Vortex hat geschrieben:Levi hat geschrieben:Nietzsche und Feuerbach hatten die Religion verstanden und berechtigterweise fundiert kritisiert. Das Christentum hat nachfolgend ihre Kritik aufgenommen und verarbeitet. Ein Dawkins dagegen beispielsweise, macht sich mit seiner Kritik nur lächerlich. Er kritisiert nicht die (christliche) Religion, sondern ein selbst erfundenes Zerrbild, von dem er glaubt, es sei das Christentum.
In Amerika nehmen so viele die Bibel wörtlich, da würde ich kaum von einem Zerrbild sprechen.
Es gibt auch eine Menge Menschen, die an die Heilkraft von Globuli-Zuckerperlen, an Feng Shui, an Edelsteine oder an Hexerei glauben. Menschen glauben (leider) allen möglichen Unfug. Deswegen halte ich es auch für so wichtig, zwischen dem Glauben irgendwelcher Randgruppen und den großen Hauptlinien der Religionen zu unterscheiden. Das gilt für das Christentum, wie auch für jede andere Religion.
Ja, in den USA gibt es leider viele "bibeltreue" evangelikale und fundamentalistische Spinner. Weltweit gesehen, waren und sind diese jedoch immer nur eine kleine Minderheit. Schon in den europäischen protestantischen Kirchen spielen sie keine nennenswerte Rolle und in der Katholischen und den orthodoxen Kirchen ist dieses Phänomen sogar (praktisch) überhaupt nicht vorhanden.
Ich finde aber auch, dass es bessere Kritiker gibt als Dawkins, zB. Christopher Hitchens, Sam Harris, Matt Dillahunty. Auch Carl Sagan hat ein paar schlaue Sätze dazu gesagt. Ich schätze, du würdest diese Leute aber in dieselbe Kategorie einordnen wie Dawkins, weil sie eben alle keine Obskurantisten sind, sondern auch mal auf den Punkt kommen.
Ich habe nichts dagegen, wenn jemand "auf den Punkt kommt", genau das tun die von dir genannten Autoren jedoch nicht, sondern sie bekämpfen einen Feind, den es so gar nicht gibt. Sämtliche Autoren picken sich z. B. die Schöpfungsgeschichte heraus, lesen sie extrem biblizistisch und wie ein naturwissenschaftliches Lehrbuch, und wundern sich dann, dass die sturen Religiösen ihren wissenschaftlichen Ausführungen nicht folgen wollen. Dabei zeigen sie nur, dass ihnen jegliches Verständnis für den religiösen Sinn und Inhalt der Schöpfungsgeschichte fehlt.
Ebenfalls beliebt sind Angriffe gegen die Sexualmoral mancher Kirchen. Dabei verkennen sie, dass diese Sexualmoral reine historisch-kulturelle Konstruktionen sind und nirgendwo Bekenntnisinhalt geworden sind. Es gibt im Übrigen zahlreiche Denominationen, die sich jeglicher verbindlicher Aussagen zur Sexualmoral der Gläubigen enthalten.
Es ist insofern wenig "punktgenau", sich auf einige periphere und partielle Phänonene vom Rand des religiösen Spektrums zu konzentrieren und die zentralen Glaubensinhalte zu ignorieren.
ob das Christentum Nietzsche komplett verstanden hat, kann ich nicht beurteilen, aber ich lese z.Zt. selber ein bisschen Nietzsche und bei dem ein oder anderen Satz kommen mir da so meine Zweifel. Ist natürlich Interpretationssache und mir ist klar, dass Christen lieber die Interpretation wählen, dass Nietzsche sozusagen nur das faule Fleisch wegfressen und das gesunde übrig lassen wollte.
Nietzsche hatte ganz sicher keine Reformation der "Sklavenreligion Christentum" im Sinn. Insofern sind wir uns einig. Allerdings ging es mir darum auch überhaupt nicht.
Vielmehr ging es mir darum, dass das Christentum - nicht zuletzt durch Nietzsche - beispielsweise seinen sozialrevolutionären Charakter wiederentdeckt hat. Das Christentum ist keine Religion der Herrschenden und "Herrenmenschen" ("Thron und Altar", bürgerlich-säkularer "Kulturprotestantismus"), sondern der Schwachen und Unterdrückten ("Option für die Armen"). Die christliche Theologie wieder hieran erinnert zu haben, ist u.a.
Nietzsches bleibender Verdienst.