Gehaltsverhandlung Großkanzlei

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Moderator: Verwaltung

julée
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von julée »

Jedenfalls im Boutique-Bereich scheint es mir ein immer wieder anzutreffender Irrglaube zu sein, mit etwas humaneren Arbeitszeiten und ein bisschen mehr "family"-Feeling könne man bei den Gehältern "problemlos" sparen. Ist ja auch immer nur "Pech", wenn sich die Leute dann nach 1-3 Jahren doch Richtung Justiz, Verwaltung oder GK absetzen.

Und natürlich findet man für 60-70k ggf. auch gut qualifizierte Kandidaten. Aber ich persönlich muss etwa sagen, dass ich es - obwohl mich Geld jetzt nur mittelmäßig motiviert - bereits als WiMi kaum einzusehen fand, dass mein Gehalt im Verhältnis zu den (mittelbar) abgerechneten Stundensätzen und zu irgendwelchen Partnergehältern sehr sparsam ausfiel.
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Tibor
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Tibor »

Dazu kommt, dass in der uninformierten Kanzleiwelt der Irrglaube vorherrscht, dass die Justiz auch ganz schlecht bezahlt. Das mag am allseits geübten Fehler liegen, dass man nur Bruttomonatsgehälter vergleicht; aber verkennt, dass in der Justiz keinerlei Sozialabgaben drohen, man für einen schmalen Taler die PKV bekommt und am Ende auch noch die Pension mindestens so gut (wenn nicht besser) ist, wie beim Versorgungswerk für 20% Beitrag.

Fakt ist, je nach Lebensalter und Familienverhältnis bezieht man in der Justiz ein vergleichbares Jahresgehalt von 60-70T€.

Kurzes Rechenexempel: NRW, R1, Stufe 3, keiner Kinder, Single, keine Kirche = 4.035 Brutto = 3.080 Netto. Abzgl. PKV (250) also ein realistisches Netto von 2.830 €. Bei gleicher Arbeitszeit muss man dafür ein normales Angestelltenbrutto von ca. 4.875 € = 58,5T€ zahlen und dann hat der ArbN nur die Plastekarte von der AOK und keine Privatkassenvorteile beim Halbgott in Weiß.

Sobald sogar Kinder im Spiel sind (Familienzuschlag und höhere Beihilfe) und ggf noch höhere Stufe und vor allem weniger Arbeitszeit (aufgeräumtes Dezernat) klafft die Schere beider Bruttozahlen noch höher auseinander:

NRW, R1, Stufe 5, 2 Kinder, verheiratet (aber um Steuer vergleichbar zu halten Steuerklasse IV = der Mann geht auch noch arbeiten!) = 3.550 € netto; nach Abzug PKV dann ca. 3.300 € bei bspw. 38 Stunden. Für 3.300 € Netto braucht der Angestellte ein Brutto von ca. 5.800 € = ca. 70T€.

Gleiches Netto bei gleicher Arbeitszeit ist also bei 60-70T€ Kanzleibrutto erreicht. Zahlt die Kanzlei weniger oder muss man dort mehr als anfänglich 45 Stunden (als übliches Maximum in der Justiz am Anfang) bzw. später 38 Stunden arbeiten, ist es kein Wunder, dass die Kandidaten zur Justiz gehen.

Und ja, mir ist klar, dass ich damit nur die schnöden Zahlen vergleiche, die schlechten/guten Perspektiven für das Alter ab 50 außer Acht lasse etc pp.
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julée
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von julée »

Ja, bei der Rechnung sehen 60k in einer Kanzlei nicht mehr so doll aus (insbesondere wenn man gleichzeitig behaupten will, die Justiz zahle unterirdisch schlecht). Zumal in der Kanzlei ein etwaiges Plus von 100-200 € netto / Monat für erwartete Kleidung usw. drauf gehen.
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EinHeinz
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von EinHeinz »

Das sind doch alles alte Argumente die hin und her geschoben werden können. Am Anfang verdient man sicher in der Justiz/Verwaltung gut, nach 10-20 Jahren Berufserfahrung sieht die Welt aber anders aus. Ob man's braucht ist dann eine andere (höchstpersönliche) Frage.

