Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

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Atropos
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Atropos »

Ich finde das Zitat auch ziemlich schockierend - das klingt für mich mehr nach Preußen, als nach einem modernen Staat.

Sorry, aber wenn sich eine Institution aus öffentlichen Geldern finanziert, muss sie sich immer die Frage gefallen lassen, ob diese Mittel effizient eingesetzt werden. Und das Monopol des Staates führt meines Erachtens sogar zu einem höheren Rechtfertigungsbedarf: Wenn ich mit Anwalt X nicht zufrieden bin - z.B. weil er grundsätzlich keine Emails liest - kann ich zu Anwalt Y gehen. Wenn mir das deutsche Justizwesen nicht passt, kann ich nur versuchen, auf Arbitration oder englische Gerichte auszuweichen, aber das klappt nicht in allen Fällen - vor allem dann nicht, wenn man auf Beklagtenseite steht.

Wir reden hier ja nicht von besonders innovativen Dingen - die Beschreibung des elektronischen Rechtsverkehr in Österreich klingt eher danach, als ob Deutschland 20 Jahre zurück liegt.
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batman
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von batman »

Atropos hat geschrieben:die Beschreibung des elektronischen Rechtsverkehr in Österreich klingt eher danach, als ob Deutschland 20 Jahre zurück liegt.
Naja, 10 Jahre werden es wohl sein.
Ryze
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Ryze »

Atropos hat geschrieben:Ich finde das Zitat auch ziemlich schockierend - das klingt für mich mehr nach Preußen, als nach einem modernen Staat.

Sorry, aber wenn sich eine Institution aus öffentlichen Geldern finanziert, muss sie sich immer die Frage gefallen lassen, ob diese Mittel effizient eingesetzt werden. Und das Monopol des Staates führt meines Erachtens sogar zu einem höheren Rechtfertigungsbedarf: Wenn ich mit Anwalt X nicht zufrieden bin - z.B. weil er grundsätzlich keine Emails liest - kann ich zu Anwalt Y gehen. Wenn mir das deutsche Justizwesen nicht passt, kann ich nur versuchen, auf Arbitration oder englische Gerichte auszuweichen, aber das klappt nicht in allen Fällen - vor allem dann nicht, wenn man auf Beklagtenseite steht.

Wir reden hier ja nicht von besonders innovativen Dingen - die Beschreibung des elektronischen Rechtsverkehr in Österreich klingt eher danach, als ob Deutschland 20 Jahre zurück liegt.
Tatsächlich? Mal abgesehen davon, dass die Österreicher sich dort selbst als weltweit führend bezeichnen, klingt das hier (Verwaister Link http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/hessen/index.php automatisch entfernt) z.B. für mich eigentlich nicht so weit entfernt, wobei die Planung (Verwaister Link http://www.justiz.de/elektronischer_rechtsverkehr/erv_gesamtstrategie.pdf automatisch entfernt) für die Zukunft ja durchaus konkret ist und vernünftigerweise mit dem beA der Anwaltschaft koordiniert wird. Über das EGVP konnte und kann doch ohnehin schon elektronisch kommuniziert werden und auch das ePayment System ist durchaus komfortabel. Das System ist zwar nicht perfekt und die Praxis zeigt, dass der eine Anwalt/Richter besser und der andere schlechter damit zu Recht kommt, auch einige rechtliche Fragen (insbesondere: Wer trägt das Verzögerungsrisiko und wie sind technische Übertragungsprobleme nachzuweisen?) sind noch nicht hinreichend geklärt, aber prinzipiell existiert die Möglichkeit zur elektronischen Kommunikation ja durchaus.

Ich verstehe aber auch schon nicht mehr, worin der aktuelle Diskussionsgegenstand besteht. Was ist denn das konkrete Anliegen aus Anwaltsperspektive? Mehr/ausschließlicher elektronischer Kontakt? Was ist mit 'das Justizwesen passt nicht' gemeint? Was passt denn nicht? Die digitale Bearbeitung ist ja nun kein Selbstzweck. Vordergründig sehe ich in der Etablierung eines 'besseren' Systems für den elektronischen Rechtsverkehr zunächst Mal einen höheren Komfort für die Justiz selbst, wobei die Gefahr, dass die Ministerien über diese Hintertür einige Geschäftsstellenbeamte in der Hoffnung, dass Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte diese Aufgaben in der Zukunft nebenbei und effizienter erledigen, einsparen, durchaus nicht von der Hand zu weisen ist.

