Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

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Ara
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Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Ara »

Stammtischforschung von Pfeiffer: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/v ... 64923.html

Man muss sich nur mal die PKS vom Saarland anschauen. Im gesamten Bundesland gab es 2012 lediglich 81 bekanntgewordene Fälle von Vergewaltigung und Sexueller Nötigung (leider teilen sie es nicht weiter auf) . Auch Hamburg hat lediglich 169 Fälle von Vergewaltigung und besonders schwerer sexueller Nötigung. Kann man bei so geringen Zahlen tatsächlich von nem Trend zwischen Bundesländern sprechen?

Dazu ist das Fazit, dass die Ermittlungsbehörden überlastet seien doch auch merkwürdig. Abgesehen davon, dass eine Aufklärungsquote von 79% besteht (Hamburg 2012), wäre es mir neu, dass die Beamten im Sonderdezernat für Kapitalverbrechen so stark überlastet seien, dass sie bei einer Vergewaltigung nicht mehr ordentlich ermitteln können. Bei Mord, Totschlag und Vergewaltigung scheint es doch, berechtigterweise, eher so zu sein, dass es weder personelle noch materielle Grenzen gibt.

Und was sowohl die Aussagen Pfeiffers als auch der Artikel vermissen lässt: Wäre es denn überhaupt so schlimm, wenn die Quote so gering sei?

Wir leben in einem Rechtsstaat. Vergewaltigung ist schwer nachzuweisen, da es in der Regel eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist. Es ist aber nun mal dem Rechtsstaat immanent, dass bei Zweifeln für den Angeklagten entschieden wird. Somit ist es weder überraschend noch verkehrt, dass die Gerichte Vergewaltiger, dessen Schuld nicht nachgewiesen werden kann, laufen lassen.

Aber was sagt Pfeiffer dazu?
„Für einen Rechtsstaat ist das alarmierend“, sagte Pfeiffer." http://www.focus.de/politik/deutschland ... 81561.html
Sehr gut auch:
"Es gibt Strafbarkeitslücken im Gesetz", sagt Kräuter-Stockton. Ein Beispiel: Ein Mann, der seine Partnerin wiederholt geschlagen hat, zieht ihr die Hose herunter und schläft mit ihr, obwohl sie nicht will. Doch sie wehrt sich nicht und weint nur, aus Furcht. Dies sei keine Vergewaltigung, sagt Kräuter-Stockton. "Das hätte ich gerne im Gesetz als Vergewaltigung abgedeckt." http://www.sueddeutsche.de/panorama/stu ... -1.1938659
Wir halten fest: Die Frau möchte im Zweifel eine vorsatzlose Vergewaltigung im StGB haben... So zumindest die Folge, wenn es nur noch um den inneren Willen des mutmaßlichen Opfers geht.

Am Rande Kurios ist die Geschichte mit der die SZ die ganze Geschichte bildlicher macht:

1. Satz
Sie wollte es nicht, von Anfang an. Verena war 16, als es anfing, während eines Schulprojekts an einem norddeutschen Gymnasium.
3. Satz
Sie ließ sich ein auf sein Drängen, schlief mit ihm
Ich weiß nicht was für ein Sexualstrafrecht sich die SZ vorstellt, aber wenn das "Überreden" zum Sex eine Straftat wird, dann sitzt doch demnächst die halbe Bevölkerung ein.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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jurabilis
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von jurabilis »

Ara hat geschrieben:Ich weiß nicht was für ein Sexualstrafrecht sich die SZ vorstellt, aber wenn das "Überreden" zum Sex eine Straftat wird, dann sitzt doch demnächst die halbe Bevölkerung ein.
Interessantes Bild, das Du da vom Sexualleben der Deutschen an die Wand wirfst :-w
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von julée »

Ara hat geschrieben:Und was sowohl die Aussagen Pfeiffers als auch der Artikel vermissen lässt: Wäre es denn überhaupt so schlimm, wenn die Quote so gering sei?

