Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite?

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[enigma]
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von [enigma] »

Candor hat geschrieben:
Das lässt nicht nur Spuren im abgeschobenen Kind zurück, sondern auch in den Kindern, die das in der Schule miterleben, so wie es meine bald 10-jährige Nichte mit aufgerissenen Augen in einem aufgeregten Redeschwall widergab.Glaubt wirklich jemand, Kinder hätten Verständnis für die Abschiebepolitik, die ihnen ihre geliebten Freunde nimmt?
Meine Rede auf den letzten Seiten ;)
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thh
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von thh »

Candor hat geschrieben:Glaubt wirklich jemand, Kinder hätten Verständnis für die Abschiebepolitik, die ihnen ihre geliebten Freunde nimmt?
Nein. Aber dafür haben sie Eltern, die ihnen die Hintergründe und das Verständnis vermitteln.
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@thh
Die Eltern wissen doch gar nicht, was da konkret abgelaufen ist, wenn sie die abgeschobene Familie nicht näher kennen. Es könnte auch eine völlig ungerechtfertigte Abschiebung sein.
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Tibor
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Tibor »

Candor hat geschrieben: Es könnte auch eine völlig ungerechtfertigte Abschiebung sein.
Bestandskraft schafft Rechtskraft. Sollte man als Jurist wissen.
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Pillendreher
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Pillendreher »

Tibor hat geschrieben:
Candor hat geschrieben: Es könnte auch eine völlig ungerechtfertigte Abschiebung sein.
Bestandskraft schafft Rechtskraft. Sollte man als Jurist wissen.
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[enigma]
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von [enigma] »

Tibor hat geschrieben:
Candor hat geschrieben: Es könnte auch eine völlig ungerechtfertigte Abschiebung sein.
Bestandskraft schafft Rechtskraft. Sollte man als Jurist wissen.
Widerstand gegen rechtswidrige Polizeiaktionen würde ja auch hoffentlich keinerlei Diskussionen provozieren.
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Wie willst du als Außenstehender beurteilen, ob eine Polizeiaktion rechtswidrig oder rechtmäßig ist? Deshalb ist "Widerstand", der über friedlichen Protest hinausgeht, grundsätzlich überhaupt nicht akzeptabel. Wir leben hier nicht in Nazi-Deutschland. Jedem, der sich durch polizeiliche Maßnahmen in seinen Rechten verletzt fühlt, steht der Rechtsweg offen (Art. 19 IV GG).

Allmählich bin ich wirklich sprachlos.

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Tibor
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Tibor »

Genau, es ist davon auszugehen, dass Vollzugsbeamte nur vollziehbare Verfügungen durchsetzen. Es steht nicht im Belieben unbeteiligter Personen, dies zu überprüfen oder sonst aktive zu hinterfragen. Wer dies tut, hat wie gesagt ein Problem mit seinem rechtstaatlichen Kompass. Der Staat des Grundgesetzes steht dem Bürger bzw. der Gesellschaft nicht als Gegner gegenüber, dem man misstrauisch und mit Argwohn gegenübertreten muss, denn die Gesellschaft ist der Ursprung der Staatsgewalt. Das mag in anderen Staaten anders sein, in Deutschland werden aber - vielleicht wie in keinem anderen Staat der Welt - rechtstaatliche Prinzipien auch tatsächlich gelebt. Nicht umsonst kann ein Asylbewerber auch Rechtschutz suchen, einstweiligen Rechtschutz begehren und das ggf. auf Kosten des Staates und mit Unterstützung eines durch die Gesellschaft bezahlten Anwalts (PKH!). Zudem wird auch allen Orten auf diese Möglichkeit hingewiesen und, obwohl die Gerichts- und Behördensprache Deutsch ist, gibt es unzählige Hinweise und Merkblätter in diversen Sprachen der Welt.
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[enigma]
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Wie willst du als Außenstehender beurteilen, ob eine Polizeiaktion rechtswidrig oder rechtmäßig ist? Deshalb ist "Widerstand", der über friedlichen Protest hinausgeht, grundsätzlich überhaupt nicht akzeptabel. Wir leben hier nicht in Nazi-Deutschland. Jedem, der sich durch polizeiliche Maßnahmen in seinen Rechten verletzt fühlt, steht der Rechtsweg offen (Art. 19 IV GG).