Mir scheint das Anliegen mehr und mehr auf den pauschalen Wunsch auf schnellere Bearbeitung hinauszulaufen bzw. hiermit vermengt zu werden. Eine wesentliche Effizienzsteigerung im Hinblick auf die Dauer der konkreten Verfahrensbearbeitung wird sich durch die Einführung der E-Akte aber doch kaum realisieren lassen, die Akten müssen nach wie vor rechtlich nacheinander geprüft und verhandelt werden, es ist 'lediglich' zu hoffen, dass einige krassere Verzögerungen auf der Verwaltungsebene des Verfahrens, die meist in den Geschäftsstellen begründet liegen, auf diesem Wege verhindert werden können. Auf die (vorbereitende) mündliche Verhandlung würde ich auch im Zivilverfahren nicht verzichten wollen bzw. könnte man darüber lediglich in Ausnahmefällen nachdenken, in denen ersichtlich keine Vergleichsmöglichkeiten bestehen und etwa die Beauftragung eines Sachverständigen notwendig sein wird.
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thh
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von thh »

Mr_Black hat geschrieben:Die Argumentation zur Digitalisierung zeigt doch sehr schön die grundlegenden Unterschiede zwischen Anwalt und Richterschaft. Maßstab der Justiz für Neuerungen ist offenbar der unflexible und unkündbare 50jährige Mitarbeiter der Geschäftsstelle und Geld ist auch keines da.
Naja, die Justiz arbeitet in Strafsachen mit der elektronischen Hilfsakte - selbstverständlich werden Akten im Umfang mehrerer Stehordner, oft auch schon bei einem Stehordner oder weniger, eingescannt und auf Datenträger ausgefolgt. Damit lässt sich auch in der Hauptverhandlung arbeiten.

Die Anwaltschaft hingegen ist nicht in der Lage, (ausschließlich) damit zu arbeiten, sondern muss die Akten ausdrucken. [1] Alle. Ohne vorherige Sichtung. Zigtausend Seiten. Warum auch immer. (Die sich anschließenden Streitigkeiten über die Kostenerstattung gehen ja mittlerweile seit Jahren durch die Fachpresse.)

[1] Ausgenommen die, die die Datenträger mit dem Bemerken zurückschicken, sie hätten Akteneinsicht bzw. deren Übersendung beantragt und nicht um "Zusendung kleiner Silberscheiben" gebeten.

Ich bin gespannt, wie das funktioniert, wenn nur noch die elektronische Akte existiert und damit ein Anspruch auf eine Papierakte nicht mehr besteht ...

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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von non-liquet »

Atropos hat geschrieben:Ich finde das Zitat auch ziemlich schockierend
Nein, das ist nur die Wiedergabe einer Tatsache. Vielleicht ist es halt nicht "in", das in dieser Deutlichkeit zu sagen.
Kasimir
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Kasimir »

Mr_Black hat geschrieben:
Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Staatliche Rechtspflege ist keine Dienstleistung, sie ist Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols.
Soll heißen, der Bürger soll sich nicht so haben, denn der Zivilrichter ist keinesfalls dazu da etwas für den Bürger zu leisten, er nimmt vielmehr nur ein Eigeninteresse des Staates war?
Das Zitat vom Duschgriff ist natuerlich richtig. Ich erlebe nur, dass in der derzeitigen Situation die Funktion welche die Justiz fuer den Buerger haben soll, oft nicht mehr gewaehrleistet ist. Ich fuerhe seit mittlerweile 7 Jahren eine privaten Prozess, der sich immer noch in der ersten Instanz vor dem Landgericht befindet, obwohl keine schwierigen Rechtsfragen zu entscheiden sind. Es gab bislang zwei muendliche Termine und es wurden zwei Gutachter bestellt, die innerhalb von ein paar Monaten jeweils vierseitige Gutachten erstellt haben. Es gibt immer noch kein Urteil, weil die Kammer nach eigener Aussage ueberlastet ist. Den ersten muendlichen Termin gab es uebrigens nach drei Jahren. Bis dahin wurden nur Schriftsaetze ausgetauscht. Kann man dabei wirklich noch davon sprechen, dass mir der gesetzliche Richter gewaehrt wird? Von dem Risiko, dass der Beklagte zwischenzeitlich insolvent wird oder nicht mehr genug Vermoegen hat, um das Urteil zu vollstrecken ganz zu schweigen.