Argumente wie erwartete Kleidung sind natürlich ziemlicher Quark. Normalerweise sollte man als Jurist auch entsprechend gekleidet sein. Das kann man in einer Kanzlei wie auch bei Gericht umsetzen - und man kann es genauso sein lassen und wie Schlumpi rumlaufen. Wenn man solche Argumente ins Feld führt, sollte bedacht werden, dass ich in der GK wenigstens keine Zeit für Hobbys und große Urlaube habe. Und Abends bekomme ich im richtigen Laden mein Restaurant-Essen an den Schreibtisch geliefert. Also im Vergleich zum 30h-Richter wieder richtig Geld gespart. ;)
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Tibor
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Tibor »

@EinHeinz: treffend. In der Justiz wird man natürlich nur "sechsstellig" verdienen, wenn man es früh auf R3 schafft und ordentlich Nebeneinkünfte generiert, dann ist aber der Arbeitszeitvorteil auch dahin. Wenn nur der schnöde Mammon zählt, dann geht man nach dem AssEx 3-5 in die GK, dann 10 Jahre in die Justiz und dann wieder in die Mittelstandskanzlei. Nur der letzte Wechsel wird freilich schwer ;-)
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Ara
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Ara »

Außerdem muss man sich in der Großkanzlei nicht seine Kommentare selbst kaufen, wenn man für seine Spezialzuweisung etwas anderes als den Palandt und Zöller braucht.

Das ist übrigens tatsächlich das, was ich finde am meisten den mangelnden Respekt vor den Mitarbeitern zeigt und mich an der Justiz tatsächlich dann fast am meisten abschreckt... Als müsse sich der Maurer seine Kelle selbst kaufen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Guglhupf »

Um zum Thema zurück zu kehren:

Ich finde auch, es kann nicht angehen, 40.000-50.000 € (Die Zahlen muss man sich mal geben!) weniger anzubieten für im Schnitt (vielleicht) 1-2 Stunden weniger Arbeit täglich und etwas bessere Partneraussichten. Zumal sich diese Kanzleien ja größtenteils auch als "führend" bezeichnen. Spitzenkandidaten können das eigentlich nicht mehr machen, ohne sich unter Wert zu verkaufen.
julée
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von julée »

EinHeinz hat geschrieben:Argumente wie erwartete Kleidung sind natürlich ziemlicher Quark. Normalerweise sollte man als Jurist auch entsprechend gekleidet sein. Das kann man in einer Kanzlei wie auch bei Gericht umsetzen - und man kann es genauso sein lassen und wie Schlumpi rumlaufen.
Nur weil man keine teuren Anzüge / Kostüme trägt (die bei Frau ja auch hinreichend modisch / abwechslungsreich sein sollen - hast Du eine Vorstellung davon, was so ein modisches Blüschen, das man allenfalls 1-2 Jahre lang alle 3 Wochen anziehen kann, kostet?), läuft man ja nicht zwingend wie Schlumpi rum. Bei Gehaltsunterschieden von (echter) GK vs. Justiz sicherlich alles kein Argument, aber wenn es in der Boutique "magere" 60-65k gibt und ein Auftreten wie in der GK verlangt wird, dann gibt man die paar hundert Euro mehr pro Monat schnell letztlich berufsbezogen bzw. berufsbedingt aus - das bekommt man dann auch nicht mehr mit Gratis-Getränken am Arbeitsplatz oder Sushi beim Meeting wieder rein ;) Jedenfalls die Schwelle zum "Kanzlei lohnt sich finanziell" dürfte eher bei einem monatlichen Netto-Unterschied von 500 € liegen und nicht bereits bei Unterschieden im Bereich von 100-200 € netto.

Natürlich, nach 20 Jahren als Anwalt kann man deutlich besser als in der Justiz verdienen (wobei etwa in NRW R 1, Stufe 8, Single, auch etwas über 4.200 € netto / Monat, abzüglich PKV (großzügig) vielleicht 3.800 € - fürs gleiche Netto braucht man als Angestellter ca. 7.000 € brutto / Monat, d. h. 84k/a), aber kurzfristig geht es ja um das Anwerben von guten Absolventen, die u. a. die freie Auswahl haben zwischen 100-120k in einigen GKs, faktisch 55-60k in der Justiz/Verwaltung und Betrag X in einer mittelständischen Kanzlei. Wenn Betrag X eher bei 60k liegt, dann bedarf es schon anderer überzeugender Argumente, weshalb es ausgerechnet diese Kanzlei sein soll.
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sai
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von sai »

EinHeinz hat geschrieben:Das sind doch alles alte Argumente die hin und her geschoben werden können. Am Anfang verdient man sicher in der Justiz/Verwaltung gut, nach 10-20 Jahren Berufserfahrung sieht die Welt aber anders aus. Ob man's braucht ist dann eine andere (höchstpersönliche) Frage.

