Manches muss einfach gemeldet werden

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Tobias__21
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Mit der Aufstockung von Personal in der Justiz gewinnt man eben auch keine Wahlkämpfe. Mehr Polizisiten, gut, Renten, super, aber die Justiz? Das interessiert den gemeinen Bürger nicht. Das mit der Therapie seh ich wie Muirne. Das Opfer muss die Sache ja auch zu einem Abschluss bringen können. Das wird aber nicht gelingen, wenn noch die Verhandlung aussteht.
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Eagnai
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

Muirne hat geschrieben:Es besteht halt die große Gefahr der erneuten Traumatisierung, weil man nur das Gewesene aufarbeiten kann, aber nicht die bevorstehende Konfrontation mit dem Täter und die detaillierte Befragung, die oft als ähnlich schlimm empfunden wird wie die Sache selbst, sodass man dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gleich nochmal eine Therapie machen kann.
Ja, genau. Viele Psychologen sind der Ansicht, dass es wegen der wahrscheinlichen Re-Traumatisierung wenig bis keinen Sinn macht, mit einer Therapie zu beginnen, solange die Hauptverhandlung und damit die Konfrontation mit dem Täter und die oft extrem belastende Aussagesituation vor Gericht noch bevorstehen.

Hinzu kommt die Gefahr, dass im Rahmen der therapeutischen Aufarbeitung die Erinnerungen an die Tat verfälscht werden können, was in Bezug auf die noch bevorstehende Aussage bei Gericht natürlich problematisch ist. Ich habe es schon einige Male (vor allem bei kindlichen Zeugen) erlebt, dass die Psychologen aus diesem Grund Bedenken hatten, eine Therapie zu beginnen, und bei mir angerufen haben, um zu fragen, ob ich damit leben könnte, wenn sie wegen des sehr dringenden Therapiebedarfs trotz noch ausstehender Hauptverhandlung schon anfangen - in dem Wissen, dass die spätere Aussage darunter leiden könnte.

Gerade bei kindlichen Zeugen darf es einfach nicht sein, dass das Verfahren so lange dauert - abgesehen von den massiven psychischen Folgen für das Kind kann man auch von einer Sechsjährigen schlicht nicht erwarten, dass sie sich nach zwei Jahren noch an Einzelheiten der Tat erinnert. Und gerade bei Kindern als Opfer finde ich Freisprüche, deren Grund nur in der nicht mehr vorhandenen Erinnerungsfähigkeit des Opfers liegt, besonders schlimm.

Ich bin deshalb schon immer fast froh, wenn die Täter filmen - dann hat man wenigstens etwas Handfestes für die Hauptverhandlung.
Tobias__21
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Mein Vater, der alte Chauvinist, wurde heute angeraunzt, weil er zu einer jungen Damen (Arzthelferin) Fräulein gesagt hat. Das wäre unverschämt und es gäbe ja auch keine Männlein. Hat ihn schwer getroffen, musste mich extra anrufen.
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Kroate
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Kroate »

Danke für die Aufklärung!

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Urs Blank
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Urs Blank »

Levi hat geschrieben:
Tibor hat geschrieben:CumEx ist spätestens mit der "Flucht" von Berger in die Schweiz ein klarer Fall für die Staatsanwaltschaft gewesen; also seit über 3 Jahren!

http://www.finance-magazin.de/risiko-it ... r-1268151/
CumEx war eigentlich schon immer ein Fall für die Staatsanwaltschaft.

Die Bundesregierung hat ausdrücklich klargestellt, dass "generell kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch besteht oder jemals bestanden hat. Es existiert auch keine Gesetzeslücke. Die betriebenen Modelle sind illegal".

Im Übrigen sagt einem auch schon der "gesunde Menschenverstand", dass man sich Kapitalertragsteuer, die man nur einmal gezahlt hat, vom Finanzamt nicht (legal) zweimal erstatten lassen kann.

