Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

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Parabellum
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Parabellum »

Diese Kongo-Konferenz-Mentalität zur Aufteilung der Welt, die bei vielen von Euch vorgeblichen "Realpolitikern" vorherrscht, widert mich an.
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Tibor
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Tibor »

Parabellum hat geschrieben:Diese Kongo-Konferenz-Mentalität zur Aufteilung der Welt, die bei vielen von Euch vorgeblichen "Realpolitikern" vorherrscht, widert mich an.
=D>

Genau so. Kann man bitte mal das Selbstbestimmungsrecht der Völker beachten?
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famulus
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von famulus »

Parabellum hat geschrieben:Diese Kongo-Konferenz-Mentalität zur Aufteilung der Welt, die bei vielen von Euch vorgeblichen "Realpolitikern" vorherrscht, widert mich an.
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[enigma]
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von [enigma] »

Ant-Man hat geschrieben: Ich habe enigma schon verstanden, aber die Realität sieht eben so aus, dass es auf der Welt einzelne Supermächte gibt, die das Geschen dominieren und die Regeln vorgeben. Die USA machen das ja seit jeher. Russland hat ein Interesse daran, einen Sicherheitspuffer zu haben, der aus Staaten besteht, die eben nicht in der NATO oder der EU sind. Es spielt daher keine Rolle, was das jeweilige Land will und was die EU/NATO will. Russland gibt in dieser Hinsicht den Takt vor. Und entweder man akzeptiert das oder wir befinden uns irgendwann im Krieg. Und die Situation in der Ukraine zeigt ja sehr deutlich, dass man nicht wirklich bereit ist, dieses heiße Eisen anzufassen, weil man die Konsequenzen fürchtet. Und das zu Recht.
Ich verstehs nicht. Du beschwerst dich, dass Deutschland angeblich seine Interessen gegenüber den USA nicht durchsetzen kann. Das ist erstens so nicht richtig, wie die deutsche Irakkriegsverweigerung und der Minsk-Gipfel beweisen. Letzterer kam nur auf Drängen Deutschlands zustande, die USA hätten lieber sofort Waffen geliefert. Dass die NSA weiter lustig Daten sammelt, liegt wohl eher nicht an der Unfähigkeit Deutschlands, sich durchzusetzen, als vielmehr am Irrglauben, dass die Datensammlung im deutschen Interesse sei. Vor allem nach der BVerfG-Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Deshalb unterstützen die deutschen Dienste laut Snowden ja auch die NSA. Nach Angaben der NSA ist der BND sogar der "verlässlichste und eifrigste Partner". Es fehlt also nicht an der Durchsetzungskraft, sondern vielmehr am politischen Willen.

Andererseits willst du anderen Ländern dann zumuten, dass sie sich nicht dem Bündnis ihrer Wahl anschließen dürfen, weil Russland sie als neutralen Puffer braucht? Was soll daran vernünftiger sein als eine angebliche Fremdbestimmung der deutschen Politik durch die USA?

Wie gesagt: Wenn Putin neutrale Staaten zwischen Russland und der NATO haben will, sollte er sie vielleicht einfach nicht bedrohen. Oder an seinen bisherigen Satellitenstaaten wie Georgien demonstrieren was passiert, wenn das Land nicht nach Russlands Pfeife tanzt. Mal ein bisschen mehr Zuckerbrot statt Peitsche, vielleicht würden die Oststaaten dann von sich aus auf die NATO pfeifen?
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Boris Die Klinge
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Boris Die Klinge »

