live in tokyo hat geschrieben: Das Jurastudium ist heute noch auf dem Stand 4000 vor Christus, während wir es nun fast 2018 haben. Ihr habt also alle schlicht null, nada, niente, 0 Ahnung von den Leiden heutiger Studenten. Das Jurastudium ist meines Wissens und verglichen mit anderen Studiengängen das am schlechtesten organisierte (weltweit?).
Also ich fand das Studium eigentlich ganz gechillt. Viel Party, viel Freizeit, viel Spaß. Man muss sich halt damit abfinden, dass man HA in der vorlesungsfreien Zeit schreiben muss und n Examen inkl. Examensphase hat. Ansonsten ein tolles Studium wo man sehr frei ist. Dafür muss man sich halt selbst organisieren. Und Examen hab ich 2016 geschrieben.

Vielleicht solltest du einfach ein bisschen weniger jammern? Ist ja schlimm.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von dlutsche »

@ tokyo

selbst angenommen die Prämisse würde zutreffen, dass das Studium/Examen nicht mehr vergleichbar ist mit dem von vor 10 Jahren, so gebe ich zu bedenken, dass sich dieser Umstand dadurch relativiert, dass sich die Anforderungen für alle Studenten geändert haben.
Wir werden nicht einem absoluten Bewertungsmaßstab, sondern eben einem relativen, die Leistungen der Mitprüflinge berücksichtigenden Maßstab, unterworfen.
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Solar hat geschrieben:Wie Candor schon angedeutet hat: Wer das Studium furchtbar findet und nur als Mittel zum Erreichen des Abschlusses mit möglichst wenig Aufwand und guten Noten sieht und glaubt, beruflich "reiche das", was man sich mit Examenstraining anlernt, kann und sollte auf das Bachelor-Studium umschwenken. Dort bleibt niemand auf der Strecke und in der Praxis besteht hoher Bedarf an Juristen, die gerne ein bisschen was mit Jura machen aber keine Lust auf die ganze Rechtstheorie und Systematik haben. Viele dieser Stellen werden im Moment mit "Ausreichend"-Kandidaten aus dem Staatsexamen besetzt. Für diese war das Studium eine Qual, man hätte ihnen und dem Staat also viel Leid und Geld gespart, wenn sie von vornherein den Bachelor-Studiengang gewählt hätten. Wer aber ein guter Anwalt/Richter/Staatsanwalt/Regierungsrat/Rechtswissenschaftler werden möchte, sollte mehr als das können und kennen. Wieso? Weil es ihr/ihm hilft, rasch unbekannte Gesetze und Normen zu verstehen und korrekt einzuordnen sowie auszulegen und weil diese Kenntnis davon zeugt, dass sie/er eine gewisse Freude an Jura hat.
Mit dem Bolgna-System, wie es derzeit in D vorhanden ist, kann man ja immerhin noch anschließend die beiden Staatsexamen machen, hätte aber doch auch so etwas in der Tasche, falls die Luft ausgeht. Eine gute Sache, finde ich. Damit wäre doch eigentlich allen gedient. @Tokyo @Suchender
Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Freitag 11. August 2017, 12:14, insgesamt 1-mal geändert.
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

sai hat geschrieben: Wer sagt denn, dass es Aufgabe der Unis ist, Studenten auf Prüfungen vorzubereiten?
Es ist meiner Meinung nach in erster Linie Sache der (erwachsenen) Studenten selbst.
Verschulte Systeme wie Bologna gibt es doch mittlerweile nur deshalb so häufig, weil die meisten Leute zur Selbstorganisation einfach nicht in der Lage sind.
Und was ist dann die Aufgabe der Uni in der Lehre? Den eigenen Elfenbeinturm auszubauen? Sich höhnisch-arrogant über dumme Studentlein lustig zu machen, die selbst an ihren schlechten Noten schuld sind?

Und dabei hunderttausende Euros des Staates dafür auszugeben, jedes Jahr hunderte Studenten zum Examen mitzuschleppen, die danach keinen oder einen schlechten Abschluss machen? Die danach im Zweifel dem Staat weiterhin auf der Tasche liegen?

