Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

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Aufsichtsbehörde
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Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Aufsichtsbehörde »

Hallo ihr Lieben,

Ich bin gerade noch im Schwerpunkt, aber die Intensive Examensvorbereitung rückt jetzt immer näher. Ich möchte lernen so effizient wie möglich in einer Klausur mit dem Gesetzestext zu arbeiten. Die Gesetzestexte sind ja letztendlich das einzige Hilfsmittel, dass im ersten Stex zugelassen ist.
Ich habe in den letzten paar Wochen gemerkt, dass es echt hilfreich sein, kann, wenn man ein ganzes Gesetz von vorne bis hinten einmal durchliest (in meinem Fall die LBO, Gemo, LVG) Ist es realistisch, das mit allen examensrelevanten Gesetzestexten zu machen?
Verweise habe ich auch nochmal nachgelesen und meinen Gesetzestext auch kommentiert. Wenn etwas unklar war und mir einigermaßen relevant erschien, hab ich es nochmal durchgearbeitet, bzw. auf die Lernliste gesetzt.

Ich kann gerade noch nicht beurteilen, in wie weit mich das weiter bringt, da seit dem noch keine richtigen Klausuren geschrieben habe. Subjektiv habe ich zumindest das Gefühl, dass ich Zusammenhänge jetzt besser verstehe. Ich habe nur die Befürchtung, dass es zu viel Zeit Frist und ich mich etwas verlaufe.

Habt ihr Erfahrungen damit?
Oder habt ihr andere Techniken, mit denen man sich besser in den Gesetzestexten orientieren kann?
Habt ihr bestimmte Lesetechniken entwickelt?
Honigkuchenpferd
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Aufsichtsbehörde hat geschrieben:Ich habe in den letzten paar Wochen gemerkt, dass es echt hilfreich sein, kann, wenn man ein ganzes Gesetz von vorne bis hinten einmal durchliest (in meinem Fall die LBO, Gemo, LVG) Ist es realistisch, das mit allen examensrelevanten Gesetzestexten zu machen?
Nein. Du kannst das ja mal mit dem BauGB versuchen und wirst, denke ich, schon recht bald genug haben.

So wichtig es auch ist, mit dem Gesetz zu arbeiten, ist diese Herangehensweise übrigens auch evident nicht sinnvoll, weil es zahlreiche Gesetze gibt, aus denen man nur einzelne Normen braucht. Diese Normen sollte man dann aber wirklich häufig gelesen haben.

Mein Tipp für die Examensvorbereitung ist ansonsten ganz simpel: Wenn du Lehrbücher und Skripten liest, dann lies möglichst immer nebenher auch die Normen nach, auf die verwiesen wird. Das verschlingt eine ganze Menge Zeit und führt gerade am Anfang dazu, dass man teilweise Stunden braucht, um ein paar Seiten Lehrbuch/Skript zu bewältigen, aber es lohnt sich!
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Justitian
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Justitian »

Das BGB hat etwas unter 500 Seiten, Du kannst es ja mal vor dem Schlafengehen einfach lesen und schauen, ob Dich das weiterbringt.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
sai
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von sai »

Ich sehe das ganz anders als meine Vorredner.

Habe vor beiden Examen die relevantesten Gesetze bis auf den ganz abseitigen Kram mehrfach gelesen. Nichts hat mir mehr gebracht als das.
Honigkuchenpferd
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Und wahrscheinlich machte der "ganz abseitige Kram" dann schlicht den allergrößten Teil aus.

Was hast du denn z.B. effektiv aus BGB, ZPO, StGB, StPO, VwVfG, VwGO, BauGB usw. gelesen?
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sai
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von sai »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Und wahrscheinlich machte der "ganz abseitige Kram" dann schlicht den allergrößten Teil aus.

Was hast du denn z.B. effektiv aus BGB, ZPO, StGB, StPO, VwVfG, VwGO, BauGB usw. gelesen?
Nö, macht er gerade nicht.

