Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

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[enigma]
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Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

MODEDIT: Aus dem Meldethread ausgegliedert.


Ein Jugendschöffe (hauptberuflich SPIEGEL-Redakteur) kritisiert die in seinen Augen viel zu lasche Justiz und fordert unter anderem sinngemäß, man müsse Ausländer härter bestrafen als deutsche Angeklagte, weil sie ihr Gastrecht missbraucht hätten. Mit anderen Kritikpunkten (mangelhafte Ausstattung der Justiz) hat er durchaus recht. Aber schade, dass eine derartige Kritik völlig ohne Einordnung oder Kontext bleibt. Mit Blick auf die Kommentare scheint das auch durchaus nötig gewesen zu sein und wäre von einem Journalisten auch durchaus zu erwarten gewesen.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spiegel-redakteur-sven-boell-ueber-seine-arbeit-als-schoeffe-a-1156529.html (Verwaister Link automatisch entfernt)
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

Ist leider ein Bezahl-Artikel...
[enigma] hat geschrieben:Vor einem Monat zum ersten Mal in meinem Leben einen richtig deutlich Doppelregenbogen gesehen. Ja, ich hätte fast geweint. Heute schon wieder. Ich glaube, Armageddon naht.
Zum ersten Mal in deinem Leben? Meine Güte, wie jung bist du denn? :-s
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[enigma]
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Eagnai hat geschrieben:Ist leider ein Bezahl-Artikel...
Man kann die Artikel (knapp 40 Cent/Stück) lesen, bis man 5 Euro erreicht hat. Danach kann man weitere kostenpflichtige Artikel erst nach Bezahlung freischalten. Oder man leert einfach den Browsercache und löscht die Cookies ;)
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

[enigma] hat geschrieben:Ein Jugendschöffe (hauptberuflich SPIEGEL-Redakteur) kritisiert die in seinen Augen viel zu lasche Justiz und fordert unter anderem sinngemäß, man müsse Ausländer härter bestrafen als deutsche Angeklagte, weil sie ihr Gastrecht missbraucht hätten. Mit anderen Kritikpunkten (mangelhafte Ausstattung der Justiz) hat er durchaus recht. Aber schade, dass eine derartige Kritik völlig ohne Einordnung oder Kontext bleibt. Mit Blick auf die Kommentare scheint das auch durchaus nötig gewesen zu sein und wäre von einem Journalisten auch durchaus zu erwarten gewesen.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/spiegel-redakteur-sven-boell-ueber-seine-arbeit-als-schoeffe-a-1156529.html (Verwaister Link automatisch entfernt)

Ich finde ihm hätte mal jemanden das Jugendstrafrecht erklären sollen. Dass es nun einmal nicht um Sühne geht, sondern darum den Jugendlichen von zukünftigen Straftaten abzuhalten. Dies auch, zumindest vom Grundgedanken richtig ist, weil es so weitere Opfer verhindert.

Insgesamt hat er aber Recht, dass es ein Problem ist, dass häufig das Personal fehlt. Wenn ein Verfahren beim Strafrichter eingestellt wird, weil "Die Berufungskammer noch mindestens 3 Jahre braucht und spätestens dann die Tat solange her ist, dass eingestellt wird", dann läuft was nicht richtig.

Auch dass man in komplexen umfangreiche Strafverfahren einfach weniger Strafe bekommt, weil man keine Lust hat alles im Detail aufzuklären. Jüngst hier ein Verfahren gehabt, wo Kinderpornografie im hohen fünfstelligen Bereich aufgefunden wurden... Angeklagten sind unter 100 Dateien. Wir wissen nicht, warum der Rest nicht angeklagt wurde.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Eagnai
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Eagnai »