Nochmal: in anderen Ländern scheint es zu funktionieren, dass junge Menschen keine 5+ Jahre studieren und danach 20-30% durchfallen. Was machen wir falsch? Die arrogante Behauptung, unsere Volljuristen seien weltweit begehrt, ist übrigens Quatsch. Die juristische Musik spielt in Großbritannien und den USA.
Ich kann dir aus der täglichen Praxis als Richter nur sagen, dass das eine sehr gewagte Annahme ist. Was man hier in Schriftsätzen zu lesen bekommt, ist mitunter abenteuerlich. Und nicht, weil es dem Mandanten hilft, sondern weil die Leute wirklich davon überzeugt sind.
Woher kennst du die Examensnoten der Anwälte in deinen Verfahren?
sai
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von sai »

Suchender_ hat geschrieben: Und was ist dann die Aufgabe der Uni in der Lehre? Den eigenen Elfenbeinturm auszubauen? Sich höhnisch-arrogant über dumme Studentlein lustig zu machen, die selbst an ihren schlechten Noten schuld sind?

Und dabei hunderttausende Euros des Staates dafür auszugeben, jedes Jahr hunderte Studenten zum Examen mitzuschleppen, die danach keinen oder einen schlechten Abschluss machen? Die danach im Zweifel dem Staat weiterhin auf der Tasche liegen?
Aufgabe der Unis ist es zu lehren, ganz klassisch. Das was gelehrt wird, muss aber nicht mit dem Inhalt von Klausuren oder Hausarbeiten übereinstimmen. Juristische Lehre kann auch mal links und rechts an den Examenspfaden vorbeigehen. Es ist ein Studium und keine Ausbildung. Ziel ist eine breite Wissensvermittlung und nicht nur der engstirnige Abschluss.
Nochmal: in anderen Ländern scheint es zu funktionieren, dass junge Menschen keine 5+ Jahre studieren und danach 20-30% durchfallen. Was machen wir falsch? Die arrogante Behauptung, unsere Volljuristen seien weltweit begehrt, ist übrigens Quatsch. Die juristische Musik spielt in Großbritannien und den USA.
Das habe ich nie behauptet.

Woher kennst du die Examensnoten der Anwälte in deinen Verfahren?
Ich kenne sie nicht. Aber nach deiner Aussage von oben müssen sie ja ihre Examen bestanden haben und daher grds. in der Lage dazu sein, mit Gesetzen umzugehen.
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Prof. Thomas Puhl zum selbständigen Lernen für die Staatsexamen und Bologna
https://www.youtube.com/watch?v=JQK8jxzNVE8 ab 14:00
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

sai hat geschrieben:
Suchender_ hat geschrieben: Und was ist dann die Aufgabe der Uni in der Lehre? Den eigenen Elfenbeinturm auszubauen? Sich höhnisch-arrogant über dumme Studentlein lustig zu machen, die selbst an ihren schlechten Noten schuld sind?

Und dabei hunderttausende Euros des Staates dafür auszugeben, jedes Jahr hunderte Studenten zum Examen mitzuschleppen, die danach keinen oder einen schlechten Abschluss machen? Die danach im Zweifel dem Staat weiterhin auf der Tasche liegen?
Aufgabe der Unis ist es zu lehren, ganz klassisch. Das was gelehrt wird, muss aber nicht mit dem Inhalt von Klausuren oder Hausarbeiten übereinstimmen. Juristische Lehre kann auch mal links und rechts an den Examenspfaden vorbeigehen. Es ist ein Studium und keine Ausbildung. Ziel ist eine breite Wissensvermittlung und nicht nur der engstirnige Abschluss.
Du präsentierst ausnahmslos Leerformeln und Behauptungen.

Was heißt "lehren, ganz klassisch"? Weshalb sollte es das heißen? Was ist der Nutzen davon? "Das war schon immer so" ist kein Argument.

Deine Argumentation beschränkt sich auf eine Mischung von Tradition ("das war schon immer so" / "das ist so") und leeren Phrasen "breite Wissensvermittlung".

Dem stehen rationale, überprüfbare Argumente gegenüber:

- unsere gegenwärtige jur. Ausbildung verschwendet viel Geld
- sie verschwendet viel Lebenszeit
- sie ist nicht besser als in anderen Ländern
- dennoch erfolgt sie dort effizienter
Das habe ich nie behauptet.
Schade aber, dass du die zentrale Aussage ignorierst:
Nochmal: in anderen Ländern scheint es zu funktionieren, dass junge Menschen keine 5+ Jahre studieren und danach 20-30% durchfallen. Was machen wir falsch?
Ich kenne sie nicht. Aber nach deiner Aussage von oben müssen sie ja ihre Examen bestanden haben und daher grds. in der Lage dazu sein, mit Gesetzen umzugehen.
Das Wort "ordentlich" ist bekannt?
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Ara
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Ara »

Suchender_ hat geschrieben: - sie ist nicht besser als in anderen Ländern
Wie kommste eigentlich darauf? Das haste nun schon mehrfach behauptet, ohne dass es wirklich klar wird, wie du darauf kommst.

