Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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BGHLover69
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Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von BGHLover69 »

Guten Tag liebe Community,
ich studiere momentan Jura im 3. Semester - komme nun in das 4. Semester und habe ein gewaltiges Problem.

Es geht um meine "Lerntechnik", die mir meines Erachtens nach eines Tages zum Verhängnis wird.
Um etwas auszuholen - diese "Strategie" habe ich bereits im Abitur angewendet und gute Noten *mit Glück* erzielen können. (11P+)

Ehrlicherweise ist es mir unangenehm, sogar extrem peinlich, diese stumpf-dämliche Methode zu schildern.
Vorab muss ich erwähnen, dass es bisher auch im Studium ok - bis gut funktioniert hat. So habe ich z.B in Strafrecht AT 13P, 12P, BGB AT 8P, Europarecht vermutlich auch fast doppelstellig bestimmt (wenns gut läuft auch doppelstellig), schuld eher nur 6P, öffR auch Mittelmaß.

Ich habe in Strafrecht 13 Punkte schreiben können und war im Nachschreibekurs der Beste (war vorher krank), ohne einen einzigen Fall zu schreiben oder die AG besucht zu haben. Und der Fall war viel schwerer.

So, also - wie lerne ich bereits meine ganze Schulzeit lang und jetzt im Studium? Kurzzeitgedächtnis & Auswendig. Aber nicht wie man es erwarten würde, sondern extrem "dämlich".

Beispiel: Es liegt Strafrecht BT an. Das erste was ich mache ist, alle 15 Vorlesungsfolien durchzugehen und oberflächlich zu verstehen, kleine Notzien als Zusammenfassung für jede Folie.
Und jetzt kommen wir zur "Hauptstrategie", die ich auch in BGB oder ÖffR nutze.

Ich verfasse eine hypothetische Klausur und schreibe sie *komplett* auf - in allen Varianten/Möglochkeiten, also alle Probleme eingebaut und das im Gutachtenstil. Verfassen tue ich es nicht selber, sondern picke mir aus verschiedenen 18P Klausuren die Textbausteine raus und schreibe sie nieder. Das sind am Ende dann meist so 10-30 A4 Seiten.

Anschließend fange ich an, diese 10-30 vollausgeschriebenen Seiten Wort-Dür-Wort im Gutachtenstil auswendigzulernen. Ich stehe dann rum und spreche es laut aus, bis ich jede Wort, jedes Kommata, jeden Gliederungspunkt, auswenig kann. Also habe ich den ganzen Fall abrufbar im Kopf. Verstehen tue ich die Einzelheiten trotzdem sehr gut, es ist also nicht, dass ich da nix checke.

Wenn ich nun in der Prüfung bin, brauch ich nicht mal eine Lösungskizze, sondern kann direkt wie ein Wasserfall schreiben - das einzige ist, ich muss meinen auswendiggelernten Fall samt ihrer Möglichkeiten/Varianten mit dem vorliegenden Prüfungsfall in Einklang bringen, also Überschneidungen finden, oder wenn z.B steht ah ok hier geht es um ETBI, dann schreibe ich den auswendiggelernten ETBI runter und passe es an den Sachverhalt an.

Das klappt dann auch immer gut - aber jetzt das Problem. Würde man mich nun jetzt die 3 oder 6 Monate nach der Ptüfung fragen: kannst du das alles nochmal so aufschreiben? Nein.

Ich glaub ich wäre nicht mal dazu fähig, ordentlich im Gutachtenstil zu schreiben, obwohl der Gutachtenstil in meinen Prüfungen immer top ist - weil ich es eben auswendiglerne. Es ist also eine extrem komische Konstellation. Einerseits bestehe ich alles wunderbar, doch andererseits ist meine Lernstrategie völlig daneben.

In der Examensvorbereitung später müsste ich nach meiner Strategie locker 1.000+ A4 Seiten wort-für-wort ausweniglernen. Das ist absolut unmöglich.

Jetzt wäre meine Frage an euch, was ihr davon haltet, ob ihr mal von so einem Fall wie bei mir gehört habt und wie ich meine Lernstrategie radikal ändern kann - bzw. wie ihr gelernt habt und was ihr empfehlen könnt?

