Enscheidungsfindung, Krise

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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Levi
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Levi »

Tibor hat geschrieben:
Herr Schraeg hat geschrieben: Ich habe in der beruflichen Praxis permanent mit Konstellationen und Fragestellungen zu tun, die sich eben nicht mit den bekannten Fällen und Lösungstechniken bewältigen lassen. Vielmehr muss ich wissen und verstanden haben, warum die Norm so ist, wie sie ist, was die Bedeutung des ...srechts ist, was sich hinter "..." verbirgt, kurz: alles, was ich einmal in einem Lehrbuch gelesen oder in einer Vorlesung gehört habe. Für die (jedenfalls: meine) Praxis genügte das Lernen mit Klausuren nicht. ...
Dem kann ich nur zustimmen; denn egal ob man beratend oder forensisch tätig wird, der Standard-Lehrbuchfall kommt doch seltener vor. Entweder muss man beratend gerade die möglichen Fallstricke des Rechts erkennen, um diesen auszuweichen (bspw durch Vertragsgestaltungen) oder man beschäftigt sich Ex Post gerade mit den kaputten Fällen.
Auch von meiner Seite absolute Zustimmung.

Die Praxis - jedenfalls so wie ich sie kennengelernt habe - ist mit Klauren-Falllösungs-Techniken nicht zu bewältigen, sondern nur mit Systemverständnis.
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

thh hat geschrieben:
Suchender_ hat geschrieben:Dort wird nämlich in erster Linie (Vorlesungen) das Wissen in völlig unnötig komplizierter und sperriger Art und Weise abstrakt präsentiert. Die Klausurpraxis wird demgegenüber als ein bloßer Zusatz, ein "Nice to have", ein schnödes Handwerk behandelt.

Dabei müsste es genau umgekehrt sein: die Fallpraxis und die Verständlichkeit müssten im Vordergrund und Mittelpunkt stehen.

Deshalb sollte etwa die Baurechts-Vorlesung nicht mit einem Sermon über die Geschichte und Bedeutung des Planungsrechts beginnen, sondern die typischen Klausurkonstellationen ("weshalb machen wir das Ganze überhaupt") in verständlicher Sprache darstellen.
Im Verwaltungsrecht AT ist eine ausführliche Diskussion der Bedeutung des Begriffs "Verwaltung" komplett überflüssig. Stattdessen sollte anschaulich anhand von Fällen erörtert werden, wann das "VerwR AT" denn konkret eine Rolle spielt.
Wenn Vorlesungen der (stromlinienförmigen) Examensvorbereitung dienen würden, wäre das sicherlich richtig. Ein akademisches Studium aber soll der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Stoff dienen. Das ist etwas anders als bloße Prüfungsvorbereitung; dafür muss es dann eigene Veranstaltungen geben (und die gibt es ja auch, ob besser, schlechter oder gleich gut als/wie ein kommerzieller Repetitor sei dahingestellt).

Ob es sinnvoll ist, Juristen (oder Mediziner, oder Ingenieure, oder ...) akademisch auszubilden statt sie auf eine "Juristenschule" zu schicken, kann man sicherlich hinterfragen; das kann man aber nun nicht dem Studium vorwerfen.
1. Die Bezeichnung als (akademisches) Studium bedeutet keinesfalls, dass überkommene Vorstellungen über ein bestimmtes Maß an "Wissenschaftlichkeit" zwingend beibehalten werden müssen. Vielmehr sind diese tradierten Ansichten im Lichte der Interessen der Betroffenen auf ihre Sinnhaftigkeit zu untersuchen.

2. Ziel der allermeisten Studenten ist es, eine berufsqualifizierende Ausbildung zu erhalten. Dies entspricht zugleich der Vorstellung des Gesetzgebers: angestrebt wird die "Befähigung zum Richteramt".

3. Diese Ziele werden in erheblichem Maße verfehlt: ca. 50 % der Studenten bestehen das erste Examen überhaupt nicht oder erzielen nur ein "ausreichend". Als Begründung mag man zynisch auf das fehlende Talent der Betroffenen verweisen. Doch auch die suboptimale Ausbildung trägt eine Mitschuld.