BGB: AT komplett, Schuldrecht komplett, Sachenrecht komplett, Familien- und Erbrecht in Teilen
ZPO: Verfahren erster Instanz komplett, Rechtsmittelrecht in Teilen, Vollstreckung komplett
StGB: komplett
StPO: im Prinzip komplett
VwVfG: komplett
VwGO: komplett

Mach das mal und du wirst sehen, dass 90% eines Lehrbuchs nichts anderes sind als das Aneinanderreihen und ggf. etwas Umformulieren von Vorschriften.

Und um mal zwei praktische Beispiele zu geben, was es bringt: in meinem Vortrag im 1. Examen (Zivilrecht) war der Knackpunkt des Falles § 851 BGB. Kennt kein Mensch. Kannte auch im Vortrag niemand außer mir. Ich kannte ihn auch nur deshalb, weil ich die Vorschriften des Deliktsrechts mehrfach gelesen und im Hinterkopf hatte "da war doch irgendwas...". Ich hab 15 Punkte bekommen, der nächstbeste 7. Gleiches Spiel im Vortrag im 2. Examen zum Waffenrecht mit § 45 Abs. 5 Satz 1 WaffG. 14 Punkte und die Nächste mit sechs.
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ich habe ja selbst große Teile dieser Gesetze gelesen und viele, wirklich sehr viele Lehrbücher.

Gerade deshalb denke ich, dass du dir selbst mindestens teilweise in die Tasche lügst: Vom BGB ist mindestens die Hälfte, nämlich nahezu das ganze Familien- und Erbrecht, überhaupt nicht relevant; man denke nur an die zig Paragraphen zur Vormundschaft.

Beim VwVfG braucht man im regulären Studium jedenfalls das gesamte förmliche Verfahren nicht. Die StPO ist zumindest für das 1. Examen ebenfalls der absolute Overkill. Allein die ganzen Überwachungsmaßnahmen mit ihren Detailregelungen.

Wenn du das wirklich gelesen hast, erst recht bereits für 1. Examen: Alle Achtung, aber das ist wohl kaum etwas, was man so ernsthaft als sinnvoll empfehlen kann.

Demgegenüber sollte jeder Prüfling die Vorschrift des § 851 BGB kennen, der mal ein halbwegs ordentliches Lehrbuch zum Deliktsrecht durchgearbeitet hat. Und § 45 WaffG kennt man auch, wenn man ein ordentliches Buch zum allgemeinen Verwaltungsrecht bzw. zum Verwaltungsprozessrecht gelesen hat, weil die Vorschrift immer im Zusammenhang mit §§ 48, 49 VwVfG und regelmäßig auch im Zusammenhang mit § 80 II VwGO erörtert wird. Natürlich muss man solch eine Vorschrift dann auch vollständig im Original lesen.

Aber man kann natürlich auch das komplette WaffG - am besten nebst Anlage - lesen, um sich vielleicht zufällig noch an § 45 V 1 WaffG erinnern zu können, dessen Klausurrelevanz auf der Hand liegt.

Abschließend möchte ich im Übrigen auch der Behauptung widersprechen, dass "90% eines Lehrbuchs" typischerweise im Grunde aus dem Umformulieren der gesetzlichen Vorschriften bestehe. Das trifft selbst mit Blick auf das Zivilrecht nicht ansatzweise zu, auch wenn im Allgemeinen natürlich viel zu wenig mit dem Gesetzestext gearbeitet wird.
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sai
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von sai »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ich habe ja selbst große Teile dieser Gesetze gelesen und viele, wirklich sehr viele Lehrbücher.

Gerade deshalb denke ich, dass du dir selbst mindestens teilweise in die Tasche lügst: Vom BGB ist mindestens die Hälfte, nämlich nahezu das ganze Familien- und Erbrecht, überhaupt nicht relevant; man denke nur an die zig Paragraphen zur Vormundschaft.


Deshalb habe ich sie ja - wie geschrieben - auch nicht gelesen.