[enigma] hat geschrieben: Nenne doch mal den konkreten Fehler des Westens, der so gravierend gewesen sein soll, dass er den russischen Einmarsch nicht nur als vorhersehbar, sondern auch als richtige Konsequenz erscheinen lassen würde.
Ich habe weder behauptet noch behaupten wollen, dass Russlands Verhalten "richtig" bzw. die "richtige Konsequenz" gewesen sei. Vorhersehbar -und darauf will ich letztlich hinaus- war das russische Verhalten insbesondere für Kenner der russischen Außeninteressen allemal. Verantwortungsvolle, vorausschauende EU-Außenpolitik hätte diese vorhersehbare Entwicklung im Interesse der Friedenswahrung berücksichtigen können und müssen. Selbst als Normalsterblicher musste man kein Hellseher sein, um vorhersagen zu können, wie Russland auf das organisierte Chaos und den "totalen Kontrollverlust" in der Ukraine im Hinblick auf die Krim reagieren wird.
Über die wohl zahlreichen Fehler des Westens gibt es lesenswerte Abhandlungen von Personen, die sowohl von russischer und ukrainischer Geschichte als auch von den so wichtigen und wesentlichen Einzelheiten der Konfliktanbahnung sehr viel mehr wissen und verstehen als ich und die meisten hier. Mir genügte insoweit, dass etwa Martin Schulz kürzlich der professionellen Einschätzung von z.B. Gabriele Krone-Schmalz und Harald Kujat -ohne Not- nahezu uneingeschränkt beipflichtete.
[enigma] hat geschrieben:Der Sturz von Janukowitch war absehbar, es drohten ein Bürgerkrieg oder die Machtübernahme durch Radikale und Militaristen.
Hinsichtlich der Frage nach der Legitimität des beabsichtigten Sturzes von Janukowitsch -immerhin eines demokratisch gewählten Präsidenten- und der Frage nach der (ungeklärten) höchst fragwürdigen Legitimation der sog. Maidan-Bewegung herrscht Streit. Bereits ab diesem Punkt wird in der Folge unheimlich viel durcheinandergewürfelt und über so vieles Bedeutsames leichtfüßig hinweggegangen. Wieviele "Wahlgänge" benötigte man im Ukrainischen Parlament nochmal, bis man Janukowitsch im Februar 2014 letztlich für abgesetzt erklärt hatte und in wievielen vorhergehenden "Wahlgängen" hatte man ihn zuvor noch bestätigt?! Bereits diese Abstimmungen des ukrainischen Parlaments waren mehr oder weniger durch die Maidan-Bewegung "gewaltsam" erzwungen worden. Ich meine, mich auch noch dunkel daran erinnern zu können, dass man auf dem Maidan ursprünglich nur eine Abstimmung im Parlament forderte über die Absetzung Janukowitschs und danach Beendigung der Proteste gelobte. Die Abstimmung hatte aber nicht nur einmal nicht das gewünschte Ergebnis, die Maidan-Bewegung ist dennoch geblieben.
[enigma] hat geschrieben:Selbstverständlich unterstützt der Westen dann die (zumindest nach ukrainischen Standards) demokratischen Kräfte. Dass man Putin dabei mit ins Boot hätte holen sollen, mag ja sein. Der schien aber nie ein Interesse an einer friedlichen und allgemeinverträglichen Lösung zu haben, die das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volkes würdigt.
Siehe oben. Ob das auf dem Maidan demokratische Kräfte waren, wage ich zu bezweifeln. Hatte, trotz Klitschko's Omnipräsenz dort, nun wirklich nicht einmal den Anschein. Und die Russen waren übrigens von Beginn an "mit im Boot" und zwar friedlich diplomatisch, sie wurden nur spätestens im Nachgang der - ihrer Auffassung nach rechts- bzw. verfassungswidrigen- Absetzung Janukowitschs außen vor gelassen. Es ist auch nicht so, als hätten die Russen erwartet, dass man ihnen ihre Wünsche von den Lippen abliest. Sie haben ihre Vorstellungen stets klar und deutlich formuliert, man hat sie nur nicht hören wollen bzw. nicht respektiert.
[enigma] hat geschrieben:Was hlubenow und dir so vorschwebt, läuft im Endeffekt auf eine Art Hitler-Stalin-Pakt hinaus, in dem Europa von zwei Mächten nach den jeweiligen Interessensphären aufgeteilt und über die Köpfe der betroffenen Staaten hinweg entschieden wird.
So ein Quatsch.
[enigma] hat geschrieben:Wenn die demokratisch gewählte Regierung eines Oststaats den Westen um Partnerschaft und Schutz bittet, muss man diese Entscheidung doch respektieren?
Und was war mit dem demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch, der, obwohl er in mehreren erzwungenen Abstimmungen eines demokratisch legitimierten ukrainischen Parlaments bestätigt wurde, unter dem Eindruck von Aufständischen auf dem Maidan eine weitere Abstimmung und seine darauf folgende Absetzung (und ich glaube sogar den anschließenden Erlass eines Haftbefehls gegen sich) erdulden musste?!
[enigma] hat geschrieben:Wenn sie Putin nicht passt, kann er ja mal mit der Regierung reden und ihr erklären, wo der Vorteil einer Neutralität oder Partnerschaft mit Russland liegen soll. Militärische Drohungen sind dabei aber eher kontraproduktiv, ebenso wie der Eingriff in der Ukraine.
Wenn Du die Entwicklungen auf dem Weg zum Quasi-Staatsstreich und darüber hinaus aufmerksam verfolgt hättest, wäre Dir nicht entgangen, dass Russland in der gesamten Entwicklungsphase versucht hat, geordneten Einfluss auf die Entwicklungen zu nehmen. Man hat Russland aber, ganz lapidar, außen vor gelassen.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von hlubenow »