Weshalb also an einem verfehlten Vorlesungskonzept festhalten? Aus bloßer Tradition? Aus Selbstgerechtigkeit ob der eigenen Wissenschaftlichkeit? Um den Professoren zu schmeicheln? Den eigenen Elfenbeinturm besser abzuschotten?

Du sagst: Vorlesungen hätten nicht den Zweck, auf das Examen vorzubereiten. Angesichts der oben genannten Fakten: welchen Zweck haben sie denn sonst? Den Studenten die Lebensgeschichte Savignys oder den Verwaltungsbegriff näherzubringen, damit sie trotz ihrer 4,5 Punkte im Examen hoffentlich ihre Bekannten beeindrucken können?
Brainiac
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Brainiac »

Ich habe unter "Lernen mit Fällen/Klausuren" so etwas wie die Arbeit mit "Musterlösungen", bspw. aus Fallbüchern, verstanden. Dort wird ja auch das Wissen, das man braucht - fallbezogen - dargestellt. Das hatte bei mir den - wie ich finde positiven - Effekt, dass man gewzungen war, die Abstaktion selbst vorzunehmen. Dies hat, zumindest meinem Gefühl nach, für eine Verbesserung der Memorabilität gesorgt.

Wenn es tatsächlich nur um das Schreiben von Klausuren und eine damit (ohne anderweitig erworbenes Basiswissen) verbundene Autodidaktik geht, wird wohl niemand sagen können, dass dies an tauglicher Weg ist.

Das Gros der Examenskandidaten dürfte mit einer Mischung aus abstraktem Wissen (Lehrbuch/Skript/Fallbuch) und Anwendung (Klausuren schreiben/-skizzieren) am besten fahren, wobei jeder die relative Verteilung (so wie das absolute Pensum) für sich entscheiden muss.
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thh
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von thh »

Suchender hat geschrieben:1. Die Bezeichnung als (akademisches) Studium bedeutet keinesfalls, dass überkommene Vorstellungen über ein bestimmtes Maß an "Wissenschaftlichkeit" zwingend beibehalten werden müssen. Vielmehr sind diese tradierten Ansichten im Lichte der Interessen der Betroffenen auf ihre Sinnhaftigkeit zu untersuchen.

2. Ziel der allermeisten Studenten ist es, eine berufsqualifizierende Ausbildung zu erhalten. Dies entspricht zugleich der Vorstellung des Gesetzgebers: angestrebt wird die "Befähigung zum Richteramt".
Ein universitäres Studium ist aber nun einmal keine Ausbildung. (Und das ist m.E. auch ganz gut so.)
Suchender hat geschrieben:3. Diese Ziele werden in erheblichem Maße verfehlt: ca. 50 % der Studenten bestehen das erste Examen überhaupt nicht oder erzielen nur ein "ausreichend". Als Begründung mag man zynisch auf das fehlende Talent der Betroffenen verweisen.
Ob das zynisch ist, sei dahingestellt; nicht selten mangelt es tatsächlich an Talent, oder Fleiß, oder - zunehmend - überhaupt an der Studierfähigkeit, die das Abitur nun schon länger nicht mehr belegt.
Suchender hat geschrieben:Doch auch die suboptimale Ausbildung trägt eine Mitschuld.
Daran habe ich Zweifel. Niemand muss Vorlesungen besuchen, wenn sie ihm nichts bringen. Dann kann er eigenständig lernen - studieren eben.
Suchender hat geschrieben:Weshalb also an einem verfehlten Vorlesungskonzept festhalten? Aus bloßer Tradition? Aus Selbstgerechtigkeit ob der eigenen Wissenschaftlichkeit? Um den Professoren zu schmeicheln? Den eigenen Elfenbeinturm besser abzuschotten?
Weil das Studium sowohl auf das Examen vorbereiten als auch eine wissenschaftliche Durchdringung des Stoffes vermitteln soll; immerhin sollen aus ihm nicht nur Praktiker, sondern auch Rechtswissenschaftler erwachsen. Weil die weitaus meisten Professoren ihre Vorlesungen nicht danach ausrichten, wie sie besonders langweiligen Stoff vermitteln können, sondern danach, was ihnen wichtig erscheint (und es auch durchaus ist).

