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julée
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von julée »

Ara hat geschrieben:Aber das Ziel der Großkanzlei ist doch nicht, dass alle Associates den Partnertrack nehmen. Man lutscht die Berufsanfänger 2-3 Jahre aus und gut ist. Von daher wird man doch im Zweifel einfach beide nehmen.
Das Problem allerdings: Es sollten am Ende irgendwie 2-3 Partner-Anwärter übrig bleiben, damit man a) nicht den letzten Depp nehmen muss und b) nicht auf einmal doch verstärkt über attraktive Teilzeitgestaltungen nachdenken muss.
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Muirne
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Muirne »

Ara hat geschrieben:
Ich weiß jetzt nicht, ob es tatsächlich "ehrlicher" ist, wenn man irgendwelche Models vor die Kamera stellt...
Wie ehrlich ist Werbung denn sonst so? Ich hab mich jetzt nie ernsthaft gefragt, ob der angebliche Student, Anwalt oder Handwerker aus der Werbung wirklich einer ist.

Das mit dem Bewerber-(generell) und Frauenmangel (oder andere "Randgruppen" :)) in konservativen Kanzleien ist ja nun auch (so ehrlich bitte sein) keine Erklärung dafür, dass die Werbung nicht Vielfalt vermitteln kann, weil man niemanden vor die Kamera kriegt. Sondern umgekehrt, die Kanzlei hat offensichtlich kein Profil, das Diversität und Offenheit vermittelt und offenbar möchte sie es auch nicht gerade dringend ändern.
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Urs Blank
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Urs Blank »

Muirne hat geschrieben:Sondern umgekehrt, die Kanzlei hat offensichtlich kein Profil, das Diversität und Offenheit vermittelt und offenbar möchte sie es auch nicht gerade dringend ändern.
An dieser Stelle des Threads folgt jetzt typischerweise eine pseudorationale Begründung, warum die Kanzlei es gar nicht ändern KANN (selbst wenn sie wollte). Wer traut sich?
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Muirne hat geschrieben:Sondern umgekehrt, die Kanzlei hat offensichtlich kein Profil, das Diversität und Offenheit vermittelt und offenbar möchte sie es auch nicht gerade dringend ändern.
Naja, es ist aber doch jetzt kein Geheimnis, dass Großkanzleien kinderfressende Monster sind. Die Frage ist doch, warum ist es erstrebenswert, dass das kinderfressende Monster für Frauen attraktiver wird?

Es wünscht sich doch auch kaum ein Mann, dass der Staatsdienst für ihn attraktiver wird. Es wird schlicht und einfach akzeptiert, dass der Staatsdienst für Familienplaner da ist und wer mit der Struktur des Staatsdienst nicht klar kommt, der bewirbt sich dort einfach nicht. Für den Staat ist es natürlich doof und darum bevorzugt er ja mittlerweile auch männliche Bewerber, aber den Bewerbern isses doch egal.

Ich persönlich halte übrigens sowohl die Kultur im Staatsdienst, als auch in Großkanzleien für mich nicht passend... Bin ehrlich gesagt aber noch nie auf die Idee gekommen, dass sich Staat oder Großkanzlei an meine Bedürfnisse anpassen müssten. Bin bisher schlicht davon ausgegangen, dass es an mir liegt und ich entweder in ne kleinere Kanzlei gehen muss oder den Weg in die Selbstständigkeit wagen muss.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Muirne
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Muirne »

Ara: Tatsächlich spricht aus mir da kein beruflicher Eigennutz, auf meinem Wunschzettel stand das nie weit oben.
Ich finde es allein gesellschaftlich behaglicher, wenn wir alle so tun als wären wir Menschen gleich viel wert und als ob wir uns weder auf Gebärfähigkeit noch auf sexuelle Orientierung oder Hautfarbe reduzieren müssen. Die Übung kann dann womöglich irgendwann zur Realität werden.
Die heute gängigen Denkmodelle kenne ich natürlich trotzdem und ziehe meine eigenen beruflichen wie privaten Schlüsse daraus.
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Urs Blank
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Urs Blank »

