Bundespräsidentenwahl 2017.

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JS
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von JS »

[enigma] hat geschrieben:
JS hat geschrieben:
Eine verfassungsrechtliche Änderung fände ich allerdings gut: Dem Bundespräsidenten eine materielle Prüfungskompetenz der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geben. Wenn er zur Auffassung gelangt, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist und er es daher nicht unterschreibt, müsste der Bundestag dann vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, um die Verfassungsmäßigkeit feststellen zu lassen. (Neu einzuführendes spezielles Verfahren.) Das würde verhindern oder zumindest vermindern, dass verfassungsrechtlich zweifelhafte Gesetze erstmal in Kraft treten und wäre eine gute Ergänzung der checks and balances in Deutschland.
Wenn du wirklich für eine materielle Prüfungskompetenz bist, wäre eine Direktwahl des Bundespräsidenten aber kontraproduktiv. Sie würde dazu führen, dass der Bundespräsident seine Entscheidung nicht alleine auf verfassungsrechtlicher Grundlage trifft, sondern auch die Popularität des Gesetzes in der Bevölkerung berücksichtigt um seine Wiederwahl zu sichern.
Erstens würde die letztendliche Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht liegen.

Zweitens: Dass die Mitglieder der Bundesversammlung bzw. realistischerweise die Parteioberen, die das Ergebnis mehr oder weniger im Vorhinein auskungeln, die Wiederwahl eines unbequemen Bundespräsidenten verhindern wollen ist viel problematischer. Die Direktwahl würde dem Bundespräsidenten gerade größere Unabhängigkeit bringen.

Drittens wäre die Beschränkung auf eine Amtszeit möglich.
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JS
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von JS »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
JS hat geschrieben:Eine verfassungsrechtliche Änderung fände ich allerdings gut: Dem Bundespräsidenten eine materielle Prüfungskompetenz der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes geben. Wenn er zur Auffassung gelangt, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist und er es daher nicht unterschreibt, müsste der Bundestag dann vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, um die Verfassungsmäßigkeit feststellen zu lassen. (Neu einzuführendes spezielles Verfahren.) Das würde verhindern oder zumindest vermindern, dass verfassungsrechtlich zweifelhafte Gesetze erstmal in Kraft treten und wäre eine gute Ergänzung der checks and balances in Deutschland.
Du meinst dann halt ohne Beschränkung auf Fälle der Evidenz und als ausdrückliche Betonung dieser Befugnis, so dass sie auch wirklich in Anspruch genommen wird?
Genau.
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Würde das mit einem Präsidialsystem zwangsläufig besser laufen? Im Zusammenhang mit der EU dürfte es unabhängig vom System in den meisten Ländern Probleme bei der nationalen Umsetzung geben.
Das würde m.E. - bezogen auf Deutschland - schon einiges bringen, weil dann die unmittelbare demokratische Legitimation für viele Entscheidungen durch die Exekutive gegeben wäre und man nicht bei allem ein schlechtes Gewissen haben müsste, weil das Parlament im Grunde außen vor gelassen wurde.

Ein Problem würde es aber nicht beheben. Man bräuchte m.E. auch einen Präsidenten der EU, der vom Volk - von mir aus in einem den USA nachgebildeten Wahlmännersystem - bestimmt wird und, kontrolliert durch das Europäische Parlament, den grundlegenden Kurs vorgibt.

So wie es im Moment läuft, machen das die wichtigsten Regierungschefs der Mitgliedstaaten, insbesondere der deutsche Kanzler. Das ist aber ein enormes Problem, weil schon das deutsche Volk ihn nicht direkt bestimmt, von den übrigen Völkern in der Europäischen Union gar nicht zu sprechen.
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[enigma]
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von [enigma] »

JS hat geschrieben: Zweitens: Dass die Mitglieder der Bundesversammlung bzw. realistischerweise die Parteioberen, die das Ergebnis mehr oder weniger im Vorhinein auskungeln, die Wiederwahl eines unbequemen Bundespräsidenten verhindern wollen ist viel problematischer. Die Direktwahl würde dem Bundespräsidenten gerade größere Unabhängigkeit bringen.
Das ist nicht problematisch, solange der Bundespräsident fast ausschließlich repräsentative Funktionen hat. Die größere Unabhängigkeit braucht man ja nur, wenn man dem Amt mehr Kompetenzen zugestehen will. Das ist ein Zirkelschluss.
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Ein Problem würde es aber nicht beheben. Man bräuchte m.E. auch einen Präsidenten der EU, der vom Volk - von mir aus in einem den USA nachgebildeten Wahlmännersystem - bestimmt wird und, kontrolliert durch das Europäische Parlament, den grundlegenden Kurs vorgibt.