[enigma] hat geschrieben:
Ara hat geschrieben:
Auch dass man in komplexen umfangreiche Strafverfahren einfach weniger Strafe bekommt, weil man keine Lust hat alles im Detail aufzuklären. Jüngst hier ein Verfahren gehabt, wo Kinderpornografie im hohen fünfstelligen Bereich aufgefunden wurden... Angeklagten sind unter 100 Dateien. Wir wissen nicht, warum der Rest nicht angeklagt wurde.
Weil die Verteidigung für jede einzelne Datei behaupten könnte, dass sie keinen kinderpornographischen Inhalt habe und die Beweisführung dann extrem aufwendig wäre? Dateien im fünfstelligen Bereich muss man ja erstmal sichten und eventuell sogar sachverständig begutachten lassen.
Das ist in der Tat ein Problem.

Denn selbst wenn die Polizei oder ein externer Gutachter die Auswertung der Asservate vorgenommen hat und im Auswertebericht von 80.000 KiPo-Dateien spricht, dann heißt das leider noch lange nicht, dass sich der Staatsanwalt bei der Anklageerhebung einfach darauf verlassen kann. Ich habe schon sehr viele solcher Auswerteberichte in der Hand gehabt, wo eine stichprobenartige Überprüfung ergeben hat, dass ich der Meinung war, viele der als KiPo eingeordneten Bilder seien tatsächlich gar keine KiPo (etwa weil die abgebildete Person aus meiner Sicht auch bereits 14 Jahre alt sein könnte, weil es sich um ein schlichtes Nacktbild und nicht um Pornographie handelt oder weil das Bild für mich kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen abbildet).

Im Grunde müsste der Anklageverfasser sich also nicht selten hinsetzen und alle 80.000 Dateien selbst durchklicken und bewerten. Wer hat - und sei er noch so engagiert - dazu als normaler Dezernent schon die Zeit? Die Versuchung, sich stattdessen auf einen bestimmten (kleinen) Teil der Dateien zu beschränken, ist daher in solchen Fällen groß - zumal meiner persönlichen Erfahrung nach die Strafen, die letztlich herauskommen, sich in der Praxis oft gar nicht so sehr unterscheiden (vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil jeder, der die Akte gelesen hat, im Hinterkopf immer noch die höhere Zahl hat, sei sie nun angeklagt oder nicht).

Manchmal gibt es auch noch andere Gründe, warum nur ein kleiner Teil der aufgefundenen Dateien angeklagt wird, z.B. weil nicht alle dem Angeklagten zugeordnet werden können oder weil (etwa bei gelöschten und erst bei der Auswertung wiederhergestellten Dateien) der Besitzwille nicht in Bezug auf alle Dateien hinreichend sicher festzustellen ist.

Fehlende personelle und sachliche Ressourcen sind im Bereich der Delikte, bei denen eine Computerauswertung erforderlich ist, jedenfalls (zumindest hier im Bezirk) ein massives Problem.
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thh
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben:Ich finde ihm hätte mal jemanden das Jugendstrafrecht erklären sollen. Dass es nun einmal nicht um Sühne geht, sondern darum den Jugendlichen von zukünftigen Straftaten abzuhalten. Dies auch, zumindest vom Grundgedanken richtig ist, weil es so weitere Opfer verhindert.
Das ist die Theorie. Er erlebt die Praxis.
Ara hat geschrieben:Insgesamt hat er aber Recht, dass es ein Problem ist, dass häufig das Personal fehlt.
Auch fehlendes Personal erklärt nur bedingt, warum ein offenkundiges versuchtes Tötungsdelikt (beim Jugendschöffengericht angeklagt wird und) mit marginalen Jugendstrafen endet ... Aber "dit is Berlin", nehme ich an. :)
Ara hat geschrieben:Jüngst hier ein Verfahren gehabt, wo Kinderpornografie im hohen fünfstelligen Bereich aufgefunden wurden... Angeklagten sind unter 100 Dateien. Wir wissen nicht, warum der Rest nicht angeklagt wurde.
Weil der zusätzliche Aufwand in keinem Verhältnis zum "Erfolg" steht. Das ist m.E. nicht das Problem - ob jemand wegen 20 oder 200 geknackter Autos verurteilt wird, macht in der Strafzumessung keinen riesigen Unterschied (insbesondere vermutlich, wenn sich die Gesamtzahl aus den Akten ergibt ...), unterscheidet aber ein noch handhabbares Verfahren, in dem ggf. der Nachweis jeder einzelnen Tat erfolgen kann, von einer monate-, vielleicht jahrelangen Blockade justizieller Ressourcen.
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Habe recht wenig Ahnung von Strafrecht und noch deutlich weniger Ahnung von Jugendstrafrecht, aber aus meiner Quasi-Laiensicht habe ich den Eindruck, dass diesem Rechtsgebiet einige Annahmen zugrunde liegen, die jedenfalls teilweise nicht (mehr?) zutreffen.