Ara hat geschrieben:Die Frage ist doch, warum ist es erstrebenswert, dass das kinderfressende Monster für Frauen attraktiver wird? Es wünscht sich doch auch kaum ein Mann, dass der Staatsdienst für ihn attraktiver wird. Es wird schlicht und einfach akzeptiert, dass der Staatsdienst für Familienplaner da ist (...)
Dieses Statement ist so bizarr, man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Abgesehen von der unsinnigen Gleichsetzung von "Frau" mit "Familienplaner": Hast du schon einmal davon gehört, dass man in Großkanzleien deutlich besser verdient als im Staatsdienst, zumal als Partner? Und dass Gleichberechtigung beinhalten könnte, dass Frauen die gleichen Chancen haben, gut bezahlte Stellen zu bekommen?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Urs Blank hat geschrieben:Und dass Gleichberechtigung beinhalten könnte, dass Frauen die gleichen Chancen haben, gut bezahlte Stellen zu bekommen?
Gegen Chancengleichheit wird nun wirklich niemand etwas einwenden wollen. Man sollte aber Chancengleichheit nicht mit Ergebnisgleichheit verwechseln.
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
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Levi
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben:
Muirne hat geschrieben:Sondern umgekehrt, die Kanzlei hat offensichtlich kein Profil, das Diversität und Offenheit vermittelt und offenbar möchte sie es auch nicht gerade dringend ändern.
Naja, es ist aber doch jetzt kein Geheimnis, dass Großkanzleien kinderfressende Monster sind. Die Frage ist doch, warum ist es erstrebenswert, dass das kinderfressende Monster für Frauen attraktiver wird?

Es wünscht sich doch auch kaum ein Mann, dass der Staatsdienst für ihn attraktiver wird. Es wird schlicht und einfach akzeptiert, dass der Staatsdienst für Familienplaner da ist und wer mit der Struktur des Staatsdienst nicht klar kommt, der bewirbt sich dort einfach nicht. Für den Staat ist es natürlich doof und darum bevorzugt er ja mittlerweile auch männliche Bewerber, aber den Bewerbern isses doch egal.

Ich persönlich halte übrigens sowohl die Kultur im Staatsdienst, als auch in Großkanzleien für mich nicht passend... Bin ehrlich gesagt aber noch nie auf die Idee gekommen, dass sich Staat oder Großkanzlei an meine Bedürfnisse anpassen müssten. Bin bisher schlicht davon ausgegangen, dass es an mir liegt und ich entweder in ne kleinere Kanzlei gehen muss oder den Weg in die Selbstständigkeit wagen muss.
Mit der Einstellung wären wir gesellschaftspolitisch immer noch im Mittelalter. Kein Arbeitgeber - egal ob staatlich oder privat - gibt von seinen Rechten freiwillig etwas ab. Sie müssen von den Beschäftigten immer erst erkämpft werden. 

Der öffentliche Dienst war auch nicht immer der frauen- und familienkompatible Arbeitgeber, zu dem er inzwischen geworden ist. Ganz im Gegenteil: bis Ende der 1950er-Jahre gab es für Beamtinnen nur besondere Frauenlaufbahnen mit Zölibatsverpflichtung; mit der Eheschließung schied man qua Gesetz automatisch aus dem Beamtenverhältnis aus. Erst in den 1970er-Jahren wurde - in einigen Laufbahnen (insbesondere im Schuldienst) - sukzessive eine Teilzeitarbeit im Beamtenverhältnis ermöglicht; die allgemeine Teilzeit in allen zivilen Bereichen des öffentlichen Dienstes gibt es erst seit Mitte der 1990er-Jahre und für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erst seit etwa drei Jahren. Auch Telearbeit und mobile Arbeit werden noch keine zehn Jahre praktiziert und sind bis heute noch nicht in allen Verwaltungsbereichen möglich. 