Allmählich bin ich wirklich sprachlos.

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Gerade deshalb kommt es mE für friedlichen (!) Widerstand nicht auf die Rechtmäßigkeit der Polizeiaktion an. Es geht mir auch nicht um eine rechtliche, sondern eine ethische Bewertung des Widerstands. Ich habe Verständnis für Schüler, die die Abschiebung eines Mitschülers mit friedlichen Mitteln versuchen zu verhindern. Der Hinweis auf juristische Mittel, die in dieser Situation vielleicht, vielleicht auch nicht zur Verfügung stehen, spielt für die Betroffenen in dieser Situation nunmal keine Rolle. Erwartest du im Ernst, dass während der Abführung des Mitschülers ein 10-Klässler an der Berufsschule ruft "Leute, ganz ruhig, es gibt noch 80 V VwGO"?
Zuletzt geändert von [enigma] am Sonntag 4. Juni 2017, 13:31, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Tibor »

Und genau da sind wir unterschiedlicher Meinung. Versammlungs- und Meinungsfreiheit dienen nicht dazu - auch nicht bei Jugendlichen - staatliche Vollzugshandlungen zu verhindern oder zu erschweren.
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von [enigma] »

Tibor hat geschrieben:Und genau da sind wir unterschiedlicher Meinung. Versammlungs- und Meinungsfreiheit dienen nicht dazu - auch nicht bei Jugendlichen - staatliche Vollzugshandlungen zu verhindern oder zu erschweren.
Das ist richtig, ich bezweifle wie gesagt auch nicht, dass der Widerstand rechtswidrig ist. Es geht um die Frage, ob der Widerstand nachvollziehbar ist und bestraft oder begrüßt werden sollte. Da sind wir wohl tatsächlicher unterschiedlicher Meinung. Ich sehe bei diesen Schülern auch keine Anzeichen für eine grundsätzlich rechts- oder staatsfeindliche Haltung. Die wollen einem Mitschüler helfen, dem aus ihrer Sicht großes Unrecht widerfährt. Tut mir leid, wenn ich das nicht verurteilen kann.
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Tibor »

[enigma] hat geschrieben: Das ist richtig, ich bezweifle wie gesagt auch nicht, dass der Widerstand rechtswidrig ist. Es geht um die Frage, ob der Widerstand nachvollziehbar ist und bestraft oder begrüßt werden sollte. Da sind wir wohl tatsächlicher unterschiedlicher Meinung.
Begrüßen, nein. Bestrafen? Angenommen es ist objektiv tatbestandsmäßiger 113, dann müsste man natürlich Vorsatz und Schuld genau prüfen. Die Kriterien kennst du sicherlich besser als ich. Und nein, Straftaten halte ich grds nicht für Nachvollziehbar in unserer Gesellschaft; auch nicht "Mundraub", Beleidigung und sonstige "nebenseitgen Delikte", die mal "rausrutschen" ...
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von [enigma] »

Es kommt natürlich auf die Art des Widerstandes an, das habe ich ja auch betont. In der Praxis würden die Ermittlungsverfahren gegen Schüler, die rein passiven Widerstand (etwa durch Sitzblockaden) leisten, wohl ohnehin eingestellt werden. Bei Steinewerfern oder generell Tätern, die Polizisten tätlich angreifen oder bedrohen, bin auch ich für eine Bestrafung.