Eine solche Gesetzesauslegung widerspricht jeder ratio legis.
Jetzt wird's allerdings bizarr: Bis zum EGMR wollen sie ("notfalls") gehen, um dem Menschenrecht auf Steuererstattung Geltung zu verschaffen. Cum-Ex: Sozusagen die Pendlerpauschale des reichen Mannes.

http://www.juve.de/nachrichten/namenund ... ns-abseits
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julée
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von julée »

Ara hat geschrieben:
Bei Geschädigten gibts zwar das Problem, dass durch das Verfahren möglicherweise mit dem Thema nicht "abgeschlossen" wird, es wäre mir aber neu, dass dies von Therapien abhält.
Die Aussicht, dass der Täter am Ende möglicherweise freigesprochen wird, weil die eigene Aussage durch die Therapie beeinträchtigt worden ist, ist jetzt aber auch nicht so besonders toll.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

julée hat geschrieben:
Ara hat geschrieben: Bei Geschädigten gibts zwar das Problem, dass durch das Verfahren möglicherweise mit dem Thema nicht "abgeschlossen" wird, es wäre mir aber neu, dass dies von Therapien abhält.
Die Aussicht, dass der Täter am Ende möglicherweise freigesprochen wird, weil die eigene Aussage durch die Therapie beeinträchtigt worden ist, ist jetzt aber auch nicht so besonders toll.
Wobei es ja nicht so ist, als gäbe es heute keine Möglichkeiten das zu vermeiden. Spätestens das StORMG hat der StA so umfassende Möglichkeiten an die Hand gegeben, dass ein pfiffiger Staatsanwalt dieses Problemfeld in vielen Fällen umgehen kann, wenn er denn möchte. Angeklagt wird direkt zum Landgericht durch § 24 I 1 Nr. 3 GVG . Dank § 255a StPO ist in vielen Fällen gar keine Aussage vor Gericht mehr notwendig, sondern es kann eine vorherige Videovernehmung eingespielt werden. Damit schaltet man zugleich auch den § 252 StPO aus. Ich weiß, dass die Möglichkeit regional sehr unterschiedlich häufig genutzt wird (macht halt Arbeit), aber zumindest bei Minderjährigen bietet das eine gute Möglichkeit die Aussage vorher zu sichern. Wobei sich hier natürlich wieder die Katze in den Schwanz beißt: Hätte die StA und Gerichte mehr Personal, würde sie auch mehr von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Dann wäre es aber gar nicht mehr zwingend notwendig, weil die Verfahren eh schneller ablaufen würden.

Und seien wir ehrlich: Selbst in den Fällen wo es tatsächlich zu einer Aussage vor Gericht kommt, habe ich noch nie einen Staatsanwalt erlebt, der die Aussage der angeblich Geschädigten irgendwie weniger Glaubhaftigkeit zugestanden hat, weil eine Therapie begonnen wurde (und auch bei Richtern mag ich diesen Trend nicht erkennen). In der Regel wird es sich doch da zurecht gebogen und man findet dann auch Gutachter, die die Glaubhaftigkeit bestätigen. Notfalls werden die Therapiebemühungen als Anzeichen dafür genutzt, dass "Etwas" vorgefallen sein wird. Wo dann eine große Diskussion beginnt, ob denn "Etwas" auch die angeklagte Tat ist... Aber das ist ein anderes Thema.

Das Hauptproblem ist doch viel eher in diesem Themenkomplex, dass ein Anzeigeerstatter auf dem Dorf erstmal von mehreren Dorfpolizisten vernommen wird, bis geschulte Vernehmungspersonen hinzugezogen wird (wenn überhaupt). Ich hab hier Akten, wo zum Teil kindliche Zeugen fünf mal befragt wurden, bis Spezialisten vom LKA die Vernehmung durchgeführt haben. Die Aussage ist dann natürlich nicht mehr viel wert. Generell kann ich aus meiner bisherigen Praxiserfahrung sagen: Geht man als Vergewaltigungsopfer zu einer Polizei in der Großstadt, entsteht meist ein absolut mustergültiges Vernehmungsprotokoll + Videoaufnahme. Landet man dagegen irgendwo auf dem Dorf (sehr gerne SH oder im Osten), dann beginnt die Vernehmung mit "Ich hab gehört X soll dich Missbraucht haben, erzähl doch mal...". Wäre die StA in den Fällen ehrlich, würden sie die Akte sofort zuklappen. In der Praxis klagt man dann aber die Sache an, um zumindest das berufliche und private Lebe des Beschuldigten als "Strafe" zu zerstören, obwohl der Freispruch unumgänglich ist. Dafür reicht das Personal dann meist doch aus.

