Inklusion - postfaktische Welt?

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Levi
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Levi »

sai hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:


(2) Das mit den reihenweise angeblich überforderten Eltern halte ich im Übrigen für eine Legende. Sicherlich gibt es einzelne solcher Fälle, aber sie sind die Ausnahme. Wäre es anders, müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, wie man es überhaupt verantworten kann, dass Menschen Kinder in die Welt setzen und diese erziehen, warum sie wählen dürfen, ihre Steuerklärung machen müssen und Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn sie selbst nach entsprechender Beratung und Empfehlung der Schulbehörden mit der Entscheidung überfordert sind, welche Schulart ihr Kind besuchen soll.
Ich finde es interessant, dass ich dir hier zwei konkrete Aussagen von Leuten aus der Praxis gebe, einem Sonderschullehrer und einem Rollstuhlfahrer, die genau das Gegenteil von deinen Aussagen bestätigen und du tust das als "Legende" ab.

Man kann sich seine rosarote Gutmenschenwelt anscheinend genau so zurecht biegen, wie es einem gerade ins Konzept passt.
Die angeblichen Aussagen und Meinungen irgendwelcher anonymer Personen interessieren mich gemeinhin nicht besonders, und schon gleich gar nicht interessieren mich diese Aussagen dann, wenn sie im Widerspruch zur einhelligen Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams und dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen.

Das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG) und das sonstige einschlägige Recht gehen einhellig davon aus, dass Eltern grundsätzlich in der Lage und Willens sind, ihre Kinder zu erziehen und zu vertreten.

Die gegenteilige Einschätzung erscheint mir weder plausibel noch mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Deutschland vereinbar.

Jedenfalls bedarf es hier schon deutlich mehr, um meine Meinung zu ändern, als die Aussage irgendeines anonymen Sonderschullehrers.
sai
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von sai »

Levi hat geschrieben:
sai hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:


(2) Das mit den reihenweise angeblich überforderten Eltern halte ich im Übrigen für eine Legende. Sicherlich gibt es einzelne solcher Fälle, aber sie sind die Ausnahme. Wäre es anders, müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, wie man es überhaupt verantworten kann, dass Menschen Kinder in die Welt setzen und diese erziehen, warum sie wählen dürfen, ihre Steuerklärung machen müssen und Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn sie selbst nach entsprechender Beratung und Empfehlung der Schulbehörden mit der Entscheidung überfordert sind, welche Schulart ihr Kind besuchen soll.
Ich finde es interessant, dass ich dir hier zwei konkrete Aussagen von Leuten aus der Praxis gebe, einem Sonderschullehrer und einem Rollstuhlfahrer, die genau das Gegenteil von deinen Aussagen bestätigen und du tust das als "Legende" ab.

Man kann sich seine rosarote Gutmenschenwelt anscheinend genau so zurecht biegen, wie es einem gerade ins Konzept passt.
Die angeblichen Aussagen und Meinungen irgendwelcher anonymer Personen interessieren mich gemeinhin nicht besonders, und schon gleich gar nicht interessieren mich diese Aussagen dann, wenn sie im Widerspruch zur einhelligen Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams und dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen.

Das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG) und das sonstige einschlägige Recht gehen einhellig davon aus, dass Eltern grundsätzlich in der Lage und Willens sind, ihre Kinder zu erziehen und zu vertreten.

Die gegenteilige Einschätzung erscheint mir weder plausibel noch mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Deutschland vereinbar.

Jedenfalls bedarf es hier schon deutlich mehr, um meine Meinung zu ändern, als die Aussage irgendeines anonymen Sonderschullehrers.
Wieso sollte das einhellige Meinung der gesellschaftlichen Mitte sein?
Nimm nur diese Diskussion hier als Beispiel, da stehst du mit deiner Meinung ziemlich alleine da.
Samson
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Samson »

Levi hat geschrieben:
sai hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:


(2) Das mit den reihenweise angeblich überforderten Eltern halte ich im Übrigen für eine Legende. Sicherlich gibt es einzelne solcher Fälle, aber sie sind die Ausnahme. Wäre es anders, müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, wie man es überhaupt verantworten kann, dass Menschen Kinder in die Welt setzen und diese erziehen, warum sie wählen dürfen, ihre Steuerklärung machen müssen und Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn sie selbst nach entsprechender Beratung und Empfehlung der Schulbehörden mit der Entscheidung überfordert sind, welche Schulart ihr Kind besuchen soll.
Ich finde es interessant, dass ich dir hier zwei konkrete Aussagen von Leuten aus der Praxis gebe, einem Sonderschullehrer und einem Rollstuhlfahrer, die genau das Gegenteil von deinen Aussagen bestätigen und du tust das als "Legende" ab.

Man kann sich seine rosarote Gutmenschenwelt anscheinend genau so zurecht biegen, wie es einem gerade ins Konzept passt.
Die angeblichen Aussagen und Meinungen irgendwelcher anonymer Personen interessieren mich gemeinhin nicht besonders, und schon gleich gar nicht interessieren mich diese Aussagen dann, wenn sie im Widerspruch zur einhelligen Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams und dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen.

Das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG) und das sonstige einschlägige Recht gehen einhellig davon aus, dass Eltern grundsätzlich in der Lage und Willens sind, ihre Kinder zu erziehen und zu vertreten.

Die gegenteilige Einschätzung erscheint mir weder plausibel noch mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Deutschland vereinbar.

Jedenfalls bedarf es hier schon deutlich mehr, um meine Meinung zu ändern, als die Aussage irgendeines anonymen Sonderschullehrers.
Das dies "einhellige Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams" ist, wird bestritten.
julée
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von julée »

Levi hat geschrieben:
Die angeblichen Aussagen und Meinungen irgendwelcher anonymer Personen interessieren mich gemeinhin nicht besonders, und schon gleich gar nicht interessieren mich diese Aussagen dann, wenn sie im Widerspruch zur einhelligen Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams und dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen.

Das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG) und das sonstige einschlägige Recht gehen einhellig davon aus, dass Eltern grundsätzlich in der Lage und Willens sind, ihre Kinder zu erziehen und zu vertreten.

Die gegenteilige Einschätzung erscheint mir weder plausibel noch mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Deutschland vereinbar.

Jedenfalls bedarf es hier schon deutlich mehr, um meine Meinung zu ändern, als die Aussage irgendeines anonymen Sonderschullehrers.
Es gibt einen Unterschied zwischen sollen und sein. Und sogar Art. 6 Abs. 3 GG geht davon aus, dass es Eltern geben kann, die nicht dazu in der Lage sind, ihrer Pflicht (!) nachzukommen. Und ich kenne im Freundes-/Bekannten-/Familienkreis doch einige Beispiele, in denen der Ehrgeiz der Eltern den Kindern mehr geschadet als genützt hat - der ein oder andere Psychiatrieaufenthalt eingeschlossen.
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Tibor
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Tibor »

Levi hat geschrieben: Wo habe ich mich für "Totalinklusion" ausgesprochen? Was immer das auch sein mag?
Du hast selbst geschrieben, dass "jede Differenzierung nach den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG kategorisch ausgeschlossen" ist. Später schreibst du: "Der von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geforderte Grundsatz ist heute daher eine inklusive Schule." Vergessen? Was ist das anderes als Totalinklusion?

Du eierst hier ganz schön rum. Mir wirfst du vor, dass auch die Exekutive an 3/3 gebunden ist und dann machst du selbst Ausnahmen: "Ausnahmen lassen sich nur im Einzelfall aus kollidierenden Verfassungsrecht rechtfertigen". Erst akzeptierst du nur kollidierendes Verfassungsrecht, später dann gehst du auf praktische Erwägungen runter: "Das ist ja auch durchaus eine berechtigte Frage, aber eben eine Frage, die nicht die Inklusion an sich betrifft, sondern ihre konkrete Umsetzung in den Schulen."
Levi hat geschrieben:Die frühere Regelung (grundsätzlich Förderschule; nur ausnahmsweise bei entsprechender Begründung Regelschule) transportierte dagegen ein paternalistisches Staatsverständnis, nachdem der Staat besser als die Eltern weiß, was gut ist für ein Kind mit Behinderungen.
Das paternalistische Weltbild wird in Deutschland noch immer gepflegt, denn haben immernoch eine Schulpflicht und keine Bildungspflicht. Der Staat sieht sich also als besserer Ausbilder als die Eltern. Es ist also keineswegs so, dass die Schulwahl vorrangig durch die Eltern vorgenommen wird und der Staat sich in der Rechtfertigung befindet. Kollidierendes Verfassungsrecht eben.
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Levi
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Levi »