Wir leben in einem Rechtsstaat. Vergewaltigung ist schwer nachzuweisen, da es in der Regel eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist. Es ist aber nun mal dem Rechtsstaat immanent, dass bei Zweifeln für den Angeklagten entschieden wird. Somit ist es weder überraschend noch verkehrt, dass die Gerichte Vergewaltiger, dessen Schuld nicht nachgewiesen werden kann, laufen lassen.
Wenn das reale Geschehen tatsächlich eine Vergewaltigung war und der Täter, nachdem das Opfer durch zig Vernehmungen und eine Hauptverhandlung gegangen ist, sich den möglicherweise in höchst unverschämter Weise vorgetragenen Unterstellungen und Beschuldigungen des Verteidigers aussetzen musste, in dubio pro reo freigesprochen wird, dann mag das rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen - aber aus Sicht des Opfers dürfte das Verfahren dann nicht geeignet sein, den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Und verherrend dürfte insoweit die Signalwirkung sein - wer sich das nicht antun möchte, der zeigt gar nicht erst an.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben:Stammtischforschung von Pfeiffer: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/v ... 64923.html

Man muss sich nur mal die PKS vom Saarland anschauen. Im gesamten Bundesland gab es 2012 lediglich 81 bekanntgewordene Fälle von Vergewaltigung und Sexueller Nötigung (leider teilen sie es nicht weiter auf) . Auch Hamburg hat lediglich 169 Fälle von Vergewaltigung und besonders schwerer sexueller Nötigung. Kann man bei so geringen Zahlen tatsächlich von nem Trend zwischen Bundesländern sprechen?

Dazu ist das Fazit, dass die Ermittlungsbehörden überlastet seien doch auch merkwürdig. Abgesehen davon, dass eine Aufklärungsquote von 79% besteht (Hamburg 2012), wäre es mir neu, dass die Beamten im Sonderdezernat für Kapitalverbrechen so stark überlastet seien, dass sie bei einer Vergewaltigung nicht mehr ordentlich ermitteln können. Bei Mord, Totschlag und Vergewaltigung scheint es doch, berechtigterweise, eher so zu sein, dass es weder personelle noch materielle Grenzen gibt.

Und was sowohl die Aussagen Pfeiffers als auch der Artikel vermissen lässt: Wäre es denn überhaupt so schlimm, wenn die Quote so gering sei?

Wir leben in einem Rechtsstaat. Vergewaltigung ist schwer nachzuweisen, da es in der Regel eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation ist. Es ist aber nun mal dem Rechtsstaat immanent, dass bei Zweifeln für den Angeklagten entschieden wird. Somit ist es weder überraschend noch verkehrt, dass die Gerichte Vergewaltiger, dessen Schuld nicht nachgewiesen werden kann, laufen lassen.
Wenn Strafnormen in der Praxis weithin leerlaufen, muss die Frage erlaubt sein, ob sie leerlaufen sollen.

Aber was sagt Pfeiffer dazu?
„Für einen Rechtsstaat ist das alarmierend“, sagte Pfeiffer." http://www.focus.de/politik/deutschland ... 81561.html
Sehr gut auch:
"Es gibt Strafbarkeitslücken im Gesetz", sagt Kräuter-Stockton. Ein Beispiel: Ein Mann, der seine Partnerin wiederholt geschlagen hat, zieht ihr die Hose herunter und schläft mit ihr, obwohl sie nicht will. Doch sie wehrt sich nicht und weint nur, aus Furcht. Dies sei keine Vergewaltigung, sagt Kräuter-Stockton. "Das hätte ich gerne im Gesetz als Vergewaltigung abgedeckt." http://www.sueddeutsche.de/panorama/stu ... -1.1938659
Wir halten fest: Die Frau möchte im Zweifel eine vorsatzlose Vergewaltigung im StGB haben... So zumindest die Folge, wenn es nur noch um den inneren Willen des mutmaßlichen Opfers geht.
Nein, das hältst du vielleicht fest, aber deine Begriffsstutzigkeit müssen wir uns ja nicht zu eigen machen. Es geht hier nicht um die "vorsatzlose" Vergewaltigung, sondern darum, auf die verfehlten Nötigungsmittel des § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB zu verzichten, die in der Praxis zu diffizilen und schwer nachvollziehbaren Abgrenzungen zwischen "fortwirkenden Gewalthandlungen", "schutzlosen Lagen" und der ungerechten Straflosigkeit führen. Vielleicht mag es aus deiner Perspektive eine "vorsatzlose Vergewaltigung" sein, wenn man eine Frau schlägt und sie dann beim so erzwungenen Sex weint, weil der entgegenstehende Wille ja nicht erkennbar sei - diese Sichtweise dürftest du aber recht exklusiv haben.

