Juristische Sackgasse

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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Säurekopf
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Juristische Sackgasse

Beitrag von Säurekopf »

Hi,
ich weiss nicht, ob dies hier das richtige Forum ist, aber ich bräuchte mal ein wenig Lebenshilfe von euch:
Ich habe gerade das erste Staatsexamen abgeschlossen auch auch einigermaßen erfolgreich (12,x). Aber inzwischen habe ich einfach keinen Bock mehr auf diesen juristischen Mikrokosmos.
Dachte ich während des Studiums noch halbwegs, dass dieses - ich nenne es einmal "juristisches Fachidiotentum" - in der Praxis aufhört habe ich dank einiger WiMi-Tätigkeiten (auch in GK'en) leider das Gegenteil erfahren müssen.
Ich bin gelangweilt von der Neigung vieler Juristen, wirklich alles - bis in den Alltag hinein - juristisch betrachten und subsumieren zu müssen. Keinerlei Empathie, keine kreativen Denkansätze, einfach stumpfes subsumieren unter Grundsätze, über die scheinbar gesellschaftlicher Konsens besteht. Dabei beziehe ich mich auf Diskussionen über Moral, Politik, Philosophie und Kunst, nicht über Jura, wo ich dieses strenge Käfigdenken ja akzeptiere. Immer mehr habe ich das Gefühl, dass das Jurastudium wirklich nur den Zweck hat, systemstützende Führungspersonen heranzuziehen, ohne kritisches Hinterfragen der Gesetze und der diese produzierende Strukturen. Dazu kommt dieser Standesdünkel, gerade unter Prädikatsjuristen, obwohl das Jurastudium doch eigentlich nichts ist außer ein intellektuell triviales Wertungsspiel.
Unter diesen Vorzeichen habe ich gar keine Lust mehr aufs Ref. Aber was kann man mit einem ersten Staatsexamen anfangen, was eher in die kreativ-künstlerische Richtung geht? Oder soll ich das Ref doch durchziehen und darauf hoffen, später doch eine nichtjuristische Tätigkeit zu finden, quasi als Quereinsteiger?
Klar kann man mir vorwerfen, dass ich mir das auch früher hätte überlegen können. Aber das Jurastudium an sich fand ich eben nicht schlimm, da ich einfach viele Sachen nebenher gemacht habe (Ausland, andere Vorleseung, karitative Tätigkeiten).

Über Denkansätze von euch würde ich mich freuen. Und wenn das Thema hier nicht hinpasst, bitte verschieben. Danke!
julée
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von julée »

Säurekopf hat geschrieben:Aber was kann man mit einem ersten Staatsexamen anfangen, was eher in die kreativ-künstlerische Richtung geht? Oder soll ich das Ref doch durchziehen und darauf hoffen, später doch eine nichtjuristische Tätigkeit zu finden, quasi als Quereinsteiger?
Die Frage ist schlichtweg: Was willst Du denn konkret "kreativ-künstlerisch" machen? Und lässt sich sowas möglicherweise auch oder vielleicht sogar besser als Volljurist erreichen? Das Referendariat wäre zumindest eine Möglichkeit, mal noch in verschiedene Bereiche reinzuschnuppern und ggf. neue Perspektiven zu entwickeln.
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Praxiskommentar
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von Praxiskommentar »

Erstmal herzlichen Glückwunsch zu diesem "einigermaßen erfolgreichen" :P Ergebnis. :)

Tut mir leid, dass du scheinbar nur solche Juristen kennengelernt hast. Ich habe das Gegenteil erlebt und kenne eigentlich nur ganz wenige dieser Klischeejuristen. Nicht die Hoffnung aufgeben. :-$

Du musst dich eigentlich nicht sofort entscheiden. Wäre vielleicht eine Promotion - zB interdisziplinärer Natur - zu einem Thema, für das du brennst, eine Alternative für dich? Vielleicht auch zu einem noch eher unerforschten Thema, bei dem man tatsächlich "juristisches Neuland" betreten kann. Ich fand das sehr erfrischend, einfach mal selbst das Problem angehen zu können, ohne mir vorher wochenlang die Meinungen von Prof. Dr. A-Z durchlesen zu müssen inklusive einer jahrelang anhaltenden Veröffentlichungsfehde rein dogmatischer Natur zwischen Prof. D und E. ;)
Oder ein LLM in einem anderen Rechtsgebiet und anderem Land oder einfach ein Jahr, in dem du nur reist, um mal Abstand zu gewinnen?

