Themenfindung ohne Praxisbezug

Alles rund um die Promotion zum Dr. iur. und den LL.M.

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jurapeasant
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Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von jurapeasant »

Hallo,

wie schwer ist es, sollte man ein Thema gefunden haben, dieses ohne Praxisbezug - also ohne das zu besprechende Problem bzw. das fachliche Umfeld je gesehen zu haben - zu schreiben? Ich stelle diese Frage, weil ich in Hinsicht auf mein späteres Wunscharbeitsfeld "Gesellschaftsrecht" und dem entsprechend hierin liegendem Promotionsgebiet, mich nun im Referendariat wohl nur eher oberflächlich mit diesem beschäftigen werde.

Aus diesem Grund kann ich nur vermuten, dass mir für Probleme aus dem weitem Gesellschaftsrecht nicht nur die tatsächlichen Lebenssachverhalte fehlen werden (mangelde Visualisierung), sondern auch mein oberflächliches Wissen des ersten Staatsexamens im Handels- und Gesellschaftsrecht nicht reichen wird.

Gibt es hier Leute die nach dem 2. Examen promoviert haben und vor einer ähnlich schwierigen Situation standen und sich eigenständig - soweit möglich - in die Materie einarbeiten mussten? Dummerweise war ich im Studium eher ein juristischer Einzelkämpfer und habe etwaige Kontake zu nun promovierenden Kommilitonen oder Professoren nicht aufgebaut.

Danke und Viele Grüße!
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Tante Dagobert
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von Tante Dagobert »

Ich habe im Prozessrecht (rechtsvergleichend) promoviert, ohne je aktiv an einem Prozess teilgenommen zu haben. Meine Ausführungen etwa zur Dispositionsmaxime und der Möglichkeit von Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren würde ich auch nach nunmehr erfolgter praktischer Erfahrung genauso wieder verfassen.

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julée
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von julée »

Es dürfte sicherlich auch auf das genaue Thema ankommen, inwieweit es möglich ist, sich dort nur abstrakt einzuarbeiten (Verfügbarkeit von Literatur, Bedeutung theoretischen vs. praktischen Wissens usw.).

Aus Interesse: Warum ist Gesellschaftsrecht Dein Wunschgebiet, wenn Du Dich damit noch gar nicht hinreichend beschäftigt hast bzw. im Ref auch nicht beschäftigen wirst? Das Ref wäre doch die Chance, ein praxisrelevantes Thema zu finden und einen Hauch von Praxiserfahrung zu sammeln?
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von OJ1988 »

Solange das Thema hinreichend dogmatisch ist, brauchst du mE überhaupt keine Praxiserfahrung. Nicht umsonst promovieren ja viele (wenn nicht gar: die meisten) nach dem 1. Examen.
Parabellum
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von Parabellum »

Ob die Bearbeitung rein dogmatischer Fragen ohne Blick für einen Praxisbezug die Jurisprudenz im Ergebnis weiter bringt, darf man sich in dem Zusammenhang aber natürlich dann auch fragen.
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von jurapeasant »

Gesellschaftsrecht, weil dieses für mich das Bindeglied zwischen Wirtschaft im operativen Sinne und Recht ist. Kann mir für später kein anderes Handlungsgebiet vorstellen. Gerade im Ref habe ich die Handelskammer gewählt und beschäftige mich dort leider eher mit Sachen wie UWG und Bauprozessen. Alles nicht so hilfreich.
Ich lese nebenher die großen GesR-Zeitschriften, was jedoch erneut mangels Praxisbezug relativ schwierig ist. Hierbei verfolge ich momentan das System, mir die neuste Rspr anzuschauen und bei einzelnen Standardpunkten wie "Anfechtbarkeit / Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen in GmbH und AG" nachzulesen, um meine Wissenslücke stetig zu schließen. Im Schwerpunkt an der Uni hatte ich Handels- und Gesellschaftsrecht und habe zumindest eine solide Ausgangslage.
Andererseits könnte ich mir eine Promovtion in der Zivilprozessordnung vorstellen. Aber vielen Dank schonmal für eure Antworten.
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von OJ1988 »

Parabellum hat geschrieben:Ob die Bearbeitung rein dogmatischer Fragen ohne Blick für einen Praxisbezug die Jurisprudenz im Ergebnis weiter bringt, darf man sich in dem Zusammenhang aber natürlich dann auch fragen.
...weil die Praxis sich nicht um die Ergebnisse der Dogmatik schert? ::roll:
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von julée »

OJ1988 hat geschrieben:
Parabellum hat geschrieben:Ob die Bearbeitung rein dogmatischer Fragen ohne Blick für einen Praxisbezug die Jurisprudenz im Ergebnis weiter bringt, darf man sich in dem Zusammenhang aber natürlich dann auch fragen.
...weil die Praxis sich nicht um die Ergebnisse der Dogmatik schert? ::roll:
Die Frage ist ja nur, inwieweit die Dogmatik die Praxis ignorieren kann. Natürlich lassen sich Themen mit einem nur mittelmäßigen Praxisbezug finden, bei denen es völlig egal ist, ob man schon mal eine reale Akte in dem Rechtsgebiet gesehen hat oder überhaupt schon Praxiserfahrungen gesammelt hat. Aber je weniger ein Thema bereits dogmatisch aufbereitet ist und je mehr es durch die Praxis geprägt ist, desto schwieriger dürfte es werden, sich die praktisch bedeutsamen Fragen rein abstrakt-dogmatisch zu erschließen - weil man schlichtweg gar nicht so dumm denken kann, wie die Praxis manchmal ist. Und wenn dann das Thema in der Praxis vielleicht auch noch gar hinreichend durch die Rechtsprechung entschieden worden ist, dürften sich schnell Erkenntnisdefizite ergeben.

Dass Arbeiten bereits nach dem 1. Examen geschrieben werden, heißt ja nicht, dass sie in jeder Hinsicht frei von Fehlern sind. Das fällt nur mitunter auch dem Doktorvater nicht auf, weil er im Zweifelsfall genauso wenig Ahnung von der realen Praxis hat wie der Doktorand. Letztens hatte ich etwa eine Arbeit in der Hand, in der dem BVerfG - in völliger Verkennung des einfachen Rechts - vorgeworfen wurde, es habe absolut unnötig in der Sache entschieden. Bei einer entsprechenden Befassung mit der Rechtspraxis oder jedenfalls bei einer sorgfältigen Aufbereitung des (recht ausufernden) einfachen Rechts wäre das sicherlich nicht passiert.
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von Nietnagel »

Man sollte es nicht zu kompliziert machen. Nimm ein Thema, dass Dich interessiert.

Alles andere hat keinen Sinn. Wann haben Themen schon Praxisbezug :lmao:
Joshua
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Re: Themenfindung ohne Praxisbezug

Beitrag von Joshua »

Tante Dagobert hat geschrieben:Ich habe im Prozessrecht (rechtsvergleichend) promoviert, ohne je aktiv an einem Prozess teilgenommen zu haben. Meine Ausführungen etwa zur Dispositionsmaxime und der Möglichkeit von Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren würde ich auch nach nunmehr erfolgter praktischer Erfahrung genauso wieder verfassen.

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Wow. Das kann ich gar nicht bestätigen. Ich halte es für ziemlich nutzlos, ohne praktische Erfahrung zu Themen zu promovieren, die einen praktischen Einblick dringend nahelegen (etwa zu bestimmten beweisrechtlichen Themen).

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