Fakt ist, dass die angelsächsische Rechtstradition seit jeher als Vergewaltigung die Vornahme sexueller Handlungen ohne oder gegen den Willen des/der Geschädigten kennt. Das Abendland ist dort nicht untergegangen.
Zuletzt geändert von Swann am Donnerstag 17. April 2014, 11:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Parabellum »

Zustimmung zu Swann, Abscheu und Entsetzen über Aras Vorstellungen zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Swann hat geschrieben: Nein, das hältst du vielleicht fest, aber deine Begriffsstutzigkeit müssen wir uns ja nicht zu eigen machen. Es geht hier nicht um die "vorsatzlose" Vergewaltigung, sondern darum, auf die verfehlten Nötigungsmittel des § 177 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB zu verzichten, die in der Praxis zu diffizilen und schwer nachvollziehbaren Abgrenzungen zwischen "fortwirkenden Gewalthandlungen", "schutzlosen Lagen" und der ungerechten Straflosigkeit führen. Vielleicht mag es aus deiner Perspektive eine "vorsatzlose Vergewaltigung" sein, wenn man eine Frau schlägt und sie dann beim so erzwungenen Sex weint, weil der entgegenstehende Wille ja nicht erkennbar sei - diese Sichtweise dürftest du aber recht exklusiv haben.

Fakt ist, dass die angelsächsische Rechtstradition seit jeher als Vergewaltigung die Vornahme sexueller Handlungen ohne oder gegen den Willen des/der Geschädigten kennt. Das Abendland ist dort nicht untergegangen.
Du konstruierst hier ein "so erzwungenen Sex", der im Ausgangsfall gar nicht gegeben war (und so auch heute schon im deutschen Strafrecht unter Strafe stehen würde, somit gar keine Strafbarkeitslücke vorhanden ist). Du kommst hier wieder mit Taschenspielertricks. Die vermeintliche "Straflücke", die aufgezeigt werden soll, ist nämlich der Fall der gewaltlosen Vergewaltigung, gegen ein Opfer das sich nicht erkennbar wehrt.

Auch der Vergleich mit "angelsächsischer Rechtstradition" hinkt, wir haben in Deutschland eine ganz andere Sexualmoral.

Wenn eine Person sich zum Sex überreden lässt, dann ist darin kein strafbares Verhalten zu sehen. Wenn eine Person, aus welchen inneren Motiven auch immer, mit einer Person ohne äußere entgegenestehende Willensbekundung schläft, dann ist darin erst recht kein strafbares Verhalten zu sehen. Es ist richtig, dass erst bei einem erkennbaren entgegenstehenden Willen die Strafbarkeit einsetzt. Denn das Sexualstrafrecht will die sexuelle Selbstbestimmung schützen, aber nicht Leute vor vermeintlich "dummen Selbstbestimmungen" schützen...

