[enigma] hat geschrieben:Natürlich war das nicht beabsichtigt. Wäre auch nicht nötig gewesen, wenn die Vorabmeldungen nicht offensichtlich falsch gewesen wären. Wie gesagt lässt sich die Distanzierung dem Wortlaut gerade nicht entnehmen.
Auch wenn du dich zigmal auf den Kopf stellst: In einer solchen Stellungnahme darzulegen, die Resolution sei "rechtlich unverbindlich",
ist eine Distanzierung.
Ich bezweifle weder, dass die Türkei vor fast 100 Jahren einen Völkermord an den Armeniern verübt hat, noch bestreitet die Bundesregierung dies. Es geht um die Frage, ob die Erklärung, die BT-Resolution sei rechtlich unverbindlich ein unerträgliches Entgegenkommen der Bundesregierung und einen "Kotau" (ich kann es langsam echt nicht mehr hören) darstellt. Das ist einfach simplifizierender Blödsinn. Die Bundesregierung muss (anders als der Bundestag) abwägen, welche Vorteile und Nachteile eine eindeutige Benennung des Völkermords als solcher hätte. Und ist zum gut vertretbaren Ergebnis gekommen, dass die Lösung "BT erkennt den Völkermord an, BReg äußert sich nicht dazu" ein guter Kompromiss ist, der in der Diplomatie keinesfalls unüblich ist. Die gleiche Situation hat man mit der Anerkennung von Staaten, insbesondere Palästina. Ich halte es für weltfremd, auf der moralisch zwar durchaus richtige Lösung zu beharren, ohne aber die außenpolitischen Einflüsse zu beachten. Insbesondere von denjenigen, die ihre Gegner ansonsten gerne der Moralisierung beschuldigen.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Es ist faszinierend, wie Leute, die eine (angebliche) Moral sonst überhöhen und allem überordnen wollen, (unter anderem) in diesem Fall keinerlei Probleme haben, noch in die tiefsten Untiefen hinabzusteigen. Haben Opfer eines Völkermordes keinen Anspruch darauf, dass man das, was ihnen bzw. ihren Angehörigen angetan worden ist, wenigstens beim Namen nennt und dann nicht wieder in Zweifel zieht? Wie kann man bitte ignorieren, dass eine solche Aussage den türkischen Medien gerade dazu dienen sollte, die historische Wahrheit wieder infrage zu stellen?
Es wird dir auch nicht gelingen, die übrigen Zusammenhänge im Nebel verschwinden zu lassen: Der Bundestag hat sehr lange gezögert, diese Resolution zu verabschieden. Erst 2016 gelang es, dann aber mit überwältigender Mehrheit, angesichts von Erdogans jüngstem Feldzug gegen die Kurden, sie endlich zu verabschieden. Die Bundesregierung wollte sich nicht hinter diese Resolution stellen, aber sie auch nicht von sich weisen. Erst auf eine Erpressung Erdogans hin, der einen Besuch deutscher Abgeordneten bei den deutschen Soldaten in der Türkei nicht mehr zulassen wollte, hat man den Sachverhalt Monate später wieder auf die Agenda gesetzt und zu dem "Wording" gefunden, die Resolution sei "rechtlich unverbindlich". Aber der tolle diplomatische Trick ist dann eben doch nicht so ganz aufgegangen - gerade weil die deutsche Bevölkerung es in ihrer Mehrheit nicht goutiert, Völkermorde nicht beim Namen zu nennen. Eine noch deutlichere Distanzierung wäre deshalb gar nie möglich gewesen.
Was die Bundesregierung hier getan hat, ist sicherlich nicht "gut vertretbar". Es ist überhaupt nicht vertretbar. Das wäre die wahre Lehre aus der deutschen Geschichte gewesen - und mit einiger Evidenz auch die der Realpolitik. Erdogan tanzt nämlich jedem, bei der er Schwäche wittert, auf der Nase herum.
Für absolut zynisch halte ich es übrigens, die inahltlich zwar richtige, offensichtlich aber taktisch motivierte Resolution des Bundestags mit einem angeblich bevorstehenden Völkermord an den Kurden zu rechtfertigen. 70 Jahre hat Deutschland zum Völkermord an den Armeniern geschwiegen und jetzt wird er zum Spielball in einer aktuellen politischen Frage und als solcher auch noch bejubelt? Der Bundestag wollte offensichtlich demonstrieren, dass sich Deutschland nicht von Erdogan abhängig gemacht hat. Respekt vor dem armenischen Volk sieht meiner Meinung anch anders aus.
2015 kam es zu zahlreichen entsprechenden Resolutionen (anlässlich des 100-jährigen Gedenkens), in Deutschland erst 2016, und zwar tatsächlich unter dem Eindruck der jüngsten Entwicklungen in der Türkei. Diesen Zusammenhang
gibt es. Abgesehen davon ist es völlig absurd, so zu tun, als habe diese Resolution, die mit überwältigender Mehrheit von ganz unterschiedlichen Kräften angenommen worden ist - auch von etlichen Türkischstämmigen, die deshalb bedroht wurden -, ausschließlich oder vorrangig den Zweck gehabt zu zeigen, dass "Deutschland sich nicht von Erdogan abhängig gemacht hat":
https://www.bundestag.de/dokumente/text ... ier/423826
Es ging darum, den Völkermord endlich als solchen anzuerkennen und auch eine Zeichen für die Zukunft zu setzen. Die Nonchalance, mit der du das Gegenteil unterstellst und so tust, als sei das so etwas wie Potenzgehabe des Bundestages gewesen, ist unglaublich.