Vorlesungen sind keine Prüfungsvorbereitung; dafür gibt es Tutorien, Übungen und mittlerweile wohl auch (fast) überall ein Examensvorbereitungsprogramm.

Wer sich nicht für Rechtswissenschaft interessiert, sondern ausschließlich für eine möglichst gute Examensnote mit möglichst geringem Aufwand, ist in Vorlesungen verkehrt. Das ist aber kein Fehler der Vorlesungen, denn das Jurastudium soll eben nicht nur Rechtspraktiker produzieren, die gute Klausuren schreiben.
Suchender hat geschrieben:Du sagst: Vorlesungen hätten nicht den Zweck, auf das Examen vorzubereiten. Angesichts der oben genannten Fakten: welchen Zweck haben sie denn sonst? Den Studenten die Lebensgeschichte Savignys oder den Verwaltungsbegriff näherzubringen, damit sie trotz ihrer 4,5 Punkte im Examen hoffentlich ihre Bekannten beeindrucken können?
Zielgruppe von Vorlesungen dürften tatsächlich nicht die Studenten sein, die im Examen ums Bestehen kämpfen.
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

thh hat geschrieben: Ein universitäres Studium ist aber nun einmal keine Ausbildung. (Und das ist m.E. auch ganz gut so.)
Was soll das genau bedeuten? Das ist eine bloße Behauptung, die auf gewachsenen Vorstellungen beruht, sich aber nicht rational begründen lässt.
Ob das zynisch ist, sei dahingestellt; nicht selten mangelt es tatsächlich an Talent, oder Fleiß, oder - zunehmend - überhaupt an der Studierfähigkeit, die das Abitur nun schon länger nicht mehr belegt.

Daran habe ich Zweifel. Niemand muss Vorlesungen besuchen, wenn sie ihm nichts bringen. Dann kann er eigenständig lernen - studieren eben.
Nur weil kein Zwang besteht, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten, heißt dies noch lange nicht, dass Kritik verboten ist. Der ÖPNV ist schlecht? Beschwer dich nicht, fahre eben mit dem Rad oder Auto!

Weil das Studium sowohl auf das Examen vorbereiten als auch eine wissenschaftliche Durchdringung des Stoffes vermitteln soll; immerhin sollen aus ihm nicht nur Praktiker, sondern auch Rechtswissenschaftler erwachsen.
Sagt wer? Und vor allem: weshalb? Mit welcher Begründung? Die Betonung der "Wissenschaftlichkeit" als Ziel ist eine bloße Leerformel. Wo ist der Nutzen?
Weil die weitaus meisten Professoren ihre Vorlesungen nicht danach ausrichten, wie sie besonders langweiligen Stoff vermitteln können, sondern danach, was ihnen wichtig erscheint (und es auch durchaus ist).
Was ist denn "wichtig", wenn nicht die Vorbereitung auf die Prüfung, die über die gesamte berufliche Zukunft entscheidet?
Vorlesungen sind keine Prüfungsvorbereitung; dafür gibt es Tutorien, Übungen und mittlerweile wohl auch (fast) überall ein Examensvorbereitungsprogramm.
Wiederum: sagt wer? Weshalb sollte dies so sein? Der Status quo ist kein Argument.
Wer sich nicht für Rechtswissenschaft interessiert, sondern ausschließlich für eine möglichst gute Examensnote mit möglichst geringem Aufwand, ist in Vorlesungen verkehrt. Das ist aber kein Fehler der Vorlesungen, denn das Jurastudium soll eben nicht nur Rechtspraktiker produzieren, die gute Klausuren schreiben.
Und erneut: das ist eine bloße Behauptung bzw. Wunschvorstellung. Weshalb "soll" das Jurastudium dies?