Liebe Grüße
GetMeOut
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von GetMeOut »

Das Problem hast du doch schon erkannt. Es geht darum, Verständnis der Materie zu entwicklen und das Handwerk des Klausurenschreibens zu erlernen.

Stumpfes Auswendiglernen von Textbausteinen hat mit dem Handwerk des Gutachtenstils nichts am Hut. Hier hilft nur learning by doing ohne abkupfern.

Wie du dir den eigentlichen Prüfungsstoff aneignen solltest, ist von deinem Lerntyp abhängig. Zu welchem du gehörst, wirst du im Zweifel nur durch Ausprobieren herausfinden.
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scndbesthand
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von scndbesthand »

„Absolut“ falsch wird die Lernstrategie vielleicht nicht sein, da Du immerhin in der Lage zu sein scheinst, einen Klausurfall einer vertretbaren Lösung zuzuführen, und bei den Problemschwerpunkten auch gut argumentieren kannst anhand Deiner auswendiggelernten Versatzstücke. Sie bietet jedenfalls einen Zeitvorteil, daher könntest Du Elemente Deiner Strategie auch bei behalten.

Du solltest allerdings später in der Lage sein, jeden Klausurfall zumindest vertretbar zu lösen und Argumentationen auch dann entwickeln zu können, wenn Du hierzu keinen auswendiggelernten Text parat hast. Also tatsächlich vom „Wissen“ aufs „Können“ gehen, Positionen und Interessen erkennen und abwägen können, die hinter Regeln stehende Ratio sehen, sehen, wann ein Auslegungsergebnis gut ins System passt und wann nicht, Probleme erspüren können und durch Formulierungen überzeugen können.

Das Wissen scheint mir, so wie ich Deinen Bericht verstehe, eher weniger langfristigen Nutzen zu haben, sondern Inselwissen zu sein, das konkret auf bestimmte Abschlussklausuren zugeschnitten war und nicht primär mit dem Zielbild - fertiger Jurist - zu tun haben scheint. Daher berichtest Du auch, dass Viel dem Vergessen anheimfällt. Nachvollziehbar, wenn das Erlernte nur kontextabhängig einen Wert hat.

Das Wissen was Du brauchst hat langfristigen Wert. Denke vom Ende aus: welches Wissen wird am Ende erwartet und wie kann ich dies langfristig aufbauen und verfügbar halten.

Das geht mit einer Mischung aus Lektüre der richtigen Texte, Repetition von Dingen die in Klausuren garantiert oft vorkommen und reflektiertem Üben einer Falllösung hart an Examensbedingungen.
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von Strich »

I call sus, wie kann man die Strategie denn im Abitur fahren?
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von OJ1988 »

Strich hat geschrieben: Sonntag 10. März 2024, 18:51 I call sus...
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thh
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Sonntag 10. März 2024, 18:51wie kann man die Strategie denn im Abitur fahren?
Warum nicht? Der Erwerb des Abiturs war schon vor 30 Jahren keine besondere Genieleistung, und ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Anforderungen seitdem erhöht hätten.
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von Schnitte »

Strich hat geschrieben: Sonntag 10. März 2024, 18:51 I call sus, wie kann man die Strategie denn im Abitur fahren?
Der Abiturstoff ist nicht so umfangreich, wie man damals, als man in der Abiturvorbereitung steckte, meinte. Ich weiss nicht, wie das heute ist, aber nach dem alten System mit Grund- und Leistungskursen bestand das Abitur aus drei schriftlichen Prüfungen und einer mündlichen. Ich würde sagen, dass jede dieser Prüfungen von der Stoffmenge her ungefähr mit einer Semesterabschlussklausur an der Uni in einem Studiengang, der Semesterabschlussklausuren in den einzelnen Kursen vorsieht, vergleichbar ist. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit einem alten Schulkumpel (der Physik studierte) in den ersten paar Semestern erinnern, in denen wir festgestellt haben, dass im Studium jedes Semester zum Semesterende in etwa der Lernaufwand für die Abiturprüfungen anstand, auch wenn man das als Abiturient nicht hatte glauben wollen.