Und genau deshalb kann sich die Justiz meines Erachtens auch nicht darauf zurueckziehen, dass zusaetzliche Effizienz die Einfuehrung einer "Dienstleistungsmentalitaet" sei. Es muessen Verfahren deutlich verkuerzt werden und neben zusaetzlichem Personal bedarf das vor allem auch einer Anpassung der Justiz an die heutigen technischen Gegebenheiten.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von julée »

Atropos hat geschrieben:Ich finde das Zitat auch ziemlich schockierend - das klingt für mich mehr nach Preußen, als nach einem modernen Staat.

Sorry, aber wenn sich eine Institution aus öffentlichen Geldern finanziert, muss sie sich immer die Frage gefallen lassen, ob diese Mittel effizient eingesetzt werden. Und das Monopol des Staates führt meines Erachtens sogar zu einem höheren Rechtfertigungsbedarf: Wenn ich mit Anwalt X nicht zufrieden bin - z.B. weil er grundsätzlich keine Emails liest - kann ich zu Anwalt Y gehen. Wenn mir das deutsche Justizwesen nicht passt, kann ich nur versuchen, auf Arbitration oder englische Gerichte auszuweichen, aber das klappt nicht in allen Fällen - vor allem dann nicht, wenn man auf Beklagtenseite steht.
Ist nur immer die Frage, ob eine reine E-Akte in der breiten Masse der Verfahren die gewünschte Effizienz und Beschleunigung bringt. Sicherlich, Zustellungen, Ladungen und Akteneinsicht gehen elektronisch schneller - aber weder werden dadurch die durchaus zahlreichen Fristverlängerungsanträge der Anwälte vermieden noch kann der Richter die Akte schneller lesen noch verbessert sich dadurch der z. T. beträchtliche Terminsstand. Und Verhandlungstermine, die allen passen, können vielleicht schneller gefunden werden, aber vermutlich werden sie trotzdem nicht wesentlich früher stattfinden als bislang nach 3 Terminverlegungsanträgen. Und auch wenn die Schriftsätze elektronisch eingehen, heißt es ja nicht, dass der Richter sofort Zeit hat, sich allein dieser Sache zu widmen und die Sache quasi sofort zu entscheiden - ist ja nicht so, als gebe es keine anderen Verfahren.

Und auch im modernen Staat wird man sich damit abfinden müssen, dass es Bereiche gibt, die dem staatlichen Gewaltmonopol unterliegen und die insoweit nicht vollumfänglich den Erwartungen der Dienstleistungsgesellschaft entsprechen (können). Und mehr Steuern für eine bessere Ausstattung der Justiz will ja eigentlich auch keiner zahlen. Verfahrenszeiten, wie von Kasimir geschildert, sind natürlich unmöglich - aber da dürfte das Problem ja nicht allein darin begründet liegen, dass die Akte über die Gerichtsflure getragen werden muss oder zwischen den einzelnen Stellen hin- oder hergeschickt wird.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Mr_Black »

Ich habe ein Verfahren geerbt, da wurde im Mai 2015 Zeugenbeweis erhoben und dann kam nichts mehr. Das zugehörige Protokoll zum Termin habe ich dann Februar 2016 bekommen. Nachdem ich Verzögerungsrüge erhoben habe, weil mehrere allgemeine Nachfragen unbeantwortet blieben. Jetzt habe ich eine Terminsladung bekommen für Sommer 2017. Da zwischenzeitlich der Richter gewechselt hat, wird vielleicht auch die Zeugenvernehmung aus 2015 wohl nach 2 Jahren wiederholt werden müssen.

Aber wie ich gerade erfahren habe darf man da keine strengen Maßstäbe ansetzen, da hier ja nur der Staat sein Monopol auslebt und nicht etwa eine Leistung erbringt..
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von julée »

Entspricht das dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes in angemessener Zeit? Sicherlich nicht. Allerdings ändert eine E-Akte ja nichts an fehlenden Richtern, fehlenden Vertretern oder zu vielen Akten - und da liegt der eigentliche "Fehler" nicht bei der Justiz, sondern bei der Politik. Aber effektiver Rechtsschutz bedeutet eben auch nicht, dass der Richter alles stehen und liegen lässt, nur weil RA Max Mustermann um 10:51:34 Uhr elektronisch einen Schriftsatz eingereicht hat.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Mr_Black »

Die Beispiele bezogen sich eher auf die: "Frage nicht was die Justiz für Dich tun kann, frage lieber was Du für die Justiz tun kannst" Aussagen.