Wir sind eins der wenigen Länder mit Volljuristen die nach der Ausbilder sofort vollumfänglich einsetzbar sind als Anwälte, Staatsanwälte und sogar Richter.

In vielen Ländern hat man Solicitors und Barristers. Man traut den Absolventen also nicht einmal zu vor Gericht aufzutreten. In noch viel mehr Ländern sind die Juristen nach ihrer Ausbildung nicht in der Lage Staatsanwälte oder gar Richter zu werden.

Keiner der internationalen Juristen die ich kenne, haben auch nur im Ansatz eine solch umfassende (oder gar wissenschaftliche) Ausbildung wie wir genossen. Die meisten Juristen schreiben in ihrer gesamten Ausbildung z.B. kein Urteil oder eine Anklage. Erst recht sind sie nie so breit aufgestellt wie wir. Von Strafrecht oder öffentliches Recht haben die z.B. häufig schlicht gar keine Ahnung. Das wird auf die spätere Praxis ausgelagert.

Ich glaube du unterschätzt sehr die Einzigartigkeit des deutschen Volljuristen. Das erklärt übrigens auch, warum International deutsche Jurist doch sehr gerne genommen werden. Sie können sich in der Regel nämlich durch die breite Aufstellung auch schnell in fremde Rechtsordnungen einfinden. Man denke nur an die vielen deutsche Juristen mit Bar Examen. Im Gegenzug ist es eher schwer vorstellbar, dass hier ein australischer oder britischer Anwalt tätig wird. Gar nicht weil das Staatsexamen fehlt, sondern auch weil man ihn auch sonst im Background 0 einsetzen kann.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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JulezLaw
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von JulezLaw »

Wobei Prof Puhl hier ja ausdrücklich auf den Mannheimer Studiengang abstellt und eingeht. Auf die diesbezüglichen Besonderheiten hat julée ja schon hingewiesen. Allerdings würde ich Herrn Puhl insoweit etwas "widersprechen", als der Unternehmensjurist LLB zu einer erheblichen Mehrbelastung der Studenten sowohl im Vergleich zu normalen Bachelor- als auch Jurastudenten führt. Er verhindert eindeutig zumindest besser, dass zu viel vor sich hergeschoben wird. Aber es führt auch dazu, dass diejenigen, die merken, dass Jura nichts für sie ist, sich dennoch nach nur 4 Semestern durch eine knapp einjährige Examensvorbereitung sowie gleichzeitig den universitären Schwerpunkt kämpfen müssen. Das führt zu viel Frust und auch hohen Abbrecherquoten. Und teilweise stehen sie dann trotzdem da und bestehen das ZivR-Examen nicht und haben auch nichts von ihren vorherigen Noten, als sie nunmehr von sämtlichen juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen ausgeschlossen sind.
Diejenigen wiederum (zu denen ich mich zähle), die schnell merken, dass BWL sie einfach nur nervt, verlieren Zeit und auch die Möglichkeit, sich mit mE sehr wichtigen Grundlagenfächern auseinanderzusetzen.

Darüber hinaus gibt es den interessanten Trend in MA, dass die Straf- und ÖRecht-Examina häufig (teils deutlich) hinter den zivilrechtlichen hinterherhängen.

Ob das Mannheimer Modell - so innovativ es zur Einführung war und unabhängig von den jedenfalls nicht schadenden WiWi-Kenntnissen - wirklich eine Alternative zum normalen Staatsexamen ist, wage ich als Absolvent zu bezweifeln. Der Ruf ist hingegen mittlerweile sehr gut, es wird von Arbeitgebern sehr positiv aufgenommen.