Wenn tatsächlich das Beispiel (Frau hat Angst weil der Mann sie mal geschlagen hat und weint aus Furcht, schläft aber trotzdem mit ihm) zu einer Strafbarkeit führen soll, was dann noch? Die Sekräterin die mit dem Chef schläft weil sie Angst hat sonst gefeuert zu werden? Der Professor dessen Studentin mit ihm schläft, weil sie sonst fürchtet die Prüfung nicht zu bestehen? Das Mädchen was mit ihrem Freund schläft, weil sie glaubt sonst verlässt er sie?

Aber so oder so... Es ist abstrus die Strafbarkeit der Vergewaltigung davon abhängig machen zu wollen, ob die Frau es "innerlich gewollt hat" oder nicht... Da geht es auch gar nicht mehr um das Nötigungsmittel, sondern tatsächlich auch um den Vorsatz.
julée hat geschrieben: Wenn das reale Geschehen tatsächlich eine Vergewaltigung war und der Täter, nachdem das Opfer durch zig Vernehmungen und eine Hauptverhandlung gegangen ist, sich den möglicherweise in höchst unverschämter Weise vorgetragenen Unterstellungen und Beschuldigungen des Verteidigers aussetzen musste, in dubio pro reo freigesprochen wird, dann mag das rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen - aber aus Sicht des Opfers dürfte das Verfahren dann nicht geeignet sein, den Rechtsfrieden wiederherzustellen. Und verherrend dürfte insoweit die Signalwirkung sein - wer sich das nicht antun möchte, der zeigt gar nicht erst an.
Direkte Anklage zum LG bei allen (kein "Ermessen" der StA mehr) schwereren Sexualdelikten. Nutzung umfangreicher Videotechnik bei der Zeugenvernehmung. Anwendung des § 255a StPO, unter tatsächlicher Mitwirkung des Verteidigers, um Mehrfachvernehmung zu vermeiden. Bessere Schulung der Polizei bezüglich der Vernehmung von mutmaßlichen Opfern von Sexualdelikten.

Das wären die richtigen Schlüsse die man daraus ziehen sollte.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben: Du konstruierst hier ein "so erzwungenen Sex", der im Ausgangsfall gar nicht gegeben war (und so auch heute schon im deutschen Strafrecht unter Strafe stehen würde, somit gar keine Strafbarkeitslücke vorhanden ist). Du kommst hier wieder mit Taschenspielertricks. Die vermeintliche "Straflücke", die aufgezeigt werden soll, ist nämlich der Fall der gewaltlosen Vergewaltigung, gegen ein Opfer das sich nicht erkennbar wehrt.
Ja, und warum es nicht strafbar sein sollte, sexuelle Handlungen an einer Person vorzunehmen, die diese nicht will, musst du erstmal erklären. Da hilft auch kein kruder Verweis auf eine angeblich "ganz andere Sexualmoral":
Auch der Vergleich mit "angelsächsischer Rechtstradition" hinkt, wir haben in Deutschland eine ganz andere Sexualmoral.
Hätten wir tatsächlich eine Sexualmoral, nach der nicht-konsensuale sexuelle Handlungen sittlich einwandfrei wären, dann müsste man an eine drastische Verschärfung der Strafnormen denken, um diesem Sittenverfall entgegenzuwirken.
Wenn eine Person sich zum Sex überreden lässt, dann ist darin kein strafbares Verhalten zu sehen. Wenn eine Person, aus welchen inneren Motiven auch immer, mit einer Person ohne äußere entgegenestehende Willensbekundung schläft, dann ist darin erst recht kein strafbares Verhalten zu sehen. Es ist richtig, dass erst bei einem erkennbaren entgegenstehenden Willen die Strafbarkeit einsetzt. Denn das Sexualstrafrecht will die sexuelle Selbstbestimmung schützen, aber nicht Leute vor vermeintlich "dummen Selbstbestimmungen" schützen...
Der Punkt ist, dass es nicht strafbar ist, sexuelle Handlungen an einer Person vorzunehmen, die zwar sagt, dass sie das nicht will, aber sich nicht will. An dem alten Dilemma des § 177 StGB, dass die Frau, die sich wehrt, Gefahr läuft, vom Vergewaltiger ermordet zu werden und die Frau, die das nicht tut, von der Rechtsordnung mit einem Freispruch ihres Vergewaltigers verhöhnt wird, hat auch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nichts geändert.
Aber so oder so... Es ist abstrus die Strafbarkeit der Vergewaltigung davon abhängig machen zu wollen, ob die Frau es "innerlich gewollt hat" oder nicht... Da geht es auch gar nicht mehr um das Nötigungsmittel, sondern tatsächlich auch um den Vorsatz.
Es geht nicht um das "innerlich wollen", es geht um eine Regelung wie die folgende:
Section 1 Sexual Offences Act 2003 (c. 42) Rape