Bei jeder Maßnahme zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hieß es zunächst, dass dies aus rechtlichen oder praktischen Gründen nicht möglich sei. - Erstaunlicherweise funktionierte es dann hinterher aber doch. Letztlich ist alles nur eine Frage des Wollens und nicht des Könnens. 

Aber natürlich muss man sich als Beschäftigter dafür auch einsetzen und seinen Arbeitgeber solange "auf die Nerven gehen", bis er einlenkt. Je nach Größe des Arbeitgebers gehen Veränderungsprozesse schneller oder langsamer vonstatten. Ein Ruderboot ist leichter zu wenden als ein Tanker und natürlich erreicht man nicht alles sofort (sondern muss auch Kompromisse und Zwischenlösungen in Kauf nehmen). Aber der Anspruch muss immer sein, dass der Arbeitgeber den berechtigten Interessen und Bedürfnissen seiner Beschäftigten Rechnung zu tragen hat - schließlich leben wir nicht in einer Sklaverei. Von daher wünsche und erwarte ich - gerade auch als Mann - sehr wohl, dass der Staatsdienst für mich laufend attraktiver wird, und er wird es auch. Einfach "akzeptieren" muss man da gar nichts.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Urs Blank hat geschrieben: Dieses Statement ist so bizarr, man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Abgesehen von der unsinnigen Gleichsetzung von "Frau" mit "Familienplaner": Hast du schon einmal davon gehört, dass man in Großkanzleien deutlich besser verdient als im Staatsdienst, zumal als Partner? Und dass Gleichberechtigung beinhalten könnte, dass Frauen die gleichen Chancen haben, gut bezahlte Stellen zu bekommen?
Es mag dich schockieren, aber tatsächlich werden nur Frauen schwanger und kriegen nicht nur die Kinder, sondern fallen zum überproportionalen Teil danach auch für die Kindererziehung häufiger und länger als Männer aus. Ein "Familienplaner-Mann" braucht daher regelmäßig nicht die gleichen Familienfreundlichen-Bedingungen wie ein "Familienplaner-Frau". Kann man drüber diskutieren wie gemein es ist, dass der Mann nich schwanger werden kann, aber das ist hier ja nicht Thema. Fakt ist aber, dass grundsätzlich Frauen das Privatleben wichtiger ist als Männern und sei es nur, weil Männer auch noch mit 40+ die Familienplanung beginnen könnten.

Ich sehe aber bei unserem Thema nicht, dass die Chance in der Großkanzlei zu arbeiten für Frauen schlechter ist? Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass heute jeder Frau die Doppel-VB hat und sozial nicht völlig inkompetent ist (gleiche Voraussetzungen wie bei einem Mann), relativ Problemlos eine Anstellung, übrigens für das selbe Gehalt wie ein Mann, in irgendeiner Großkanzlei findet? Dahingehend besteht doch Chancengleichheit.

Nur ist es so, dass die Frau in der GK dann die gleiche (familienfeindliche) Arbeit leisten muss, wie ein Mann. Genau dieses Opfer von Privatleben wird aber doch finanziell entlohnt durch das hohe Gehalt?

Die ganze Ausgangsfrage war doch, ob die GK ihre gesamte Arbeitsweise und Co. anpassen muss, damit sie für Frauen als Arbeitgeber attraktiver werden. Und da kann natürlich die Gegenfrage erlaubt werden, ob der Staat dann nicht seine Arbeitsbedingungen anpassen muss, weil er ja zum Teil unter 20% männliche Bewerber hat.
Levi hat geschrieben: Mit der Einstellung wären wir gesellschaftspolitisch immer noch im Mittelalter. Kein Arbeitgeber - egal ob staatlich oder privat - gibt von seinen Rechten freiwillig etwas ab. Sie müssen von den Beschäftigten immer erst erkämpft werden.
In dem Punkt ob ich attraktiver für Männer oder Frauen werde geht es aber doch nicht um "besser" oder "schlechter". Man ist heute dazu geneigt zu sagen, dass ein Arbeitgeber der für Frauen attraktiv ist "bessere Bedingungen" hat, das ist in der Pauschalität aber ja so nicht richtig. Der Staat ist ja gerade für viele Männer unattraktiv, weil er durch seine "Familienfreundlichkeit" die Karrierechancen sehr überschaubar hält.