Aber natürlich ist es auch auf der Seite der Verteidigung teilweise schon etwas traurig, wenn man genau weiß, dass die StA/Polizei das Verfahren durch Unfähigkeit in den Sand gesetzt hat. Meist ist der Grund meines Erachtens eine zu hohe "Bissigkeit" vor allem bei Sexualdelikten. Das liegt häufig auch an der Personalauswahl in den Abteilungen. Vermutlich kriegt man aber für die ungeliebte Abteilung nur Leute, die das Thema sehr persönlich nehmen und dann ihren persönlichen Kreuzzeug gegen Sexualstraftaten führen wollen. Einen bissigen Rottweiler aber gerade in das Rechtsgebiet zu setzen, wo die Falschbeschuldigungsquote wohl mit am höchsten ist, ist so semioptimal. Aber auch da gibt es natürlich immer leuchtende Ausnahmen, wenn sie Gefühlt leider auch in der Minderheit sind.

Aber um zurück zum Thema zu kommen: Ich glaube es sind sich alle einig, dass eine Verfahrensbeschleunigung dringend geboten ist. Insbesondere beim Landgericht. Dazu gehört auch, dass die StA mit Personal aufgestockt wird. Auf der anderen Seite sind das aber Probleme, die man sich in den letzten Jahren selbstgemacht hat und auch nicht von heute auf morgen lösen kann. Ich will keinen Richter mit Ausreichend im Examen haben. Ein narzisstisch gestörter Berufungsrichter mit Prädikatsexamen ist schon nervig... Bei nem narzisstisch gestörten Richter der zusätzlich auch keine Ahnung von dem hat was er macht, möchte ich weder Angeklagter noch überhaupt irgendein Verfahrensbeteiligter sein.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Tibor
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tibor »

Naja, man sollte auch keine Verteidiger / Nebenklagevertreter mit Ausreichend im Examen haben, man stelle sich noch dazu einen narzisstisch gestörten Verteidiger vor, der keine Ahnung von dem hat, was er macht.

Wenn wir also den berühmten Fachkräftemangel haben, also weder ordentliche Polizeibeamte, StA, Richter oder Anwälte haben. Was schwebt dir vor? Dann bleibt nur, dass Recht an die gegebene Situation anpassen, Effizienz und Pragmatismus. Was nützt ein blümerant ausdifferenziertest Gesetz, wenn es nur im Bruchteil aller Fälle angewendet werden kann? Man kann den Beteiligten gern ein Arsenal an rechtlichen Mitteln und Beschränkungen auferlegen, am Ende wird dann aber mit dem Holzhammer irgendeine Instanz weggestrichen: Wir haben dass ja am AG/LG schon sehr genau gemacht, also streichen wir die Folgeinstanz. Also nur noch Amtsanwälte-Anklagen zum Amtsgericht und Staatsanwälte zum Landgericht. Vom AG gibt's ne Berufung ab 12 Monaten Haftstrafe zum LG, sonst nur Revision zum OLG. Vom LG nur noch Revision zum BGH. Aus die Maus.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