(1) A person (A) commits an offence if—
(a) he intentionally penetrates the vagina, anus or mouth of another person (B) with his penis,
(b) B does not consent to the penetration, and
(c) A does not reasonably believe that B consents.
(2) Whether a belief is reasonable is to be determined having regard to all the circumstances, including any steps A has taken to ascertain whether B consents.
(3) Sections 75 and 76 apply to an offence under this section.
(4) A person guilty of an offence under this section is liable, on conviction on indictment, to imprisonment for life.
Und jetzt komm mir bloß nicht mit dem Bullshit, dass es in England und Wales eine "andere Sexualmoral" gäbe. Und wenn du meinst, es sei nicht erkennbar, dass eine misshandelte Frau, die weint, keinen Sex haben möchte und das sei daher ein "Vorsatzproblem", dann weiß man nicht, ob man mehr über deine persönliche Sexualmoral oder dein Verständnis der deutschen Strafrechtsdogmatik entsetzt sein sollte.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Swann hat geschrieben:[
Und jetzt komm mir bloß nicht mit dem Bullshit, dass es in England und Wales eine "andere Sexualmoral" gäbe. Und wenn du meinst, es sei nicht erkennbar, dass eine misshandelte Frau, die weint, keinen Sex haben möchte und das sei daher ein "Vorsatzproblem", dann weiß man nicht, ob man mehr über deine persönliche Sexualmoral oder dein Verständnis der deutschen Strafrechtsdogmatik entsetzt sein sollte.
Ich wiederhole gerne noch einmal das Beispiel für dich:

"Es gibt Strafbarkeitslücken im Gesetz", sagt Kräuter-Stockton. Ein Beispiel: Ein Mann, der seine Partnerin wiederholt geschlagen hat, zieht ihr die Hose herunter und schläft mit ihr, obwohl sie nicht will. Doch sie wehrt sich nicht und weint nur, aus Furcht. Dies sei keine Vergewaltigung, sagt Kräuter-Stockton. "Das hätte ich gerne im Gesetz als Vergewaltigung abgedeckt."

Damit das Beispiel überhaupt zur vermeintlichen "Strafbarkeitslücke" führt, muss es nämlich so konstruiert werden, dass sie zwar weint, aber dies nur aus allgemeiner Furcht und nicht wegen der sexuellen Handlung oder wegen der Drohung mit weiterer Gewalt.

Auch heute wird in deutschen Gerichtssälen nicht freigesprochen, wenn die konkludente Drohung des Täters mit weiteren Gewalthandlungen zum Geschlechtsverkehr führt (Siehe nur Fischer § 177 Rn. 16).

Du konstruierst hier aber die ganze Zeit ein Beispiel, welches bereits heute unter Strafe steht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

Ara hat geschrieben: Ich wiederhole gerne noch einmal das Beispiel für dich:

"Es gibt Strafbarkeitslücken im Gesetz", sagt Kräuter-Stockton. Ein Beispiel: Ein Mann, der seine Partnerin wiederholt geschlagen hat, zieht ihr die Hose herunter und schläft mit ihr, obwohl sie nicht will. Doch sie wehrt sich nicht und weint nur, aus Furcht. Dies sei keine Vergewaltigung, sagt Kräuter-Stockton. "Das hätte ich gerne im Gesetz als Vergewaltigung abgedeckt."

