Unbegrenzte Gefährderhaft?

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Ara
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Ara »

Levi hat geschrieben: Im Übrigen enthält auch nach der hM die Strafnorm sehr wohl ein Gebot an die Strafverfolgungsbehörden zur Bestrafung in einer bestimmten Form (vgl. dein Hoerster-Zitat). Es ist keineswegs so, dass es hier nur um "die Reaktion" des Staates gehen würde. Auch nach hM ist die Strafnorm - anders als von dir hier vertreten - also nicht nur deskriptiv sondern konstitutiv. Die hM entspricht mitnichten "exakt der Forenmeinung", jedenfalls entspricht sie nicht der von dir hier vertretenen Meinung.
Ich glaube du hast dich da einfach in eine Ecke verrannt in die du dich jetzt gefangen fühlst. Das zeigt auch, dass du dich in die Rechtsphilosophie flüchtest, anstatt die reale Praxis des Strafrechts zu betrachten.

Das von dir behauptet "Gebot der Bestrafung" aus den materiellen Strafnormen ist schlicht in der Praxis nicht existent. Dies zeigt nicht nur die prozessuale Absicherung des Legalitätsprinzips in § 152 II StPO, sondern auch das existierende Opportunitätsprinzip. Sei es im Ordnungswidrigkeitenrecht oder aber auch schlicht die § 45 JGG oder §§ 153ff. StPO.

Das Legalitätsprinzip existiert übrigens auch nicht, weil der Gesetzgeber meinte Strafnormen seien konstitutiv, sondern er wollte einfach Vetternwirtschaft verhindern.

Ich verstehe übrigens am Ende auch gar nicht, was du dich dagegen so wehrst zu erkennen, dass das Strafrecht schlicht die wichtigsten allgemeinen Verhaltensregeln der Gesellschaft widerspiegelt? Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen usw... Ich finde übrigens auch Lex-Böhmermann ist ein wunderbarer Beweis, dass eine Strafnorm (die systematisch sinnig war und mE sogar notwendig) gegen den Willen der Bevölkerung nicht bestand haben kann. Wenn die Norm nicht mehr mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Verständnis übereinstimmt, dann weicht die Norm und nicht das Verständnis der Gesellschaft.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben: Ich glaube du hast dich da einfach in eine Ecke verrannt in die du dich jetzt gefangen fühlst. Das zeigt auch, dass du dich in die Rechtsphilosophie flüchtest, anstatt die reale Praxis des Strafrechts zu betrachten.
Ich habe mich nirgendwo "verrannt" und ich "flüchte" mich auch nicht in die Rechtsphilosophie, sondern ich habe in diesem Thread von Anfang an und ausschließlich rechtstheoretisch diskutiert (darauf habe ich @Tibor schon vor einigen Tagen hingewiesen).

"Die reale Praxis des Strafrechts" interessiert mich gemeinhin nicht besonders, genauso wenig wie "die reale Praxis der Gastroenterologie", "die reale Praxis der Versicherungsmathematik" oder "die reale Praxis der Gemeindetheologie". Mich interessieren die dahinter stehenden theoretischen Modelle und Konzepte (eben die leuchtenden "Ideen"), und nicht ihre blassen "Schatten an den Höhlenwänden", um mit Platon zu sprechen.
Ara hat geschrieben: Ich verstehe übrigens am Ende auch gar nicht, was du dich dagegen so wehrst zu erkennen, dass das Strafrecht schlicht die wichtigsten allgemeinen Verhaltensregeln der Gesellschaft widerspiegelt? Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen usw...
Weil diese These, wie bereits ein kurzer Blick ins StGB und erst recht in das Nebenstrafrecht zeigt, schlicht nicht zu halten ist.

So mögen beispielsweise
-- die gleichzeitige Beauftragung von mehr als fünf Ausländern ohne Aufenthaltstitel mit Werkleistungen (strafbar nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG) oder
-- die Einfuhr von Rohdiamanten entgegen Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002, die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1268/2008 ((ABl. L 338 vom 17.12.2008, S. 39) geändert worden ist (strafbar nach § 18 Abs. 3 Nr. 1 AWG) oder
--- die Benachteiligung eines Ersatzmitglieds eines besonderen Verhandlungsgremiums nach Teil 2 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen (strafbar nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 MgVG)
ohne Frage berechtigte Belange sein; dass sie aber die "wichtigsten allgemeinen Verhaltensregeln der Gesellschaft widerspiegeln", halte ich denn doch für eine zu steile These.
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Ara
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Ara »

Also du willst dich hier jetzt echt auf den Standpunkt stellen, dass ein Bürger nicht weiß (oder zumindest auf die Frage: "Sollte das Unterbunden sein?" mit "Ja" antwortet), dass

1. man keine Ausländer ohne Aufenthaltstitel beschäftigt?
2. man nicht einfach so mit Blutdiamanten handeln darf?
3. nicht einen Betriebsrat einfach aufgrund seiner Betriebsratsmitgliedschaft benachteiligen darf?