Samson hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:
sai hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:


(2) Das mit den reihenweise angeblich überforderten Eltern halte ich im Übrigen für eine Legende. Sicherlich gibt es einzelne solcher Fälle, aber sie sind die Ausnahme. Wäre es anders, müsste man sich ernsthaft die Frage stellen, wie man es überhaupt verantworten kann, dass Menschen Kinder in die Welt setzen und diese erziehen, warum sie wählen dürfen, ihre Steuerklärung machen müssen und Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn sie selbst nach entsprechender Beratung und Empfehlung der Schulbehörden mit der Entscheidung überfordert sind, welche Schulart ihr Kind besuchen soll.
Ich finde es interessant, dass ich dir hier zwei konkrete Aussagen von Leuten aus der Praxis gebe, einem Sonderschullehrer und einem Rollstuhlfahrer, die genau das Gegenteil von deinen Aussagen bestätigen und du tust das als "Legende" ab.

Man kann sich seine rosarote Gutmenschenwelt anscheinend genau so zurecht biegen, wie es einem gerade ins Konzept passt.
Die angeblichen Aussagen und Meinungen irgendwelcher anonymer Personen interessieren mich gemeinhin nicht besonders, und schon gleich gar nicht interessieren mich diese Aussagen dann, wenn sie im Widerspruch zur einhelligen Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams und dem Menschenbild des Grundgesetzes stehen.

Das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG) und das sonstige einschlägige Recht gehen einhellig davon aus, dass Eltern grundsätzlich in der Lage und Willens sind, ihre Kinder zu erziehen und zu vertreten.

Die gegenteilige Einschätzung erscheint mir weder plausibel noch mit den gesellschaftlichen Grundwerten in Deutschland vereinbar.

Jedenfalls bedarf es hier schon deutlich mehr, um meine Meinung zu ändern, als die Aussage irgendeines anonymen Sonderschullehrers.
Das dies "einhellige Meinung des gesellschaftspolitischen Mainstreams" ist, wird bestritten.
OK, beginnen wir mit der CDU:
"Das Leitbild der CDU zur inklusiven Bildung

Die Christlich Demokratische Union erachtet das christliche Menschenbild als Grundlage ihrer Politik. Der Mensch ist geschaffen als Ebenbild Gottes. Die Würde aller Menschen ist gleich – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Nationalität, Alter, von religiöser und politischer Überzeugung, von Behinderung, Gesundheit und Leistungskraft, von Erfolg oder Misserfolg und vom Urteil anderer. Wir achten jeden Menschen als einmalige und unverfügbare Person. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar, wie es unser Grundgesetz formuliert. Deshalb hat die CDU eine Gesellschaft vor Augen, in der jeder Mensch mit seinen individuellen Besonderheiten gewollt ist und dazugehört.
Diesen Geist, dieses Menschenbild, atmet auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Inklusion ist ein Grund- und Menschenrecht, das sich aus dem christlichen Menschenbild erschließt. Aus der Würde des Menschen erwächst sein Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit und zugleich die Verantwortung gegenüber dem Nächsten.
Bildung ist der Schlüssel zur Welt, sie ermöglicht selbstbestimmte Teilhabe am Leben in unserer Gesellschaft. Mehr schulische Inklusion ist daher unser Ziel.
...
Im Mittelpunkt jeder schulischen Arbeit – auch und gerade an inklusiven Schulen – steht das Wohl des einzelnen Kindes, das während seiner Schullaufbahn individuelle Beschulung, Förderung, Begleitung und Unterstützung auf dem Weg zu einer möglichst selbstständigen Teilhabe an der Gesellschaft erfährt. Dazu halten wir am Prinzip der Wahlfreiheit fest: Die Eltern sollen aus den vielfältigen Angeboten wählen und über den bestmöglichen Bildungsweg für ihr Kind entscheiden können. Dies kann die Beschulung in der Regelschule sein, aber auch eine Förderschule, eine Förderklasse oder eine andere besondere Fördermaßnahme. Unser Ziel ist eine pädagogisch orientierte Wahl zwischen den Lernorten in Abhängigkeit vom Kindeswohl und dem Elternwillen. Die Entscheidungsfreiheit der Eltern sollte lediglich dann begrenzt werden, wenn das Wohl des Kindes oder der Lerngruppe gefährdet ist. Außerdem muss die Durchlässigkeit zwischen Förder- und Regelschule grundsätzlich möglich sein.