Damit das Beispiel überhaupt zur vermeintlichen "Strafbarkeitslücke" führt, muss es nämlich so konstruiert werden, dass sie zwar weint, aber dies nur aus allgemeiner Furcht und nicht wegen der sexuellen Handlung oder wegen der Drohung mit weiterer Gewalt.
Das ist Unfug. Nur wenn eine Drohung mit weiterer Gewalt vorliegt, ist § 177 Abs. 1 StGB nach geltendem Recht erfüllt. Wie willst du auch die Furcht "wegen der sexuellen Handlungen" unter § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB subsumieren? Aus der Furcht kannst du doch keine konkludente Drohung ableiten.
Auch heute wird in deutschen Gerichtssälen nicht freigesprochen, wenn die konkludente Drohung des Täters mit weiteren Gewalthandlungen zum Geschlechtsverkehr führt (Siehe nur Fischer § 177 Rn. 16).

Du konstruierst hier aber die ganze Zeit ein Beispiel, welches bereits heute unter Strafe steht.
Offenbar ist folgender einfacher Fall zu komplex für dich, daher noch einmal:

"A nimmt an B sexuelle Handlungen vor. B äußert zuvor ausdrücklich, dass sie diese nicht wünscht, wagt es aber nicht, sich in irgendeiner Weise zur Wehr zu setzen. A lässt sich von den Äußerungen der B jedoch nicht abhalten."

Nun erklär mir doch bitte, wie du das unter § 177 Abs. 1 StGB subsumieren möchtest?

Du musst die ganze Zeit "konkludente Drohungen" herbeifantasieren, um deine Behauptung, es gebe keine Strafbarkeitslücken zu stützen. Das entspricht weder der Rechtspraxis noch der Dogmatik. Um mal ein Beispiel aus der Praxis zu bringen - bei folgendem Sachverhalt:
Der Angeklagte kam dann zu der durch die gesamte Situation verängstigten 15 jährigen T auf die Matratze und forderte sie auf, sich auszuziehen. Er beabsichtigte nun, mit der Jugendlichen den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Die Geschädigte T weigerte sich jedoch zunächst, sich auszuziehen und sagte deutlich: „Nein“. Daraufhin zog der Angeklagte jedoch der Zeugin einfach ihre Boxershorts und den Tanga selbst herunter. Ihre Oberbekleidung ließ er der Zeugin an. Dies ging für die Geschädigte T alles sehr schnell und sie sah sich nicht in der Lage, sich den Handlungen des Angeklagten zu entziehen. Dieser war ihr aufgrund seines durchtrainierten Körpers körperlich überlegen und für die Zeugin aufgrund seines vorangegangenen Drogen- und Alkoholkonsums unberechenbar. Ihr war auch bewusst, dass die beiden Zeuginnen C und L genau wussten, was der Angeklagte nun mit ihr beabsichtigte und sie keinerlei Hilfe von den beiden Frauen, die dem Angeklagten absolut hörig waren, erwarten konnte. Daher wagte die Zeugin keinerlei körperliche Gegenwehr, so dass der Angeklagte ihre Beine hochheben konnte, während die Zeugin auf dem Rücken lag. Dann drang er mit seinem Glied in die Scheide der Zeugin ein und führte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch, obwohl ihm bewusst war, dass die Zeugin keinesfalls mit ihm schlafen wollte. Nach Einschätzung der Zeugin dauerte dies mindestens 10 bis 15 Minuten, in denen sie sich nicht traute, sich zu bewegen. Sie sah für sich keinerlei Möglichkeit, sich den sexuellen Handlungen zu entziehen. Erst nachdem der Angeklagte den Geschlechtsverkehr beendet hatte, konnte sie wieder aufstehen und begab sich ins Badezimmer, um sich dort zu waschen. Erst jetzt kamen die beiden Zeuginnen L und C zurück in die Wohnung und verhielten sich so, als sei nichts geschehen.
musste das Landgericht Essen freisprechen (Urteil v. 10.9.2012, 25 KLs 10/12, juris-Rn. 9). Deine Behauptung, es gäbe keine Strafbarkeitslücke, ist absurd.
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immer locker bleiben
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von immer locker bleiben »

