Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art. 5 G

"Off-Topic"-Forum. Die Themen können von den Usern frei bestimmt werden.
Es gelten auch hier die Foren-Regeln!

Moderator: Verwaltung

Antworten
Benutzeravatar
famulus
Fossil
Fossil
Beiträge: 10254
Registriert: Freitag 12. März 2004, 12:55
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von famulus »

Ohne die Nutzungsbedingungen mal genau angesehen zu haben, erscheinen mir die Erwartungen an das, was dem Nutzer an Ansprüchen aus dem unentgeltlichen Nutzungsvertrag erwächst, irgendwie überhöht. Es würde mich wundern, wenn Entsprechendes (schon gar kein Anspruch auf Veröffentlichung überhaupt, jegliches Recht auf Nichtveröffentlichung/Kündigung - auch ohne Grund - vorbehalten etc.) durch Vertragsgestaltung nicht Bestandteil geworden wäre.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
mrmojo
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 129
Registriert: Mittwoch 8. Februar 2017, 20:42

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von mrmojo »

Wenn wir über Meinungsfreiheit reden, reden wir immer auch über Ehrlichkeit. Für mich geht das Hand in Hand.
Meinungsfreiheit gibt einem erst die Möglichkeit seiner Ehrlichkeit ein Ventil zu geben.
Ehrlichkeit beezogen auf in·trịn·sische (habs gegoggelt :lmao: ) Merkmale.
Gefühle, Bauchgefühle, Gedanken, Spürsinn, denn am Ende ist jede Handlung (auch das Twittern) auf einen Gedanken oder ein Gefühl oder eben ein Bauchgefühl oder ein Spürsinn zurückzuführen. Unabhängig von einer moralischen Bewertung.

Also sollte Ehrlichkeit begrenzt werden?
Kann Ehrlichkeit ein Motiv haben?
Sind gewisse Motive schadhaft für eine Gesellschaft?
Kann Ehrlichkeit verlogen sein?

Das sind für mich abstrakte Fragen die zu klären sind bevor. Aber wenn die geklärt sind, ist die konkrete Umsetzung dann nur noch Schreibkram und ein Stück Papier.
Zuletzt geändert von mrmojo am Samstag 6. Januar 2018, 11:16, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Trente Steele82
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6079
Registriert: Mittwoch 27. Januar 2010, 19:19
Ausbildungslevel: RRef

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Trente Steele82 »

famulus hat geschrieben:Ohne die Nutzungsbedingungen mal genau angesehen zu haben, erscheinen mir die Erwartungen an das, was dem Nutzer an Ansprüchen aus dem unentgeltlichen Nutzungsvertrag erwächst, irgendwie überhöht. Es würde mich wundern, wenn Entsprechendes (schon gar kein Anspruch auf Veröffentlichung überhaupt, jegliches Recht auf Nichtveröffentlichung/Kündigung - auch ohne Grund - vorbehalten etc.) durch Vertragsgestaltung nicht Bestandteil geworden wäre.
Hast du dir den Hinweis von Redeker auf die entsprechende Passage aus dem Fraport Urteil (verlinkten CR-Blog) angesehen?
"Ich bin ein Freund der privaten Passivitäten, bin also ein fauler Mensch, der versucht seine Intelligenz einzusetzen, um weiterhin faul zu bleiben zu können." (Benno Heussen)
Benutzeravatar
famulus
Fossil
Fossil
Beiträge: 10254
Registriert: Freitag 12. März 2004, 12:55
Ausbildungslevel: Interessierter Laie

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von famulus »

Trente Steele82 hat geschrieben: Hast du dir den Hinweis von Redeker auf die entsprechende Passage aus dem Fraport Urteil (verlinkten CR-Blog) angesehen?
Jetzt erst - der stand da vorhin noch nicht. :D Aber danke für den Hinweis.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das BVerfG da eine mit z. B. Twitter vergleichbare Konstellation vor Augen hatte. Gemeint war wohl eher die Telekom. Daher halte ich auch die Schlussfolgerungen auf den ersten Blick für überzogen.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
Benutzeravatar
Trente Steele82
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 6079
Registriert: Mittwoch 27. Januar 2010, 19:19
Ausbildungslevel: RRef