Ich persönlich fände besonders beim Eilrechtschutz ein elektronisches Verfahren sinnvoll, da derzeit hier im Ernstfall sehr viel Papier im Orginal (also nicht einmal per Fax) durch die Republik bewegt werden muss.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von in dubio »

thh hat geschrieben: Die Anwaltschaft hingegen ist nicht in der Lage, (ausschließlich) damit zu arbeiten, sondern muss die Akten ausdrucken. [1] Alle. Ohne vorherige Sichtung. Zigtausend Seiten. Warum auch immer. (Die sich anschließenden Streitigkeiten über die Kostenerstattung gehen ja mittlerweile seit Jahren durch die Fachpresse.)
Nachdem der Thread ohnehin schon katastrophal zerfasert ist, will ich dazu mal kurz meinen Senf abgeben:
Der Streit geht um Nr. 7000 Nr. 1 VV RVG und eine absurde Auslegung durch die Gerichte. Eine Erstattung gibt es nur für "Kopien und Ausdrucke". Man könnte diese Vorschrift teleologisch auslegen und auch das Einscannen von Akten als erstattungsfähig ansehen. Das wird aber von genug Gerichten aber nicht gemacht.
Wenn die Sekretärin tagelang damit beschäftigt ist, Seiten einzuscannen (wegen Trennblättern, Klammern & Co hilft auch die Einzugsfunktion nur bedingt), kann ich schon verstehen, dass die Akte dann eben ausgedruckt wird, wenn der bloße Scan nicht erstattet wird. Schließlich muss die Sekretärin auch bezahlt werden (das - und nicht das Papier - ist der eigentliche Kostenfaktor).
Ja, es gibt bei den Anwälten schwarze Schafe, wie den Kniebohrer-Anwalt, der die (von Gericht oder StA) digitalisierte Akte zum Gebührenschneiden ausdruckt. Dem hätte man aber auch durch eine sinnvolle VV RVG-Auslegung einen Riegel vorschieben können.

Ich halte das Argument aber aus einem weiteren Grund für unredlich. "Die Anwaltschaft" gibt es nicht, dafür ist sie viel zu heterogen. So lange die erwähnten schwarzen Schafe als "die Anwaltschaft" gelten, bin ich so frei, den sturen, gefrusteten, technikfeindlichen Amtsrichter (ich bin R1, ich bleib R1, ich geh um 1) auch pars pro toto für "die Justiz" anzusehen. Oder den Typen, der rummault, weil er seine Robe selber kaufen muss...

Das befremdlichste an der (vom ursprünglichen Thread-Thema unrettbar abgedrifteten :D ) Diskussion ist für mich aber, dass v.a. Gründe gesucht werden, warum elektronische Aktenführung, Terminsabsprache, usw. nicht möglich sein sollen. Die konstruktiven Fragen sind doch: Was ist sinnvoll? und Wie kann das Sinnvolle umgesetzt werden?
Die Idee, einen Antagonismus zwischen Justizgewährleistungsanspruch und Dienstleistungscharakter zu konstruieren, macht mich einigermaßen sprachlos.

Deshalb meine volle Zustimmung dazu:
thh hat geschrieben:Möglicherweise ist die Welt aber auch einfach nicht schwarz und weiß, sondern ein wenig differenzierter.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von julée »