Es geht mir darum, dass man in der Schule nicht Zusammengehörigkeit und Solidarität predigen und dann aufschreien kann, wenn die Schüler in einer solchen Ausnahmesituation solidarisch handeln, weil sie keine andere, insbesondere keine juristische Möglichkeit sehen, ihrem Mitschüler zu helfen. Wenn dein Schulfreund, den du schon seit Jahren kennst, mit dem du vielleicht jeden Morgen zusammen zur Schule fährst und mit dem du gerade auf Klassenfahrt warst von der Polizei aus dem Unterricht geholt und für immer weggebracht wird, obwohl er "nichts getan hat", wird deine erste Reaktion vielleicht auch Widerstand sein. Du kannst mir nicht erzählen, dass du in der Situation Überlegungen zur Bestandskraft von Abschiebeverfügungen anstellst oder dich davon beeindrucken lässt. Das ist ja gerade einer der Gründe, warum Abschiebungen aus der Schule mE eine ganz schlechte Idee sind.
Zuletzt geändert von [enigma] am Sonntag 4. Juni 2017, 13:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Tibor »

Naja, du ziehst halt die Grenze so: Was nicht strafbarer 113 ist, ist erlaubt und geboten. Ich sehe halt noch eine weitere Grenze des "ist zwar nicht verboten, macht man trotzdem nicht". Das ist wohl der grundsätzliche Unterschied.

Und zum Fall in Nürnberg würde mich mal die Reaktion der Lehrer interessieren, denn eigentlich müssten die ja ihre Schüler davon abhalten anderen Staatsbediensteten "das Leben schwer zu machen".
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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Erwartest du im Ernst, dass während der Abführung des Mitschülers ein 10-Klässler an der Berufsschule ruft "Leute, ganz ruhig, es gibt noch 80 V VwGO"?
Ein Rechtsstaat funktioniert nur, wenn seine Bürger Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich hinnehmen und im vorgesehenen Rechtsschutzverfahren angreifen! Von einem Zehntklässler wird man schwerlich die Kenntnis von § 80 V 1 VwGO (oder § 80 II 1 VwGO) erwarten können. Aber man darf erwarten, dass ihnen klar ist, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist, in dem polizeiliche Maßnahmen in aller Regel keine Willkürakte darstellen, denen man sich eigenmächtig in den Weg stellen kann.

Leider ist dieses Bewusstsein offensichtlich durch die Aufhetzung bestimmter politischer Kreise tatsächlich bei vielen nicht mehr vorhanden. Aber beschwer dich dann bitte nicht oder empöre dich über die Folgen, wenn auch alle anderen - inklusive Leute mit ganz anderer politischer Einstellung als du - das staatliche Gewaltmonopol nicht mehr akzeptieren, sofern sie etwas aus ihrer moralisch-ideologischen Perspektive für gänzlich falsch halten.

Niemand hat bestritten, dass Schüler von ihrer Versammlungs- und Meinungsfreiheit Gebrauch machen können, wenn sie etwas für falsch halten. Das zeugt zwar nicht unbedingt von Verstand, wenn man von den dahinterstehenden Vorgängen keine Ahnung hat, aber die Versammlungs- und die Meinungsfreiheit schützen bekanntlich auch emotionale und törichte Ansichten.

Der Punkt ist jedoch, dass Vollstreckungsmaßnahmen nicht behindern werden dürfen. So mag man in Willkürstaaten reagieren, aber dort ist die Bereitschaft, sich der Polizei entgegenzustellen, in der Regel nicht besonders groß, weil auch das überaus unangenehme Folgen hätte...

Ein derartiges Verhalten mag in gewissen Umfang noch menschlich verständlich sein, wenn es um Personen geht, die einem nahe stehen, aber es stellt das Fundament einer funktionierenden Gesellschaft infrage und ist insofern auch ethisch nicht legitim. Mir ist unbegreiflich, wie man ernsthaft - zumal als Jurist - das Gegenteil vertreten kann.
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