Es führt aber auch dazu, dass mangels entsprechender Grundlagenfächer jedenfalls vielen Studenten ein gewisses Grundverständnis fehlt, wenn sie nach vier Semestern in die Examensvorbereitung einsteigen. Bis hinein ins zivilrechtliche Examen ist es für praktisch alle eine absolute Horrorvorstellung, dass eine ihnen unbekannte Norm oder gar ein unbekanntes Gesetz relevant wird. Das gehört eben zu den Dingen, die man eher im öffentlichen als im Zivilrecht lernt. Entsprechend können sie unbekannte Probleme durch die ihnen bekannten Normen oft gut lösen, da sie sehr fall- bzw. klausurorientiert lernen. Am abstrakten Verständnis fehlt es aber meistens, was den Umgang mit unbekannten Normen häufig sehr schwer für sie macht.

Ich halte daher nach mittlerweile sieben Jahren in Mannheim und zwischenzeitlich auch hinreichend Einblicken in das normale Jurastudium (von Dozentenseite) ein entsprechendes Systemverständnis und eine Grundlagenausbildung für unabdingbar, um ein guter Jurist zu werden. Eine bloß klausurenorientierte Ausbildung ist jedenfalls in unserem Rechtssystem - das sich, anders als die Briten, nun eben nicht auf bloßes Case Law verlässt - mE verfehlt. Man merkt den Studenten schlicht an, wenn es ihnen daran mangelt.
The way I see it, every life is a pile of good things and bad things. The good things don’t always soften the bad things, but vice versa, the bad things don’t always spoil the good things and make them unimportant.
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@Ara:

Dein Kommentar entspricht der gängigen Selbstbeweihräucherung unter deutschen Juristen, findet aber m.E. keinen Rückhalt in der Realität.

Es mag ja sein, dass unsere Ausbildung "breiter" ist als die anderer Länder. Nur: was macht das praktisch für einen Unterschied?

1. Du behauptest, deutsche Juristen würden international gerne genommen. Wie häufig passiert dies tatsächlich? Das Bar Exam lässt darüber keine Rückschlüsse zu. Es dient regelmäßig nur dazu, amerikanische Kollegen oder Mandanten in Deutschland (!) zu beeindrucken.

2. Die juristische Musik spielt allein in UK und den USA: dort werden die meisten, größten Deals abgewickelt und zwar nicht von deutschen Juristen. Anwendbar ist nicht deutsches, sondern englisches Recht. Wären die deutschen Juristen tatsächlich besser - bzw. käme es hierauf in der Praxis an -, dann würde auch auf ihre Expertise zurückgegriffen werden. Dies ist idR aber gerade nicht der Fall.

3. Die Bezahlung (jedenfalls) in den USA ist an den top law firms besser als in Deutschland.


Beherrscht wird der Markt von anglo-amerikanischen Juristen.
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Tibor
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Tibor »

Suchender_ hat geschrieben: Was heißt "lehren, ganz klassisch"? Weshalb sollte es das heißen? Was ist der Nutzen davon? "Das war schon immer so" ist kein Argument.
Deine Argumentation beschränkt sich auf eine Mischung von Tradition ("das war schon immer so" / "das ist so") und leeren Phrasen "breite Wissensvermittlung".
Dem stehen rationale, überprüfbare Argumente gegenüber:
- unsere gegenwärtige jur. Ausbildung verschwendet viel Geld
- sie verschwendet viel Lebenszeit
- sie ist nicht besser als in anderen Ländern
- dennoch erfolgt sie dort effizienter
Ganz einfach, das humboldtsche Bildungsideal und die Einheit von Forschung und Lehre an der Universität. Die Universität dient zuvörderst der Forschung in den jeweiligen Fachbereichen. Zugleich sollen aber die Professoren auch ihre Forschungsergebnisse weitergeben, eben lehren. Diese Lehrpflicht bezieht sich wegen der Freiheit der Forschung zunächst auf das Forschungsfeld. Die grds. Lehrfreiheit wird nun durch die Univerwaltung dahingehend eingeengt, dass die Professoren auch sog. Pflichtveranstaltungen halten müssen (Lehrverpflichtung). Diese bezieht sich aber immer nur auf ein Fach des Lehrstuhls, d.h. es wird eben eine Verpflichtung ausgesprochen "Sachenrecht" zu lehren. Es gibt aber keine Verpflichtung, Sachenrecht in Fallform zu lehren oder gar Sachenrecht dahingehend zu lehren, dass die Studenten danach "examensreif" sind. Für Juristen gibt es nun noch eine weitere Pflicht, nämlich in Schwerpunktbereichen universitäre Veranstaltungen und Prüfungen nach Landesausbildungsgesetz durchzuführen. Von dieser Lehrsituation der Universitäten abgetrennt gibt es nun Juristische Examina (Staatsteil), die nun Prüfungsmaterie umfassen, die möglicherweise (!) deckungsgleich mit Lehrverpflichtungen der Universitäten sind. Die Deckungsgleichheit wird aber nicht erreicht und ist auch nicht angestrebt, da diese die Freiheit der Lehre tangieren würde. Im Ergebnis ist es nun der Kompromiss, dass die Fakultäten parallel zur Lehre nun auch Fall-AG und Examensvorbereitung anbieten, weil dies zugleich die Freiheit der übrigen Lehre in der bestehenden Form sichert. Das kannst du so in jedem Hochschulgesetz der Länder nachlesen. Dort wirst du immer einen Abschnitt zur Forschung finden und daneben auch Abschnitte zur Lehre, mit mehr oder weniger Andeutung des Ziels der Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten.