in dubio hat geschrieben: Das befremdlichste an der (vom ursprünglichen Thread-Thema unrettbar abgedrifteten :D ) Diskussion ist für mich aber, dass v.a. Gründe gesucht werden, warum elektronische Aktenführung, Terminsabsprache, usw. nicht möglich sein sollen. Die konstruktiven Fragen sind doch: Was ist sinnvoll? und Wie kann das Sinnvolle umgesetzt werden?
Der Verlauf dürfte in nicht unerheblichem Ausmaße der Ausgangsprämisse geschuldet sein, die da lautet "woanders ist das doch alles kein Problem".
Die Idee, einen Antagonismus zwischen Justizgewährleistungsanspruch und Dienstleistungscharakter zu konstruieren, macht mich einigermaßen sprachlos.
Es geht nicht um einen Antagonismus, aber beides ist auch nicht vollständig deckungsgleich: Wenn ich am Freitagmittag in der GK anrufe und unbedingt bis Montagmorgen was haben will, dann zahle ich im Zweifel auch entsprechend viel dafür, dass das tatsächlich auch passiert, egal wie unwichtig es möglicherweise ist. Dem Justizgewährleistungsanspruch dürfte es aber auch noch genügen, wenn der Richter am Freitagmittag draufschaut, feststellt, dass es nun wirklich nicht so dringend ist, dass es nicht noch bis zur nächsten Woche warten könnte und die Akte auf den Stapel für die nächste Woche legt. Insofern macht es wenig Sinn von der Justiz zu erwarten, dass sie der modernen "ich will das jetzt gleich sofort!"-Dienstleistungsgesellschaft entspricht - wenn man nicht gleichzeitig bereit ist, sie entsprechend finanziell auszustatten. Und die Annahme, dass alles besser wird, wenn die Justiz nur endlich Email und Doodle nutzte, dürfte sich als falsch erweisen, soweit der limitierende Faktor in vielen Fällen schlichtweg fehlendes Personal ist.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von Kasimir »

julée hat geschrieben:
Es geht nicht um einen Antagonismus, aber beides ist auch nicht vollständig deckungsgleich: Wenn ich am Freitagmittag in der GK anrufe und unbedingt bis Montagmorgen was haben will, dann zahle ich im Zweifel auch entsprechend viel dafür, dass das tatsächlich auch passiert, egal wie unwichtig es möglicherweise ist. Dem Justizgewährleistungsanspruch dürfte es aber auch noch genügen, wenn der Richter am Freitagmittag draufschaut, feststellt, dass es nun wirklich nicht so dringend ist, dass es nicht noch bis zur nächsten Woche warten könnte und die Akte auf den Stapel für die nächste Woche legt. Insofern macht es wenig Sinn von der Justiz zu erwarten, dass sie der modernen "ich will das jetzt gleich sofort!"-Dienstleistungsgesellschaft entspricht - wenn man nicht gleichzeitig bereit ist, sie entsprechend finanziell auszustatten. Und die Annahme, dass alles besser wird, wenn die Justiz nur endlich Email und Doodle nutzte, dürfte sich als falsch erweisen, soweit der limitierende Faktor in vielen Fällen schlichtweg fehlendes Personal ist.
Das ist aber doch jetzt Quatsch und ich muss dir - obwohl du sonst immer sehr differenzierte Beitraege schreibst - energisch widersprechen. Es geht hier doch nicht darum, dass Anwaelte von Richtern einen "Service" wie in der GK erwarten, sondern darum, dass Verfahren viel zu lange dauern. Und das liegt nun mal - neben der Personalknappheit - vor allem an der Ineffizienz der Justiz. Ich hatte an anderer Stelle schonmal erwaehnt, dass die Terminsabsprachen und Verlegungsantraege ein an Ineffizienz nicht zu ueberbietendes System sind, was den Richter auch Zeit kostet. Dazu kommt, dass Akten per Post durch die Republik geschickt werden und dem Richter ggf. nicht zur Verfuegung stehen. Ich habe auch schon Gerichtstermine erlebt, wo der Richter den Parteien, die aus der ganzen Bundesrepublik angereist waren, erklaert hat, dass er die Akten noch nicht gelesen hat und nur mal ueber einen Vergleich sprechen wollte.

Wenn wir darueber reden wuerden, ob ein Richter eine Akte am Freitag oder am Montag bearbeiten wuerde, waeren wir ja schon in einer Welt der Glueckseeligen.

Und man muss dazu ja auch sagen, dass das Gerichtssystem in vielen anderen Laendern wesentlich besser funktioniert und auslaendische Mandanten ob der Buerokratie und Langsamkeit der deutschen Gerichte immer sehr erstaunt und schockiert sind.