Behauptungen können eine Begründung nicht ersetzen. Es gibt gute Argumente dafür, die gegenwärtige Lage anzupassen:

- die meisten Studenten wollen jedenfalls in erster Linie ordentlich Examina schreiben
- dieses Ziel wird vielfach verfehlt
- die Universität ist die einzige "offizielle" Vorbereitung auf diese Examina (zumal gewisse Scheine für die Anmeldung vorgelegt werden)
- die Uni wird vom Staat finanziert
- Ziel ist es, die Befähigung zu praktischen Berufen zu erlangen

Weshalb also sollten tausende junge Leute Zeit und der Staat viel Geld investieren, um "wissenschaftliche" Vorlesungen zu finanzieren, die keinen Zweck erfüllen (Leerformeln und Behauptungen genügen nicht)?
Zielgruppe von Vorlesungen dürften tatsächlich nicht die Studenten sein, die im Examen ums Bestehen kämpfen.
Wer ist denn dann die Zielgruppe? Die 0,01 %, die es wollen und auch schaffen, Prof. zu werden?
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@Suchender
Was hältst Du denn vom Bologna-System?
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance ... 32084.html
julée
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von julée »

Candor hat geschrieben:@Suchender
Was hältst Du denn vom Bologna-System?
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance ... 32084.html
Der Unternehmensjurist in Mannheim hat wenig bis nichts mit dem Bologna-System zu tun, außer dass die Studenten zwischendurch einen Bachelorabschluss erwerben und ggf. nach dem 6. Semester den "Absprung" schaffen können, wenn sie sich nicht sicher sind, ob sie das 1. Staatsexamen bestehen werden.
Suchender_ hat geschrieben:
Weil das Studium sowohl auf das Examen vorbereiten als auch eine wissenschaftliche Durchdringung des Stoffes vermitteln soll; immerhin sollen aus ihm nicht nur Praktiker, sondern auch Rechtswissenschaftler erwachsen.
Sagt wer? Und vor allem: weshalb? Mit welcher Begründung? Die Betonung der "Wissenschaftlichkeit" als Ziel ist eine bloße Leerformel. Wo ist der Nutzen?
Der Nutzen liegt darin, dass man am Ende Praktiker hat, die mit wissenschaftlichen Methoden praktische Probleme lösen können. Der pure Subsumtionsautomat stößt schnell an seine Grenzen. Das merkt man übrigens, wenn man mit Berufsgruppen zu tun hat, die sehr verschult nur die von ihnen konkret benötigten Rechtsgebiete vermittelt bekommen haben.
Weil die weitaus meisten Professoren ihre Vorlesungen nicht danach ausrichten, wie sie besonders langweiligen Stoff vermitteln können, sondern danach, was ihnen wichtig erscheint (und es auch durchaus ist).
Was ist denn "wichtig", wenn nicht die Vorbereitung auf die Prüfung, die über die gesamte berufliche Zukunft entscheidet?
Die Vorbereitung auf die berufliche Zukunft als solche.
Wer sich nicht für Rechtswissenschaft interessiert, sondern ausschließlich für eine möglichst gute Examensnote mit möglichst geringem Aufwand, ist in Vorlesungen verkehrt. Das ist aber kein Fehler der Vorlesungen, denn das Jurastudium soll eben nicht nur Rechtspraktiker produzieren, die gute Klausuren schreiben.
Und erneut: das ist eine bloße Behauptung bzw. Wunschvorstellung. Weshalb "soll" das Jurastudium dies?
Weil das Leben schlichtweg nicht nur aus Examensklausuren besteht. Gefragt ist die selbstständige, kreative Anwendung von juristischen Wissen, was in ganz erheblichem Umfang auch theoretisches, systematisches Wissen erfordert.