Ara hat geschrieben:Damit das Beispiel überhaupt zur vermeintlichen "Strafbarkeitslücke" führt, muss es nämlich so konstruiert werden, dass sie zwar weint, aber dies nur aus allgemeiner Furcht und nicht wegen der sexuellen Handlung oder wegen der Drohung mit weiterer Gewalt.
So mal am Rande: müsste es denjenigen, der von Einvernehmlichkeit ausgeht, nicht eigentlich ziemlich irritieren, wenn die Partnerin bei sexuellen Handlungen weint? Macht man da üblicherweise einfach weiter als wenn nichts wäre?
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[enigma]
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Swann hat geschrieben:
Offenbar ist folgender einfacher Fall zu komplex für dich, daher noch einmal:

"A nimmt an B sexuelle Handlungen vor. B äußert zuvor ausdrücklich, dass sie diese nicht wünscht, wagt es aber nicht, sich in irgendeiner Weise zur Wehr zu setzen. A lässt sich von den Äußerungen der B jedoch nicht abhalten."

Nun erklär mir doch bitte, wie du das unter § 177 Abs. 1 StGB subsumieren möchtest?
Ich stimme dir in der Sache grundsätzlich zu und kann Aras Argumenten auch nichts abgewinnen. Aber in dem Fall, in dem das Opfer zwar ausdrücklich zu verstehen gibt, die sexuellen Handlungen nicht zu wollen, sich aber aufgrund der offensichtlichen und überwältigenden körperlichen Überlegenheit des Täters nicht traut, sich zu wehren, dürfte doch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt sein, oder?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

[enigma] hat geschrieben: Ich stimme dir in der Sache grundsätzlich zu und kann Aras Argumenten auch nichts abgewinnen. Aber in dem Fall, in dem das Opfer zwar ausdrücklich zu verstehen gibt, die sexuellen Handlungen nicht zu wollen, sich aber aufgrund der offensichtlichen und überwältigenden körperlichen Überlegenheit des Täters nicht traut, sich zu wehren, dürfte doch § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt sein, oder?
Sag das mal dem BGH. Der BGH hat in diesem Fall:
An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen, dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
die Verurteilung wegen Vergewaltigung aufgehoben (BGH, BeckRS 2012, 10713). § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB sei nicht ausreichend belegt:
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-ante-Betrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache, dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Be-schluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück, nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und sie deshalb – worauf es hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
BGH, a.a.O., Rn. 7 ff.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Wie man "Furcht vor sexuellen Handlungen" unter § 177 I Nr. 2 subsumiert hat der BGH in 2 StR 153/02 gezeigt:
Als konkludente Drohung kommt hier zum einen die Androhung in Betracht, wiederum mit dem Kind, das bei der ersten Tat starke Schmerzen verspürt hatte, gegen dessen Willen den Analverkehr auszuüben, was als Ankündigung einer nicht nur unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität zu werten ist (vgl. BGH NStE Nr. 9 zu § 178 StGB, Nr. 24 zu § 177 StGB).
Es ist eher abenteuerlich es hier darzustellen, als hätte ich mir die konkludente Drohung und die fortwirkende Drohwirkung ausgedacht... Das ist gängige Rechtsprechung zum § 177. Ausdrücklich so zum Beispiel bereits 3 StR 518/95 vor fast 20 Jahren! Bestätigt z.B. durch 4 StR 178/06.
"A nimmt an B sexuelle Handlungen vor. B äußert zuvor ausdrücklich, dass sie diese nicht wünscht, wagt es aber nicht, sich in irgendeiner Weise zur Wehr zu setzen. A lässt sich von den Äußerungen der B jedoch nicht abhalten."