Wenn ich das so lese, bin ich dann doch sehr froh, dass sich meine Erfahrungen ganz überwiegend so gar nicht mit deinen decken.
Ara hat geschrieben:In der Regel wird es sich doch da zurecht gebogen und man findet dann auch Gutachter, die die Glaubhaftigkeit bestätigen. Notfalls werden die Therapiebemühungen als Anzeichen dafür genutzt, dass "Etwas" vorgefallen sein wird.
Dass sich in der Hauptverhandlung regelmäßig etwas "zurechtgebogen" würde, wäre mir aus meiner Erfahrung zum Beispiel neu. Sicherlich kann man nicht ausschließen, dass das hin und wieder mal vorkommt, aber "in der Regel"? In der Regel enden solche Verfahren hier weit eher mit Freisprüchen - den ich dann auch selbst beantrage, auch wenn das bisweilen frustrierend sein kann. Es ist hier auch keineswegs so, dass die aussagepsychologischen Gutachter stets zu dem Ergebnis kämen, dass eine Aussage glaubhaft ist - wenn sie häufiger zu dem Ergebnis "glaubhaft" als "nicht belegbar glaubhaft" kommen, dann liegt das aus meiner Sicht daran, dass man den meisten Aussagen, die wenig glaubhaft sind, schon gar nicht erst einen Gutachter beauftragt, sondern das Verfahren direkt einstellt.
Ara hat geschrieben:Meist ist der Grund meines Erachtens eine zu hohe "Bissigkeit" vor allem bei Sexualdelikten. Das liegt häufig auch an der Personalauswahl in den Abteilungen. Vermutlich kriegt man aber für die ungeliebte Abteilung nur Leute, die das Thema sehr persönlich nehmen und dann ihren persönlichen Kreuzzeug gegen Sexualstraftaten führen wollen. Einen bissigen Rottweiler aber gerade in das Rechtsgebiet zu setzen, wo die Falschbeschuldigungsquote wohl mit am höchsten ist, ist so semioptimal. Aber auch da gibt es natürlich immer leuchtende Ausnahmen, wenn sie Gefühlt leider auch in der Minderheit sind.
Ich hatte noch nie den Eindruck, dass hier in der entsprechenden Sonderabteilung auch nur ein Dezernent ist oder war, der als "bissiger Rottweiler" einen "persönlichen Kreuzzug" führen wollte. Im Gegenteil sind eher die sachlicheren, weniger emotionalen Leute da gelandet - und die Anklagequote ist auch keineswegs besonders hoch, es werden jedenfalls deutlich mehr Verfahren eingestellt als angeklagt. Liegt vielleicht aber auch mit daran, dass diese Abteilung hier gleichzeitig auch politische Straftaten, Terrorismus etc. macht - auch deswegen bemüht man sich sicher, eher besonnene Leute dorthin zu setzen.

Die Qualität der polizeilichen Sachbearbeiter und der von ihnen geleiteten Vernehmungen ist sehr unterschiedlich, das stimmt - aber auch da liegt es meiner Erfahrung im hiesigen Bezirk nach nicht an "bissigen Rottweilern", die zuviel wollen, sondern die schlechten Vernehmungen, mit denen man nichts anfangen kann, stammen eher von den unmotivierteren Beamten, die sich bei der Vernehmung wenig Mühe geben, keine Details erfragen oder mögliche Widersprüche hinterfragen und die ganze Sache nur möglichst schnell über die Bühne bringen wollen. Umgekehrt kenne ich auch eine Reihe sehr motivierter Beamter, die sehr gute und auch kritische Vernehmungen durchführen.

Aber gut... über das Thema kann man endlos diskutieren, und es kennt im Zweifel ja auch jeder nur die Situation im eigenen Bezirk, so dass man wenig sinnvoll vergleichen kann.

Mehr Videovernehmungen wären sicherlich sinnvoll - wenn man es denn mal endlich schaffen würde, alle Polizeidienststellen und Gerichte entsprechend auszustatten und Personal zu schulen.