Für die Beförderung im Staat kommt es primär halt nicht auf die Leistung des Einzelnen an. Es ist relativ egal ob jemand 80 Stunden die Woche "durchpowert", "highperforment", nie aufgehoben wird und seit 10 Jahren keinen einzigen Fehltag hatte. Die ersteren beiden Umstände sind für einen Mitarbeiter ja gar nicht paktizierbar, weil ab dem Punkt in dem das Dezernat oder die Abteilung ordentlich läuft eine Steigerung nur noch in engen Grenzen möglich ist (weil die Arbeit ja endlich ist). Die letzten Umstände werden dagegen gar nicht für die Beförderung berücksichtigt. Selbst 2 oder 3 Jahre Babypause sind für eine Beförderung im Staatsdienst relativ unschädlich.

Das mag für viele Leute ein tolles System sein. Konkret für Menschen die gerne Sicherheit haben, sich nicht viel aus Geld machen und gerne ein ordentliches Privatleben haben. Das sind nun einmal, wie man ja an den Bewerbern sieht, häufig Frauen.

Wenn man es wirklich ernst meinen würde, dass man wieder auf 50:50 Männer/Frauen kommen möchte, könnte man ja den Staatsdienst wieder für "Karrieremenschen" attraktiver machen (und dadurch hoffen, dass man primär wieder Männer anzieht). Mehr Kennzahlen, bessere Leistungserfassung (PEBB§Y macht die Beförderung :P), Gehaltsstufen nicht nach Alter sondern nach Leistung usw...

Aber wer will das denn? Da würden doch die aktuell Beschäftigten im Staatsdienst Sturm laufen. Das sind Leute die haben sich genau den Job ausgesucht, weil sie Sicherheit und work-life-balance haben wollten oder zumindest damit gut leben konnten.

Von daher finde ich es umgekehrt immer etwas merkwürdig, wenn man Großkanzleien vorwirft, sie würden ihre gesamte Arbeitsmentalität nicht auf Frauen anpassen. Wobei sich hier ja sogar was bewegt, weil die Anzahl der "Karrieremenschen" nicht mehr ausreicht, weil auch bei Männern die Work-Life-Balance immer wichtiger wird.

Was übrigens auch die gesündere Einstellung zum Thema ist... Solange ein Arbeitgeber mit seinen Arbeitsbedingungen genügend Arbeitskräfte bekommt, scheint es ja für genügend Menschen attraktiv zu sein. Ob er damit nun nur Männer oder nur Frauen anzieht, ist ja zweitrangig. Gesellschaftlich wichtig ist nicht, dass in einem Unternehmen gleichviele Männer wie Frauen arbeiten, sondern dass Frauen und Männer die gleiche Chance haben für die gleiche Leistung das gleiche Gehalt zu erhalten. Und das ist ja sowohl im Staatsdienst als auch in der Großkanzlei gegeben.
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Levi
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben: Solange ein Arbeitgeber mit seinen Arbeitsbedingungen genügend Arbeitskräfte bekommt, scheint es ja für genügend Menschen attraktiv zu sein. Ob er damit nun nur Männer oder nur Frauen anzieht, ist ja zweitrangig. Gesellschaftlich wichtig ist nicht, dass in einem Unternehmen gleichviele Männer wie Frauen arbeiten, sondern dass Frauen und Männer die gleiche Chance haben für die gleiche Leistung das gleiche Gehalt zu erhalten. Und das ist ja sowohl im Staatsdienst als auch in der Großkanzlei gegeben.
Aus Sicht des Arbeitgebers mag es tatsächlich zweitrangig sein, ob er nun mehr Männer oder mehr Frauen anzieht, solange er nur insgesamt genügend Arbeitskräfte findet, aus Sicht einer Gesellschaft - wie der unsrigen -, die es sich zum Staatsziel gesetzt hat, die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, ist es dagegen keineswegs zweitrangig, sondern von eminenter gleichstellungspolitischer Bedeutung. 