Namentlich die Vorstellung, dass alle straffälligen Jugendliche nur mal "eben so auf die Schiefe Bahn geraten sind", dass sie nur "einer helfenden Hand bedürfen" und mit der richtigen Erziehung "alsbald wieder in die Gesellschaft integriert werden können".

Das mag sicher in einigen Fällen zutreffen, nur gibt es eben auch jugendliche Intensivtäter, die bereits dutzende Verurteilungen hinter sich haben, über die "Erziehungsmaßnahmen" bestenfalls lachen können und - unabhängig davon, wie das Strafmaß ausfällt - voraussichtlich für den Rest ihres Lebens Teil des "Milieus" bleiben werden.

In derartigen Konstellationen (mehrere Vorstrafen für schwere Delikte) erscheint mir die gutmütig-naive Vorstellung, man müsse eben mit der harten Hand etwas "nach-erziehen" überholt, zumal wir hier nicht nur von 15-Jährigen reden.

Stattdessen erscheint es vorzugswürdig, de lege ferenda die Aspekte der Spezialprävention sowie der Sühne bei der Sanktionierung stärker zu berücksichtigen.
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[enigma]
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Suchender_ hat geschrieben:
Namentlich die Vorstellung, dass alle straffälligen Jugendliche nur mal "eben so auf die Schiefe Bahn geraten sind", dass sie nur "einer helfenden Hand bedürfen" und mit der richtigen Erziehung "alsbald wieder in die Gesellschaft integriert werden können".
Es ist eher umgekehrt so, dass stigmatisierende Sanktionen bei Jugendlichen zur Intensivierung der kriminellen Entwicklung führen. Die von dir in Anführungszeichen gesetzten Erwägungen sind übrigens keinesfalls überholt, sondern entwicklungspsychologisch gefestigte Erkenntnisse. Von Leuten, die sich wissenschaftlich und hauptberuflich damit beschäftigen.
Das mag sicher in einigen Fällen zutreffen, nur gibt es eben auch jugendliche Intensivtäter, die bereits dutzende Verurteilungen hinter sich haben, über die "Erziehungsmaßnahmen" bestenfalls lachen können und - unabhängig davon, wie das Strafmaß ausfällt - voraussichtlich für den Rest ihres Lebens Teil des "Milieus" bleiben werden.
Derart problematische Einzelfälle durchlaufen die Sanktionsspirale recht schnell und landen dann spätestens als Erwachsener im Knast. Die Reaktion auf solche Intensivtäter ist auch kein grundsätzliches Problem des Jugendstrafrechts, sondern eine Frage der Anwendung im Einzelfall.
Suchender_ hat geschrieben:In derartigen Konstellationen (mehrere Vorstrafen für schwere Delikte) erscheint mir die gutmütig-naive Vorstellung, man müsse eben mit der harten Hand etwas "nach-erziehen" überholt, zumal wir hier nicht nur von 15-Jährigen reden.

