Bürokratie

"Off-Topic"-Forum. Die Themen können von den Usern frei bestimmt werden.
Es gelten auch hier die Foren-Regeln!

Moderator: Verwaltung

Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2254
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Bürokratie

Beitrag von Strich »

Ich versuch mal ein neuen Thread zu einem Thema das mich aktuelle immer mehr und auch schon in der Vergangenheit beschäftigt hat. Ich glaube, dazu kann auch jeder irgendwas beitragen und ein Ventil zu haben hilft vielleicht auch. Außerdem wird so ein Stück weit verewigt, dass auch Juristen (zumindest ich) ein erhebliches Problem mit überbordender Bürokratie haben.

Ich fang mit einer kleinen Geschichte an, die mich ein bisschen aufregt:
Wir haben ein neues System zur Abrechnung von Reisekosten eingeführt. Im Wesentlichen, und das ist nichts Neues, wenn Verwaltung "digitale """""Lösungen""""""" entwickelt, mache ich die Arbeit der Abrechnungsstelle schon mit und die schauen einmal drüber und drücken auf den Knopf. So weit so unspektakulär, funktioniert für die meisten Reisekosten auch wirklich gut. Kein Papierkram mehr, ich muss das nicht mehr abheften (was ich eh nie getan habe) und ich kann alte Anträge kopieren. Einarbeitungsaufwand einmal beiseite: Gute Sache!

Es begab sich nun aber (^^) das ich Bereitschaft hatte und dafür, zur Kostenvermeidung des Dienstherren, mit meinem Privat-KfZ durch den Bezirk gefahren bin. Diese Dienstreisen mit erheblichen Interesse wollte ich nun über das System geltend machen. Es kam die erste Ablehnung. Die nachgeordnete Haushaltsstelle müsse irgendwas bestätigen. Da dachte ich naiver Weise, dass da bei der nachgeordneten Stelle (die meine Anträge bekommen und an die nächste Stelle weiterklicken) irgendwas schief lief und ich einfach den Antrag noch mal absende. Es kam mir schon komisch vor, dass der Antrag nicht einfach an diese Stelle zurückgeschickt wurde, damit die dann ihren Fehler beheben können. Gut, kann sein, dass das System das nicht hergibt. Es folgte die nächste Ablehnung mit exakt derselben Begründung wie zuvor. "Glücklicherweise" waren es insgesamt 2 Dienstreisen und der Bearbeiter hat bei der Bearbeitung der zweiten Dienstreise mitbekommen, dass der Strich es wohl einfach nicht geschnallt hat. Es kam also eine leicht abgeänderte Variante: "Sie müssen sich von der nachgeordneten Stelle ... [irgendwas] bescheinigen lassen". Strich rennt also zur Verwaltung und siehe da, es gibt eine Verfügung des Direktors, die mit angehangen werden sollte. Okay alles klar, den Lernprozess hab ich halt und dann gehts bei nächsten Mal schnell. Anhang dran, neue Anträge (weil 2 Dienstreisen) raus. Jetzt wurden beide Dienstreisen genehmigt, aber das Beförderungsmittel wurde von "Privat KfZ mit erheblichem dienstlichem Interesse" in "Privat-KfZ" geändert. Ausgezahlt wurde die Häflte.
Keine Begründung. Ich also eine "Nachberechnung" ausgelöst. Ohne Begründung abgelehnt. Da dacht ich mir, das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist richtig richtig frech. Dieses Spiel kann ich auch spielen, also habe ich den ganzen Sachverhalt der Dienstreisen aufgeschrieben und auf dem Dienstweg mit der Bitte um einen rechtsmittelfähigen Bescheid abgeschickt. Ich erhielt als Antwort ein Schreiben, dass mich aufforderte, die Dienstreise einfach noch mal zu beantragen und (festhalten oder hinsetzen) das Beförderungsmittel von „Privat Kfz“ auf
„Privat Kfz mit erhebliches dienstliches Interesse“ ändern! Also genau das, was vorher beantragt und von der Abrechnungsstelle geändert wurde!

Als Jurist kann ich gegen diese "weaponized bureaucracy" ja ankämpfen und das mache ich auch. Aber der normale Bürger? Wer streitet sich denn wegen 50 Tacken in dem Ausmaß? Ich mache das, weil ich will, das soetwas aufhört und weil ich es kann und daher muss.

Marco Buschmann will jetzt mit einem Bürokratieentlastungsgesetz kommen um den "Verwaltungsburnout" der Industrie zu bekämpfen. Gelesen habe ich bisher davon, dass da irgendwelche Aufbewahrungsfristen von Belegen verkürzt werden sollen, was niemandem etwas bringt. Das Problem ist das, was man bei Marco Scheel sieht. Das Problem ist das, was man bei Genehmigungsverfahren von Windrädern in der Heute Show sehen konnte. Das Problem ist, dass keiner mehr Meister werden will, weil er dann eigentlich nur noch verlängerter Arm der Verwaltung im Unternehmen ist.
Das Problem ist, dass jeder der ein Café eröffnen will, faktisch vom Goodwill der Verwaltung abhängt. Ich halte es für praktisch ausgeschlossen, ohne anwaltlichen Rat und ohne Architekt rechtssicher ein Café zu betreiben. Man kann nur hoffen, dass die Verwaltung in Gestalt des Bauamtes/Brandschutzes/Gesundheitsamtes/Sozialversicherungsträgern/Finanzamt/Gemeinde/Berufsgenossenschaften ihr Ermessen dahingehend ausübt, allenfalls rudimentäre (d.i. stirbt da jemand beim Betreten des Cafés) Kontrollen durchzuführen.