Behauptungen können eine Begründung nicht ersetzen. Es gibt gute Argumente dafür, die gegenwärtige Lage anzupassen:

- die meisten Studenten wollen jedenfalls in erster Linie ordentlich Examina schreiben
- dieses Ziel wird vielfach verfehlt
- die Universität ist die einzige "offizielle" Vorbereitung auf diese Examina (zumal gewisse Scheine für die Anmeldung vorgelegt werden)
- die Uni wird vom Staat finanziert
- Ziel ist es, die Befähigung zu praktischen Berufen zu erlangen

Weshalb also sollten tausende junge Leute Zeit und der Staat viel Geld investieren, um "wissenschaftliche" Vorlesungen zu finanzieren, die keinen Zweck erfüllen (Leerformeln und Behauptungen genügen nicht)?
Nachdem Du den Status Quo angreifst, trägst Du die Begründungslast. Und Deine Argumente sind ihrerseits schlichtweg pure Behauptungen und / oder Allgemeinplätze. Und die "Befähigung zum Richteramt", die am Ende der gesamten juristischen Ausbildung steht, ist das Ergebnis der juristischen Ausbildung, aber kein Selbstzweck.
"Auch eine stehengebliebene Uhr kann noch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigen; es kommt nur darauf an, daß man im richtigen Augenblick hinschaut." (Alfred Polgar)
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

julée hat geschrieben: Der Nutzen liegt darin, dass man am Ende Praktiker hat, die mit wissenschaftlichen Methoden praktische Probleme lösen können. Der pure Subsumtionsautomat stößt schnell an seine Grenzen. Das merkt man übrigens, wenn man mit Berufsgruppen zu tun hat, die sehr verschult nur die von ihnen konkret benötigten Rechtsgebiete vermittelt bekommen haben.
Ich wage zu behaupten, wer zwei Examina mit ordentlichen Noten bewältigt, der kann im Regelfall auch und gerade unbekannte Probleme einer Lösung zuführen. Wäre dies nicht so, dann müsste das Examen als solches grundlegend hinterfragt werden.
Die Vorbereitung auf die berufliche Zukunft als solche.
Nun mag ich noch nicht dauerhaft im Berufsleben stehen, aber im Rahmen meiner bisherigen Einblicke in die Berufswelt ging es etwa in (Groß-)Kanzleien häufig darum, unbekannte Probleme analytisch zu erschließen, anhand der vorhandenen Literatur einer passablen Lösung, bestenfalls in einem gefälligen Stil zuzuführen. Inwiefern mir Vorlesungen oder die gründliche Lektüre eines Groß-Lehrbuchs dabei geholfen hätte, ist mir nicht klar.

Der bloße Verweis auf mysteriöse "Grundkenntnisse" oder "Systemverständnis" (die bei jedem Juristen mit Prädikat+ hoffentlich ohnehin vorhanden sind; andernfalls gilt das oben Gesagte zur Sinnhaftigkeit der Examina) ersetzt eine Begründung übrigens nicht.

Im Übrigen haben ca. 20-30 % aller Jura-Studenten als Durchfaller überhaupt keine (juristische) berufliche Zukunft.
Weil das Leben schlichtweg nicht nur aus Examensklausuren besteht. Gefragt ist die selbstständige, kreative Anwendung von juristischen Wissen, was in ganz erheblichem Umfang auch theoretisches, systematisches Wissen erfordert.
Wenn die Examina nicht geeignet sind, die für das Berufsleben erforderlichen Fähigkeiten jedenfalls in Grundzügen abzuprüfen, dann liegt dort das zentrale Problem.

Nachdem Du den Status Quo angreifst, trägst Du die Begründungslast. Und Deine Argumente sind ihrerseits schlichtweg pure Behauptungen und / oder Allgemeinplätze. Und die "Befähigung zum Richteramt", die am Ende der gesamten juristischen Ausbildung steht, ist das Ergebnis der juristischen Ausbildung, aber kein Selbstzweck.
Ich habe viele Gründe genannt. Adressiert hast du keinen davon.
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von dlutsche »

Ich möchte mich bei allen für die vielen und teilweise auch mutmachenden Worte bedanken. Es tut wirklich sehr gut, etwas Anerkennung für das Geleistete zu erhalten, obschon das nicht meine Motivation für das Studium war.

