Ist Recht objektiv?

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Gelöschter Nutzer

Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Es scheint hM zu sein, dass Recht etwas vom Menschen gesetztes ist, das keine objektive Gültigkeit beanspruchen kann.

Kürzlich habe ich aber von folgender Argumentation gehört, die meint ethische Normen (und infolge dessen auch rechtliche) verbindlich begründen zu können:

Etwa das Recht auf Meinungsfreiheit:

Wer anderen das Recht auf Meinungsfreiheit streitig macht, nimmt es dabei selbst in Anspruch. Er gerät damit in einen "performativen Widerspruch", seine Aussage ist reflexiv nicht konsistent und kann keine Gültigkeit beanspruchen.

Diese Argumentation kann man auf verschiedene Rechte anwenden.

Ist euch diese Argumentationsfigur bekannt und wenn ja, haltet ihr sie für überzeugend?
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Ara
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Ara »

Ich verstehe schon die Beispielaussage nicht?

Meinungsfreiheit ist das Recht des Bürgers seine Meinung ohne Unterdrückung durch den Staat äußern zu dürfen. Warum sollte ein Staat, der seinen Bürgern die Meinung verbietet, selbst dieses Recht in Anspruch nehmen? Er macht schlicht von seiner Staatsgewalt gebrauch. Gebote und Verbote sind keine Meinungen.

Ansonsten: Nein Recht ist nicht objektiv. Was an Ort X in der Welt in Ordnung ist, muss es nicht an Ort Y sein. Die dänische Bevölkerung hat andere Wertvorstellungen und Bedürfnisse als die kenianische Bevölkerung.

Und ob die Geschäftsfähigkeit mit 17, 18 oder 21 Jahren eintritt, ist auch nicht objektiv bestimmbar. Es ist schlicht eine Wertentscheidung.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Gelöschter Nutzer

Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Meinungsfreiheit ist das Recht des Bürgers seine Meinung ohne Unterdrückung durch den Staat äußern zu dürfen. Warum sollte ein Staat, der seinen Bürgern die Meinung verbietet, selbst dieses Recht in Anspruch nehmen? Er macht schlicht von seiner Staatsgewalt gebrauch. Gebote und Verbote sind keine Meinungen.
Das ist richtig; das beispiel funktioniert nur in einer Diskurssituation, wenn jemand die These geltend machen will, die Meinungsfreiheit solle eingeschränkt werden.

Hier ist der Artikel, aus dem ich das Beispiel habe und der das ausführlich darlegt:

https://rechtfertigung.wordpress.com/20 ... fertigung/

Ansonsten: Nein Recht ist nicht objektiv. Was an Ort X in der Welt in Ordnung ist, muss es nicht an Ort Y sein. Die dänische Bevölkerung hat andere Wertvorstellungen und Bedürfnisse als die kenianische Bevölkerung.
Das ist als deskriptive Aussage erstmal richtig, aber die Frage ist es eben, ob es darüber hinaus ein (erkennbares) Normengefüge gibt, dass unabhängig von Kultur und Zeit gilt.
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Levi
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Levi »

juraidiot hat geschrieben:
Ansonsten: Nein Recht ist nicht objektiv. Was an Ort X in der Welt in Ordnung ist, muss es nicht an Ort Y sein. Die dänische Bevölkerung hat andere Wertvorstellungen und Bedürfnisse als die kenianische Bevölkerung.
Das ist als deskriptive Aussage erstmal richtig, aber die Frage ist es eben, ob es darüber hinaus ein (erkennbares) Normengefüge gibt, dass unabhängig von Kultur und Zeit gilt.
Ziemlich universell ist z. B. die Grundnorm der "Goldenen Regel", aus der sich unzählige spezifische Regeln ableiten lassen.