Das klang jetzt alles nach Rant ohne Ende und das war es auch. Jetzt die andere Seite: Ich verstehe jede einzelne der Regelungen an die man sich so halten soll. Das ergibt alles irgendwo Sinn. Am Ende stirbt die Oma, weil ich irgendeine Treppe nicht gekennzeichnet habe. Am Ende ist irgendein Fluchtweg verstellt, irgendein Arbeitnehmer im Café berufsunfähig, irgendein Kind vergiftet. Es stürzt irgendwo eine Brücke ein, ein Auto brennt ab, weil das KBA zu nachlässig war und nicht auch noch die 232igste BImSchVO und 7 TA Lärm geprüft hat. Ich weiß also wirklich nicht, wie eine Lösung aussehen soll und bin ehrlich gesagt mittelschwer ernüchtert, was das ganze betrifft. Einzeln machen die Regelungen Sinn, in Summe erdrücken sie jeden Unternehmergeist, jede Innovation etc. Ein neues Gesetz führt jedenfalls dazu, dass die Unternehmen, die es einfacher haben sollen, jedenfalls mal mit der der Prüfung beauftragt sind, ob das Gesetz auf sie Anwendung finden wird. AGB Regeln wurden früher einmal von Bürgern erstritten. Heute würde man den Staat darauf ansetzen. Schon die Entkriminalisierung der Unfallflucht und des Schwarzfahrens (beide mal nur unter der Wirkung des damit verbundenen Bürokratiabbaus (weniger StA, mehr automatisierte Verfahren) betrachtet) führt die Gesetzgebung an ihre politischen Grenzen, ganz zu schweigen von der Cannabislegalisierung, deren Auswirkungen auf die Gesellschaft selbst im Worst Case lächerlich sind im Vergleich zur Steuer- Renten- und Sozialhilfepolitik. Die Auswirkungen worst wie best case rechtfertigen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt den damit verbundenen politischen Aufwand, weshalb ich für die Zukunft der Bürokratie schwarz sehe und leider keine Lösung habe, ich kann nur müde das Problem mal verewigen.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Gravenrath
Noch selten hier
Noch selten hier
Beiträge: 35
Registriert: Samstag 1. Februar 2020, 15:41
Ausbildungslevel: RA

Re: Bürokratie

Beitrag von Gravenrath »

Den Rant fühle ich zu 100%.

Das Problem ist auch, dass sich Unternehmen die "weaponized bureaucracy" mittlerweile abgeschaut haben.
Ich hatte diese Woche erst ein Problem mit meinem Päckchen von DHL, das aussah, als wäre es mit einem Vorschlaghammer bearbeitet worden.

Also rufe ich beim DHL-Kundenservice an, sowas kommt halt mal vor (doof, dass das die Zweitsendung war, weil das erste Päckchen gar nicht ankam, aber in der Urlaubszeit geht so Zeug halt mal flöten und ich hab nen Abstellort angegeben, was auch nie wieder vorkommen wird): "Nein, für die Reklamation müssen Sie zur Filiale gehen und das Schadensformular da ausfüllen, dann nehmen dies mit und schauen sich's an."
Bei der DHL-Filiale: "Nein, das Formular haben wir nicht vor Ort, das müssen Sie online abrufen, ausdrucken, ausfüllen und dann zu mir kommen."
Also online ein Formular ausgefüllt: "Nein, das ist das DHL Express Formular, da können wir Ihnen nicht weiterhelfen, da müssen Sie schon beim DHL-Kundenservice anrufen."
Und so schließt sich der Kreis. :drinking:

Wer tut sich so einen Schmerz wegen eines 50€-Päckchens schon an?
Ich jetzt halt schon, beim ersten Päckchen hab ich's DHL noch durchgehen lassen (freilich auch nur nach 2 Wochen und mehreren Telefonaten), weil es kann ja auch sein, dass meine sonst immer zuverlässigen Nachbarn plötzlich zu diebischen Elstern geworden sind und ich jedenfalls Schwierigkeiten bei der Beweisführung haben werde... :^o
Aber das muss doch einfach nicht sein. Ja, ich kann verstehen, dass es gewisse Betrügereien gibt, derer man Herr werden will, aber so einen Passierschein A38 hab ich schon lange nicht mehr lösen müssen. Hier ist es Anspruchsabwehr durch Bürokratisierung. ](*,)
Theopa
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1328
Registriert: Mittwoch 9. Juli 2014, 18:09
Ausbildungslevel: RA