[enigma] hat geschrieben:Was hlubenow und dir so vorschwebt, läuft im Endeffekt auf eine Art Hitler-Stalin-Pakt hinaus, in dem Europa von zwei Mächten nach den jeweiligen Interessensphären aufgeteilt und über die Köpfe der betroffenen Staaten hinweg entschieden wird.
Höchstens in der Weise, daß es die USA und Rußland sind, die sich über die Aufteilung ihrer Einflußsphären innerhalb Europas einigen müssen. ;)

Dann kann man auch Hitler aus der Diskussion raushalten, das möchtest Du doch sonst immer.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Scaevola »

Boris Die Klinge hat geschrieben: Wenn Du die Entwicklungen auf dem Weg zum Quasi-Staatsstreich und darüber hinaus aufmerksam verfolgt hättest, wäre Dir nicht entgangen, dass Russland in der gesamten Entwicklungsphase versucht hat, geordneten Einfluss auf die Entwicklungen zu nehmen. Man hat Russland aber, ganz lapidar, außen vor gelassen.
Nach anderen Darstellungen hat Putin in der Weise geordneten Einfluss auf die Entwicklungen genommen, dass er Janukowitsch aufgefordert hat, die Maidan-Bewegung gewaltsam niederschlagen zu lassen (hätte das Deinen Beifall gefunden?, es handelte sich ja um eine vollkommen undemokratische, hochverräterische Veranstaltung). Wegen seiner stattdessen gezeigten Unentschlossenheit verachtet er ihn seither als Schwächling und lässt ihn in Rostow am Don versauern.