Positiv formuliert in Matthäus 7,12: »Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern.«

Oder negativ formuliert im Talmud (Shabbat 31a): „Was dir verhasst ist, das tue deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora, alles andere ist Auslegung.“
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Vortex
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Vortex »

@Levi: Wie wär's mal mit Kant oder so, bisschen Abwechslung schadet ja nicht ;)


Vielleicht bin ich zu dumm, aber diesen "performativen Widerspruch" sehe ich hier nicht. Das wäre wohl eher so ein Satz wie "Ich kann nicht sprechen".
Aber ich kann doch sogar dort, wo es kein Recht auf Meinungsfreiheit gibt, meine Meinung tatsächlich aussprechen, sprich die Worte können meinen Mund verlassen (was danach mit mir passiert, ist ne andere Frage). Inwiefern beweist das ein Naturrecht auf Meinungsfreiheit, ohne dass das ein Zirkelschluss ist?
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Levi
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Levi »

Vortex hat geschrieben:@Levi: Wie wär's mal mit Kant oder so, bisschen Abwechslung schadet ja nicht ;)

Nun, erstens bin ich Hegelianer. Kant zitiere ich daher nur, wenn mir wirklich nichts besseres einfällt. Und zweitens ist der 'Kategorische Imperativ' doch nur "alter Wein in neuen Schläuchen" [Mist, schon wieder Bibel]. Da gehe ich doch lieber ad fontes  zu Kants eigenen Quellen zurück. 
Vielleicht bin ich zu dumm, aber diesen "performativen Widerspruch" sehe ich hier nicht. Das wäre wohl eher so ein Satz wie "Ich kann nicht sprechen". Aber ich kann doch sogar dort, wo es kein Recht auf Meinungsfreiheit gibt, meine Meinung tatsächlich aussprechen, sprich die Worte können meinen Mund verlassen (was danach mit mir passiert, ist ne andere Frage). Inwiefern beweist das ein Naturrecht auf Meinungsfreiheit, ohne dass das ein Zirkelschluss ist?
Du bist nicht zu dumm, sondern der Text von juraidiot ist dummes Zeug. 

Erstens ist bereits die Annahme eines "Naturrechts" ein Widerspruch in sich. Spätestens in dem Moment, in dem ein Mensch das "Naturrecht" (aus welcher "Quelle" er es auch immer beziehen mag) in menschlicher Sprache formuliert, ist es bereits kein "Naturrecht" mehr, sondern positives (kulturelles) Recht, wie jedes andere auch. Wenn man diese Übersetzung in menschliche Sprache jedoch unterlassen würde, gäbe es ebenfalls kein "Naturrecht" mehr, weil keine andere Person (außer vielleicht des "Entdeckers des Naturrechts") jemals davon erfahren würde. Insofern ist ein Zirkelschluss bei naturrechtlichen Argumentationen quasi unvermeidlich. 

Darüber hinaus unterliegt jede naturrechtliche Argumentation automatisch dem Sein-Sollen-Fehlschluss ("naturalistischer Fehlschluss"). Aus (nur) einem "Sein" lässt sich nach keiner (bislang) bekannten Logik ein "Sollen" ableiten. 

Insofern sind alle derartigen "Begründungsversuche" des Rechts offensichtlicher Unfug. 
Gelöschter Nutzer

Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Letztlich bestimmt das Recht des Stärkeren, was normiertes Recht wird.
Gelöschter Nutzer

Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@Levi
Ziemlich universell ist z. B. die Grundnorm der "Goldenen Regel", aus der sich unzählige spezifische Regeln ableiten lassen.
Die goldene Regel ist sicherlich eine moralische Maxime, die bei den meisten Kulturen einen gewissen Geltungsanspruch hat oder hatte.

Ich will aber nicht auf einen solchen empirischen Befund hinaus, sondern auf eine moralische Norm, deren Gültigkeit rational nicht bestritten werden kann und die deshalb für alle Menschen Gültigkeit in einem Maß beanspruchen kann, wie es etwa ein mathematischer Satz kann.

Die goldene Regel ist ja eher entweder a) ein Dogma oder b) eine reziproke Nützlichkeitserwägung.
Erstens ist bereits die Annahme eines "Naturrechts" ein Widerspruch in sich. Spätestens in dem Moment, in dem ein Mensch das "Naturrecht" (aus welcher "Quelle" er es auch immer beziehen mag) in menschlicher Sprache formuliert, ist es bereits kein "Naturrecht" mehr, sondern positives (kulturelles) Recht, wie jedes andere auch. Wenn man diese Übersetzung in menschliche Sprache jedoch unterlassen würde, gäbe es ebenfalls kein "Naturrecht" mehr, weil keine andere Person (außer vielleicht des "Entdeckers des Naturrechts") jemals davon erfahren würde. Insofern ist ein Zirkelschluss bei naturrechtlichen Argumentationen quasi unvermeidlich.