Re: Bürokratie

Beitrag von Theopa »

Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31 Das klang jetzt alles nach Rant ohne Ende und das war es auch. Jetzt die andere Seite: Ich verstehe jede einzelne der Regelungen an die man sich so halten soll. Das ergibt alles irgendwo Sinn. Am Ende stirbt die Oma, weil ich irgendeine Treppe nicht gekennzeichnet habe. Am Ende ist irgendein Fluchtweg verstellt, irgendein Arbeitnehmer im Café berufsunfähig, irgendein Kind vergiftet. Es stürzt irgendwo eine Brücke ein, ein Auto brennt ab, weil das KBA zu nachlässig war und nicht auch noch die 232igste BImSchVO und 7 TA Lärm geprüft hat. Ich weiß also wirklich nicht, wie eine Lösung aussehen soll und bin ehrlich gesagt mittelschwer ernüchtert, was das ganze betrifft. Einzeln machen die Regelungen Sinn, in Summe erdrücken sie jeden Unternehmergeist, jede Innovation etc.
Es wäre wichtig einen allgemeinen Konsens dafür zu haben, dass man die Kirche auch mal im Dorf lassen muss. Dieser besteht aber offenbar nicht, da zu viele scheinbar nicht (mehr) mit der einfachen Tatsache umgehen können, dass das Leben tödlich ist.

Ein gutes Beispiel: Wir haben ein ernsthaft geäußertes Ziel dafür, die Zahl der Verkehrstoten auf Null (!!!) zu senken. Während es natürlich sinnvoll ist die Zahl unnötiger Toter zu reduzieren und Gurte/Airbags in alle PKW aufzunehmen bzw. die Front neu zugelassener KfZ so zu gestalten, dass Fußgänger höhere Chancen haben, kommt man bei solchen realitätsfremden Zielen irgendwann in den Bereich des extrem abnehmenden Grenznutzens. Die Zahl der Verkehrstoten von 5.000 auf 1.000 zu senken kann vielleicht noch mit 500 € Aufwand für jeden Autofahrer, ein paar tausend Verkehrszeichen und ein paar einfachen Gesetzen erreicht werden, von 1.000 auf 0 dürfte es dann extrem teuer, extrem kleinteilig und sehr repressiv werden.

Bei den Reisekosten für Beamte dürfte der Zweck wohl nicht darin liegen, diese zum Verzicht auf die Abrechnung zu motivieren oder um 15,32€ zu prellen, das wäre keine plausible Unterstellung. Hier haben eben wieder mal ein paar Einzelfälle, die den Dienstherren als Selbstbedienungsladen missbraucht haben dafür gesorgt, dass alle leiden müssen. Auch hier wäre die Lösung daher wohl eher: Mehr vertrauen, weniger prüfen, bei Fällen des Missbrauchs dann aber harte Konsequenzen für die wenigen Problemfälle. Wenn man einem Richter nicht zutraut seine Reisekosten auf Vertrauensbasis abzurechnen, ihm aber zugleich zutraut am Landgericht in Strafsachen Urteile zu fällen zu welchen es keine zweite Tatsacheninstanz gibt, macht man sich ziemlich lächerlich.
Benutzeravatar
thh
Super Mega Power User
Super Mega Power User
Beiträge: 5278
Registriert: Dienstag 18. August 2009, 15:04
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Bürokratie

Beitrag von thh »

Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31Es begab sich nun aber (^^) das ich Bereitschaft hatte und dafür, zur Kostenvermeidung des Dienstherren, mit meinem Privat-KfZ durch den Bezirk gefahren bin. Diese Dienstreisen mit erheblichen Interesse wollte ich nun über das System geltend machen. Es kam die erste Ablehnung. Die nachgeordnete Haushaltsstelle müsse irgendwas bestätigen. Da dachte ich naiver Weise, dass da bei der nachgeordneten Stelle (die meine Anträge bekommen und an die nächste Stelle weiterklicken) irgendwas schief lief und ich einfach den Antrag noch mal absende. Es kam mir schon komisch vor, dass der Antrag nicht einfach an diese Stelle zurückgeschickt wurde, damit die dann ihren Fehler beheben können. Gut, kann sein, dass das System das nicht hergibt. Es folgte die nächste Ablehnung mit exakt derselben Begründung wie zuvor. "Glücklicherweise" waren es insgesamt 2 Dienstreisen und der Bearbeiter hat bei der Bearbeitung der zweiten Dienstreise mitbekommen, dass der Strich es wohl einfach nicht geschnallt hat. Es kam also eine leicht abgeänderte Variante: "Sie müssen sich von der nachgeordneten Stelle ... [irgendwas] bescheinigen lassen".
Ja, klar, nämlich dass an der Nutzung des Privat-Kfzs ein erhebliches dienstliches Interesse besteht; das muss üblicherweise vor Antritt der Dienstreise durch den Genehmigenden bescheinigt werden.
Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31 Strich rennt also zur Verwaltung und siehe da, es gibt eine Verfügung des Direktors, die mit angehangen werden sollte. Okay alles klar, den Lernprozess hab ich halt und dann gehts bei nächsten Mal schnell. Anhang dran, neue Anträge (weil 2 Dienstreisen) raus. Jetzt wurden beide Dienstreisen genehmigt, aber das Beförderungsmittel wurde von "Privat KfZ mit erheblichem dienstlichem Interesse" in "Privat-KfZ" geändert. Ausgezahlt wurde die Häflte.
Keine Begründung. Ich also eine "Nachberechnung" ausgelöst. Ohne Begründung abgelehnt. Da dacht ich mir, das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist richtig richtig frech. Dieses Spiel kann ich auch spielen, also habe ich den ganzen Sachverhalt der Dienstreisen aufgeschrieben und auf dem Dienstweg mit der Bitte um einen rechtsmittelfähigen Bescheid abgeschickt. Ich erhielt als Antwort ein Schreiben, dass mich aufforderte, die Dienstreise einfach noch mal zu beantragen und (festhalten oder hinsetzen) das Beförderungsmittel von „Privat Kfz“ auf
„Privat Kfz mit erhebliches dienstliches Interesse“ ändern! Also genau das, was vorher beantragt und von der Abrechnungsstelle geändert wurde!
Ist diese Anerkennung des erhebllichen dienstlichen Interesses denn bei euch üblich? Ich kenne das von hier nicht; im Gegenteil, die Nutzung eines Kfz statt des ÖPNV ist begründungspflichtig. Das höchste der Gefühle ist da die Regelung, dass bei Fahrten zum Sitzungsdienst regelmäßig die Voraussetzungen für die Kfz-Nutzung vorliegen, aber ein erhebliches dienstliches Interesse habe ich da noch nicht gesehen, auch nicht, wenn man irgendwann mitten in der Nacht an einem Tatort steht. :)

Möglicherweise war die Änderung insofern nicht böswillig?
Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31Das Problem ist, dass keiner mehr Meister werden will, weil er dann eigentlich nur noch verlängerter Arm der Verwaltung im Unternehmen ist.
Und wenn man dann mal - wie gefordert - unbürokratisch handelt, wie bei der Abrechnung der Corona-Tests, und es dann (vorhersehbar) Millionenbetrug gibt, ist das auch wieder nicht recht. Genauso wie die Bürokratie für den Meister ganz schlimm ist, aber natürlich eine unüberschaubare Vielzahl von arbeits-, datensch- und sonstwas-schützenden Regelungen eingehalten und deren Einhaltung belegt werden muss. Wenn man keine überbordende Bürokratie will, muss man sich eben bei den materiellen Regelungen entsprechend zurückhalten (oder sie unüberwachbar machen, aber das wäre natürlich aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten verfehlt). Will ich Kinderarbeit in dern Herstellungsländern dadurch bekämpfen, dass ich ein Lieferkettengesetz schaffe, schaffe ich damit natürlich eine Riesenbürokratie. Das eine geht nicht ohne das andere.
Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31Das Problem ist, dass jeder der ein Café eröffnen will, faktisch vom Goodwill der Verwaltung abhängt. Ich halte es für praktisch ausgeschlossen, ohne anwaltlichen Rat und ohne Architekt rechtssicher ein Café zu betreiben. Man kann nur hoffen, dass die Verwaltung in Gestalt des Bauamtes/Brandschutzes/Gesundheitsamtes/Sozialversicherungsträgern/Finanzamt/Gemeinde/Berufsgenossenschaften ihr Ermessen dahingehend ausübt, allenfalls rudimentäre (d.i. stirbt da jemand beim Betreten des Cafés) Kontrollen durchzuführen.
Und wenn es dann eklige Lebensmittel gibt, der Mindestlohn unterschritten wird, die Bediensteten keine ordentlichen Pausenräume haben oder sich nicht ordentlich umziehen können oder es gar einmal brennt und dann Menschen sterben, weil die romantischen Räumlichkeiten halt nur schlecht zu entfluchten sind, ist es auch wieder nicht recht.