So ein Quatsch.
Ja, das ist Polemik, da es einen entsprechenden Pakt ja diesmal gar nicht gibt. Aber Deine Argumentation entspricht insofern dem Geist dieses Paktes, als sie einige Völker Osteuropas einer bestimmten Einflusszone zuweist und sich für ihr weiteres Schicksal nicht mehr interessiert.
[enigma] hat geschrieben:Wenn die demokratisch gewählte Regierung eines Oststaats den Westen um Partnerschaft und Schutz bittet, muss man diese Entscheidung doch respektieren?
Und was war mit dem demokratisch gewählten Präsidenten Janukowitsch, der, obwohl er in mehreren erzwungenen Abstimmungen eines demokratisch legitimierten ukrainischen Parlaments bestätigt wurde, unter dem Eindruck von Aufständischen auf dem Maidan eine weitere Abstimmung und seine darauf folgende Absetzung (und ich glaube sogar den anschließenden Erlass eines Haftbefehls gegen sich) erdulden musste?!
Ich weiß nicht, ob die Rekonstruktion dieser Vorgänge sonderlich ergiebig ist. Wir könnten uns auch darauf einigen, dass der Machtwechsel zumindest teilweise revolutionären Charakter hatte und die neue Regierung und der neue Präsident inzwischen ihrerseits demokratisch legitimiert sind. (Ich habe übrigens bei Leuten aus Deinem Lager noch nie gesehen, dass sie mit ähnlicher staatsrechtlicher Akribie die der Annexion durch Russland vorausgegangen Abstimmungen im Regionalparlament der Krim und die anschließende Volksabstimmung unter die Lupe nehmen.) Aber sei's drum. Was mich tatsächlich interessieren würde, wäre Deine Antwort auf die Frage enigmas, der Du ja mit einer Gegenfrage ausgewichen bist.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Ant-Man »

[enigma] hat geschrieben:
Ant-Man hat geschrieben: Ich habe enigma schon verstanden, aber die Realität sieht eben so aus, dass es auf der Welt einzelne Supermächte gibt, die das Geschen dominieren und die Regeln vorgeben. Die USA machen das ja seit jeher. Russland hat ein Interesse daran, einen Sicherheitspuffer zu haben, der aus Staaten besteht, die eben nicht in der NATO oder der EU sind. Es spielt daher keine Rolle, was das jeweilige Land will und was die EU/NATO will. Russland gibt in dieser Hinsicht den Takt vor. Und entweder man akzeptiert das oder wir befinden uns irgendwann im Krieg. Und die Situation in der Ukraine zeigt ja sehr deutlich, dass man nicht wirklich bereit ist, dieses heiße Eisen anzufassen, weil man die Konsequenzen fürchtet. Und das zu Recht.
Ich verstehs nicht. Du beschwerst dich, dass Deutschland angeblich seine Interessen gegenüber den USA nicht durchsetzen kann. Das ist erstens so nicht richtig, wie die deutsche Irakkriegsverweigerung und der Minsk-Gipfel beweisen. Letzterer kam nur auf Drängen Deutschlands zustande, die USA hätten lieber sofort Waffen geliefert. Dass die NSA weiter lustig Daten sammelt, liegt wohl eher nicht an der Unfähigkeit Deutschlands, sich durchzusetzen, als vielmehr am Irrglauben, dass die Datensammlung im deutschen Interesse sei. Vor allem nach der BVerfG-Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung. Deshalb unterstützen die deutschen Dienste laut Snowden ja auch die NSA. Nach Angaben der NSA ist der BND sogar der "verlässlichste und eifrigste Partner". Es fehlt also nicht an der Durchsetzungskraft, sondern vielmehr am politischen Willen.

Andererseits willst du anderen Ländern dann zumuten, dass sie sich nicht dem Bündnis ihrer Wahl anschließen dürfen, weil Russland sie als neutralen Puffer braucht? Was soll daran vernünftiger sein als eine angebliche Fremdbestimmung der deutschen Politik durch die USA?