Darüber hinaus unterliegt jede naturrechtliche Argumentation automatisch dem Sein-Sollen-Fehlschluss ("naturalistischer Fehlschluss"). Aus (nur) einem "Sein" lässt sich nach keiner (bislang) bekannten Logik ein "Sollen" ableiten.
Aber um Naturrecht handelt es sich bei der von mir zitierten Argumentationsfigur ja gerade nicht.

Naturrecht arbeitet mit Begriffen wie "self-evident truths" und ähnlichem. Hier wird also der Begründungsvorgang an einer Stelle abgebrochen.

Mathematische Gesetze bspw. werden auch von Menschen "entdeckt" und formuliert, sind aber trotzdem hinsichtlich ihrer realen "natürlichen" Existenz unbestritten (?).

Und um solche Gesetze, eben auf dem Gebiet der Ethik und im weiteren des Rechts, geht es mir hier.


@vortex
Vielleicht bin ich zu dumm, aber diesen "performativen Widerspruch" sehe ich hier nicht. Das wäre wohl eher so ein Satz wie "Ich kann nicht sprechen".
Ich bin ja philosophischer Laie und gebe das ganze Problem hier offensichtlich nicht ganz adäquat wieder, weswegen ich nochmal auf den verlinkten Text verweise.

"Ich kann nicht sprechen" ist ein ganz klarer performativer Selbstwiderspruch.

Im philosophischen Bereich ist z.B. die Aussage "Nichts ist wahr" ein performativer Selbstwiderspruch. Fraglich ist für mich, ob daraus nun folgt, dass etwas wahr ist.


Bzgl. der Meinungsfreiheit formuliert der Autor des verlinkten Artikels das so:
Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein reflexives Recht. Es ist das Recht darauf, sich frei eine Meinung bilden und diese Meinung in der Öffentlichkeit vertreten zu können. - Meinungsfreiheit hat dementsprechend für alle anderen sichtbar schon in Anspruch genommen, wer eine Meinung öffentlich äußert. Und natürlich derjenige, der in der Bildung seiner Meinung nicht durch Zensur, staatlichen Terror oder Überwachung durch Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen eingeschränkt wird. - Wer Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, der hat - in dieser Inanspruchnahme - bereits dem Recht des jeweils Anderen auf Meinungsfreiheit zugestimmt. Denn Meinungsfreiheit ist nur dann eine, wenn sie für alle gilt: Sie ist ein reflexives Recht, ein Recht, was durch Inanspruchnahme darin bestätigt wird, ein Recht für alle zu sein.

@Candor
Letztlich bestimmt das Recht des Stärkeren, was normiertes Recht wird.
Wohl richtig, aber mir geht es darum, was normiertes Recht sein sollte, nicht was es erfahrungsgemäß ist bzw. wie es zustande kommt.


@thema

Hier wird die Argumentationsfigur nochmal anschaulicher beschrieben als in dem Artikel:
Apels Letztbegründungsargument entstand als Reaktion auf das von Hans Albert zuerst 1968 aufgestellte Münchhausen-Trilemma, wonach letzte Begründungen nicht möglich seien.[17] Für Apel war die Suche nach letzten, vom Common sense unabhängigen Begründungen angesichts des Missbrauchs der Argumentationsfigur des „gesunden Volksempfindens“ im Nationalsozialismus unumgänglich geworden.[18]

Philosophische Letztbegründung besteht für Apel in dem Aufweis, dass gewisse Aussagen in jedweder Argumentation von jedem einzelnen immer schon vorausgesetzt werden müssen, gleichgültig welche spezielle Meinung, Weltanschauung oder Kultur er vertritt. Apel formuliert zwei Kriterien, die Sätze als letztbegründet ausweisen sollen:[19]