Wir erwarten eine Unzahl von Schutz- und Gleichberechtigungsvorschriften. Wir nehmen eben nicht hin, dass man als Blinder oder Gehbehinderter bestimmte Verkehrsmittel, Geschäftsräume, Unternehmungen, pp. nicht ohne Hilfe nutzen kann, sondern wir erwarten, dass das geht. Das funktioniert nur mit einer Vielzahl von - auch sehr kleinteilgein - Vorschriften und deren Überwachung. You can't have one without the other.
Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31Jetzt die andere Seite: Ich verstehe jede einzelne der Regelungen an die man sich so halten soll. Das ergibt alles irgendwo Sinn. Am Ende stirbt die Oma, weil ich irgendeine Treppe nicht gekennzeichnet habe. Am Ende ist irgendein Fluchtweg verstellt, irgendein Arbeitnehmer im Café berufsunfähig, irgendein Kind vergiftet. Es stürzt irgendwo eine Brücke ein, ein Auto brennt ab, weil das KBA zu nachlässig war und nicht auch noch die 232igste BImSchVO und 7 TA Lärm geprüft hat. Ich weiß also wirklich nicht, wie eine Lösung aussehen soll und bin ehrlich gesagt mittelschwer ernüchtert, was das ganze betrifft.
Das ist der Punkt: Die Vermeidung möglichst jeder Form von Risiko und möglichst jeder Form von Benachteiligung ist nur mit einer überbordenden Regelungsfülle und einer entsprechenden Bürokratie möglich. Wenn man das nicht möchte, muss man eben zunächst den Benachteiligungsschutz und dann auch die Risikovermeidung beschneiden. Dann kann man eben im Rollstuhl in manche Geschäfte nicht mehr herin, und wer micht mehr gut sieht und nicht gut zu Fuß ist, muss besonders aufpassen oder sich begleiten lassen. Der Zug fährt aber in die ganz andere Richtung. Der Bürger soll - und verlangt es auch - vor jeder Unbill und auch vor sich selbst geschützt werden.
gola20
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 865
Registriert: Donnerstag 29. September 2011, 20:11
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Bürokratie

Beitrag von gola20 »

Die Verwaltung hat kein Monopol auf schlechte Digitalisierung und Bürokratie. Bei uns im Konzern ist die Reisekostenabrechnung auch maximal kompliziert. Viele Personen reichen erst ab einem gewissen Betrag ein, da sie den Aufwand scheuen.
Julia
Moderatorin
Moderatorin
Beiträge: 2384
Registriert: Freitag 8. März 2019, 08:29
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Bürokratie

Beitrag von Julia »

Pragmatische Lösung: Schwerbehindertenausweis! Dann gibt's immer ein erhebliches dienstliches Interesse :D
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8343
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Bürokratie

Beitrag von Ara »

Theopa hat geschrieben: Freitag 18. August 2023, 10:18 Ein gutes Beispiel: Wir haben ein ernsthaft geäußertes Ziel dafür, die Zahl der Verkehrstoten auf Null (!!!) zu senken. Während es natürlich sinnvoll ist die Zahl unnötiger Toter zu reduzieren und Gurte/Airbags in alle PKW aufzunehmen bzw. die Front neu zugelassener KfZ so zu gestalten, dass Fußgänger höhere Chancen haben, kommt man bei solchen realitätsfremden Zielen irgendwann in den Bereich des extrem abnehmenden Grenznutzens. Die Zahl der Verkehrstoten von 5.000 auf 1.000 zu senken kann vielleicht noch mit 500 € Aufwand für jeden Autofahrer, ein paar tausend Verkehrszeichen und ein paar einfachen Gesetzen erreicht werden, von 1.000 auf 0 dürfte es dann extrem teuer, extrem kleinteilig und sehr repressiv werden.
Ohne den Thread zu kapern: Das ist glaub ich ein Missverständnis. Das Konzept heißt "Vision Zero" und bedeutet nicht, dass um jeden Preis die Verkehrstoten auf 0 zu senken sind. Das ist nur eine Vision (bzw. Zielerklärung) mit dem Kerngedanken, dass Menschen immer Fehler machen und deswegen die Technik/Umgebung präventiv so ausgestaltet werden soll, dass menschliche Fehler korrigiert werden. Zum Beispiel, dass Fahrradwege baulich getrennt angelegt werden sollen, damit Fahrfehler von Autos nicht direkt die Radfahrer bedroht. Auch die automatischen Bremsassistenten die nun verpflichtend sind in der EU, sind Teil von Vision Zero. Es ist natürlich allen bewusst, dass es (zumindest vor dem autonomen Fahren der Stufe 5) ein unrealistisches Ziel ist die Verkehrstote auf 0 zu senken, trotzdem soll das immer angestrebt werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
surcam
Power User
Power User
Beiträge: 489
Registriert: Sonntag 13. Juni 2010, 19:38
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von surcam »

Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31 Es begab sich nun aber (^^) das ich Bereitschaft hatte und dafür, zur Kostenvermeidung des Dienstherren, mit meinem Privat-KfZ durch den Bezirk gefahren bin. Diese Dienstreisen mit erheblichen Interesse wollte ich nun über das System geltend machen. Es kam die erste Ablehnung. Die nachgeordnete Haushaltsstelle müsse irgendwas bestätigen. Da dachte ich naiver Weise, dass da bei der nachgeordneten Stelle (die meine Anträge bekommen und an die nächste Stelle weiterklicken) irgendwas schief lief und ich einfach den Antrag noch mal absende. Es kam mir schon komisch vor, dass der Antrag nicht einfach an diese Stelle zurückgeschickt wurde, damit die dann ihren Fehler beheben können. Gut, kann sein, dass das System das nicht hergibt. Es folgte die nächste Ablehnung mit exakt derselben Begründung wie zuvor. "Glücklicherweise" waren es insgesamt 2 Dienstreisen und der Bearbeiter hat bei der Bearbeitung der zweiten Dienstreise mitbekommen, dass der Strich es wohl einfach nicht geschnallt hat. Es kam also eine leicht abgeänderte Variante: "Sie müssen sich von der nachgeordneten Stelle ... [irgendwas] bescheinigen lassen". Strich rennt also zur Verwaltung und siehe da, es gibt eine Verfügung des Direktors, die mit angehangen werden sollte. Okay alles klar, den Lernprozess hab ich halt und dann gehts bei nächsten Mal schnell. Anhang dran, neue Anträge (weil 2 Dienstreisen) raus. Jetzt wurden beide Dienstreisen genehmigt, aber das Beförderungsmittel wurde von "Privat KfZ mit erheblichem dienstlichem Interesse" in "Privat-KfZ" geändert. Ausgezahlt wurde die Häflte.
Keine Begründung. Ich also eine "Nachberechnung" ausgelöst. Ohne Begründung abgelehnt. Da dacht ich mir, das kann doch wohl nicht wahr sein. Das ist richtig richtig frech. Dieses Spiel kann ich auch spielen, also habe ich den ganzen Sachverhalt der Dienstreisen aufgeschrieben und auf dem Dienstweg mit der Bitte um einen rechtsmittelfähigen Bescheid abgeschickt. Ich erhielt als Antwort ein Schreiben, dass mich aufforderte, die Dienstreise einfach noch mal zu beantragen und (festhalten oder hinsetzen) das Beförderungsmittel von „Privat Kfz“ auf
„Privat Kfz mit erhebliches dienstliches Interesse“ ändern! Also genau das, was vorher beantragt und von der Abrechnungsstelle geändert wurde!
Das liest sich danach, als ob beim ersten Antrag der Grund für das erhebliche dienstliche Interesse nicht erkennbar war, dies aber durch die Darstellung des ganzen Sachverhalts klar wurde. Beim erheblichen dienstlichen Interesse sollte man immer die Gründe dafür angeben, insbesondere wenn man vorher keinen Antrag gestellt hat.
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2254
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von Strich »

Habe ich natürlich, mit Aktenzeichen der zugehörgen Vorgänge.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2254
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von Strich »

Theopa hat geschrieben: Freitag 18. August 2023, 10:18
Strich hat geschrieben: Mittwoch 16. August 2023, 14:31 Das klang jetzt alles nach Rant ohne Ende und das war es auch. Jetzt die andere Seite: Ich verstehe jede einzelne der Regelungen an die man sich so halten soll. Das ergibt alles irgendwo Sinn. Am Ende stirbt die Oma, weil ich irgendeine Treppe nicht gekennzeichnet habe. Am Ende ist irgendein Fluchtweg verstellt, irgendein Arbeitnehmer im Café berufsunfähig, irgendein Kind vergiftet. Es stürzt irgendwo eine Brücke ein, ein Auto brennt ab, weil das KBA zu nachlässig war und nicht auch noch die 232igste BImSchVO und 7 TA Lärm geprüft hat. Ich weiß also wirklich nicht, wie eine Lösung aussehen soll und bin ehrlich gesagt mittelschwer ernüchtert, was das ganze betrifft. Einzeln machen die Regelungen Sinn, in Summe erdrücken sie jeden Unternehmergeist, jede Innovation etc.
Es wäre wichtig einen allgemeinen Konsens dafür zu haben, dass man die Kirche auch mal im Dorf lassen muss. Dieser besteht aber offenbar nicht, da zu viele scheinbar nicht (mehr) mit der einfachen Tatsache umgehen können, dass das Leben tödlich ist.

...
Ja genau. Das ist das Problem. Ein Beispiel: Wenn ich eine Bank gründen will, muss ich über die für eine Privatperson schier unüberwindbaren Hürden des KWG, dessen § 1 der Paragraf mit den meisten Absätzen sein dürfte. Da spielt es überhaupt keine Rolle, dass ich am Anfang ein bisschen Darlehn hier und ein bisschen Anlage da anbiete. Wenn am Ende 500 Leute gefährdet werden, weil ich zu blöd für die Buchhaltung bin, juckt das im Gesamtstaatsgefüge eigentlich niemanden außer die 500 Leute. Die könnte man dann echt auf ihre eigene Vernunft als ausreichenden Schutzmechanismus verweisen.
thh hat geschrieben:Wir erwarten eine Unzahl von Schutz- und Gleichberechtigungsvorschriften. Wir nehmen eben nicht hin, dass man als Blinder oder Gehbehinderter bestimmte Verkehrsmittel, Geschäftsräume, Unternehmungen, pp. nicht ohne Hilfe nutzen kann, sondern wir erwarten, dass das geht. Das funktioniert nur mit einer Vielzahl von - auch sehr kleinteilgein - Vorschriften und deren Überwachung. You can't have one without the other.
Ja genau. Du hast das Problem sehr gut zusammengefasst. Was kann Marko Buschmann also tatsächlich tun? Ich sehe da schwarz.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Herr Schraeg
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2811
Registriert: Montag 15. März 2010, 10:35
Ausbildungslevel: RA

Re: Bürokratie

Beitrag von Herr Schraeg »

@ Strich: sehr schöne threaderöffnung,(und ebenso gut von thh weitergeführt), danke. Zu Beginn der übliche rant über ein bürokratisches Ärgernis, über das man streiten kann und das jeder sicher mit ähnlichen Beispielen vertiefen kann. Das Besondere ist der twist, dass Du die Sinnhaftigkeit der (allermeisten) dieser bürokratischen Regelungen einsiehst und dann vor einem Dilemma stehst.