Wie gesagt: Wenn Putin neutrale Staaten zwischen Russland und der NATO haben will, sollte er sie vielleicht einfach nicht bedrohen. Oder an seinen bisherigen Satellitenstaaten wie Georgien demonstrieren was passiert, wenn das Land nicht nach Russlands Pfeife tanzt. Mal ein bisschen mehr Zuckerbrot statt Peitsche, vielleicht würden die Oststaaten dann von sich aus auf die NATO pfeifen?
Ich finde, dass das, was Russland in Bezug auf die Ukraine tut tut bzw. getan hat, nicht in Ordnung ist. Aber das Selbstbestimmungsrecht der Völker zählt (leider) nicht, wenn die Interessen einer Supermacht bedroht werden. Man würde diesen monatelangen Eiertanz ja nicht veranstalten, wenn es wirklich zählen würde. Das ist die traurige Realität ("Kongo-Konferenz-Mentalität").
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batman
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von batman »

Ob man Russland als "Supermacht" begreifen muss, erscheint doch sehr zweifelhaft, ist aber letztlich reine Semantik. Ich sehe vor allem nicht, inwiefern seine Interessen "bedroht" werden.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Ant-Man »

batman hat geschrieben:Ob man Russland als "Supermacht" begreifen muss, erscheint doch sehr zweifelhaft, ist aber letztlich reine Semantik. Ich sehe vor allem nicht, inwiefern seine Interessen "bedroht" werden.
Es kommt immer auf das Selbstverständnis eines Landes an und auf die Art und Weise, wie es eine bestimmte Lage bewertet und mit (teilweise an den Haaren herbeigezogenen) Argumenten versucht sein eigenes Handeln zu rechtfertigen. Man braucht doch nur auf die USA zu schauen, die genau dasselbe getan haben.
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[enigma]
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von [enigma] »

Ant-Man hat geschrieben:
batman hat geschrieben:Ob man Russland als "Supermacht" begreifen muss, erscheint doch sehr zweifelhaft, ist aber letztlich reine Semantik. Ich sehe vor allem nicht, inwiefern seine Interessen "bedroht" werden.
Es kommt immer auf das Selbstverständnis eines Landes an und auf die Art und Weise, wie es eine bestimmte Lage bewertet und mit (teilweise an den Haaren herbeigezogenen) Argumenten versucht sein eigenes Handeln zu rechtfertigen. Man braucht doch nur auf die USA zu schauen, die genau dasselbe getan haben.
Der Status "Supermacht" hat mit dem Selbstverständnis eines Landes doch herzlich wenig zu tun, sondern lässt sich objektiv bestimmen. Die USA und China sind Supermächte, weil sie über militärische UND wirtschaftliche Stärke verfügen. In politischer Hinsicht ist wohl sogar die USA tatsächlich die einzige Supermacht, weil sie sich eben auf Bündnisse mit anderen wichtigen Ländern verlassen können. Schon ganz alleine deshalb hat die amerikanische Stimme in der Welt eben mehr Gewicht als die russische oder chinesische. Das ist vor allem keine antirussische Verschwörung sondern eine Konsequenz aus der Tatsache, dass Russland nun mal nicht alleine auf der Welt ist.

Das bedeutet natürlich nicht, dass man Russland schlicht ignorieren oder unterschätzen sollte. Natürlich muss man Rücksicht auf deren Interessen nehmen, solange diese nicht darin bestehen, einfach mal in ein europäisches Land einzumarschieren oder souveränen Demokratien ihre Außenpolitik vorzuschreiben. Die Zeiten, in denen Russland aber eine militärische und politische Supermacht auf Augenhöhe mit dem Westen war, sind vorbei. Ebenso wie Deutschland heute nicht mehr einfach andere Staatsgebiete für sich beanspruchen kann. Im Gegensatz zu Russland hat Deutschland aber mittlerweile auf anderem Weg, eben durch Diplomatie und Bündnisse eine neue Machtposition unter den neuen weltpolitischen Bedingungen aufgebaut. Dass Russland das versäumt, mag den USA ja ganz Recht sein, ist aber nicht deren Schuld. Insbesondere haben die USA seit dem Zweiten Weltkrieg eben nicht "genau dasselbe" getan wie Russland, sondern ziemlich genau das Gegenteil. Sich zum Beispiel diplomatisch unverzichtbar für Deutschland und andere Länder gemacht, während sich Russland ganz alleine auf sein militärisches Drohpotenzial und eine langfristig nicht überlebensfähige Ideologie verlassen hat.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Ant-Man »