In Zusammenhang auf die Art & Weise zu lernen: Die Lernmodalität stand für mich nie zu Debatte. Aber wen es interessiert: Ich benutz(t)e Lehrbücher und fallbezogenere Skripten, arbeite diese durch und erstelle mir immer ein deutlich gekürztest Exzerpt davon. Im Anschluss an diese zugegebenermaßen zeitraubende und mühsame Arbeitsmethode werden Wiederholung und Klausurtraining parallel laufen. Für diesen Abschnitt werden mir ca. 13 Monate bleiben, sodass ich denke, dass das Klausurenschreiben in jedem Fall nicht zu kurz kommen wird.

Ich hoffe, dass dadurch sehr, sehr viele Sachen einfach ins Langszeitgedächtnis kommen. Sachen zB aus dem BGB AT, dessen Wiederholung bestimmt mittlerweile wieder 6-7 Monate her ist, habe ich durch die Wiederholung über Jahre einfach derart im Langzeitgedächtnis, dass ich sie - weil inhaltlich durchdrungen - immer runterbeten kann. Es wär raketenscharf, dieses Niveau zumindest in den Hauptgebieten (erste 3 Bücher BGB, Strafrecht, GRundrechte, Staatsorga & VerwAT) zu erreichen!


Dass es für mich unerlässlich ist, Klausuren zu schreiben oder jedenfalls Fälle zu lösen, habe ich früh festgestellt. Doch könnte ich das Klausurenschreiben nie als ausschließliche Lernmethode für mich wählen... Da scheiden sich aber wohl die Geister, was auch gut so ist. Viele Wege führen nach Rom und am Wichtigsten ist doch das Ziel: Stoff verstehen und anwenden können.
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Solar
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Solar »

Suchender_ hat geschrieben:3. Diese Ziele werden in erheblichem Maße verfehlt: ca. 50 % der Studenten bestehen das erste Examen überhaupt nicht oder erzielen nur ein "ausreichend". Als Begründung mag man zynisch auf das fehlende Talent der Betroffenen verweisen. Doch auch die suboptimale Ausbildung trägt eine Mitschuld.
Du missverstehst den Sinn des Studiums jedenfalls dahingehend, dass es nicht dafür dient oder darauf ausgerichtet sein muss, möglichst viele Studenten bestehen zu lassen oder über das "Ausreichend" hinaus zu bringen. Dass die Durchfallquote so hoch ist liegt, wie Fischer m.E. zu Recht sagt, nicht am Studium, sondern schlicht am fehlenden Talent der Kandidaten. Mit Zynismus hat das nichts zu tun. Jura ist und bleibt ein Fach, das jeder mit durchschnittlicher Abiturienten-Intelligenz, ein wenig Disziplin und Talent ohne Weiteres mit einem ansehnlichen Befriedigend abschließen kann. Mit etwas mehr Fleiß oder Intelligenz ist auch mehr drin. Wer das nicht schafft, ist entweder schlicht kein guter Jurist und wird das auch mit der besten Ausbildung der Welt nicht werden oder faul, wofür das Studium keine Verantwortung trägt. Einzelfallausnahmen gibt es - wie immer - aber die dürften verschwindend gering sein.

Kritik in diesem Zusammenhang (zu viele schlechte Absolventen) muss sich auf den Auswahlprozess beschränken bzw. auf sinnreiche Frühwarnsysteme und fehlende Selbstreflektion bei Studenten, um das jahrelange Studium ohne erfolgreichen Abschluss zu vermeiden - denn an vielen Nicht-Bestehern können - insofern ist dir zuzustimmen - weder Staat noch Studentenschaft Interesse haben.