Stattdessen erscheint es vorzugswürdig, de lege ferenda die Aspekte der Spezialprävention sowie der Sühne bei der Sanktionierung stärker zu berücksichtigen.
Nein, weil die von dir angesprochenen Intensivtäter keinen Anlass geben, das ansonsten durchaus funktionierende Erziehungssystem grundlegend zu ändern.
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Ara
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

thh hat geschrieben: Weil der zusätzliche Aufwand in keinem Verhältnis zum "Erfolg" steht. Das ist m.E. nicht das Problem - ob jemand wegen 20 oder 200 geknackter Autos verurteilt wird, macht in der Strafzumessung keinen riesigen Unterschied (insbesondere vermutlich, wenn sich die Gesamtzahl aus den Akten ergibt ...), unterscheidet aber ein noch handhabbares Verfahren, in dem ggf. der Nachweis jeder einzelnen Tat erfolgen kann, von einer monate-, vielleicht jahrelangen Blockade justizieller Ressourcen.
Mag alles sein. Dann kommt es aber immer nur semi gut, wenn die StA damit argumentiert, dass man bestimmten Maßnahmen nicht zustimmen kann, weil Dateien im fünfstelligen Bereich vorhanden sind. Der Fall ist aber eh sehr speziell mit vielen tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten. Zumindest hat die StA jemanden aus der Sonderabteilung für Sexualstafrecht als Sitzungsvertreter geschickt (wobei wir nicht wissen, ob es Zufall ist oder nicht) und damit zumindest thematische Kompetenz vorhanden ist. Und für die Verteidigung gibts ja eh nichts zu meckern, wenn sie nur n Bruchteil anklagen. :P
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

"Landen spätestens als Erwachsene im Knast" bedeutet aber eben auch, dass in der Zwischenzeit potentiell mehrere schwere Straftaten in Kauf genommen werden, die bei einem Erwachsenen bereits zu mehreren, u.U. langjährigen Haftstrafen geführt hätten.

Diese Straftaten sind nicht nur eine unschöne Statistik, sondern bedeuten reale, teils erhebliche (Körper-)Verletzungen an unschuldigen Dritten.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Ara »

Suchender_ hat geschrieben:Habe recht wenig Ahnung von Strafrecht und noch deutlich weniger Ahnung von Jugendstrafrecht, aber aus meiner Quasi-Laiensicht habe ich den Eindruck, dass diesem Rechtsgebiet einige Annahmen zugrunde liegen, die jedenfalls teilweise nicht (mehr?) zutreffen.

Namentlich die Vorstellung, dass alle straffälligen Jugendliche nur mal "eben so auf die Schiefe Bahn geraten sind", dass sie nur "einer helfenden Hand bedürfen" und mit der richtigen Erziehung "alsbald wieder in die Gesellschaft integriert werden können".

Das mag sicher in einigen Fällen zutreffen, nur gibt es eben auch jugendliche Intensivtäter, die bereits dutzende Verurteilungen hinter sich haben, über die "Erziehungsmaßnahmen" bestenfalls lachen können und - unabhängig davon, wie das Strafmaß ausfällt - voraussichtlich für den Rest ihres Lebens Teil des "Milieus" bleiben werden.

In derartigen Konstellationen (mehrere Vorstrafen für schwere Delikte) erscheint mir die gutmütig-naive Vorstellung, man müsse eben mit der harten Hand etwas "nach-erziehen" überholt, zumal wir hier nicht nur von 15-Jährigen reden.

Stattdessen erscheint es vorzugswürdig, de lege ferenda die Aspekte der Spezialprävention sowie der Sühne bei der Sanktionierung stärker zu berücksichtigen.
Enigma hat ja schon ausgeführt, dass es wissenschaftlich nahezu unwidersprochen ist, dass die beste Sanktion auf Jugendliche in der Regel gar keine Sanktion ist. Das zählt für Intensivtäter tatsächlich so nicht, aber die kannst du nicht rausfinden.