[enigma] hat geschrieben:Der Status "Supermacht" hat mit dem Selbstverständnis eines Landes doch herzlich wenig zu tun, sondern lässt sich objektiv bestimmen. Die USA und China sind Supermächte, weil sie über militärische UND wirtschaftliche Stärke verfügen. In politischer Hinsicht ist wohl sogar die USA tatsächlich die einzige Supermacht, weil sie sich eben auf Bündnisse mit anderen wichtigen Ländern verlassen können. Schon ganz alleine deshalb hat die amerikanische Stimme in der Welt eben mehr Gewicht als die russische oder chinesische. Das ist vor allem keine antirussische Verschwörung sondern eine Konsequenz aus der Tatsache, dass Russland nun mal nicht alleine auf der Welt ist.
Um mal schnell einen Teil der Ukraine einzunehmen, den Westen damit vor den Kopf zu stoßen, die östlichen NATO-Staaten in Alarmbereitschaft zu versetzen und die NATO zu veranlassen, ihre inneren Strukturen zu verändern hat es jedenfalls gereicht. ;) Russland traut sich das nur, weil es von sich überzeugt ist und weiß, dass es die Regeln vorgeben kann, und allein das ist entscheidend (und nicht irgendwelchen objektiven Kriterien zur Bestimmung des Begriffs "Supermacht" oder ob andere Staaten Russland als Supermacht ansehen oder nicht).
[enigma] hat geschrieben:Das bedeutet natürlich nicht, dass man Russland schlicht ignorieren oder unterschätzen sollte. Natürlich muss man Rücksicht auf deren Interessen nehmen, solange diese nicht darin bestehen, einfach mal in ein europäisches Land einzumarschieren oder souveränen Demokratien ihre Außenpolitik vorzuschreiben.
Russland ist eben nicht Jugoslawien, Afganistan, Irak oder Lybien, wo man einfach mal ein paar Bomben abwerfen kann. ;) Ich wäre erstaunt, wenn sich ein NATO-Staat überhaupt trauen würde, eine Bombe abzuwerfen. Allein das zeigt schon, mit wem man es hier zu tun hat. Dass die Eingriffe in Jugoslawien und Irak durch die NATO bzw. die USA ohne UN-Mandat erfolgt sind und auf Lügen basieren, sei nur mal so am Rande erwähnt, zeigt aber auch, dass der Westen nicht besser ist als Russland. Und wenn sich schon der Westen so verhält, warum sollte Russland dann zögern, nicht ebenso zu handeln und seine Interessen zu sichern?
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[enigma]
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von [enigma] »