Männer und Frauen haben im übrigen gerade nicht die gleichen Chancen auf ein gleich hohes Gehalt, wenn die Arbeitsbedingungen - ohne zwingenden Grund - so ausgestaltet werden, dass sie für die Angehörigen eines Geschlechts typischerweise nicht realisiert werden können (da mit einer verantwortlichen Wahrnehmung von  Familienpflichten unvereinbar). 

Ich bin mir sicher, dass die Zahl der Frauen, die sich für eine Tätigkeit in einer GK interessieren, sofort deutlich ansteigen würde, wenn dort geregelte Arbeitszeiten (9 to 5), flexible Teilzeit und Telearbeit Einzug halten würden. Die derzeitigen Arbeitsbedingungen halten Frauen dagegen bewusst fern. Das lässt sich sinnvoll nur dadurch erklären, dass Frauen von den entsprechenden Verdienstmöglichkeiten ferngehalten  werden sollen. Ein anderer Grund fällt mir nicht ein. 
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Urs Blank »

Ara hat geschrieben:Wir sind uns doch hoffentlich einig, dass heute jeder Frau die Doppel-VB hat und sozial nicht völlig inkompetent ist (gleiche Voraussetzungen wie bei einem Mann), relativ Problemlos eine Anstellung, übrigens für das selbe Gehalt wie ein Mann, in irgendeiner Großkanzlei findet? Dahingehend besteht doch Chancengleichheit.
Keine Ahnung, ob das so ist. Dazu kenne ich mich im Großkanzleiwesen zu wenig aus. Aber wenn - in einer Kanzlei oder andernorts - die gut bezahlten Führungspositionen zu 95 % mit dem gleichen geklonten Typ besetzt sind (das bezieht sich nicht nur auf das Geschlecht), ist das m. E. ein Indiz dafür, dass eben keine Chancengleichheit bestanden hat. Schließlich lässt auch das Ergebnis Rückschlüsse auf den Prozess zu...
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von julée »

@Ara: Die "Karrierechancen" in der Justiz sind nicht aus Gründen der Familienfreundlichkeit überschaubar, sondern weil man auf 2-4 Richter am Landgericht nur einen Vorsitzenden Richter am Landgericht braucht und pro Landgerichtsbezirk nur eine überschaubare Anzahl an Gerichtspräsidenten, Vizepräsidenten o. ä. hat. Und die von Dir angesprochenen Leistungsmerkmale sind doch weitgehend untauglich: wer die Parteien überwiegend erfolgreich in einen Vergleich nötigt, hat zwar vielleicht bessere Erledigungszahlen und eine geringe Berufungsquote, aber die "bessere" Arbeit macht man damit nicht zwangsläufig. Und wer meint, nach x Wochenstunden noch nicht ausgelastet zu sein, kann sich anderweitig beschäftigen. Gewiss, es ist eine andere Anreizstruktur.
Und natürlich, prima facie verlangen Großkanzleien von Frauen und Männern die gleichen Opfer im Privatleben. Allerdings kann ein Mann auf dem Partnertrack in aller Ruhe 3 Kinder in die Welt setzen (um die sich seine Frau kümmert), während eine Frau sich überlegen muss, ob sie überhaupt so oft und so "lange" - und sei es nur für die Zeit des Mutterschutzes - ausfallen kann, ohne ihre Karrierechancen vollends zu ruinieren - und selbst wenn sie alles auf die Reihe bekommt oder gar kein Interesse an Kindern hat, muss sie ggf damit rechnen, dass ihr der männliche Kollege vorgezogen wird, weil "man" ihr eher als dem Kollegen unterstellt, künftig andere Prioritäten setzen zu wollen.
Und einer Freundin ist - in einer Boutique, die sie eigentlich unbedingt haben wollte - bedeutet worden, dass man dann mal schauen müsse, wie man sich so versteht, wenn sie Kinder wolle und dann ggf. erstmal Teilzeit arbeiten wolle. Sie hat dann die Karrierechancen in einem Ministerium vorgezogen.
Zuletzt geändert von julée am Sonntag 5. Februar 2017, 11:51, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben:Für die Beförderung im Staat kommt es primär halt nicht auf die Leistung des Einzelnen an. Es ist relativ egal ob jemand 80 Stunden die Woche "durchpowert", "highperforment", nie aufgehoben wird und seit 10 Jahren keinen einzigen Fehltag hatte. ...