Argumente wie erwartete Kleidung sind natürlich ziemlicher Quark. Normalerweise sollte man als Jurist auch entsprechend gekleidet sein. Das kann man in einer Kanzlei wie auch bei Gericht umsetzen - und man kann es genauso sein lassen und wie Schlumpi rumlaufen. Wenn man solche Argumente ins Feld führt, sollte bedacht werden, dass ich in der GK wenigstens keine Zeit für Hobbys und große Urlaube habe. Und Abends bekomme ich im richtigen Laden mein Restaurant-Essen an den Schreibtisch geliefert. Also im Vergleich zum 30h-Richter wieder richtig Geld gespart. ;)
Wobei man auch als Großkanzleipartner im Vergleich zu so manchem Mandanten nur ein kleines Licht ist.
Wenn der Zwiebelwurstbaron aus dem Sauerland, der jedes Jahr 20 Mio. aus seiner Firma entnimmt, in der Kanzlei aufmaschiert, dann ist auch der GK-Partner nicht mehr als sein Knecht.
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Freedom »

Auch wenn ich mir angesichts von 3 Seiten (spannenden!) Thread mit einer abscheifenden Debatte keine großen Hoffnungen mache mehr Input zu bekommen als der Threadersteller möchte ich eine Frage anschließen:

Glaubt ihr, dass bei den top GK auch mehr Verhandlungsspielraum hinsichtlich der Bezahlung als WisMit drin ist? Ausgehend von einer guten Note im ersten. Wobei der Bewerbermarkt für WisMits in Berlin ziemlich umkämpft ist leider.
Digiwas?
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von sai »

Freedom hat geschrieben:Auch wenn ich mir angesichts von 3 Seiten (spannenden!) Thread mit einer abscheifenden Debatte keine großen Hoffnungen mache mehr Input zu bekommen als der Threadersteller möchte ich eine Frage anschließen:

Glaubt ihr, dass bei den top GK auch mehr Verhandlungsspielraum hinsichtlich der Bezahlung als WisMit drin ist? Ausgehend von einer guten Note im ersten. Wobei der Bewerbermarkt für WisMits in Berlin ziemlich umkämpft ist leider.
Nein.
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Freedom »

Gut begründet muss ich schon sagen. ;)
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Parabellum »

Guglhupf hat geschrieben:Um zum Thema zurück zu kehren:

Ich finde auch, es kann nicht angehen, 40.000-50.000 € (Die Zahlen muss man sich mal geben!) weniger anzubieten für im Schnitt (vielleicht) 1-2 Stunden weniger Arbeit täglich und etwas bessere Partneraussichten. Zumal sich diese Kanzleien ja größtenteils auch als "führend" bezeichnen.
Das wäre dann möglicherweise richtig, wenn die von Dir genannten Parameter die einzig relevanten wären. Immo-DDs kloppt man lieber für viel als für nicht ganz so viel Schmerzensgeld im Monat. Und wenn die Tätigkeiten gleich wären. Davon kannst Du aber nicht ausgehen.

Was für "mittelgroße" Kanzleien ggf. spricht: Das überschaubarere Mandat, dass sowohl mehr eigenen Freiraum gibt (weil man nicht einer von zwanzig im riesigen Team ist). Eher: arbeiten für den Mittelständler (was auch immer das im Einzelnen ist) und nicht für den Konzern, mit entsprechender Arbeitsweise und ggf. Entscheidungsfreude des Mandanten. Ich habe beide Arten von Mandanten und finde es jedenfalls deutlich angenehmer, die Führungsebene direkt zu beraten als irgendwelche Leute tief unten in der Struktur, die sich erstmal bei weiteren drei Hierarchieebenen rückversichern müssen, bevor sie Entscheidungen treffen. Möglicherweise entsprechend eine andere Kanzleikultur. Und so weiter.
Spitzenkandidaten können das eigentlich nicht mehr machen, ohne sich unter Wert zu verkaufen.
Das finde ich einen ziemlich armseligen Gedankengang.
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von Guglhupf »

Spitzenkandidaten können das eigentlich nicht mehr machen, ohne sich unter Wert zu verkaufen.
Das finde ich einen ziemlich armseligen Gedankengang.[/quote]

Sehr konstruktiv...

Es als armselig zu bezeichnen, finanziell das Beste rauszuholen zu wollen, auch wenn man nicht bis in die Nacht DD machen möchte, ist imho in einem unternehmerisch geprägten Beruf keine gelungene Einschätzung.

Es geht doch letztlich um den Marktwert. Und der müsste sich doch auch bei den "kleineren" entsprechend erhöhen, damit das Verhältnis gewahrt bleibt.

Die unbestreitbaren Vorteile der Nicht-Riesenkanzlei würde sich dann ja immer noch in 20 Prozent weniger Gehalt widerspiegeln, was auch absolut in Ordnung ist.
sai
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Re: Gehaltsverhandlung Großkanzlei

Beitrag von sai »

Freedom hat geschrieben:Gut begründet muss ich schon sagen. ;)
Naja, was soll man da groß begründen?
Die Gehälter als wiss. Mit. sind nunmal nicht verhandelbar, selbst wenn das Examen ganz vernünftig ist.
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