Neben den öffentlichen Förderschulen setzen sich auch kirchliche und private Träger mit großem Engagement für die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen ein. Diese hochwertige und professionelle Unterstützung ist für uns auch in Zukunft unverzichtbar.
Wir stellen als Christdemokraten den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt unserer Politik – mit all seinen Stärken und Schwächen, mit seinen individuellen Begabungen, Bedürfnissen und Wünschen. Deshalb nehmen wir unsere besondere Verantwortung für die jungen Menschen mit Behinderungen bewusst an."
Oder hier die sehr gute Orientierungshilfe der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Inklusion ("Es ist normal, verschieden zu sein."):

https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/orient ... on2105.pdf

Oder hier von der Katholischen Kirche ("Schon Jesus wollte Inklusion"):

http://www.katholisch.de/aktuelles/aktu ... -inklusion

Von der politisch linken Seite bringe ich jetzt erst gar keine Beispiele, da deren Position zur Inklusion ja eh verrufen ist.


Jetzt erwarte ich aber auch mal die Benennung offizieller Statements aus dem gesellschaftspolitischen Mainstream gegen Inklusion. Ich hatte in einem früheren Beitrag ja schon dazu aufgefordert. Bislang ist da aber nichts gekommen.
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Tibor
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Tibor »

Hast du auch was für Menschen, die nichts mit Gott am Hut haben?
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Levi
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Levi »

Tibor hat geschrieben:Hast du auch was für Menschen, die nichts mit Gott am Hut haben?
z. B. hier:

http://bildungsserver.berlin-brandenbur ... inklusion/ (Verwaister Link http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/schule/inklusion/ automatisch entfernt)

Berlin und Brandenburg haben es mit der Religion ja nicht so. In Berlin ist Religionsunterricht noch nicht einmal ordentliches Lehrfach.
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Tibor
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Tibor »

Ja, das ist so eine Art Wikipedia-Artikel mit wissenschaftlichem Touch, oder? Ich meine dort wird doch nur wiedergegeben, was du auch sonst überall liest. Die Kritik hier geht doch aber dahingehend, dass "das verordnete Weltbild" eben nur ein verordnetes Weltbild ist. Wenn die UN Konvention "Behinderung nicht mehr als zuschreibbares Merkmal der Person" verstanden wissen will, dann ist dies ein Programmsatz, ein Staatsziel etc., es ist aber nicht zugleich in den Köpfen aller Menschen verankert. Ich meine zu behaupten, dass du in einer Umfrage gerade immer den allgemein bekannten Behinderungsbegriff hören wirst, niemand diese Konvention kennt (außer ein paar Ministeriale bzw. Verwaltungsmitarbeiter etc. die in dem Bereich arbeiten oder eben Eltern, die behinderte Kinder haben). Und genau das ist der hier diskutierte Kritikpunkt: Der Staat koppelt sich von der Gesellschaft ab, wenn er ein bestimmtes Sprachverständnis durchsetzen will.
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immer locker bleiben
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von immer locker bleiben »

Die eigentlich spannende Frage ist doch, ob es wirklich eine "Benachteiligung" im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt, wenn Menschen mit schwersten Behinderungen gezielt speziell gefördert und betreut werden und das nicht zusammen mit nichtbehinderten Menschen geschieht.