Nun erklär mir doch bitte, wie du das unter § 177 Abs. 1 StGB subsumieren möchtest?
Das ist keine Strafbarkeitslücke, sondern planmäßig nicht von § 177 Abs. 1 StGB umfasst. Wir reden hier von einem Strafrahmen von 1 bis 15 Jahren Freiheitsstrafe.

Und zu deinem Beispiel mit der 15-Jährigen hast du den dramatischen Sachverhalt zwar rausgesucht, der Fall hatte aber einige Besonderheiten. Zur Wahrheit gehört zum Beispiel, dass sie nur einmal und zwar irgendwann gesagt haben will, dass sie es nicht will. Zusätzlich war die Besonderheit hier, dass die 15-Jährige jederzeit die Wohnung hätte verlassen können und auch um Hilfe hätte rufen können (es handelte sich um ein Mehrfamilienhaus). Es gab erhebliche Zweifel im konkreten Fall, ob die 15-Jährige wirklich den Sex nicht wollte.

Natürlich kann man fordern, dass es keine objektiven Anzeichen des Nichtwollens mehr benötigt... Aber dann legt man den Straftatbestand der Vergewaltigung dann in die Hände der "Opfer" die jederzeit, auch durch eine nachträgliche Bewertung, einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zur Vergewaltigung umdeuten können. Das ist zurecht der aktuellen Gesetzeslage fremd.

Wenn ein "Opfer" jederzeit die Situation verlassen kann und dies nicht macht und nicht einmal die kleine "Hürde" für den "Täter" aufbaut, dann sehe ich absolut keinen Raum für die Erfüllung eines Straftatbestandes der bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe vorsieht. In deinem konkreten Beispiel hätte die 15-Jährige lediglich ihre Unterwäsche probieren müssen anzuzeihen oder ihn wegdrücken müssen... Die Anforderungen der Gerichte sind wirklich nicht hoch.

Und zum Abschluss muss man sich jetzt nur vorstellen, dass die Zweifel tatsächlich berechtigt waren vom Gericht und die 15-Jährige zum "Tatzeitpunkt" den Geschlechtsverkehr wollte, sich aber später dafür schämte und sich nun darauf beruft, dass sie irgendwann mal gesagt habe sie wolle das nicht... Da willste tatsächlich den Angeklagten verurteilen? Ich nicht...
Zuletzt geändert von Ara am Donnerstag 17. April 2014, 16:40, insgesamt 1-mal geändert.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Okay, aber der BGH sagt da ja nur, dass das Tatgericht eben sorgfältig prüfen muss, ob eine schutzlose Lage vorliegt oder nicht. Grundsätzlich wäre ich aber auch dafür, § 177 so zu reformieren, dass auch sexuelle Handlungen gegen den ausdrücklich geäußerten Willen darunter fallen. Zumindest wenn das Opfer sich dann auch nicht widersprüchlich verhält. Aras Argument von der unterschiedlichen Sexualmoral ist tatsächlich sehr absurd. Seit wann ist Sex gegen den ausdrücklichen Willen des (weinenden) Partners in der "deutschen Sexualmoral" sozialadäquat oder akzeptiert?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Swann »

[enigma] hat geschrieben:Okay, aber der BGH sagt da ja nur, dass das Tatgericht eben sorgfältig prüfen muss, ob eine schutzlose Lage vorliegt oder nicht.
Ja, der 4. Strafsenat sagt, dass man seine Kinder wecken und zur Hilfe holen muss, wenn der gewalttätige Ehemann sich anschickt Analverkehr gegen den eigenen Willen durchzuführen, weil dieser ja in der Vergangenheit immer nur eins von zwei Kindern misshandelt hat. Das Merkmal der "schutzlosen Lage" ist für die Praxis völlig unnütz.
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