Wenn man es wirklich ernst meinen würde, dass man wieder auf 50:50 Männer/Frauen kommen möchte, könnte man ja den Staatsdienst wieder für "Karrieremenschen" attraktiver machen (und dadurch hoffen, dass man primär wieder Männer anzieht). Mehr Kennzahlen, bessere Leistungserfassung (PEBB§Y macht die Beförderung :P), Gehaltsstufen nicht nach Alter sondern nach Leistung usw...
Das ist ein typisch männliches Verständnis von "Leistung", das wesentliche - gleichberechtigte - Belange gänzlich unberücksichtigt lässt. In deiner Aufzählung fehlen insbesondere Merkmale wie Kommunikationsfähigkeit, Kollegialität und Teamfähigkeit, Verhandlungsgeschick, Organisationskompetenz etc. 
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Urs Blank hat geschrieben: Keine Ahnung, ob das so ist. Dazu kenne ich mich im Großkanzleiwesen zu wenig aus. Aber wenn - in einer Kanzlei oder andernorts - die gut bezahlten Führungspositionen zu 95 % mit dem gleichen geklonten Typ besetzt sind (das bezieht sich nicht nur auf das Geschlecht), ist das m. E. ein Indiz dafür, dass eben keine Chancengleichheit bestanden hat. Schließlich lässt auch das Ergebnis Rückschlüsse auf den Prozess zu...
Also ich denke jetzt mal an meine StA-Station zurück. Ich wurde von 10 Staatsanwälten mehr oder weniger in AG und Station ausgebildet. Davon waren 8 Frauen und 2 Männer. Und wenn ich mich so an das Personal auf dem Flur erinnere, dann war auch da in etwa das Verhältnis, vor allem bei jüngeren Staatsanwälten, so die Regel. Die Abteilungsleiter waren dann tatsächlich 50:50 besetzt, aber das liegt auch daran, weil sie deutlich älter waren und da der "Frauenüberschuss" wohl noch nicht so stark war.

Daraus soll man nun Rückschlüsse auf die Chancengleichheit bei Einstellung und Beförderung schließen? Uns wurde bei der Einstellung gesagt: "Wir freuen uns am Ende ihres Referendariats über ihre Bewerbung für die Justiz, ganz besonders wenn sie männlich sind oder Migrationshintergrund haben".

Dabei kommt ja gesellschaftlich noch ein ganz anderes faktisches Problem hinzu: Während ich männliche Richter häufig erlebt haben, dass sie klagen man könne von nem Richtergehalt keine Familie alleine amtsangemessen ernähren (ob man das im Jahr 2017 können muss, ist ne andere Frage), sind Richterinnen häufig mit dem Großkanzleianwalt verheiratet und verdienen sich ihr Richtergehalt zum Shoppen in Teilzeit nebenbei.

Das heißt der Staatsdienst ist für das "klassische Rollenbild" der Mann arbeitet und die Frau zieht alleine die Kinder groß völlig untauglich geworden. Der Staat freut sich natürlich, da er die Besoldung nicht anheben muss, da das Richtergehalt als 2. Verdienst natürlich wunderbar ist. Da Männer heute noch Komplexe haben wenn die Frau mehr verdient und Frauen in der Regel vom Mann erwarten, dass er mehr verdient, ist das auch keine Überraschung. Am Ende leidet aber auch die Rechtsprechung drunter, wenn die Richterschaft einseitig, böse formuliert, aus Teilzeit-Großkanzleiehefrau-Muttis besteht.