Teilweise ist es erschreckend, wie es in technischer Hinsicht aussieht - ich kann mich an ein Verfahren erinnern, wo eine Zeugin aus Angst in einem gesonderten Raum sitzen und ihre Vernehmung per Video in den Verhandlungssaal übertragen werden sollte, und wir mussten dafür schließlich vom LG ans AG ausweichen, weil es beim LG keiner auf die Kette gekriegt hat, die entsprechende (uralte) Technik einzurichten und zu bedienen. ::roll:
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Tibor hat geschrieben:Naja, man sollte auch keine Verteidiger / Nebenklagevertreter mit Ausreichend im Examen haben, man stelle sich noch dazu einen narzisstisch gestörten Verteidiger vor, der keine Ahnung von dem hat, was er macht.
Den sucht sich der Mandant selbst aus. Außerdem: Wenn Richter und StA ihre Arbeit richtig machen, kann ein schlechter Verteidiger auch nicht viel Schaden anrichten.
Tibor hat geschrieben: Wenn wir also den berühmten Fachkräftemangel haben, also weder ordentliche Polizeibeamte, StA, Richter oder Anwälte haben. Was schwebt dir vor?
Nicht von heute auf morgen alle Löcher stopfen und dann wieder 10 Jahre Einstellungsstopp, sondern konstant einzustellen und aus der Vergangenheit lernen.
Eagnai hat geschrieben:Wenn ich das so lese, bin ich dann doch sehr froh, dass sich meine Erfahrungen ganz überwiegend so gar nicht mit deinen decken.
Das ist natürlich auch immer der eigenen Sicht etwas geschuldet. Man liest eine Akte und betrachtet eine Hauptverhandlung aus Verteidigersicht auch immer anders, als man es als Staatsanwalt oder Nebenkläger tun würde (zumindest mir geht es so). Bei jeder "kann man so oder so sehen" Entscheidung, biegt man halt an die jeweils für die eigene Position günstigere Abzweigung ab. Die Wahrheit liegt vermutlich immer irgendwo in der Mitte und solange man sich dieser kognitiven Verzerrung bewusst ist, ist es meines Erachtens auch nicht schlimm (weil eh nicht groß zu vermeiden). Der Richter muss in der Praxis da natürlich mehr gegen angehen, als die anderen Verfahrensbeteiligten.

Hinzu kommt, dass Staatsanwälte und Richter ihre Kollegen leider fast nie selbst in Aktion erleben. Das führt zu zweierlei Effekten: 1. Der vorbildliche Staatsanwalt/Richter realisiert nicht, was für katastrophale Arbeit manche Kollegen in der HV abliefern. 2. Der schlechte Staatsanwalt/Richter sieht gar nicht, dass es Kollegen gibt die ihren Job richtig machen.

Das führt auch nach meiner Erfahrung zu dem kuriosen Effekt, dass Staatsanwälte regelmäßig sagen "Ne bei uns bei der StA sind nahezu alle korrekt und bemühen sich ihre Arbeit richtig zu machen". Spricht man die gleichen Staatsanwälte dann aber auf Richterkollegen an, dann fallen ihnen doch schon einige Richter ein, die ihren Job nicht gut machen (und sei es nur der faule Richter, der alles einstellen will). Was verwundert, da sie ja häufig mehr oder weniger aus dem gleichen "Pool" von Bewerbern rekrutieren. Die Quote von schlechten Richtern und schlechten Staatsanwälten müsste daher zumindest ähnlich sein.

Aber man soll mich hier auch nicht missverstehen. Ich bin gott sei dank weiterhin der Meinung, dass insgesamt die meisten Richter und Staatsanwälte sich zumindest bemühen ihren Job anständig zu machen. Der größte Teil schafft es auch. Dann gibt es ne Gruppe die entweder unfähig oder faul ist und zum Glück nur ein kleiner Teil, der einfach aus Arschlöchern besteht.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

Ara hat geschrieben: Hinzu kommt, dass Staatsanwälte und Richter ihre Kollegen leider fast nie selbst in Aktion erleben. Das führt zu zweierlei Effekten: 1. Der vorbildliche Staatsanwalt/Richter realisiert nicht, was für katastrophale Arbeit manche Kollegen in der HV abliefern. 2. Der schlechte Staatsanwalt/Richter sieht gar nicht, dass es Kollegen gibt die ihren Job richtig machen.