Dass die "Inklusion", so wie jetzt gerade versucht wird, zwingende Folge von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sein soll, erschließt sich mir nicht.
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Vortex
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Vortex »

Unabhängig davon, was hier der Mainstream ist, finde ich es besorgniserregend, wenn jemand sich nicht für abweichende Meinungen interessiert, nur weil sie nicht dem Mainstream entsprechen.

immer locker bleiben hat geschrieben:Die eigentlich spannende Frage ist doch, ob es wirklich eine "Benachteiligung" im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt, wenn Menschen mit schwersten Behinderungen gezielt speziell gefördert und betreut werden und das nicht zusammen mit nichtbehinderten Menschen geschieht.

Dass die "Inklusion", so wie jetzt gerade versucht wird, zwingende Folge von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sein soll, erschließt sich mir nicht.
Dazu hatte ich relativ am Anfang folgende Fundstelle gepostet (BVerfG, NJW 2004, 2151 f.):

Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gilt jedoch nicht ohne jede Einschränkung. Fehlen einer Person gerade wegen ihrer Behinderung bestimmte körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Eine rechtliche Schlechterstellung Behinderter ist danach zulässig, wenn behinderungsbezogene Besonderheiten es zwingend erfordern (vgl. BTDrucks 12/6323, S. 12 sowie BVerfGE 85, 191 [207]; 99, 341 [357]).


(falls ohne Inklusion überhaupt eine rechtliche Schlechterstellung vorliegt)
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Levi
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Levi »

Vortex hat geschrieben:
immer locker bleiben hat geschrieben:Die eigentlich spannende Frage ist doch, ob es wirklich eine "Benachteiligung" im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darstellt, wenn Menschen mit schwersten Behinderungen gezielt speziell gefördert und betreut werden und das nicht zusammen mit nichtbehinderten Menschen geschieht.

Dass die "Inklusion", so wie jetzt gerade versucht wird, zwingende Folge von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sein soll, erschließt sich mir nicht.
Dazu hatte ich relativ am Anfang folgende Fundstelle gepostet (BVerfG, NJW 2004, 2151 f.):

Das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gilt jedoch nicht ohne jede Einschränkung. Fehlen einer Person gerade wegen ihrer Behinderung bestimmte körperliche Fähigkeiten, die unerlässliche Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Rechts sind, liegt in der Verweigerung dieses Rechts kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Eine rechtliche Schlechterstellung Behinderter ist danach zulässig, wenn behinderungsbezogene Besonderheiten es zwingend erfordern (vgl. BTDrucks 12/6323, S. 12 sowie BVerfGE 85, 191 [207]; 99, 341 [357]).

)
Dieses Zitat ist eindeutig zu unterkomplex. Die Besonderheit dieses Falles, nämlich des Ausschlusses eines Blinden vom Schöffenamt im Strafprozess, lag gerade darin, dass eine weniger einschneidende Maßnahme als die Streichung des Beschwerdeführers von der Schöffenliste nicht zur Verfügung gestanden hat, weil die Beeinträchtigung seiner Körperfunktionen im Anwendungsbereich des strafprozessualen Unmittelbarkeitsgrundsatzes auch mittels technischer oder persönlicher Hilfestellungen nicht ausreichend kompensierbar ist. Hierauf weist auch das BVerfG in dem Beschluss ausdrücklich hin. 

Diese besondere Konstellation des Strafprozesses ist mit der Inklusion im Schulbereich nicht vergleichbar. In letzterem Fall sind körperliche Handicaps mittels technischer oder persönlicher Hilfestellungen heute in aller Regel gut kompensierbar. So dass weniger einschneidende Maßnahmen als ein Ausschluss von der allgemeinen Schulbildung grundsätzlich zur Verfügung stehen. Dies hat Deutschland im Übrigen auch durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention nochmals zusätzlich bestätigt. Wäre Deutschland nicht der Auffassung, dass ein Regelschulbesuch für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich möglich ist, hätte es die Konvention nicht ratifiziert. 