Du probierst hier im "klein klein" aufzuzeigen, dass der Bürger nicht jeden Einzelfall bedenkt. Es ist aber völlig egal, ob ein "Ersatzmitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen" benachteiligt wird. Der gemeine Bürger weiß: In Deutschland sind Betriebsratsmitglieder gesondert geschützt. In der Regel findet er es auch gut, weil er sich vorstellen könnte, dass sonst die Arbeitgeber zuviel Druck darauf ausüben.

"Oh Herr Richter, mir war zwar bewusst, dass es recht gemein ist meine Erbtante mit Gift umzubringen, aber dass das "heimtückisch" genannt wird, das war mir nicht bewusst"... Zack keine Mordverurteilung mehr oder was?

Du müsstest mit deiner Ansicht ja andauernd n Verbotsirrtum nach § 17 StGB annehmen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben:Also du willst dich hier jetzt echt auf den Standpunkt stellen, dass ein Bürger nicht weiß (oder zumindest auf die Frage: "Sollte das Unterbunden sein?" mit "Ja" antwortet), dass

1. man keine Ausländer ohne Aufenthaltstitel beschäftigt?
2. man nicht einfach so mit Blutdiamanten handeln darf?
3. nicht einen Betriebsrat einfach aufgrund seiner Betriebsratsmitgliedschaft benachteiligen darf?
Du verwechselst hier ein allgemeines unbestimmtes Unrechtsbewusstsein mit den konkreten Straftatbeständen. Die Straftatbestände entsprechen eben gerade nicht einfach deskriptiv dem allgemeinen Rechtsgefühl der Gesellschaft sondern sie betreiben dezidiert sozialtechnologische Steuerung. Deine These vom rein deskriptiven Strafrecht wäre nur dann richtig, wenn das allgemeine Rechtsgefühl und die Straftatbestände tatsächlich übereinstimmen würden. Dem ist aber nicht so:

Es ist eben nicht generell strafbar, Ausländer ohne Aufenthaltstitel zu beschäftigen, sondern es müssen mehr als fünf gleichzeitig sein.
Es ist auch nicht generell strafbar, mit "Blutdiamanten" zu handeln, sondern nur unter den engen Voraussetzung des Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 2368/2002 des Rates vom 20. Dezember 2002, die zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1268/2008 ((ABl. L 338 vom 17.12.2008, S. 39) geändert worden ist.
Das Ersatzmitglied eines besonderen Verhandlungsgremiums nach Teil 2 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen ist eben gerade kein Betriebsrat.
usw.

Das unbestimmte Unrechtsgefühl der meisten Menschen geht gemeinhin wesentlich weiter als das Strafrecht. Es gibt unzählige Dinge, die Menschen gerne unterbunden sehen möchten, die jedoch nicht einmal ansatzweise tatsächlich strafbar sind.

Von daher habe ich auch kein besonderes Problem mit § 17 StGB. Ein generelles Unrechtsbewusstsein wird praktisch immer vorliegen.
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Ara
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Ara »

Und?

Dann hast du jetzt die Erkenntnis wiedergegeben, dass das Strafrecht ultima ratio und fragmentarisch ist. Das lernt man aber in der 1. Vorlesungswoche in Strafrecht AT und hat nichts mit dem Thema zu tun.

Dein Vorbringen, dass das Strafrecht nicht alle gesellschaftlichen Regelungen widerspiegelt, ist kein Beweis dafür, dass das Strafrecht nicht lediglich gesellschaftliche Regelungen widerspiegelt.
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben:Und?
Dann hast du jetzt die Erkenntnis wiedergegeben, dass das Strafrecht ultima ratio und fragmentarisch ist. Das lernt man aber in der 1. Vorlesungswoche in Strafrecht AT und hat nichts mit dem Thema zu tun.
Doch, genau das ist das Thema. Es ist eine bewusste Entscheidung, nenne sie nun Konstruktion oder nicht, aus der unendlich großen Zahl von denkbaren "Unrechtstatbeständen" einzelne auszuwählen und zu bestrafen. Man kann das materielle Strafrecht, so wie es vorliegt, eben nicht "in der Gesellschaft finden". Es ist konstitutiv und nicht deskriptiv.