Ant-Man hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Der Status "Supermacht" hat mit dem Selbstverständnis eines Landes doch herzlich wenig zu tun, sondern lässt sich objektiv bestimmen. Die USA und China sind Supermächte, weil sie über militärische UND wirtschaftliche Stärke verfügen. In politischer Hinsicht ist wohl sogar die USA tatsächlich die einzige Supermacht, weil sie sich eben auf Bündnisse mit anderen wichtigen Ländern verlassen können. Schon ganz alleine deshalb hat die amerikanische Stimme in der Welt eben mehr Gewicht als die russische oder chinesische. Das ist vor allem keine antirussische Verschwörung sondern eine Konsequenz aus der Tatsache, dass Russland nun mal nicht alleine auf der Welt ist.
Um mal schnell einen Teil der Ukraine einzunehmen, den Westen damit vor den Kopf zu stoßen, die östlichen NATO-Staaten in Alarmbereitschaft zu versetzen und die NATO zu veranlassen, ihre inneren Strukturen zu verändern hat es jedenfalls gereicht. ;) Russland traut sich das nur, weil es von sich überzeugt ist und weiß, dass es die Regeln vorgeben kann, und allein das ist entscheidend (und nicht irgendwelchen objektiven Kriterien zur Bestimmung des Begriffs "Supermacht" oder ob andere Staaten Russland als Supermacht ansehen oder nicht).
Die ukrainische Armee ist ein Haufen von korrupten und schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten, die für den ohnehin nicht sonderlich beliebten Osten sicher nicht das Kanonenfutter spielen. Dass Russland die Regeln vorgeben kann ist eben der entscheidende Denkfehler, dem Putin unterliegt. Klar kann er so ne Nummer abziehen, muss dann aber eben auch die Konsequenzen in Form von Isolation und Sanktionen tragen. Ersteres scheint ihn ja nicht zu stören, die Sanktionen aber umso mehr. Und beides zusammen ist ne unangenehme Kombination. Wahrscheinlich (reine Mutmaßung meinerseits) hat Putin darauf spekuliert, dass wesentliche Teile der EU und insbesondere Deutschland die Sanktionen nicht mit tragen würden, was gleichzeitig die USA-EU Allianz geschwächt hätte. Die Rechnung ging nicht auf und gleichzeitig hat er jetzt einen armen Teil eines armen Landes an der Backe, dessen Bevölkerung völlig überzogene Erwartungen an die neue Heimat hat. Insofern hat Putin in der Ostukraine abgesehen von kurzfristiger innenpolitischer Machtsicherung nichts gewonnen.
Ant-Man hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Das bedeutet natürlich nicht, dass man Russland schlicht ignorieren oder unterschätzen sollte. Natürlich muss man Rücksicht auf deren Interessen nehmen, solange diese nicht darin bestehen, einfach mal in ein europäisches Land einzumarschieren oder souveränen Demokratien ihre Außenpolitik vorzuschreiben.
Russland ist eben nicht Jugoslawien, Afganistan, Irak oder Lybien, wo man einfach mal ein paar Bomben abwerfen kann. ;) Ich wäre erstaunt, wenn sich ein NATO-Staat überhaupt trauen würde, eine Bombe abzuwerfen. Allein das zeigt schon, mit wem man es hier zu tun hat. Dass die Eingriffe in Jugoslawien und Irak durch die NATO bzw. die USA ohne UN-Mandat erfolgt sind und auf Lügen basieren, sei nur mal so am Rande erwähnt, zeigt aber auch, dass der Westen nicht besser ist als Russland. Und wenn sich schon der Westen so verhält, warum sollte Russland dann zögern, nicht ebenso zu handeln und seine Interessen zu sichern?
Wer redet denn bitte davon, Russland zu bombardieren? Solange Putin keinen NATO-Staat angreift wird es wohl glücklicherweise nicht zu einem direkten Krieg kommen. Muss es auch gar nicht, denn Russland ist eben (anders als die USA und Westeuropa) extrem anfällig für wirtschaftliche Druckmittel, weil sich Russland seit Ende des Kalten Krieges eben in einer einseitigen Abhängigkeit befindet. Die Sanktionen werden vielleicht kurz- und mittelfristig eher zu einer Trotzreaktion führen, langfristig wird sich aber schon die Erkenntnis durchsetzen, dass ein Staat wie Russland den Westen mehr braucht, als umgekehrt.

Und was ich von diesen ganzen "Der Westen ist genauso schlecht wie Russland" und "Die Krim ist das neue Jugoslawien" Vergleichen halte, steht ja bereits ausführlich auf den letzten Seiten.
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

Beitrag von Mr_Black »

Tibor hat geschrieben:
Parabellum hat geschrieben:Diese Kongo-Konferenz-Mentalität zur Aufteilung der Welt, die bei vielen von Euch vorgeblichen "Realpolitikern" vorherrscht, widert mich an.
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Genau so. Kann man bitte mal das Selbstbestimmungsrecht der Völker beachten?
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Re: Der Ukraine- bzw. Krimkrisenthread

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