Selbst unter den Jugendlichen die mehrfach auffällig werden, entwickeln sich 9 von 10 Jugendliche zu gesetzestreue Erwachsene, ohne dass es merkliche Sanktionen bedarf. Durch die Stigmatisierung würde man diese Jugendliche eher auf die schiefe Bahn schicken. Es ist aber nicht möglich den einen rauszufischen, der auch als Erwachsener weitere Straftaten begehen wird.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Ara hat geschrieben:Und für die Verteidigung gibts ja eh nichts zu meckern, wenn sie nur n Bruchteil anklagen. :P
Wenn die StA sich dann aber mit Verweis auf die angeblich fünfstellige Zahl weigert, sich mit einem Strafbefehl zufrieden zu geben, was bei KiPo-Verfahren in aller Regel das primäre Verteidigungsziel sein dürfte wenn keine Einstellung in Betracht kommt, steckt die Verteidigung durchaus in einem Dilemma.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von [enigma] »

Suchender_ hat geschrieben:"Landen spätestens als Erwachsene im Knast" bedeutet aber eben auch, dass in der Zwischenzeit potentiell mehrere schwere Straftaten in Kauf genommen werden, die bei einem Erwachsenen bereits zu mehreren, u.U. langjährigen Haftstrafen geführt hätten.
Gerade bei Jugendlichen funktioniert die Spezialpräventation aber eher schlecht, weil sich deren weitere Entwicklung einfach nicht voraussagen lässt. Es gibt extreme Ausnahmefälle, das sind dann aber eben auch Ausnahmefälle, wegen denen man nun wirklich keine Strukturreform braucht.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Tobias__21 »

Das System funktioniert wirklich. Ich habe einen Fall miterlebt, da war der Täter auch massiv vorbestraft. Er war drogensüchtig und kam sogar zu einer Verhandlung völlig high. Bei dieser Verhandlung hat man ihn dann eine Klinik gesteckt, wo er rund um die Uhr betreut wurde (weiss nicht mehr genau was das für eine Maßnahme war, jedenfalls war sie sicher abartig teuer :) ) Bei der Verhandlung, bei der ich dann war, waren weitere Taten angeklagt, die man erst jetzt aburteilen konnte. Eigentlich wäre da nichts mehr mit Bewährung zu machen gewesen und er hätte 3 Jahre sitzen müssen, irgendwas hätte man einbeziehen müssen (kenne mich im JGG aber auch nicht aus). Aber die Richterin und die Schöffen waren wirklich beeindruckt vom Angeklagten, wie er sich im Vergleich zur letzten Verhandlung gewandelt hat. Er hat auch auf mich einen sehr guten Eindruck gemacht und ich hätte es nicht für angebracht erachtet, dass er ins Gefängnis muss (dann wäre er sicher wieder abgerutscht). Man hat dann mit einer Vorbewährung operiert und ihn mit Auflagen ohne Ende überzogen. Wenn er auch nur einen Furz lässt, wars das. Klar gibt es auch Fälle, bei denen Hopfen und Malz verloren ist. Hab ich auch schon erlebt, die wurden dann aber auch geschickt. Aber ja: Sie hatten davor sehr viele Chancen. Aber so lange es solche Fälle gibt und man tatsächlich ein paar retten kann und auf den richtigen Weg zurückführt....
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ara hat geschrieben:
Suchender_ hat geschrieben:Habe recht wenig Ahnung von Strafrecht und noch deutlich weniger Ahnung von Jugendstrafrecht, aber aus meiner Quasi-Laiensicht habe ich den Eindruck, dass diesem Rechtsgebiet einige Annahmen zugrunde liegen, die jedenfalls teilweise nicht (mehr?) zutreffen.

Namentlich die Vorstellung, dass alle straffälligen Jugendliche nur mal "eben so auf die Schiefe Bahn geraten sind", dass sie nur "einer helfenden Hand bedürfen" und mit der richtigen Erziehung "alsbald wieder in die Gesellschaft integriert werden können".