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Trente Steele82 »

famulus hat geschrieben:
Trente Steele82 hat geschrieben: Hast du dir den Hinweis von Redeker auf die entsprechende Passage aus dem Fraport Urteil (verlinkten CR-Blog) angesehen?
Jetzt erst - der stand da vorhin noch nicht. :D

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das BVerfG da eine mit z. B. Twitter vergleichbare Konstellation vor Augen hatte. Gemeint war wohl eher die Telekom. Daher halte ich auch die Schlussfolgerungen auf den ersten Blick für überzogen.
Vorsicht steile These von mir: als Inhaltedienst sehe ich auf den ersten Blick keinen Unterschied zwischen Twitter und die Telekom als TK-Dienstleister, sodass eine Übertragung zumindest nicht auszuschließen ist. Und darum geht es doch hier: hab ich als Nutzer einen rechtlichen Hebel oder nicht? Und ich meine ja, wenn meine Meinung, die gelöscht wurde in der Bewertung ein Grenzfall ist.
"Ich bin ein Freund der privaten Passivitäten, bin also ein fauler Mensch, der versucht seine Intelligenz einzusetzen, um weiterhin faul zu bleiben zu können." (Benno Heussen)
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Tobias__21 »

@famulus:

Ja, Fraport war in dieser Hinsicht etwas weniger problematisch, da die Mehrheit der Unternehmensanteile in staatlicher Hand waren. Inhaltlich ist dort aber so einiges angeklungen. In anderen Entscheidungen des BVerfG wurde das dann fortgeführt und auch reine private wurden verpflichtet.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8343
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Ara »

Wie sehen es denn die Befürworter der Verpflichtung von Twitter solche Sachen stehenzulassen die folgende Situation (NetzDG können wir hier ganz ausblenden):

Twitter möchte einen Beitrag löschen, da Twitter ihn für strafbar hält, dies aber nicht dürfen soll, weil Twitter nicht entscheiden darf ob es ein strafbarer Inhalt ist oder nicht, sondern nur die Gerichte. Deswegen lässt Twitter-Mitarbeiter X ihn stehen.

Nun verurteilt das Gericht den Poster wegen Volksverhetzung. Der Twitter-Mitarbeiter wird wegen Beihilfe zur Volksverhetzung angeklagt. Und nun? Vorsatz hatte X, er ging ja davon aus, dass es Volksverhetzung ist. Rechtfertigungsgrund aus? Art. 5 GG des Posters?

Das zeigt doch schon, dass es nicht richtig sein kann. Twitter muss doch das Recht und die Möglichkeit haben potentielle strafbare Inhalte zu löschen, alleine um sich nicht selbst strafbar zu machen (die Mitarbeiter, bzw. das Unternehmen eine Owig begeht).
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
mrmojo
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 129
Registriert: Mittwoch 8. Februar 2017, 20:42

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von mrmojo »

Kann sich denn Twitter nicht einfach eine Benutzerregel/Hausordnung geben und es "innerhalb" lösen ohne Justiz?

Dann könnten sie löschen und stehenlassen was sie wollen...ach moment. Das habt ihr aber glaub ich alles schon erwähnt. Ganz schön kompliziert das ganze.
Und was ist mit hm.. :-k
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Tobias__21 »

Ara hat geschrieben:Wie sehen es denn die Befürworter der Verpflichtung von Twitter solche Sachen stehenzulassen die folgende Situation (NetzDG können wir hier ganz ausblenden):

Twitter möchte einen Beitrag löschen, da Twitter ihn für strafbar hält, dies aber nicht dürfen soll, weil Twitter nicht entscheiden darf ob es ein strafbarer Inhalt ist oder nicht, sondern nur die Gerichte. Deswegen lässt Twitter-Mitarbeiter X ihn stehen.