Mithin stehen heute grundsätzlich mildere Mittel zur Verfügung als ein Ausschluss von der Regelschule, so dass hier Art. 3 Abs. 3 Satz  2 GG grundsätzlich durchgreift. Von den wenigen - bereits diskutierten - Ausnahmefällen einer Einschränkung aus kollidierenden Verfassungsrecht einmal abgesehen. 
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Tibor »

Levi hat geschrieben:...
Dieses Zitat ist eindeutig zu unterkomplex. ...
Diese besondere Konstellation des Strafprozesses ist mit der Inklusion im Schulbereich nicht vergleichbar. In letzterem Fall sind körperliche Handicaps mittels technischer oder persönlicher Hilfestellungen heute in aller Regel gut kompensierbar. So dass weniger einschneidende Maßnahmen als ein Ausschluss von der allgemeinen Schulbildung grundsätzlich zur Verfügung stehen. ...
Mithin stehen heute grundsätzlich mildere Mittel zur Verfügung als ein Ausschluss von der Regelschule, ... 
Für körperlich Behinderte wird das wohl auch niemand bestreiten. Gehörlose, Stumme, Blinde, Gehbehinderte etc. sind natürlich einfach zu integrieren; oftmals lernen auch Mitschüler von sich aus Gebärdensprache. Das Problem sind doch aber geistig Behinderte, die eben nicht mit technischer Hilfsmittel integriert werden können; wo eben Vollzeitbetreuung gewährleistet werden muss. Hier führt Inklusion eben auch zu Ressourcenproblemen.
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Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Levi »

Tibor hat geschrieben: Die Kritik hier geht doch aber dahingehend, dass "das verordnete Weltbild" eben nur ein verordnetes Weltbild ist. Wenn die UN Konvention "Behinderung nicht mehr als zuschreibbares Merkmal der Person" verstanden wissen will, dann ist dies ein Programmsatz, ein Staatsziel etc., es ist aber nicht zugleich in den Köpfen aller Menschen verankert. Ich meine zu behaupten, dass du in einer Umfrage gerade immer den allgemein bekannten Behinderungsbegriff hören wirst, niemand diese Konvention kennt (außer ein paar Ministeriale bzw. Verwaltungsmitarbeiter etc. die in dem Bereich arbeiten oder eben Eltern, die behinderte Kinder haben). Und genau das ist der hier diskutierte Kritikpunkt: Der Staat koppelt sich von der Gesellschaft ab, wenn er ein bestimmtes Sprachverständnis durchsetzen will.
So eindimensional ist das nicht. Es ist ja nicht so, als würde sich "der Staat" von "der Gesellschaft" abkoppeln und hier irgendwelche neuen Konzepte entwickeln, sondern vielmehr haben die Staaten (keineswegs nur Deutschland, ja noch nicht einmal zuvörderst Deutschland) nur eine gesellschaftliche Entwicklung aufgegriffen, die in den Universitäten und NGOs, insbesondere den Behindertenrechtsverbänden und Sozialverbänden, bereits weit verbreitet war. Die entsprechende Diskussion um Inklusion und Dekonstruktion des früheren Behinderungsbegriffs geht bis in 1980er Jahre zurück. Es dauerte dann mehr als 20 Jahre, bis auch die Politik diesen zivilgesellschaftlichen Diskurs um einen neuen Behinderungsbegriff aufgenommen hat. Wie bei den meisten Themen war auch hier nicht der Staat der Initiator sondern eine Avantgarde der Gesellschaft (insbesondere mit poststrukturalistischen oder konstruktivistischen Hintergrund).