Ich sehe keinen Königsweg zur Auflösung dieses Dilemmas. Ein paar überflüssige bürokratische Regelungen, die man ersatzlos streichen kann, wird man finden. Aber die meisten dieser Regelungen verfolgen einen sehr nachvollziehbaren Schutzzweck und sind "nur" wegen ihrer Vielzahl oder eben im spezifischen Einzelfall schwer erträglich.

Theoretisch lässt sich dieser Widerspruch auflösen, indem man der Behörde und ihren Mitarbeitern die Befugnis einräumt, im Einzelfall von den bürokratischen Vorgaben abzusehen (seltsam, wenn ich das als Rechtsanwalt, der meistens auf der Gegenseite tätig ist, sage). Dazu gehört auch die Förderung der Entscheidungsfreude der Mitarbeiter und eine tatsächlich nur auf Ermessensfehler beschränkte Fehlersuche der Gerichte. Die Behörde muss die Entscheidung treffen können, dass bei der Zulassung einer Windkraftanlage die Förderung regenerativer Energie wichtiger als zwei tote Fledermäuse im Jahr ist.

Dann wird man es aber hinnehmen müssen, dass auch Fehlentscheidungen getroffen werden und (scheinbar oder tatsächlich) Gleiches ungleich behandelt wird. Ungleichbehandlung ist aber der Aufreger schlechthin. Aus meiner anwaltlichen Praxis kann ich nur festhalten, dass man Mandanten manchmal vom Sinn bürokratischer Formalien überzeugen kann. Ich habe aber noch nie einem Mandanten das Konzept "Keine Gleichheit im Unrecht" vermitteln können.
Benutzeravatar
scndbesthand
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 1987
Registriert: Freitag 18. Januar 2008, 17:08
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von scndbesthand »

Es würde in vielen Fällen schon etwas bringen, wenn die Zuständigkeit von mehreren Stellen auf eine einzige konzentriert wird und diese selbstverantwortlich über alle Aspekte entscheidet. Und zwar, ohne sich noch jahrelang ins Benehmen mit anderen Behörden setzen zu müssen.
„Willkommen beim kassenärztlichen Servicecenter. Hinweise zum Datenschutz finden Sie unter ElfSechsElfSieben Punkt DeEh Släsch Datenschutz. Wenn Sie in einer lebensbedrohlichen Situation sind, legen Sie bitte jetzt auf und wählen EinsEinsZwei.“
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2254
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von Strich »

Herr Schraeg hat geschrieben: Mittwoch 23. August 2023, 11:29 ...
Ich habe aber noch nie einem Mandanten das Konzept "Keine Gleichheit im Unrecht" vermitteln können.
Vielen Dank für den Beitrag. Ich stelle fest, dass alle irgendwie das selbe komische Gefühl teilen. Ich will es auch irgendwie nicht hinnehmen, dass man eben vor einem it is what it is steht.
Die zitierte Stelle ist halt auch super problematisch, wenn der Staat sehenden Auges Unrecht aus "Opportunitätsgründen" (aka OWi wird halt nicht verfolgt, Bauamt schreitet nicht ein etc.) hinnimmt und dem anderen Bürger dann sagt, du aber nicht, weil keine Gleichheit im Unrecht. Das ist, so wie es gerade praktiziert wird, auch rechtstheoretisch nicht haltbar, wenn der Staat "Unrecht" schafft, es einigen Bürgern aber aufgrund von dann eintretenden "Bestandsschutz" noch zubilligt "im Unrecht" zu sein. Man bekommt das Gefühl, dass von Art 3 Abs. 1 GG fast nur noch zu Lasten des Einzelnen Gebrauch gemacht wird: Wenn er was will, ist es meistens "keine Gleichheit im Unrecht", wenn er etwas ertragen soll erfolgt das meist, um Gleichbehandlung herzustellen.
Aber das ist ein anderes Spielfeld.
Herr Schraeg hat geschrieben: Mittwoch 23. August 2023, 11:29Theoretisch lässt sich dieser Widerspruch auflösen, indem man der Behörde und ihren Mitarbeitern die Befugnis einräumt, im Einzelfall von den bürokratischen Vorgaben abzusehen (seltsam, wenn ich das als Rechtsanwalt, der meistens auf der Gegenseite tätig ist, sage). Dazu gehört auch die Förderung der Entscheidungsfreude der Mitarbeiter und eine tatsächlich nur auf Ermessensfehler beschränkte Fehlersuche der Gerichte. Die Behörde muss die Entscheidung treffen können, dass bei der Zulassung einer Windkraftanlage die Förderung regenerativer Energie wichtiger als zwei tote Fledermäuse im Jahr ist.
Oh ja absolut. Wir haben gut bis sehr gut ausgebildete Fachbehörden. Juristen sollten sich weniger mit den Fachfragen, als mehr mit den ich nenns mal im weiteren Sinne "Gerechtigkeitsfragen" auseinandersetzen. Ich meine damit Folgendes: Wenn in einem Windkraftverfahren einfach auf irgendwelche Grundstücke gebaut wird, ohne dass diejenigen angehört wurden oder ohne das deren Belange dokumentiert in einen Abwägungsprozess eingeflossen sind, ist das "ungerecht", weil der Rechtsstaat erfordert, dass der Einzelne nicht übergangen wird. Das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses scheint mir dann aber etwas zu sein, für das wir eigentlich mal Demokratie und Parlamente und nicht Gerichte erfunden haben.

