Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Was für ein Abgrund auch hinter Formulierungen wie "immer weniger Täter werden verurteilt" steckt...
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Eichhörnchen, Eichhörnchen wo sind deine Nüsse?
- JS
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Es ist zwar zutreffend, dass letztlich das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrikgeit von Bundesgesetzen entscheidet. Indes sind die Rechtsansichten des BVerfG nicht die einzig vertretbaren. Im Fall der Inzest-Entscheidung schon gar nicht (die ich z. B. für katastrophal falsch halte). Siehe nur das Sondervotum des Richters Hassemer zur damaligen Entscheidung.OJ1988 hat geschrieben:Jein, weil das davon abhängt, wie man strafwürdiges Unrecht definiert. Das BVerfG zeigt ja bspw. sogar der Rechtsgutstheorie die kalte Schulter und gesteht dem Gesetzgeber (Inzest-Entscheidung) einen weiten Ermessensspielraum ein.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Das Sondervotum von Hassemer legte ja auch mehr als deutlich dar, dass die Mehrheitsentscheidung des BVerfG gerade nicht vertretbar ist. Wir hatten den Fall damals in Regensburg in der Examensvorbereitung als Übungsfall. Frag mich, wie wohl das BVerfG abgeschnitten hätte.JS hat geschrieben:Es ist zwar zutreffend, dass letztlich das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungswidrikgeit von Bundesgesetzen entscheidet. Indes sind die Rechtsansichten des BVerfG nicht die einzig vertretbaren. Im Fall der Inzest-Entscheidung schon gar nicht (die ich z. B. für katastrophal falsch halte). Siehe nur das Sondervotum des Richters Hassemer zur damaligen Entscheidung.OJ1988 hat geschrieben:Jein, weil das davon abhängt, wie man strafwürdiges Unrecht definiert. Das BVerfG zeigt ja bspw. sogar der Rechtsgutstheorie die kalte Schulter und gesteht dem Gesetzgeber (Inzest-Entscheidung) einen weiten Ermessensspielraum ein.
Am schlimmsten bei der Reform, weil wohl am häufigsten Einschlägig, dürfte wohl §183i StGB sein. Liest sich jedenfalls, als ob Vorsatz hinsichtlich der Belästigung überhaupt nicht erforderlich wäre. Dann wäre in der Tat jede sexuelle Handlung strafbar, wenn das Opfer jetzt gerade keine Lust drauf hat. Von der Nachweisbarkeit gar nicht zu reden.
Bzgl. des Begriffs der Belästigung wird auf die Kommentierung zu §183 StGB verwiesen. Fun-Fact: im Zusammenhang mit §183 StGB hat das BVerfG vor gar nicht allzu langer Zeit festgestellt, dass Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG auf das Sexualstrafrecht überhaupt nicht anwendbar ist.
- JS
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
§ 184i StGB-E ist Murks, ja. Zumal hier keine sexuellen Handlungen erforderlich sind. Die Schwelle zur Strafbarkeit ist extrem niedrig. Immerhin gibt es ein Strafantragserfordernis. Aber auch § 177 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 StGB-E sind problematisch und kriminalisieren potentiell zum Teil sozialadäquates Verhalten, führen insoweit zu Abgrenzungsproblemen.Backstubentaler hat geschrieben:Am schlimmsten bei der Reform, weil wohl am häufigsten Einschlägig, dürfte wohl §183i StGB sein. Liest sich jedenfalls, als ob Vorsatz hinsichtlich der Belästigung überhaupt nicht erforderlich wäre. Dann wäre in der Tat jede sexuelle Handlung strafbar, wenn das Opfer jetzt gerade keine Lust drauf hat. Von der Nachweisbarkeit gar nicht zu reden.
§ 177 Abs. 1 StGB-E hätte ausgereicht um "Nein ist Nein" umzusetzen. Das wäre ja in Ordnung gewesen. Nun schlägt man über die Stränge. Es ist traurig.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2782980/Uebereilte-Gesetzesreform?bc=sts;sta#/beitrag/video/2782980/Uebereilte-Gesetzesreform (Verwaister Link automatisch entfernt)
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
§ 15 StGB ist bekannt?Backstubentaler hat geschrieben: Am schlimmsten bei der Reform, weil wohl am häufigsten Einschlägig, dürfte wohl §183i StGB sein. Liest sich jedenfalls, als ob Vorsatz hinsichtlich der Belästigung überhaupt nicht erforderlich wäre. Dann wäre in der Tat jede sexuelle Handlung strafbar, wenn das Opfer jetzt gerade keine Lust drauf hat. Von der Nachweisbarkeit gar nicht zu reden.