Lösung könnte ein sinnvoller Auswahlprozess sein (nur: wie sieht der aus? NC ist jedenfalls nicht der richtige Weg.). Auch an strenge Zwischenprüfungen kann man denken. Letztere bergen jedoch das Problem, dass sich in Jura eben überhaupt erst nach einer gewissen Zeit zeigen kann, wer tatsächlich gut ist und wer nicht, nämlich, wenn der Gesamtzusammenhang des Rechtssystems verstanden wird. Dieses Verständnis stellt sich i.d.R. frühestens nach 5-6 Semestern ein. Bis dahin besitzt man lediglich Inselwissen. Ein Gradmesser ist vielleicht tatsächlich, als wie "furchtbar" man das Studium empfindet oder wie interessant Jura. Ich kenne wenige VB-Kandidaten (und keine 2-stelligen), die unter dem Studium wirklich gelitten haben. Den meisten dieser mir bekannten Kommilitonen fiel das alles relativ leicht mit moderatem Lernaufwand. Auch hier gab es natürlich besonders ehrgeizige, die es sich hart gegeben haben - dann aber auch im gut oder besser landeten. Insgesamt beschränkt sich das verbreitete Jammern über das "harte und schreckliche" Studium im Wesentlichen auf Kandidaten <7,5 Punkten.

Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass es schlicht wahnsinnig viele Studenten gibt, die das falsche Fach gewählt haben und denen die Selbstreflektion fehlt, sich dies einzugestehen und sich frühzeitig umzuorientieren. Sie sind deshalb nicht weniger intelligent, ihre Begabungen sind lediglich anders gelagert. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit meine ich nicht, dass jemand mit 7 Punkten zwingend fehl am Platze wäre aber wenn man alle unter dem Studium leidenden Studenten nach vier Semestern aussortieren würde, läge der Schnitt mit Sicherheit deutlich höher und die Durchfallquote läge im einstelligen Prozentbereich.

Wie Candor schon angedeutet hat: Wer das Studium furchtbar findet und nur als Mittel zum Erreichen des Abschlusses mit möglichst wenig Aufwand und guten Noten sieht und glaubt, beruflich "reiche das", was man sich mit Examenstraining anlernt, kann und sollte auf das Bachelor-Studium umschwenken. Dort bleibt niemand auf der Strecke und in der Praxis besteht hoher Bedarf an Juristen, die gerne ein bisschen was mit Jura machen aber keine Lust auf die ganze Rechtstheorie und Systematik haben. Viele dieser Stellen werden im Moment mit "Ausreichend"-Kandidaten aus dem Staatsexamen besetzt. Für diese war das Studium eine Qual, man hätte ihnen und dem Staat also viel Leid und Geld gespart, wenn sie von vornherein den Bachelor-Studiengang gewählt hätten. Wer aber ein guter Anwalt/Richter/Staatsanwalt/Regierungsrat/Rechtswissenschaftler werden möchte, sollte mehr als das können und kennen. Wieso? Weil es ihr/ihm hilft, rasch unbekannte Gesetze und Normen zu verstehen und korrekt einzuordnen sowie auszulegen und weil diese Kenntnis davon zeugt, dass sie/er eine gewisse Freude an Jura hta.

Dass das Examen hier Defizite hat, liegt in der Natur der Sache: Man kann dieses Verständnis nicht anders abprüfen als durch möglichst unbekannte Probleme in Fall-Form. Suboptimal sind daher Klausuren, die gerade Bekanntes abprüfen, wobei hier bekanntlich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen. Dennoch dürfte sich dieses Problem eher darin äußern, dass sich zu viele Kandidaten mit auswendig gelerntem Wissen/Schemata durchmogeln, als dass eigentlich gute Kandidaten schlecht abschneiden.
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Tibor
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Tibor »

Eine erheblich über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Zusammenfassung.
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von dlutsche »

Tibor hat geschrieben:Eine erheblich über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Zusammenfassung.
+1
Gelöschter Nutzer

Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

ergibt +2
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Ara
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Ara »

Candor hat geschrieben:ergibt +2
Nein. Ergibt "eine besonders hervorragende Zusammenfassung", je nachdem wie nah die Zusammenfassung am Notensprung war!
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Enscheidungsfindung, Krise