Das führt auch nach meiner Erfahrung zu dem kuriosen Effekt, dass Staatsanwälte regelmäßig sagen "Ne bei uns bei der StA sind nahezu alle korrekt und bemühen sich ihre Arbeit richtig zu machen".
Ersteres ist natürlich richtig - und auch ein bißchen schade, ich würde schon recht gerne mal Kollegen beim Plädoyer erleben, einfach auch um sich ein paar neue Anregungen für die eigenen Plädoyers zu holen.

Das führt aber aus meiner Sicht nicht unbedingt zu der von dir genannten Schlussfolgerung. Denn man erlebt zwar die Kollegen nicht in der Hauptverhandlung, sieht aber im Rahmen der Vertretung ihre Akten und liest ihre Verfügungen, Vermerke und Anklageschriften, so dass man durchaus einiges von ihrer Arbeit mitbekommt. Mit Sicherheit hat daher jeder Staatsanwalt eine doch etwas differenziertere Meinung von der Arbeit der einzelnen Kollegen. Allerdings hat man natürlich gewisse Vorbehalte, gegenüber Außenstehenden die Arbeit von Kollegen schlechtzumachen, so dass du wahrscheinlich selten Staatsanwälte finden wirst, die das - gerade gegenüber einem Rechtsanwalt/Verteidiger - so offen äußern. Ich würde mich nach der Hauptverhandlung nun auch nicht auf den Flur stellen und zum Verteidiger sagen "Na, war ja klar, dass das nichts wird, die Anklage war schließlich vom Kollegen XY, der schlampt immer so rum". Eine gewisse Loyalität gegenüber den Kollegen und der Behörde sollte schon sein.
Ara hat geschrieben: Das ist natürlich auch immer der eigenen Sicht etwas geschuldet. Man liest eine Akte und betrachtet eine Hauptverhandlung aus Verteidigersicht auch immer anders, als man es als Staatsanwalt oder Nebenkläger tun würde (zumindest mir geht es so). Bei jeder "kann man so oder so sehen" Entscheidung, biegt man halt an die jeweils für die eigene Position günstigere Abzweigung ab.
Als Verteidiger und Nebenkläger sicher, man vertritt ja schließlich die Interessen seines Mandanten.

Die "eigene Position" der Staatsanwaltschaft ist aber ihrer gesetzlichen Aufgabe nach die neutrale Sichtweise im Sinne der oft zitierten "objektivsten Behörde der Welt" - zumindest von mir selbst würde ich jetzt auch nicht sagen, dass meine "eigene Position" tendentiell eher die Anklageerhebung ist. Eher im Gegenteil - in dubio pro reo eben.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Eagnai hat geschrieben: Die "eigene Position" der Staatsanwaltschaft ist aber ihrer gesetzlichen Aufgabe nach die neutrale Sichtweise im Sinne der oft zitierten "objektivsten Behörde der Welt" - zumindest von mir selbst würde ich jetzt auch nicht sagen, dass meine "eigene Position" tendentiell eher die Anklageerhebung ist. Eher im Gegenteil - in dubio pro reo eben.
Du weißt aber ja sicherlich selbst, wie das Zitat eigentlich geht: "Durch die Aufstellung des Legalitätsprinzips, [...] könnte ein bloßer Civiljurist zu der Annahme verleitet werden, als wäre die Staatsanwaltschaft nicht Partei, sondern die objektivste Behörde der Welt. Ein Blick in das Gesetz reicht aber aus, um diese Entgleisung als solche zu erkennen."

Spätestens in der HV hat die Staatsanwaltschaft ja schon einmal den hinreichenden Tatverdacht bejaht. Da von "seiner" Sicht abzurücken und möglicherweise sogar Fehler einzugestehen, ist verständlicherweise häufig schwierig.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

Ara hat geschrieben: Spätestens in der HV hat die Staatsanwaltschaft ja schon einmal den hinreichenden Tatverdacht bejaht. Da von "seiner" Sicht abzurücken und möglicherweise sogar Fehler einzugestehen, ist verständlicherweise häufig schwierig.
Das habe ich ehrlich gesagt noch nie so empfunden.