Auf der anderen Seite weiß ich, dass der Teufel da im Detail steckt, die Grenze sind natürlich auch bei solchen Betrachtungen die Grundrechte, und ob da jetzt ein Anliegergrundstück über Gebühr beeinträchtigt wird, ist auch eine Rechtsfrage.

Nervig! Ich schließe mal mit einem guten "Es kann doch nicht sein"-Satz:

Es kann doch nicht sein, dass ein ganz erheblicher Teil des BIP von VERWALTUNG aufgefressen wird. Und damit ist auch der Teil der Verwaltung gemeint, den die Bürger privat betreiben müssen. Die 4 Tage Woche wird ja unter anderem deshalb gefordert, weil der Life-Admin-Teil so zugenommen hat, dass man vom Wochenende wieder nur den Sonntag hat, um mal "nichts" zu tun. Mit nem BGE würde man schon viel wirklich sinnlose Verwaltung beseitigen, aber das ist nicht durchsetzbar, weiß ich.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Liz
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 3237
Registriert: Sonntag 22. Oktober 2017, 17:03
Ausbildungslevel: Anderes

Bürokratie

Beitrag von Liz »

Der „Life-Admin-Anteil“ wird wohl kaum auf die staatlicherseits initiierte Verwaltungstätigkeit der Bürger, sondern vor allem darauf zurückzuführen sein, dass die Bürger einerseits Problem haben, Beruf, Familie und eigene Freizeitgestaltung unter einen Hut zu bringen und andererseits immer das Maximum an Leistungen für sich herausholen möchten. Ich habe zB noch nie eine Reisekostenabrechnung für irgendwelche Fortbildungsveranstaltungen eingereicht, weil es da entweder um Bagatellbeträge geht oder ich für 100 € Fahrtkosten eine Woche auf Fortbildung war und auf der Hin-/Rückfahrt ggf noch einen privaten Zwischenstopp gemacht habe. Letzteres könnte ich natürlich versuchen abzurechnen und mich dann darüber ärgern, dass die Verwaltung Schwierigkeiten hat, meinen Fall so passend zu machen, dass ich Fahrtkosten erstattet bekomme. Verzichte ich auf Geld? Ja. Macht das mein Leben weniger bürokratisch und glücklicher? Ja.

Ebenso kann man sich natürlich auch gegen Bußgelder über mehrere Instanzen wehren („Natürlich war ich zu schnell, aber wenn ich aus irgendwelchen Gründen nicht zahlen muss, wäre trotzdem super.“), aber dann darf man sich auch nicht über übermäßige Bürokratie beschweren.

Hemdsärmelige Lösungen sind halt nur dann allseits konsensfähig, wenn niemand nachteilig davon betroffen ist, also praktisch nie.
Benutzeravatar
Strich
Mega Power User
Mega Power User
Beiträge: 2254
Registriert: Samstag 9. Januar 2016, 16:52
Ausbildungslevel: Anderes

Re: Bürokratie

Beitrag von Strich »

Okayyyyy man kann natürlich so ein Bild vom Bürger haben und die gibt es sicherlich auch ... aber das darf ich dann auch für fragwürdig halten. Zumal ich mir bei der Ansicht nicht mal mehr sicher bin, ob sie mit der Anspielung von Reisekosten auf meinen Fall Bezug nimmt, was ich angesichts der dienstlich veranlassten Fahrten schwierig fände. Ich wäre auch lieber zu Hause geblieben, als Abends um 9 in die Psychiatrie zu fahren.

Ich frage mich, ob man das von thh angesprochene Sicherheitsbedürfnisproblem nicht dahin schieben sollte, wo es hingehört: zum Bürger. Soll er doch Versicherungen gegen bestimmte für exotisch gehaltene Risiken abschließen, statt das der Staat allen verbindlich irgendeine Treppenstufengroße vorgibt. Wer der Versicherung nicht will, schließt sie auf eigenes Risiko nicht ab und gestaltet seine Treppen selbst.

Umgekehrt kann man sich ja auch fragen, warum es eigentlich noch keine Pflichthaftpflicht für alle gibt, wenn denn das Sicherheitsbedürfnis tatsächlich die Bürokratie bedingt.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
Antworten