So wie es im Moment läuft, machen das die wichtigsten Regierungschefs der Mitgliedstaaten, insbesondere der deutsche Kanzler. Das ist aber ein enormes Problem, weil schon das deutsche Volk ihn nicht direkt bestimmt, von den übrigen Völkern in der Europäischen Union gar nicht zu sprechen.
Das sehe ich auch so, halte ich aber für auf lange Sicht nicht durchsetzbar weil die Ablehnung eines europäischen Nationalstaats viel zu groß ist und das als erster Schritt in diese Richtung gelten würde.
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Das sehe ich auch so, halte ich aber für auf lange Sicht nicht durchsetzbar weil die Ablehnung eines europäischen Nationalstaats viel zu groß ist und das als erster Schritt in diese Richtung gelten würde.
Es gibt aber nur noch die zwei Möglichkeiten: Entweder die EU wird selbst zu einem vollwertigen "Nationalstaat" (der seinen Mitgliedern aber so viel Freiheit lässt wie in den USA oder sogar noch mehr), oder sie muss wieder (weitgehend) auf das Niveau der EWG zurück.

Dieses "Zwischending" tut niemandem gut und macht das in Wahrheit sehr gute Projekt kaputt.
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JS
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von JS »

[enigma] hat geschrieben:
JS hat geschrieben: Zweitens: Dass die Mitglieder der Bundesversammlung bzw. realistischerweise die Parteioberen, die das Ergebnis mehr oder weniger im Vorhinein auskungeln, die Wiederwahl eines unbequemen Bundespräsidenten verhindern wollen ist viel problematischer. Die Direktwahl würde dem Bundespräsidenten gerade größere Unabhängigkeit bringen.
Das ist nicht problematisch, solange der Bundespräsident fast ausschließlich repräsentative Funktionen hat. Die größere Unabhängigkeit braucht man ja nur, wenn man dem Amt mehr Kompetenzen zugestehen will. Das ist ein Zirkelschluss.
Du hast geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Wenn du wirklich für eine materielle Prüfungskompetenz bist, wäre eine Direktwahl des Bundespräsidenten aber kontraproduktiv. Sie würde dazu führen, dass der Bundespräsident seine Entscheidung nicht alleine auf verfassungsrechtlicher Grundlage trifft, sondern auch die Popularität des Gesetzes in der Bevölkerung berücksichtigt um seine Wiederwahl zu sichern.
Das sehe ich anders und habe ich entsprechend zum Ausdruck gebracht. Insofern liegt kein Zirkelschluss vor.
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Urs Blank
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von Urs Blank »

[enigma] hat geschrieben:Ich halte die Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik so wie sie ist für im Wesentlichen gut und vernünftig. Lief die letzten fast 70 Jahre gar nicht mal soooo schlecht. Man sollte an den Grundlagen nicht herumdoktoren, solange es funktioniert.
Leider entsteht (nicht erst seit gestern, aber) zunehmend der Eindruck, dass die verfassungsmäßigen Institutionen nur noch Kulissen sind, in denen Stücke aufgeführt werden, die die Strategen des Parteienstaats andernorts geschrieben haben. Damit meine ich gar nicht so sehr die aktuelle Bundesversammlung, obwohl die Kartellbildung zugunsten Steinmeiers unschön war.

Ein Beispiel ist aber die seit einiger Zeit immer öfter tagende Runde der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Hier werden Konflikte zwischen Bund und Ländern außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens präventiv bereinigt, und zwar - anders, als der Verfassungsgeber es vorgesehen hat - nicht auf legislativer Ebene im Vermittlungsausschuss, sondern auf Exekutiv-Ebene.

Weiteres Beispiel: Die jüngsten Ministerwechsel in der Koalition. Dass die Bundeskanzlerin politisch gehalten war, dem Vorschlag der SPD zu folgen: Geschenkt. Die Art und Weise der Verkündung - Gabriel teilt es als "seine" und Schulz' Entscheidung mit - deutet aber doch auf eine gewisse staatspolitische Verwahrlosung hin.

Schließlich (und dies stört mich schon seit langem): Die Beteiligung von hochrangigen Parteipolitikern der Länder an Koalitionsverhandlungen des Bundes, die weder gewählt wurden noch überhaupt zur Wahl standen: Beim letzten Mal etwa Seehofer und Hannelore Kraft. Dass die Koalitionsverträge nicht von den gewählten Abgeordneten beschlossen werden, sondern von Parteitagen, passt da ins Bild.
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Re: Bundespräsidentenwahl 2017.

Beitrag von hlubenow »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:wieder (weitgehend) auf das Niveau der EWG zurück.
:cheers:
[enigma] hat geschrieben:Ich halte die Kompetenzverteilung in der Bundesrepublik so wie sie ist für im Wesentlichen gut und vernünftig. Lief die letzten fast 70 Jahre gar nicht mal soooo schlecht. Man sollte an den Grundlagen nicht herumdoktoren, solange es funktioniert.
Glückwunsch: Das könnte man "konservativ" nennen!
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