Wenn man dann noch die Abiturfächer strategisch wählt (also "weiche" Fächer wie Sport etc., Laberfächer wie Politik etc. und ansonsten Auswendiglernfächer wie Bio etc.), dann kann man damit schon gut durchkommen.

Das Problem an der Strategie hat der TE ja schon selbst richtig erkannt: Im Examen kommt dann der gesamte Stoff ganz dick auf einmal.
"Das Vertragsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten, die Erfüllung von Verträgen zu erzwingen [...], verstoßen nicht gegen göttliches Recht."

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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von Strich »

Schnitte hat geschrieben: Donnerstag 14. März 2024, 19:56
Strich hat geschrieben: Sonntag 10. März 2024, 18:51 I call sus, wie kann man die Strategie denn im Abitur fahren?
Der Abiturstoff ist nicht so umfangreich, wie man damals, als man in der Abiturvorbereitung steckte, meinte. Ich weiss nicht, wie das heute ist, aber nach dem alten System mit Grund- und Leistungskursen bestand das Abitur aus drei schriftlichen Prüfungen und einer mündlichen. Ich würde sagen, dass jede dieser Prüfungen von der Stoffmenge her ungefähr mit einer Semesterabschlussklausur an der Uni in einem Studiengang, der Semesterabschlussklausuren in den einzelnen Kursen vorsieht, vergleichbar ist. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit einem alten Schulkumpel (der Physik studierte) in den ersten paar Semestern erinnern, in denen wir festgestellt haben, dass im Studium jedes Semester zum Semesterende in etwa der Lernaufwand für die Abiturprüfungen anstand, auch wenn man das als Abiturient nicht hatte glauben wollen.
...
Ja das kann ich in etwa bestätigen, es ist nicht ganz so breit, dafür aber tiefer. Meine Zweifel speisen sich mehr aus dem Umstand, dass man im Abitur kaum irgendwie mit dieser Textblockauswendiglernmethode rangehen kann? Welchen und wie viele Textblöcke soll ich bitte in Deutsch auswendig lernen, be ider Vielzahl an Büchern, Gedichten etc. die dran kommen können?
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Re: Ich lerne absolut falsch - trotzdem "gute" Noten

Beitrag von jona7317 »

Wollt nur mal beitragen, dass das Textblockauswendiglernen natürlich nicht alles sein kann, aber auch wirklich nicht nutzlos ist. Gerade ÖR-Klausuren bestehen doch zu 40% aus immergleichen Textbausteinen und auch Dinge wie die Stellvertretung oder Anfechtung im Zivilrecht schreibt man irgendwann bis auf die gelegentlichen Problemchen im Schlaf.

Kann es nicht sein, dass du neben dem Auswendiglernen genug Verständnis für das Recht aufgebaut hast, dass du die Probleme anständig behandeln konntest? Ich habe selbst fürs Examen auch immer so gelernt, dass ich auf einer Karteikarte stehende Probleme direkt gutachterlich ausformuliere. Sprich wenn ich den ETBI lernen wollte, gab es den einfachst-denkbaren ETBI-Fall auf der Vorderseite und ich hab von "Dafür müsste A sich tatsächlich im ETBI befinden" bis zum Ergebnis des Streits mündlich ein Gutachten aufgesagt. Bei den Verfahrensarten im ÖRecht hab ich auch immer eine ganze Zulässigkeit runtergeleiert, sodass das im Ergebnis recht nah dran kam ans Auswendiglernen der Formulierungen. Das ist mMn auch eine absolute Erfolgsstrategie, weil man die Sachen eben auch im Examen direkt in Gutachtenform parat haben muss. Solang du also weisst, wann du vom Auswendiggelernten abweichen musst und dann auch noch weisst, wie und was du dann schreibst, würd ich mir keinerlei Sorgen machen.

Dass du dabei gleich auch die Formulierungen und Kommata auswendiglernst ist natürlich völliger Blödsinn und klingt mehr nach einer neurotischen Zwangsstörung als nach einer Lernstrategie :D Aber prinzipiell ist das eine durchaus taugliche Lernmethode und ich würde wetten, dass sich das überflüssige Auswendiglernen der konkreten Formulierungen von ganz alleine ausschleicht, wenn du Richtung Examensvorbereitung einfach keine Zeit mehr dafür hast.
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