Aber natürlich gehen solche Entwicklungen niemals von der Gesellschaft als Ganzes aus, sondern von einer kleinen intellektuellen Elite, die teilweise personenidentisch oder zumindest gut vernetzt ist mit der Verwaltungselite. Die Einbindung größerer Teile der Gesellschaft erfolgt erst sukzessive und deutlich später. Das ist aber bei allen Neuerungen so. Sie entstehen in den Köpfen einiger weniger gesellschaftlicher Vordenker und breiten sich von dort aus. "Die Gesellschaft" als Ganzes ist zu einem wissenschaftlichen, technischen oder sozialen Fortschritt unfähig.
Gelöschter Nutzer

Re: Inklusion - postfaktische Welt?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Levi hat geschrieben:
Tibor hat geschrieben: Die Kritik hier geht doch aber dahingehend, dass "das verordnete Weltbild" eben nur ein verordnetes Weltbild ist. Wenn die UN Konvention "Behinderung nicht mehr als zuschreibbares Merkmal der Person" verstanden wissen will, dann ist dies ein Programmsatz, ein Staatsziel etc., es ist aber nicht zugleich in den Köpfen aller Menschen verankert. Ich meine zu behaupten, dass du in einer Umfrage gerade immer den allgemein bekannten Behinderungsbegriff hören wirst, niemand diese Konvention kennt (außer ein paar Ministeriale bzw. Verwaltungsmitarbeiter etc. die in dem Bereich arbeiten oder eben Eltern, die behinderte Kinder haben). Und genau das ist der hier diskutierte Kritikpunkt: Der Staat koppelt sich von der Gesellschaft ab, wenn er ein bestimmtes Sprachverständnis durchsetzen will.
So eindimensional ist das nicht. Es ist ja nicht so, als würde sich "der Staat" von "der Gesellschaft" abkoppeln und hier irgendwelche neuen Konzepte entwickeln, sondern vielmehr haben die Staaten (keineswegs nur Deutschland, ja noch nicht einmal zuvörderst Deutschland) nur eine gesellschaftliche Entwicklung aufgegriffen, die in den Universitäten und NGOs, insbesondere den Behindertenrechtsverbänden und Sozialverbänden, bereits weit verbreitet war. Die entsprechende Diskussion um Inklusion und Dekonstruktion des früheren Behinderungsbegriffs geht bis in 1980er Jahre zurück. Es dauerte dann mehr als 20 Jahre, bis auch die Politik diesen zivilgesellschaftlichen Diskurs um einen neuen Behinderungsbegriff aufgenommen hat. Wie bei den meisten Themen war auch hier nicht der Staat der Initiator sondern eine Avantgarde der Gesellschaft (insbesondere mit poststrukturalistischen oder konstruktivistischen Hintergrund).

Aber natürlich gehen solche Entwicklungen niemals von der Gesellschaft als Ganzes aus, sondern von einer kleinen intellektuellen Elite, die teilweise personenidentisch oder zumindest gut vernetzt ist mit der Verwaltungselite. Die Einbindung größerer Teile der Gesellschaft erfolgt erst sukzessive und deutlich später. Das ist aber bei allen Neuerungen so. Sie entstehen in den Köpfen einiger weniger gesellschaftlicher Vordenker und breiten sich von dort aus. "Die Gesellschaft" als Ganzes ist zu einem wissenschaftlichen, technischen oder sozialen Fortschritt unfähig.
Und damit beschreibst du exakt das, was ich kritisiere: Eine Minorität versucht ihre gesinnungsethische, hypermoralische, (vermeintlich?) utopische Weltsicht auf Teufel komm raus unmittelbar und unverzüglich durchzusetzen. Praktische Erwägungen werden dabei von vornherein bewusst ignoriert. Und genau das ist letztlich eben "postfaktisch" bzw. irrational.

Ganz zu schweigen von den eklatanten Widersprüchen, die sich angesichts unseres leistungsorientierten Schulsystems auftun: Polemisch gesprochen soll nun gelten, wer einen IQ (ungeachtet der Diskussion über die Relevanz, Verlässlichkeit und Wissenschaftlichkeit des IQ-Begriffs) von 90 hat, der kommt auf die Hauptschule, liegt der IQ dagegen bei 60, soll das Kind zum Gymnasium gehen. Klingt überzeugend.
Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Mittwoch 31. Mai 2017, 22:47, insgesamt 1-mal geändert.
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