Dein Vorbringen, dass das Strafrecht nicht alle gesellschaftlichen Regelungen widerspiegelt, ist kein Beweis dafür, dass das Strafrecht nicht lediglich gesellschaftliche Regelungen widerspiegelt.
Ein solcher Negativbeweis ist nicht möglich und für mich im Übrigen auch gar nicht erforderlich.
Vielmehr stelle ich dir gerne anheim, mir zu beweisen, dass bereits vor dem Erlass des SchwarzArbG eine gesellschaftliche Regelung existiert hat, nach der es verboten war, (exakt) mehr als fünf Ausländer ohne Aufenthaltstitel gleichzeitig zu beschäftigen. Solltest du mir diese gesellschaftliche Regelung zeigen können, bin ich gerne bereit anzuerkennen, dass die Norm des § 11 SchwarzArbG nur deskriptiv ist.
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Tibor
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Tibor »

"Ein paar schwarzarbeitende Italiener auf dem Bau sind ok, man sollte es nur nicht übertreiben."
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

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Ara
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Ara »

Ich verstehe ehrlich nicht, was dein Verständnisproblem dabei ist?

Der Steinzeitdeutsche findet die schwarze Beschäftigung von Ausländern nicht gut. Der sagt aber auch "Wer 1, 2 oder 3 beschäftigt, ist nicht so schlimm wie jemand der 100 beschäftigt!". Darauf hat der Steinzeitgesetzgeber reagiert.

Darum ist auf der Primärebene JEDE Beschäftigung mit Sanktionen bedroht. Je mehr jemand beschäftigt, desto stärker wird die Sanktion. Bei 6 ist halt die Grenze der Ordnungswidrigkeit erreicht und es wird eine Straftat.

Ohne Scheiß, das könnte ich meinem 5 jährigen Neffen erklären und er würde es verstehen.
Zuletzt geändert von Ara am Montag 24. Juli 2017, 17:35, insgesamt 1-mal geändert.
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Strich
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Strich »

Schaue nur zufällig herein. Müsste noch ein Urteil schreiben, kann mich grad nicht überwinden. Gelöste Fälle ermüden ...

Aber:
Hier scheint das Thema ja Gefährderhaft für schwarzarbeitende Betriebsratsmitglieder zu sein, die bei einer grenzüberschreitenden (Deu - Kenia?) Verschmelzung Rohdiamanten schmuggeln???
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

www.richtersicht.de

Seit 31.05.2022 Lord Strich
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Ara »

Strich hat geschrieben:Schaue nur zufällig herein. Müsste noch ein Urteil schreiben, kann mich grad nicht überwinden. Gelöste Fälle ermüden ...

Aber:
Hier scheint das Thema ja Gefährderhaft für schwarzarbeitende Betriebsratsmitglieder zu sein, die bei einer grenzüberschreitenden (Deu - Kenia?) Verschmelzung Rohdiamanten schmuggeln???
Ersatzmitglied des Betriebsrats!
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

Ara hat geschrieben:Ich verstehe ehrlich nicht, was dein Verständnisproblem dabei ist?

Der Steinzeitdeutsche findet die schwarze Beschäftigung von Ausländern nicht gut. Der sagt aber auch "Wer 1, 2 oder 3 beschäftigt, ist nicht so schlimm wie jemand der 100 beschäftigt!". Darauf hat der Steinzeitgesetzgeber reagiert.

Darum ist auf der Primärebene JEDE Beschäftigung mit Sanktionen bedroht. Je mehr jemand beschäftigt, desto stärker wird die Sanktion. Bei 6 ist halt die Grenze der Ordnungswidrigkeit erreicht und es wird eine Straftat.

Ohne Scheiß, das könnte ich meinem 5 jährigen Neffen erklären und er würde es verstehen.
Es geht nicht um das Verstehen von Sanktionen (je mehr Beschäftigte desto schlimmer) sondern um den Tatbestand ansich.

Ich habe das Beispiel ja nicht ohne Grund gewählt. Tatsächlich war es nämlich so: Vor dem Gesetz wurde Schwarzarbeit gesellschaftlich mehr oder weniger toleriert; und jedenfalls nicht systematisch verfolgt. Tibor hat es ganz gut auf den Punkt gebracht.

Erst durch das Gesetz und den gesteigerten staatlichen Verfolgungsdruck wurde hier ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein in weiteren Teilen der Bevölkerung überhaupt geweckt. Das Gesetz ist geradezu idealtypisch für eine sozialtechnologische Gesetzgebung. Und wurde seinerzeit ja auch entsprechend kritisiert.