Sorry, so richtig viele Vorschläge habe ich nicht für dich, aber ich denke, dass man mit einem ersten Examen auch gute Positionen finden kann, wenn du dich tatsächlich gegen das Ref/eine juristische Karriere auf dem "klassischen Weg" entscheiden solltest.
Eagnai
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von Eagnai »

Ich würde erstmal das Referendariat und zweite Examen machen.

Die zwei Jahre, die du dafür aufwenden musst, sind nun auch nicht mehr so wahnsinnig viel an "verschwendeter" Zeit, falls du nachher doch etwas anderes machen willst, und mit zweitem Examen hältst du dir alle Optionen offen.

Ich glaube auch nicht, dass sich allein anhand einiger WiMi-Tätigkeiten schon abschließend beurteilen lässt, ob eine juristische Tätigkeit wirklich nichts für dich ist. Das Referendariat bietet sich an, auch nochmal in andere juristische Bereiche reinzuschnuppern. Vielleicht ist die Justiz eher was für dich als die GK, oder du findest noch etwas anderes, das dich interessiert. Es gibt ja durchaus spannende Stationen, die man mal ausprobieren könnte.
Tobias__21
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von Tobias__21 »

Ich sehe das genauso wie Eagnai. Du solltest mE definitiv das Ref machen. Da lernst Du wieder ganz neue Leute kennen, kannst Dich noch weiter ausprobieren und in viele verschiedene Bereiche reinschnuppern. Als Volljurist musst Du ja nicht zwangsläufig als Anwalt, Richter oder Staatsanwalt enden, da gibt es noch ganz andere Alternativen. Deine karitativen Tätigkeiten etc. kannst Du auch während des Refs weiterverfolgen. Und wenn es Dich wirklich nur noch ankotzt und es gar nicht mehr geht, kannst Du es ja jederzeit abbrechen, aber anschauen würde ich es mir definitiv erstmal.
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von wololo »

Welches Berufsziel oder welche Vorstellung über eine spätere Tätigkeit hast du denn bisher gehabt?

Ich kann aus deinem Beitrag auch nicht richtig herauslesen, was dich nun eigentlich wesentlich stört - die Personen, die Sinnhaftigkeit der Arbeit, Monotonie?
Flash
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Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von Flash »

Säurekopf hat geschrieben:Aber was kann man mit einem ersten Staatsexamen anfangen, was eher in die kreativ-künstlerische Richtung geht?
Künstler.
Die Beurteilung, ein Antrag im Sinne des § 24 Satz 1 BVerfGG sei offensichtlich unbegründet, setzt nicht voraus, daß seine Unbegründetheit auf der Hand liegt; sie kann auch das Ergebnis vorgängiger gründlicher Prüfung sein. (BVerfGE 82, 316)
Gelöschter Nutzer

Re: Juristische Sackgasse

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@Säurekopf
Als Volljurist könntest Du z. B. Künstler beraten, Dich auf Medien- und Urheberrecht etc. konzentrieren. Auch karitative Projekte brauchen juristische Unterstützung. Oder wie wäre es mit Umweltrecht? Du könntest Dir eine Stelle bei größeren Naturschutzorganisationen suchen, ohne juristische Unterstützung geht es dort nicht mehr gegen Wirtschaftskonzerne. Ich kenne zwei Juristen, die sind ganz glücklich mit dieser Kombi, beide schwankten zwischen Biologie und Jura und lösten es auf diese Weise. Ich weiß von Juristen, die sich voll auf moderne Medien spezialisierten und ortsunabhängig über Internet ihre Kunden beraten. Ausland wär also durchaus denkbar. Ich würde nun nicht aufgeben, sondern das Ref durchziehen.

Du fühlst Dich fremdbestimmt durch das Jurastudium, ein Dich vereinnahmendes System. Aber eigentlich sollte es umgekehrt sein. Das Jurastudium kann Dir helfen, Dich und andere vor negativen Auswirkungen des Systems zu schützen, z. B. als Rechtsanwalt. Du stehst nicht über dem Gesetz, hast aber mit dieser Ausbildung eher die Möglichkeit, nicht Opfer des Systems zu sein. Es liegt an Deinem eigenen Denken, ob Du in einer lageorientierten Opferhaltung verharrst oder Dich aufrichtest und Deinen eigenen Handlungsspielraum wahrnimmst und nutzt.
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