Und letztlich glaube ich, dass ein Teil der Problematik auch daran liegt, dass Richter oft nie die Gegenseite kennengelernt haben. In fast keinem anderen Land der Welt gibt es ein System, wo man mit Ende 20 Richter werden kann und dann bis zum Lebensende auf dieser Position verweilt. Haetten wir Richter mit ausgiebiger Anwaltserfahrung wuerde das sicherlich auf der Justiz etwas frische Wind bringen, der gut tut.
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von thh »

Kasimir hat geschrieben:Und das liegt nun mal - neben der Personalknappheit - vor allem an der Ineffizienz der Justiz. Ich hatte an anderer Stelle schonmal erwaehnt, dass die Terminsabsprachen und Verlegungsantraege ein an Ineffizienz nicht zu ueberbietendes System sind, was den Richter auch Zeit kostet.
Und ich hatte bereits darauf verwiesen, dass der Zeitaufwand deutlich höher ist, wenn der Richter in allen Fällen mit allen Beteiligten Termine abspricht - schon bis er sie erreicht hat, vergeht erheblich Zeit. Natürlich könnte man das delegieren - wenn das dafür notwendige Personal da wäre.
Kasimir hat geschrieben:Dazu kommt, dass Akten per Post durch die Republik geschickt werden und dem Richter ggf. nicht zur Verfuegung stehen.
Auch die Frage, ob man Akten scannt, statt sie papierhaft zu verschicken, hängt vor allem an den entsprechenden technischen und personellen Voraussetzungen. Verschickt ist die Akte gleich; gescannt und auf Datenträger gebrannt aber nicht.
Kasimir hat geschrieben:Und man muss dazu ja auch sagen, dass das Gerichtssystem in vielen anderen Laendern wesentlich besser funktioniert
Ist das so?
Kasimir hat geschrieben:und auslaendische Mandanten ob der Buerokratie und Langsamkeit der deutschen Gerichte immer sehr erstaunt und schockiert sind.
In Italien soll es, beispielsweise, sehr zügig gehen ...

-thh
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Re: Richterin werden oder doch lieber in die Großkanzlei

Beitrag von julée »

Kasimir hat geschrieben:Das ist aber doch jetzt Quatsch und ich muss dir - obwohl du sonst immer sehr differenzierte Beitraege schreibst - energisch widersprechen. Es geht hier doch nicht darum, dass Anwaelte von Richtern einen "Service" wie in der GK erwarten, sondern darum, dass Verfahren viel zu lange dauern.
Ich bin mir nicht sicher, ob das auch die Stoßrichtung von Atropos z. B. war.
Und das liegt nun mal - neben der Personalknappheit - vor allem an der Ineffizienz der Justiz. Ich hatte an anderer Stelle schonmal erwaehnt, dass die Terminsabsprachen und Verlegungsantraege ein an Ineffizienz nicht zu ueberbietendes System sind, was den Richter auch Zeit kostet.
Und wir haben auch schon an anderer Stelle erörtert, dass manchmal 3 Klicks trotz des Risikos, den Termin doch nochmal verlegen zu müssen, schneller und effektiver sind, als der Versuch Anwälte dann zu erreichen, wenn man den Termin machen möchte. Insofern muss das, was den Prozess für alle zugegebenermaßen nervig macht, nicht zwingend für alle Seiten ineffizient sein.
Dazu kommt, dass Akten per Post durch die Republik geschickt werden und dem Richter ggf. nicht zur Verfuegung stehen.
Definitiv suboptimal.
Ich habe auch schon Gerichtstermine erlebt, wo der Richter den Parteien, die aus der ganzen Bundesrepublik angereist waren, erklaert hat, dass er die Akten noch nicht gelesen hat und nur mal ueber einen Vergleich sprechen wollte.


Auch das sicherlich nicht ideal (um nicht zu sagen: unmöglich). Umgekehrt: Anwälte schicken auch schon mal gerne kurz vorm Termin zur mündlichen Verhandlung noch dicke Schriftsätze (Übergabe der Anlagen dann im Termin), am besten noch mit einem Antrag, mal eben schnell noch eine Akte beizuziehen, weil man den dortigen Vortrag vollumfänglich zum Gegenstand des Schriftsatzes macht. Das ist allen anderen Beteiligten gegenüber auch nicht besonders fair.
Und letztlich glaube ich, dass ein Teil der Problematik auch daran liegt, dass Richter oft nie die Gegenseite kennengelernt haben. In fast keinem anderen Land der Welt gibt es ein System, wo man mit Ende 20 Richter werden kann und dann bis zum Lebensende auf dieser Position verweilt. Haetten wir Richter mit ausgiebiger Anwaltserfahrung wuerde das sicherlich auf der Justiz etwas frische Wind bringen, der gut tut.
Das dürfte aber auch umgekehrt gelten. ;)
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