- famulus
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Swann, wie lautet denn deine Einschätzung zur Reform?
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Ich habe sie leider nicht im Detail mir anschauen können, daher will ich nichtmal eine vorläufige Einschätzung wagen. Nur soviel: Es ist sicher kein Geheimnis, dass ich das Grundanliegen der Reform richtig finde. Auf den ersten Blick erscheint mir die Neuregelung des § 177 StGB zwar ziemlich überladen, aber im Grundsatz nicht verkehrt. Auch die Strafbarkeit der sexuellen Belästigung ist m.E. richtig und leidlich gelungen. Die hier verschiedentlich hochgekochten Bedenken beruhen m.E. zu einem Gutteil auf strafrechtlicher Unkenntnis und werden von mir zu weiten Teile nicht mitgetragen.
Missglückt erscheint mir bei flüchtigem Lesen der "Köln-Paragraph". Unterhalb der Schwelle der psychischen Beihilfe eine Art verschärftes joint-criminal-enterprise bei Sexualdelikten vorzusehen, ist m.E. erst einmal wenig durchdacht.
Missglückt erscheint mir bei flüchtigem Lesen der "Köln-Paragraph". Unterhalb der Schwelle der psychischen Beihilfe eine Art verschärftes joint-criminal-enterprise bei Sexualdelikten vorzusehen, ist m.E. erst einmal wenig durchdacht.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
http://www.lto.de/recht/kanzleien-unter ... ign=buffer[enigma] hat geschrieben:Oder eine Linklaters-BetriebsfeierMr_Black hat geschrieben:Man stelle sich da jetzt mal einen Jungesellenabschied vor, bei dem einer der Beteiligten aus einem Impuls heraus so eine Handlung begeht.Der Bundestag beschloss außerdem die Einführung eines neuen Paragraphen zu "Straftaten aus Gruppen". Künftig sollen alle Mitglieder einer Gruppe bestraft werden können, wenn von einzelnen Gruppenmitgliedern sexuelle Übergriffe ausgegangen sind. Soll heißen: Sind etwa fünf Männer gemeinsam unterwegs und einer begrapscht eine Frau, dann können künftig alle Gruppenmitglieder dafür zur Verantwortung gezogen werden.
https://www.tagesschau.de/inland/fragen ... t-101.html
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Wo lassen sich die neuen Bestimmungen denn finden? Stoße immer nur auf den Referentenentwurf
- Ara
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Honigkuchenpferd hatte den Entwurf über den abgestimmt wurde verlinkt gehabt: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/090/1809097.pdf
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
- Mr_Black
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Ist der "erkennbare Wille" objektiv (= ein objektiver vernünftiger Dritte hätte den entgegenstehenden Willen erkannt) oder subjektiv (= der Täter hat den entgegenstehenden Willen tatsächlich erkannt) gemeint?1)
Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder
von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Danke!Ara hat geschrieben:Honigkuchenpferd hatte den Entwurf über den abgestimmt wurde verlinkt gehabt: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/090/1809097.pdf
- Ara
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?
Wie schon oben von mir erwähnt. Es geht um den objektiven Dritten. Drum hilft der neue Straftatbestand so absolut gar nicht gegen die angebliche Schutzlücke "Ich hab Angst meine Kinder zu wecken" und "Schockstarre".Mr_Black hat geschrieben:Ist der "erkennbare Wille" objektiv (= ein objektiver vernünftiger Dritte hätte den entgegenstehenden Willen erkannt) oder subjektiv (= der Täter hat den entgegenstehenden Willen tatsächlich erkannt) gemeint?1)
Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder
von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Aber natürlich braucht der Täter weiterhin zumindest Eventualvorsatz.
Aus der Begründung:
Maßgeblich ist der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers. Ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist,
ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Für diesen ist der entgegenstehende Wille erkennbar, wenn
das Opfer ihn zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich (verbal) erklärt oder konkludent (zum Beispiel durch Weinen
oder Abwehren der sexuellen Handlung) zum Ausdruck bringt. Unerheblich ist, aus welchen Gründen das
Opfer die sexuelle Handlung ablehnt. Der bloße innere Vorbehalt des Opfers ist jedoch nicht maßgeblich. Auch
werden Fälle, bei denen die Motivlage des Opfers ambivalent ist, nicht von der Vorschrift erfasst. Denn es ist dem
Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11