Sie können „nicht ohne pragmatischen Selbstwiderspruch“ bestritten werden
Sie können „nicht ohne logischen Zirkel (petitio principii) (formal-logisch) begründet“ werden

Apel nennt als Beispiel für pragmatisch inkonsistente Sätze: „Ich behaupte hiermit, dass ich nicht existiere“, „Ich behaupte hiermit, dass ich keinen Sinn-Anspruch habe“, „Ich behaupte hiermit, dass ich keinen Wahrheits-Anspruch habe“. Die Unmöglichkeit einer zirkelfreien logischen Begründung zeige bei diesen Sätzen nicht eine Aporie im Begründungsproblem an, sondern sei „eine notwendige Folge des Umstandes, dass die Sätze als einsehbar notwendige Präsuppositionen allen logischen Begründens a priori gewiss sind“.[19]

Apel bezeichnet die Art des von ihm analysierten Widerspruchs oft auch als performativen Widerspruch. Er stamme nicht aus dem subjektiven Denken, sondern aus dem Akt des intersubjektiven Gesprächs, so dass sich für Apel die Intersubjektivität als unhintergehbare Bestimmung menschlichen Denkens und Handelns ergibt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl-Otto ... C3.BCndung
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Vortex
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Vortex »

juraidiot hat geschrieben:Die goldene Regel ist sicherlich eine moralische Maxime, die bei den meisten Kulturen einen gewissen Geltungsanspruch hat oder hatte.

Ich will aber nicht auf einen solchen empirischen Befund hinaus, sondern auf eine moralische Norm, deren Gültigkeit rational nicht bestritten werden kann und die deshalb für alle Menschen Gültigkeit in einem Maß beanspruchen kann, wie es etwa ein mathematischer Satz kann.

Die goldene Regel ist ja eher entweder a) ein Dogma oder b) eine reziproke Nützlichkeitserwägung.
Also ich weiß, dass Sam Harris ein Buch geschrieben hat namens "The Moral Landscape", in dem er wohl (ich habe das Buch nicht gelesen) so argumentiert, dass objektiv bestimmbar ist, was moralisch gut und schlecht ist, wenn man als Axiom akzeptiert, dass das gut ist, was das
"well-being" der Menschen fördert (welches wiederum wissenschaftlich bestimmbar ist).

Auf wiki steht das so:
"Harris contends that the only moral framework worth talking about is one where "morally good" things pertain to increases in the "well-being of conscious creatures". He then argues that, problems with philosophy of science and reason in general notwithstanding, 'moral questions' will have objectively right and wrong answers which are grounded in empirical facts about what causes people to flourish.
Challenging the traditional philosophical notion that humans can never get an 'ought' from an 'is', Harris argues that moral questions are best pursued using not just philosophy, but the methods of science."

Wie gesagt hab ich es nicht gelesen, aber ich halte viel von dem Mann und vllt. wäre das Buch was für dich.
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immer locker bleiben
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von immer locker bleiben »

juraidiot hat geschrieben:Es scheint hM zu sein, dass Recht etwas vom Menschen gesetztes ist, das keine objektive Gültigkeit beanspruchen kann.
Thomas von Aquin, Thomas Jefferson, Gustav Radbruch und Carl Schmitt würden sich im Grabe umdrehen und mit ihnen viele andere Rechtsphilosophen auch.
You might remember me from such posts as this.
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Vortex
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Vortex »

Interessant dass Radbruch erwähnt wird, denn der war ursprünglich ja mal Rechtspositivist.
Gelöschter Nutzer

Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

juraidiot hat geschrieben:Wohl richtig, aber mir geht es darum, was normiertes Recht sein sollte, nicht was es erfahrungsgemäß ist bzw. wie es zustande kommt.
Aha, sollte - nun denn, das bleibt doch nur eine Fiktion, solange dieses SOLL nicht erfüllt ist. Recht kann sich doch nur im IST manifestieren. Alles andere bleibt fiktionaler Entwurf. Die Psychologen geben Dir Antwort, warum Normen entstehen, wer sie festsetzt und wie individuell sie letztlich bleiben, sprich das von Freud eingeführte ES entspricht der Normentastatur, Adler hat es auf das Machtstreben zurückgeführt. Es gibt unterschiedliche Persönlichkeiten, deren Normen unterschiedlich ausgebildet sind. Außerdem entwickeln sich Normen aus versteckten Unsicherheiten, z. B. aus einem übertriebenen Reinlichkeitswahn entwickelt sich dann der bevorzugte gewissenhafte Typus des Strebers nach Freud. Bei Adler wird die Unsicherheit des heranwachsenden Kindes mit Machtbedürfnis ausgeglichen, dadurch entwickelt es ein fiktionales Normensystem, woran es sich orientieren kann. Ein Rechtssystem generiert sich aus dem Konsens der vorherrschenden Normen. Nicht alle Normen werden zu Gesetzen und sie stehen auch nicht fest.
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Levi
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Levi »

juraidiot hat geschrieben:@Levi
Ziemlich universell ist z. B. die Grundnorm der "Goldenen Regel", aus der sich unzählige spezifische Regeln ableiten lassen.
Die goldene Regel ist sicherlich eine moralische Maxime, die bei den meisten Kulturen einen gewissen Geltungsanspruch hat oder hatte.

Ich will aber nicht auf einen solchen empirischen Befund hinaus, sondern auf eine moralische Norm, deren Gültigkeit rational nicht bestritten werden kann und die deshalb für alle Menschen Gültigkeit in einem Maß beanspruchen kann, wie es etwa ein mathematischer Satz kann.

Die goldene Regel ist ja eher entweder a) ein Dogma oder b) eine reziproke Nützlichkeitserwägung.
Auch mathematische Sätze gelten immer nur innerhalb ihres Bezugssystems und nicht "universell" i. w. S.

Notwendige Voraussetzung eines jeden mathematischen Satzes sind stets (unbeweisbare) - mehr oder weniger willkürlich - gesetzte Axiome. Nur die aus diesen Axiomen logisch folgerichtig abgeleiteten Sätze sind "rational nicht bestreitbar", die Axiome selbst sind dagegen wandelbar. 

Du müsstest daher zunächst die moralischen Axiome (= "Grundnormen") festlegen (oder noch besser: dich mit anderen Menschen darauf einigen), die deinem System zugrunde liegen sollen. Nur dann kann man - innerhalb dieses Bezugssystems - "moralische Normen, deren Gültigkeit rational nicht bestritten werden kann", logisch ableiten. 

Also: definiere bitte deine ethischen Axiome/Grundnormen, dann können wir weiter sehen. Ohne solche Grundnormen kann man nicht sinnvoll diskutieren, weder in der Mathematik noch in der Ethik oder dem Recht. 

Die "Goldene Regel" ist z. B. eine solche Grundnorm, auf die sich viele Menschen (zu ganz unterschiedlichen Zeiten und Kulturen) einigen konnten. Wenn du andere ethische Axiome setzen möchtest, ist das auch legitim. Du musst sie halt nur nennen. 
Gelöschter Nutzer

Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Also ich weiß, dass Sam Harris ein Buch geschrieben hat namens "The Moral Landscape", in dem er wohl (ich habe das Buch nicht gelesen) so argumentiert, dass objektiv bestimmbar ist, was moralisch gut und schlecht ist, wenn man als Axiom akzeptiert, dass das gut ist, was das
"well-being" der Menschen fördert (welches wiederum wissenschaftlich bestimmbar ist).
Pragmatisch ist das sicher ein sinnvoller Ansatz - als letztbegründet kann er aber nicht gelten, weil er auf einem Axiom aufbaut.

Insofern ist auch dieser Aussage zuzustimmen:
Auch mathematische Sätze gelten immer nur innerhalb ihres Bezugssystems und nicht "universell" i. w. S.
Mathematische Sätze als Analog sind also von mir falsch gewählt worden.


Jede Ethik, die auf Axiomen aufbaut, ist letztlich willkürlich und deshalb für sich stehend nicht verbindlich.