Wenn eine Berufsgruppe Genderequality hat, dann sind es doch wir Juristen (die zum Teil sogar Frauen überbegünstigt)? Die beiden größten Arbeitgebergruppen GK und Staat bieten die gleichen Arbeitsbedingungen für das gleiche Gehalt. Der Rest sind kleinere Kanzleien oder Selbstständigkeit, die eh keinen festen Regeln folgen.

Ehrlich gesagt ist es mir als männlicher Bewerber aber tatsächlich relativ schnuppe, dass im Staatsdienst überproportional Frauen eingestellt werden. Solange ich im Falle einer Bewerbung die gleichen Chance haben, kann ich damit leben. Vielleicht fehlt mir da aber auch das Anspruchsdenken, dass jeder Arbeitgeber den Arbeitsplatz nach meinen Vorstellungen schnitzen muss. Ich will ja auch nicht für jeden Arbeitgeber arbeiten.
julée hat geschrieben:Und die von Dir angesprochenen Leistungsmerkmale sind doch weitgehend untauglich: wer die Parteien überwiegend erfolgreich in einen Vergleich nötigt, hat zwar vielleicht bessere Erledigungszahlen und eine geringe Berufungsquote, aber die "bessere" Arbeit macht man damit nicht zwangsläufig.
Auch "billable hours" sind doch weitgehend untaugliche Leistungsmerkmale... Schreckt auch in der Großkanzlei keinen davon ab, dies als heiligen Gradmesser zu nehmen.

Ich befürworte auch nicht den Staatsdienst dahingehend groß zu reformieren. Die Sicherheit des Staatsdienstes ohne massiven Leistungsdruck und Angst haben zu müssen morgen auf der Straße zu sitzen hat ja auch eine hohe Attraktivität. Ich befürworte ja eher, dass nicht jeder Arbeitsplatz bei jedem Arbeitgeber die gleichen Vorteile/Nachteile hat, sondern man durch die Pluralität der Arbeitsplätze den für sich passenden Arbeitsplatz suchen kann.

Wer halt gerne 8 Kinder machen will und am Wochenende seine Ruhe hat, der geht halt in den Staatsdienst (und sucht sich ne Frau in der Großkanzlei um die 8 Kinder zu ernähren). Wer meint er findet sein Heil im Porsche, Koks und Prostituierte sucht sich halt nen Job mit 80 Stundenwoche und sechsstelligem Gehalt. Und für alle anderen, gibt es auch irgendwas dazwischen.
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Beitrag von Tibor »

@Julee: Das Problem mit den Beförderungen in der Justiz ist, dass es zwar R1-R10 gibt, allerdings nahezu alle Richter in R1/R2 bleiben. Es wäre ein leichtes, hier weitere Unterteilungen vorzunehmen; und wenn bspw nur durch Amtszulagen für Tätigkeiten in der Eigenverwaltung, Übernahme ungeliebter Dezernate/Kammern oder Leistung von Wochenendschichten etc. Auch die Stufen müssten nur an Beurteilungsergebnisse und/oder sowas wie Pebb§y anknüpfen und nicht an Altersstufen bzw. vorgegaukelten Erfahrungsstufen im Gewand einfacher Altersstufen. Dies würde auch das Alimentationsprinzip besser zur Geltung kommen lassen, wenn man eine Grundbesoldung für jeden Richter nach dem Amt ansetzt und den Rest als echte Leistungsbesoldung ausweist. Aktuell gibt es ja die DRB Kampagne gg unzureichende Besoldung in BaWü/Rheinland Pf/Saarland und der Aussage, dass "die Auslegung von BGB Normen überall im Bundesgebiet gleich schwer sei". Das ist natürlich Humbug, wenn man das Alimentationsprinzip berücksichtigt, denn bei diesem ist es gerade klar und zwingend, dass es ja nach Wohnsitz auch unterschiedliche Lebenshaltungskosten und somit Alimentation geben muss.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
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