Zum einen vertritt man in den meisten Fällen ja gar nicht seine eigenen Anklagen, so dass sich das Erfordernis, von der eigenen Sicht abzurücken, zumeist gar nicht ergibt.

Zum anderen aber ist es selbst bei eigenen Anklagen für mich oft kein subjektives Problem, in der Hauptverhandlung trotzdem Freispruch oder eine andere Verurteilung als gedacht zu beantragen, weil dem keine eigenen Fehler zugrunde liegen, sondern sich die Situation in der Hauptverhandlung einfach ganz anders darstellt als zuvor nach Aktenlage: Der Beschuldigte äußert sich in der Hauptverhandlung erstmals, der Beschuldigte benennt erstmals Entlastungszeugen, bereits bekannte Zeugen sagen plötzlich anders aus als bei der Polizei oder können sich nicht mehr erinnern, Zeugen berufen sich erstmals auf Zeugnisverweigerungsrechte, ... - das sind ja alles ganz gängige Gründe, warum eine Hauptverhandlung anders ausgeht als gedacht, ohne dass man dabei als Anklageverfasser irgendwelche Fehler einräumen müsste, denn im Zeitpunkt der Anklageerhebung kann ja durchaus hinreichender Tatverdacht bestanden haben, der erst aufgrund der neuen Entwicklungen in der Hauptverhandlung wegfällt. Deshalb gibt es da für mich auch keine innere Barriere, einen anderen Antrag zu stellen als gedacht - es ist dann eben einfach so, wie es jetzt ist.

Die Fälle, wo man eigene Fehler eingestehen muss, gibt es natürlich auch, und die sind naturgemäß unangenehmer - aber da muss man dann eben durch und bereit sein, seine Meinung zu ändern, wenn man das mit der Objektivität einigermaßen ernst nehmen will.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Kezzlerinho »

Urs Blank hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:
Tibor hat geschrieben:CumEx ist spätestens mit der "Flucht" von Berger in die Schweiz ein klarer Fall für die Staatsanwaltschaft gewesen; also seit über 3 Jahren!

http://www.finance-magazin.de/risiko-it ... r-1268151/
CumEx war eigentlich schon immer ein Fall für die Staatsanwaltschaft.

Die Bundesregierung hat ausdrücklich klargestellt, dass "generell kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch besteht oder jemals bestanden hat. Es existiert auch keine Gesetzeslücke. Die betriebenen Modelle sind illegal".

Im Übrigen sagt einem auch schon der "gesunde Menschenverstand", dass man sich Kapitalertragsteuer, die man nur einmal gezahlt hat, vom Finanzamt nicht (legal) zweimal erstatten lassen kann.

Eine solche Gesetzesauslegung widerspricht jeder ratio legis.
Jetzt wird's allerdings bizarr: Bis zum EGMR wollen sie ("notfalls") gehen, um dem Menschenrecht auf Steuererstattung Geltung zu verschaffen. Cum-Ex: Sozusagen die Pendlerpauschale des reichen Mannes.

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Haha, das hat allerdings wirklich Chuzpe. Vor allem: Sollte jetzt mal wirklich ein Grundsatzurteil des BFH dazu reinkommen, ist ja das ganze Kanzleimodell für den Arsch. Oder geht es dann erst so richtig los - ab nach Straßburg und so....
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Eagnai hat geschrieben: Die Fälle, wo man eigene Fehler eingestehen muss, gibt es natürlich auch, und die sind naturgemäß unangenehmer - aber da muss man dann eben durch und bereit sein, seine Meinung zu ändern, wenn man das mit der Objektivität einigermaßen ernst nehmen will.
Die löbliche Einstellung ist leider vor allem unter Juristen nicht immer verbreitet. Umso mehr Respekt verdient es, wenn es doch jemand, egal auf welcher Seite, schafft Fehler einzugestehen. Wobei ich mich da nicht selbst rausnehmen möchte, dass es häufig schwer fällt in der konkreten Situation.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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