Nun verurteilt das Gericht den Poster wegen Volksverhetzung. Der Twitter-Mitarbeiter wird wegen Beihilfe zur Volksverhetzung angeklagt. Und nun? Vorsatz hatte X, er ging ja davon aus, dass es Volksverhetzung ist. Rechtfertigungsgrund aus? Art. 5 GG des Posters?

Das zeigt doch schon, dass es nicht richtig sein kann. Twitter muss doch das Recht und die Möglichkeit haben potentielle strafbare Inhalte zu löschen, alleine um sich nicht selbst strafbar zu machen (die Mitarbeiter, bzw. das Unternehmen eine Owig begeht).
Müssen sie haben, ja. Das NetzDG verpflichtet sie aber zu löschen. So oder so hat Twitter den schwarzen Peter. Gewährt man dem Betroffenen Rechtsschutz und löscht Twitter aus freien Stücken, weil sie die Entscheidungsbefugnis m.E. auch haben müssen, verlieren dann aber vor Gericht, weil sie es falsch eingeschätzt haben, stehen sie dumm da. Genauso dumm stehen sie da, wenn sie etwas stehen lassen, was sie nach dem NetzDG eigentlich hätten löschen müssen. M.E. ist das bis jetzt alles ziemlich unbefriedigend und man wird da sicher noch einiges hören. Im Compliance Bereich ist es ja ähnlich. Was derzeit alles von einem erwartet wird, was man beachten muss, wie schnell man mit einem Bein im Bereich der Strafbarkeit steht, ist doch nicht mehr normal. Wie soll ein normaler Mensch das noch alles überblicken? Und durch die Reichweite des Internet wird alles noch komplizierter.
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8343
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Ara »

Tobias__21 hat geschrieben:Im Compliance Bereich ist es ja ähnlich. Was derzeit alles von einem erwartet wird, was man beachten muss, wie schnell man mit einem Bein im Bereich der Strafbarkeit steht, ist doch nicht mehr normal. Wie soll ein normaler Mensch das noch alles überblicken? Und durch die Reichweite des Internet wird alles noch komplizierter.
Dafür habe ich ja eigentlich den "Vorsatz" im Strafrecht. Darauf basiert ja auch Compliance mehr oder weniger. Böse Zungen behaupten ja sogar, dass es Compliance nur gibt, damit später die Chefetage sagen kann, dass sie das alles nicht billigend in Kauf genommen hat. Da mag sogar was dran sein.

Wenn man Twitter aber die Handlung rechtlich untersagt, dann wirds schwierig... Wenn man im "Nichtlöschen" ein Unterlassen sehen würde, könnte man sich noch mit "keine Möglichkeit zum Handeln" retten, weil es Twitter rechtlich untersagt ist zu löschen. Eher wird man aber beim Verbreiten der Nachricht über die Webseite ein aktives Handeln sehen. Dann würde man mit dieser Ansicht "Twitter darf wegen Art. 5 GG keine mutmaßlich strafbaren Inhalte löschen, solange sie nicht gerichtlich als solche eingestuft wurden", das bisherige Strafrechtssystem auf den Kopf stellen.

Also schon dieses "Ausnahmekonstrukt" in der Art. 5 GG ein "Supergrundrecht" ist, würde zu massiven weiteren systematischen Problemen führen. Man kann das Supergrundrecht dann nicht einmal als Rechtfertigungsgrund heranziehen, weil es ja gar nicht das Grundrecht von Twitter bzw. dem Twitter-Mitarbeiter ist, sondern des Users. Und das verrückte ist ja, Art. 5 GG würde selbst für den User nicht greifen, weil der Inhalt ja gar nicht von Art. 5 GG mehr geschützt ist.

Ach je länger ich drüber nachdenke, desto mehr ist das, sorry, einfach systematischer Bullshit der hier konstruiert werden soll. Der "mutmaßlich strafbare Inhalt" soll dann nämlich von Art. 5 GG geschützt werden. Der "strafbare Inhalt" dann aber nicht mehr. So als würde eine "Meinung" unter Art. 5 GG nur dann fallen, wenn es ein Gericht nicht anders bewertet hat. Das ist doch schlicht falsch. Die "Meinung" fällt in den Schutzbereich oder sie fällt nicht in den Schutzbereich Art. 5 GG. Das Gericht stellt später nur deskriptiv fest, ob die Meinung von Art. 5 GG gedeckt ist aber ist nicht konstitutiv für das Entfallen aus dem Schutzbereich.