Ähnliches gilt für mein Beispiel mit den "Blutdiamanten". Vor der entsprechenden Gesetzgebung bestand hier weithin überhaupt kein Problembewusstsein. Niemand hat sich dafür interessiert, woher die Klunker kommen. Erst die Gesetzgebung hat die Gesellschaft im weiteren Umfang informiert und sensibilisiert. Und heute finden Blutdiamanten zu Recht alle "Scheiße".

Es ist schlicht eine Illusion zu glauben, dass stets erst die allgemeine gesellschaftliche Regelung da war und dann das Strafgesetz. Vielmehr ist es heute meist umgekehrt. Die Bestrafung macht ein Unrecht überhaupt erst gesellschaftlich bewusst. Und zehn Jahre später ist das Unrecht dann auch tatsächlich gesellschaftliches Allgemeingut.
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Vortex
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Vortex »

Levi hat geschrieben:Vor der entsprechenden Gesetzgebung bestand hier weithin überhaupt kein Problembewusstsein.[...] Die Bestrafung macht ein Unrecht überhaupt erst gesellschaftlich bewusst.
Wenn dem so ist, wieso sollte der Gesetzgeber dem Bürger die Sanktionswürdigkeit nicht unmittelbar mitteilen, sondern sich ausschließlich auf einen Reflex verlassen? Das klingt mir doch zu arg um die Ecke gedacht.
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Levi
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Levi »

Vortex hat geschrieben:
Levi hat geschrieben:Vor der entsprechenden Gesetzgebung bestand hier weithin überhaupt kein Problembewusstsein.[...] Die Bestrafung macht ein Unrecht überhaupt erst gesellschaftlich bewusst.
Wenn dem so ist, wieso sollte der Gesetzgeber dem Bürger die Sanktionswürdigkeit nicht unmittelbar mitteilen, sondern sich ausschließlich auf einen Reflex verlassen? Das klingt mir doch zu arg um die Ecke gedacht.
Der Gesetzgeber teilt dem Bürger das Gebot/Verbot doch auch mit. Im Beispielfall des SchwarzArbG beispielsweise in § 284 Abs. 1 SGB III bzw. § 4 Abs. 3 Satz 2 AufenthaltG. Um die Ecke denken muss man da gar nicht.

Gerade im Bereich des Nebenstrafrecht ist es die übliche Regelungstechnik, dass der Gesetzgeber einerseits das - an den Bürger gerichtete - Gebot/Verbot erlässt und zusätzlich (!) noch den an die Strafverfolgungsbehörden adressierten "Straf-Befehl" bei Zuwiderhandlungen gegen das Gebot/Verbot.  Das Gebot/Verbot sowie die dazugehörige Strafnorm sind häufig im gleichen Gesetz geregelt, bisweilen aber auch in unterschiedlichen Gesetzen.

Würde man der hM folgen, nach der in der Strafvorschrift auch noch das Gebot/Verbot an den Bürger enthalten sei, läge hier daher regelmäßig eine Doppelung vor. Man müsste dem Gesetzgeber unterstellen, dass er überflüssige Normen schafft. Auch das spricht eher für ein minimalistisches Verständnis von Strafnormen.
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Tibor
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Re: Unbegrenzte Gefährderhaft?

Beitrag von Tibor »

Gegen deine Auffassung (Adressat sind nur die Strafverfolgungsbehörden) spricht auch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Wenn es so wäre, dass nicht der Bürger der Adressat wäre, dann müsstest du mit Blankettstrafnormen keinerlei Probleme haben. Du könntest auch einen Straftatbestand "Verwaltungsrechtsbruch" schaffen: "Wer gegen ein Handlungsgebot nach einem Verwaltungsgesetzt des Bundes (Sartorius Nr. X-Y) oder der Länder (xxx) verstößt, wird bestraft mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis 15 Jahren." Die Norm richtet sich ja an die Behörde, die nur prüfen muss, ob der Bürger Ggf entgegen irgendwelcher Anordnungen oder Anzeigepflichten gehandelt hat. Eine nähere Ausgestaltung des Tatbestandes wäre überflüssig, weil der Bürger weder den Straftatbestand noch die Verwaltungsrechtsnormen kennen wird. Wer verstößt wird halt bestraft und irgendwann hat schon jeder mitbekommen, dass die Strafkammern 3 Jahre einsitzen verschreiben, wenn man ohne Baugenehmigung mit dem Bau angefangen hat.
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