Die "Goldene Regel" ist z. B. eine solche Grundnorm, auf die sich viele Menschen (zu ganz unterschiedlichen Zeiten und Kulturen) einigen konnten. Wenn du andere ethische Axiome setzen möchtest, ist das auch legitim. Du musst sie halt nur nennen.
Das ist das Problem. Dann wäre alles legitim bzw. der Willkür eines jeden überlassen.

Ich könnte jedes Axiom für mich aufstellen und danach mit gutem Gewissen handeln.

Thomas von Aquin, Thomas Jefferson, Gustav Radbruch und Carl Schmitt würden sich im Grabe umdrehen und mit ihnen viele andere Rechtsphilosophen auch.
Schon klar, dass immer wieder der Versuch gemacht wurde, moralische Normen letzt zu begründen.

Aber aus heutiger Sicht eben ohne Erfolg.

Herrschende Meinung ist meinem Empfinden nach heute der kritische Rationalismus, ob sich nun explizit darauf berufen wird oder nicht.

Abgesehen davon ist z.B. der Versuch Radbruchs das Dilemma zwischen gesetztem Recht und Gerechtigkeit zu lösen doch ziemlich dürftig: letztlich stellt er auch nur auf das "normale Gerechtigkeitsempfinden" des durchschnittlichen Menschen ab, was keine tragfähige Grundlage ist.




Es ist aber zum Beispiel möglich, den Satz vom ausgeschloßenem Widerspruch zu beweisen, ohne auf Axiome zurückzugreifen, denn wer ihn bestreitet, beruft sich gleichzeitig auf ihn. Damit ist der Widerspruch unmöglich und der Satz kann als gesichert gelten.

Oder wie steht ihr zu dieser Argumentation?
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Levi
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Re: Ist Recht objektiv?

Beitrag von Levi »

juraidiot hat geschrieben:
Auch mathematische Sätze gelten immer nur innerhalb ihres Bezugssystems und nicht "universell" i. w. S.
Mathematische Sätze als Analog sind also von mir falsch gewählt worden.

Jede Ethik, die auf Axiomen aufbaut, ist letztlich willkürlich und deshalb für sich stehend nicht verbindlich.

Und genau deswegen haben Menschen von jeher gesellschaftliche Institutionen geschaffen, die diese normativen Entscheidungen für ihren Machtbereich verbindlich treffen - und (ggf. auch mit Zwang) durchsetzen.

Das nennt sich dann gemeinhin "Recht".
Die "Goldene Regel" ist z. B. eine solche Grundnorm, auf die sich viele Menschen (zu ganz unterschiedlichen Zeiten und Kulturen) einigen konnten. Wenn du andere ethische Axiome setzen möchtest, ist das auch legitim. Du musst sie halt nur nennen.
Das ist das Problem. Dann wäre alles legitim bzw. der Willkür eines jeden überlassen.

Ich könnte jedes Axiom für mich aufstellen und danach mit gutem Gewissen handeln.

Ob du das "mit gutem Gewissen" kannst, hängt von dem jeweiligen Axiom und deinem Gewissen ab. 

Im Übrigen gilt diese Autonomie nur dann, wenn du irgendwo allein auf einer Bohrinsel im Atlantik lebst (und selbst dort gibt es Grenzen der Autonomie). Ansonsten wirst du nicht umhinkommen, dich mit den Normen der anderen Menschen um dich herum zu arrangieren. 

Oder - um hier doch einmal I. Kant (AA VI, Die Metaphysik der Sitten, S. 230) zu zitieren:

"Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann. 
Eine jede Handlung ist daher Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann."


Womit wir dann wieder bei der "Goldenen Regel" wären. 
Thomas von Aquin, Thomas Jefferson, Gustav Radbruch und Carl Schmitt würden sich im Grabe umdrehen und mit ihnen viele andere Rechtsphilosophen auch.
Schon klar, dass immer wieder der Versuch gemacht wurde, moralische Normen letzt zu begründen.

Aber aus heutiger Sicht eben ohne Erfolg.

Und was willst du uns jetzt damit sagen?
Ich verstehe ehrlich gesagt immer noch nicht, worauf du hinauswillst?
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