Beim VwVfG braucht man im regulären Studium jedenfalls das gesamte förmliche Verfahren nicht. Die StPO ist zumindest für das 1. Examen ebenfalls der absolute Overkill. Allein die ganzen Überwachungsmaßnahmen mit ihren Detailregelungen.
Ich habe hier für beide Examina geantwortet. Für das erste Examen hast du sicherlich Recht.
Wobei man dennoch profitiert, weil man ein anderes "Gefühl" für das Gesetz bekommt, je mehr man davon kennt.
Demgegenüber sollte jeder Prüfling die Vorschrift des § 851 BGB kennen, der mal ein halbwegs ordentliches Lehrbuch zum Deliktsrecht durchgearbeitet hat. Und § 45 WaffG kennt man auch, wenn man ein ordentliches Buch zum allgemeinen Verwaltungsrecht bzw. zum Verwaltungsprozessrecht gelesen hat, weil die Vorschrift immer im Zusammenhang mit §§ 48, 49 VwVfG und regelmäßig auch im Zusammenhang mit § 80 II VwGO erörtert wird. Natürlich muss man solch eine Vorschrift dann auch vollständig im Original lesen.
Anspruch und Wirklichkeit liegen da natürlich - wie immer - weit auseinander ;)
Was Prüflingen wissen sollten und was sie wirklich wissen, ist selten deckungsgleich.

Abschließend möchte ich im Übrigen auch der Behauptung widersprechen, dass "90% eines Lehrbuchs" typischerweise im Grunde aus dem Umformulieren der gesetzlichen Vorschriften bestehe. Das trifft selbst mit Blick auf das Zivilrecht nicht ansatzweise zu, auch wenn im Allgemeinen natürlich viel zu wenig mit dem Gesetzestext gearbeitet wird.
90% ist natürlich nur eine aus der Luft gegriffene Zahl. Ich bleibe aber bei meiner Aussage, das Lehrbücher in großen Teilen durch das Lesen von Gesetzen ersetzt werden können.
julée
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von julée »

Es ist m. E. - gerade in den Nebengebieten - durchaus empfehlenswert, mal den gesamten Gesetzestext zur Kenntnis zu nehmen und sich z. B. die Struktur des WaffG zu vergegenwärtigen, ohne dass man am Ende den Gesetzestext samt Anlagen auswendig kennen müsste. Ich habe immer wieder mal beim Lernen längere Abschnitte aus dem jeweiligen Gesetz gelesen und versucht das mit dem bereits Gelernten zu verknüpfen. Es führt dazu, dass man über manche Vorschriften ein zweites Mal stolpert und sie ggf. bewusster wahrnimmt.
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Tibor
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Tibor »

Ich stimme dem Lesevorschlag zu, allerdings eingeschränkt auf eine kurze Zeit vor dem jeweiligen Examen und zudem nicht von § 1 bis § 1000, sondern etwas zielgerichtet. Wie Honigkuchenpferd eingewandt hatte, sind ganze Passagen völlig irrelevant. Ich habe aber bspw. das gesamte Nebenstrafrecht zum 2. Examen nur so wiederholt, indem ich einmal das WaffG und BTMG durchgeblättert habe und hier und da - je nach Spannung - auch mal die Norm gelesen habe. In einer Z-Klausur konnte ich sogar mit dem Kurzzeitgedächtnis auftrumpfen, weil ich irgendeine Norm zum Urkundenprozess so schräg fand, dass ich direkt im T/P nachgelesen hatte und siehe da, dieses Problem fand zum Teil Eingang in die Klausur.

Im 1. Examen bietet sich das ganze vorrangig für abseitiges materielles Recht an (Miete, Makler, Gesellschaftsrecht, Kaufmannsrecht, Straßenrecht, Beamtenrecht etc pp). Hier sollte man wenigstens das Inhaltsverzeichnis der Kapitel/Titel der Gesetze gelesen haben, dass man ungefähr eine Ahnung hat, was da so überhaupt geregelt wird.
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Re: Gesetzestexte lesen/Mit dem Gesetz lernen

Beitrag von Aufsichtsbehörde »

Okay, danke schonmal. Ich habe mir jetzt vorgenommen auf jeden Fall zu versuchen, so viel Gesetzestext wie möglich zu lesen. Sachen die eher irrelevant sind kann man ja auch nur überfliegen. Mir geht es hauptsächlich darum Strukturen besser zu verstehen und sich überhaupt bewusst zu werden, was alles schon im Gesetz steht. Da hilft glaube ich auch das Lesen der Überschriften schon einiges.
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