Das mag sicher in einigen Fällen zutreffen, nur gibt es eben auch jugendliche Intensivtäter, die bereits dutzende Verurteilungen hinter sich haben, über die "Erziehungsmaßnahmen" bestenfalls lachen können und - unabhängig davon, wie das Strafmaß ausfällt - voraussichtlich für den Rest ihres Lebens Teil des "Milieus" bleiben werden.

In derartigen Konstellationen (mehrere Vorstrafen für schwere Delikte) erscheint mir die gutmütig-naive Vorstellung, man müsse eben mit der harten Hand etwas "nach-erziehen" überholt, zumal wir hier nicht nur von 15-Jährigen reden.

Stattdessen erscheint es vorzugswürdig, de lege ferenda die Aspekte der Spezialprävention sowie der Sühne bei der Sanktionierung stärker zu berücksichtigen.
Enigma hat ja schon ausgeführt, dass es wissenschaftlich nahezu unwidersprochen ist, dass die beste Sanktion auf Jugendliche in der Regel gar keine Sanktion ist. Das zählt für Intensivtäter tatsächlich so nicht, aber die kannst du nicht rausfinden.

Selbst unter den Jugendlichen die mehrfach auffällig werden, entwickeln sich 9 von 10 Jugendliche zu gesetzestreue Erwachsene, ohne dass es merkliche Sanktionen bedarf. Durch die Stigmatisierung würde man diese Jugendliche eher auf die schiefe Bahn schicken. Es ist aber nicht möglich den einen rauszufischen, der auch als Erwachsener weitere Straftaten begehen wird.
Wie gesagt: ich meine ja nicht den ansonsten unbescholtenen Jugendlichen, der hier und da Kleinigkeiten stiehlt, vielleicht mal eine einfache Körperverletzung ohne Folgen begeht oder Wände besprüht.

Sondern etwa: die bandenmäßige, wiederholte Begehung schwerer Vermögensdelikte (§§ 249 ff.), wiederholte schwerste Körperverletzungen (§§ 224, 226, 227) usw.

D.h. die Kombination von: (1) im Einzelnen schwer wiegende Taten mit erheblichen Rechtsgutsverletzungen, die (2) mehrfach/gehäuft auftreten (deshalb "Intensivtäter") plus ggf. (3) schlechte Sozialprognose.

Es erscheint mir kaum nachvollziehbar und noch schwieriger vermittelbar, dass jemand in dieser Lage (dass es sich hierbei nicht um den Regelfall handelt, ist mir natürlich bewusst), der am besten noch 18 oder sogar 21 ist, mit ein paar "Erziehungsmaßnahmen" konfrontiert wird.
[enigma] hat geschrieben:
Suchender_ hat geschrieben:"Landen spätestens als Erwachsene im Knast" bedeutet aber eben auch, dass in der Zwischenzeit potentiell mehrere schwere Straftaten in Kauf genommen werden, die bei einem Erwachsenen bereits zu mehreren, u.U. langjährigen Haftstrafen geführt hätten.
Gerade bei Jugendlichen funktioniert die Spezialpräventation aber eher schlecht, weil sich deren weitere Entwicklung einfach nicht voraussagen lässt. Es gibt extreme Ausnahmefälle, das sind dann aber eben auch Ausnahmefälle, wegen denen man nun wirklich keine Strukturreform braucht.
Das verstehe ich nicht so ganz. Mehr Zeit im Gefängnis = weniger Zeit, um Straftaten zu begehen (von Delikten in der JVA mal abgesehen), oder? (=negative Spezialprävention)

Aber es gibt schon einen Grund, weshalb ich niemals im Bereich Strafrecht arbeiten wollte, will und werde.
Zuletzt geändert von Gelöschter Nutzer am Dienstag 11. Juli 2017, 23:49, insgesamt 1-mal geändert.
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