Es muss Twitter schlicht und einfach möglich sein nach eigenen gewillkürten (so war willkürlich nämlich gemeint) Regeln Beiträge zu löschen oder nicht. Das Gericht hat anschließend nur zivilrechtlich zu prüfen, ob der zu löschende Beitrag gegen die Regeln verstößt und gegebenenfalls die Regeln als AGB zu prüfen (und hier kann dann auch die mittelbare Drittwirkung reinspielen, bei der AGB-Prüfung). Auch eine Meinung die unter Art. 5 GG fällt, kann demnach aber gelöscht werden. Hier erfolgt dann, wie ja schon 10 mal auch von Famulus ausgeführt, natürlich eine Abwägung mit den Grundrechten des Anbieters statt, insbesondere Art. 12 GG und mölicherweise sogar Art. 5 GG selbst (Darf ich z.B. eine Linke Person zwingen, rechte Meinungen verbreiten zu müssen oder schützt die negative Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG nicht auch vor der Pflicht Meinungen zu verbreiten?).
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Tobias__21
Fossil
Fossil
Beiträge: 10395
Registriert: Dienstag 4. November 2014, 07:51
Ausbildungslevel: Au-was?

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Tobias__21 »

Naja, wir reglementieren immer mehr Bereiche durch. Ich war ja eine Zeit im Arbeitsrecht unterwegs und habe mich länger mit dem AÜG (wurde wiedermal geändert) und der Scheinselbstständigkeit befasst. Da gibt es einige Graubereiche, an denen man sich die Zähne ausbeißt. Wenn man da aber mal daneben langt, können horrende Bußgelder fällig werden, oder man zahlt Sozialabgaben in Millionenhöhe nach und steht dabei noch mit einem Fuß im Knast. Das Recht wird von Tag zu Tag komplizierter, was natürlich auch am Fortschritt der Gesellschaft und immer neuen Fallgestaltungen liegt.

In der Sache NetzDG und Art. 5 GG weiß ich mittlerweile gar nicht mehr, wo wir in der Diskussion stehen. Das ging alles etwas durcheinander, so dass ich da jetzt auch langsam raus bin, weil ich den Faden verloren habe :D
Having cats in the house is like living with art that sometimes throws up on the carpet
Gelöschter Nutzer

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich habe nicht alle 13 Seiten gelesen, aber ein Punkt ist mir ins Auge gesprungen:

Man kann doch nicht ernsthaft die Situation mit und ohne NetzDG gleichsetzen, oder?

Es ist etwas völlig anderes, ob (z.B.) Twitter einen Post löscht, weil dieser gegen seine Nutzungsbedingungen verstößt, oder ob dies nur/primär passiert, weil andernfalls ein exorbitantes staatliches Bußgeld droht.

Ersteres ist weitgehend unproblematisch (rechtlich gesehen; demokratietheoretisch sieht das m.E. etwas anderes aus, da Twitter zunehmend eine Art "Online-Marktplatz" geworden ist und die Bezeichnung als reguläre private Website etwas zu kurz greift), letzteres hingegen äußerst kritisch zu betrachten.
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8343
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Ara »

Suchender_ hat geschrieben:Ich habe nicht alle 13 Seiten gelesen, aber ein Punkt ist mir ins Auge gesprungen:

Man kann doch nicht ernsthaft die Situation mit und ohne NetzDG gleichsetzen, oder?

Es ist etwas völlig anderes, ob (z.B.) Twitter einen Post löscht, weil dieser gegen seine Nutzungsbedingungen verstößt, oder ob dies nur/primär passiert, weil andernfalls ein exorbitantes staatliches Bußgeld droht.