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Solar hat geschrieben:Du missverstehst den Sinn des Studiums jedenfalls dahingehend, dass es nicht dafür dient oder darauf ausgerichtet sein muss, möglichst viele Studenten bestehen zu lassen oder über das "Ausreichend" hinaus zu bringen.
Sicherlich nicht, andernfalls müsste man nur jedem Studenten 18 Punkte geben. Ich habe aber auch nie behauptet, dass es darum geht, möglichst vielen eine bestimmte Note um jeden Preis zu ermöglichen. Vielmehr sollte es darum gehen, möglichst viele qualifizierte (!) Absolventen zu erreichen (aus dem Kreis der fertig Studierten). Das ist angesichts der andernfalls verschwendeten Gelder schon volkswirtschaftlich geboten.
Dass die Durchfallquote so hoch ist liegt, wie Fischer m.E. zu Recht sagt, nicht am Studium, sondern schlicht am fehlenden Talent der Kandidaten. Mit Zynismus hat das nichts zu tun. Jura ist und bleibt ein Fach, das jeder mit durchschnittlicher Abiturienten-Intelligenz, ein wenig Disziplin und Talent ohne Weiteres mit einem ansehnlichen Befriedigend abschließen kann. Mit etwas mehr Fleiß oder Intelligenz ist auch mehr drin. Wer das nicht schafft, ist entweder schlicht kein guter Jurist und wird das auch mit der besten Ausbildung der Welt nicht werden oder faul, wofür das Studium keine Verantwortung trägt. Einzelfallausnahmen gibt es - wie immer - aber die dürften verschwindend gering sein.
Das ist äußerst fraglich, denn meines Wissens gibt es in anderen Ländern wie etwa Großbritannien nicht annähernd dieselben Durchfallquoten im juristischen Bereich. Und dennoch sind ihre Juristen nicht schlechter, sondern weltweit begehrter als die unseren. Sind die Briten schlauer? Fleißiger?
Das ist für mich ein deutliches Zeichen, dass es schlicht wahnsinnig viele Studenten gibt, die das falsche Fach gewählt haben und denen die Selbstreflektion fehlt, sich dies einzugestehen und sich frühzeitig umzuorientieren. Sie sind deshalb nicht weniger intelligent, ihre Begabungen sind lediglich anders gelagert. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit meine ich nicht, dass jemand mit 7 Punkten zwingend fehl am Platze wäre aber wenn man alle unter dem Studium leidenden Studenten nach vier Semestern aussortieren würde, läge der Schnitt mit Sicherheit deutlich höher und die Durchfallquote läge im einstelligen Prozentbereich.
Ich stimme zu, dass ein besseres "Aussieben" gut wäre. Dennoch sind die katastrophalen Durchfallquoten nicht nur darauf zurückzuführen, sondern auch auf eine schlechte Vorbereitung der Uni auf die Prüfung. Nochmal: in Großbritannien ist das etwa nicht so. Dort können es sich die (privaten!) Unis nämlich nicht leisten, ihre Studenten schlecht auf die Prüfungen vorzubereiten.

Wer aber ein guter Anwalt/Richter/Staatsanwalt/Regierungsrat/Rechtswissenschaftler werden möchte, sollte mehr als das können und kennen. Wieso? Weil es ihr/ihm hilft, rasch unbekannte Gesetze und Normen zu verstehen und korrekt einzuordnen sowie auszulegen und weil diese Kenntnis davon zeugt, dass sie/er eine gewisse Freude an Jura hta.
Das ist schlicht falsch. Wer ein ordentliches Examen erreicht, der kann selbstverständlich "rasch unbekannte Gesetze und Normen verstehen und korrekt einordnen sowie auslegen". Eine obskure, sperrige Vorlesung im Hauptstudium hilft hierbei indes nicht im Geringsten.
Dass das Examen hier Defizite hat, liegt in der Natur der Sache: Man kann dieses Verständnis nicht anders abprüfen als durch möglichst unbekannte Probleme in Fall-Form. Suboptimal sind daher Klausuren, die gerade Bekanntes abprüfen, wobei hier bekanntlich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern bestehen. Dennoch dürfte sich dieses Problem eher darin äußern, dass sich zu viele Kandidaten mit auswendig gelerntem Wissen/Schemata durchmogeln, als dass eigentlich gute Kandidaten schlecht abschneiden.
Ich weiß nicht, wo du Examen gemacht hast, aber in Süddeutschland gibt es kaum Klausuren, in denen schwerpunktmäßig Bekanntes abgeprüft wird.
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