Was dir i.E. für die Juristenausbildung vorschwebt ist m.E. die vollständige Aufgabe des humboldtschen Ideals: Die Studenten sollen in geordneten Stundenplänen bis zur Examensreife herangeführt werden. Das wäre dann das Modell, wie wir es aus den verschulten Referendars-AGs mit Anwesenheitspflichten und Pflichtklausurenkurs kennen. Das hat aber nichts mehr mit Universität zu tun, es wäre nur Art eine Berufsschule / Fachschule in falschem Gewand. Der Fokus würde allein auf Berufsausbildung gelegt und hätte nichts mehr mit dem klassischen Bild der Lehrfreiheit zu tun. Die Professoren wären Berufsschullehrer, die sich an Rahmen- und Lehrpläne halten müssten. Der Aspekt der Forschung, Weitergabe von Forschungsergebnissen und Heranführung von Studenten an Forschung würde völlig sinnentleert werden, denn über die Relevanz der Forschung würde dann die "Ausbildungsverwaltung" entscheiden, die die Rahmenlehrpläne erstellt; nach heutiger Struktur müssten also die JPA nach den JAO Lehrpläne erstellen und die Fakuläten müssten die Professoren zuteilen. Letztlich ist auch dein Effizienzgedanke falsch ausgerichtet, denn die Effizienz der Bildungseinrichtung Universität ist nicht daran zu messen, wieviele Absolventen in welcher Zeit welche Staatsexamina absolviert haben. Das Ziel der Universität ist es die Wissenschaft des Fachbereichs voranzubringen; objektive Indikatoren wären hier vielleicht "der Ausstoß" von Fachveröffentlichungen oder Konferenzen.
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Suchender_ hat geschrieben:2. Die juristische Musik spielt allein in UK und den USA: dort werden die meisten, größten Deals abgewickelt und zwar nicht von deutschen Juristen. Anwendbar ist nicht deutsches, sondern englisches Recht. Wären die deutschen Juristen tatsächlich besser - bzw. käme es hierauf in der Praxis an -, dann würde auch auf ihre Expertise zurückgegriffen werden. Dies ist idR aber gerade nicht der Fall.
Wie kommst du denn zu dieser Einschätzung? Abgesehen davon, dass die Behauptung, die "juristische Musik" spiele "allein in UK und den USA", wohl kaum haltbar ist, liegt die Dominanz der USA primär an deren wirtschaftlicher Stärke, und das UK wurde eben wegen desselben sprachlichen Hintergrundes und eines ähnlichen Rechtssystems bislang gerne als "Pforte in die EU" genutzt. Das wird nach dem Brexit wohl kaum so bleiben.

Ansonsten kann man die Ausbildung in Deutschland natürlich in dem Sinne als "besser" bezeichnen, dass sie viel umfassender ist als in nahezu allen anderen Ländern weltweit (weshalb sie auch entsprechend lange dauert), höhere Anforderungen gestellt werden und das wissenschaftliche Niveau in Deutschland mit am höchsten ist. Nicht umsonst wird auch das Recht der EU typischerweise in Deutschland am intensivsten aufgearbeitet (vergleich mal, was es da in Deutschland und im UK für Lehrbücher gibt...).
Zuletzt geändert von Honigkuchenpferd am Freitag 11. August 2017, 13:25, insgesamt 1-mal geändert.
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