Ersteres ist weitgehend unproblematisch (rechtlich gesehen; demokratietheoretisch sieht das m.E. etwas anderes aus, da Twitter zunehmend eine Art "Online-Marktplatz" geworden ist und die Bezeichnung als reguläre private Website etwas zu kurz greift), letzteres hingegen äußerst kritisch zu betrachten.
Letzterer Fall ist aber immer auch ersterer Fall. Die Twitter Nutzungsbedingungen gehen viel weiter, als die Löschpflicht aus dem NetzDG. Das NetzDG verlangt nur das Löschen von Inhalten die einen der aufgezählten Straftatbeständen erfüllt. Die Twitter Nutzungsbedingungen verbieten schon grundsätzlich strafbare Inhalte zu posten. Darüber hinaus aber auch noch Hass-Posts und Co. die noch nicht die Schwelle der Strafbarkeit erreichen.

Daher ist die Unterscheidung im hiesigen Fall nicht relevant. Der Post von Frau Storch verstößt definitiv gegen die Twitter Nutzungsbedingungen und möglicherweise ist er auch strafbar und müsste nach dem NetzDG gelöscht werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Gelöschter Nutzer

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Natürlich ist die Unterscheidung relevant. Wäre sie es nicht, wäre das NetzDG doch nie eingeführt worden.

Es ging der Regierung ersichtlich darum, Druck auf Twitter et al. auszuüben, um diese zu einem proaktiveren Löschen unliebsamer Kommentare zu animieren. Darin liegt aber genau das Problem.

Entscheidend ist nicht, ob Twitter privatrechtlich dazu befugt ist Posts zu löschen, sondern dass der Staat mit empfindlichen Geldbußen darauf drängt.

---

Unabhängig von den rechtlichen Aspekten erscheint es mir aber ehrlich gesagt schwer verständlich, wie man das NetzDG verteidigen kann. Losgelöst von dem konkreten Fall (ich bin ganz sicher kein Fan von Frau Storch) erscheint es mir als Verfechter einer liberalen Demokratie höchst bedenklich, wenn der Staat von jur. Personen vorauseilenden Gehorsam im Hinblick auf die Löschung von privaten Meinungsäußerungen erzwingt.
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8343
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Frau Storch, der Tweet und das NetzDG im Lichte von Art.

Beitrag von Ara »

Suchender_ hat geschrieben:Natürlich ist die Unterscheidung relevant. Wäre sie es nicht, wäre das NetzDG doch nie eingeführt worden.

Es ging der Regierung ersichtlich darum, Druck auf Twitter et al. auszuüben, um diese zu einem proaktiveren Löschen unliebsamer Kommentare zu animieren. Darin liegt aber genau das Problem.

Entscheidend ist nicht, ob Twitter privatrechtlich dazu befugt ist Posts zu löschen, sondern dass der Staat mit empfindlichen Geldbußen darauf drängt.

---

Unabhängig von den rechtlichen Aspekten erscheint es mir aber ehrlich gesagt schwer verständlich, wie man das NetzDG verteidigen kann. Losgelöst von dem konkreten Fall (ich bin ganz sicher kein Fan von Frau Storch) erscheint es mir als Verfechter einer liberalen Demokratie höchst bedenklich, wenn der Staat von jur. Personen vorauseilenden Gehorsam im Hinblick auf die Löschung von privaten Meinungsäußerungen erzwingt.
Wir drehen uns im Kreis. Es war schon IMMER eine Straftat solche Posts nicht zu löschen (Beihilfe zur Beleidigung/Volksverhetzung). Das NetzDG macht in seinem Grundsatz nichts anderes, als das eh schon strafbare Verhalten der einzelnen natürlichen Person auch noch als OWiG für die Unternehmen zu sanktionieren. Das heißt nun sind die Unternehmen angehalten dafür zu sorgen, dass ihre Mitarbeiter sich an Recht und Gesetz halten.

Die einzelne Ausgestaltung (Fristen und so) mag sicher kritikwürdig sein und verfassungswidrig sein. Aber die Grundidee ist schon ewig sanktioniert und verfassungsrechtlich wohl unbedenklich.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Antworten