Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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carstella
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Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von carstella »

Hallo,

Auch wenn ich nicht in dieses Formu gehöre (hab mich zwar für den Justizdienst beworben, bin zurzeit aber noch zuhause mit meinem zweiten Kind) habe ich eine Frage - aus reiner Neugier!

Ich war während der Wahlstation beim Strafrichter und erstanut darüber, dass die Richter so eine Angst davor haben, aufgehoben zu werden. Aber warum? Das ging soweit, dass in einem rechtlich völlig ungeklärten Fall lieber gegen eine Auflage eingestellt wurde, als zu entscheiden und damit die Grundlage zu schaffen, dass es irgendwann mal eine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt. Das absurde war, dass alle unglücklich waren mit der Entscheidung. Der Staatsanwalt brauchte endlich mal eine höchstgerichtliche Entscheidung um zu wissen, ob er künftig solche Fälle anklagen soll, der Richter damit er weiß, wie er in diesen Fällen entscheiden soll und der Anwalt wollte natürlich eigentlich einen Freispruch für seinen Mandanten erkämpfen. Nun ja... trotzdem wurde eingestellt.

Ich meine, ich verstehe, dass es sich äußerst unschön anfühlt, wenn man wegen fehlerhafter Gesetzesanwendung aufgehoben wird. Aber ich vermute mal, das wird die Ausnahme sein. Immehrin hat jeder Richter lang genug studiert und ein Examensergebnis erzielt, welches ihm wohl die Fähigkeit bescheinigt, die Gesetze verstehen und anwenden zu können.

Wird es in der Pesonalakte notiert, wenn ein Richter mit seiner Entscheidung aufgehoben wird? Wenn ja, welche Konsequenzen hat das?

Sorry, aber in meiner "jugendlichen Naivität" denke ich, dass es doch erstrebenswert wäre, wenn ein Richter frei von Zwängen nur nach dem Gesetz und seinem Gewissen entscheidet und so auch mal längst überfällige Änderungen antiquierter Rechtsprechung ermöglicht. Das ist doch kaum noch möglich, wenn die erstinsanzlichen Richter aus Angst aufgehoben zu werden immer im Sinne der höheren Gerichte entscheiden. Verstehe ich da was falsch?

Grüße
carstella
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Mr_Black
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Mr_Black »

carstella hat geschrieben:Das ging soweit, dass in einem rechtlich völlig ungeklärten Fall lieber gegen eine Auflage eingestellt wurde, als zu entscheiden und damit die Grundlage zu schaffen, dass es irgendwann mal eine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt. Das absurde war, dass alle unglücklich waren mit der Entscheidung. Der Staatsanwalt brauchte endlich mal eine höchstgerichtliche Entscheidung um zu wissen, ob er künftig solche Fälle anklagen soll, der Richter damit er weiß, wie er in diesen Fällen entscheiden soll und der Anwalt wollte natürlich eigentlich einen Freispruch für seinen Mandanten erkämpfen. Nun ja... trotzdem wurde eingestellt.
Das mutet seltsam an. Eine Einstellung nach § 153a StPO gegen Auflage ist keine einsame Entscheidung des Richters gegen den Willen aller Beteiligten und kann daher nur mit Zustimmung des Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft erfolgen.
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carstella
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von carstella »

Mr_Black hat geschrieben:
carstella hat geschrieben:Das ging soweit, dass in einem rechtlich völlig ungeklärten Fall lieber gegen eine Auflage eingestellt wurde, als zu entscheiden und damit die Grundlage zu schaffen, dass es irgendwann mal eine höchstgerichtliche Rechtsprechung gibt. Das absurde war, dass alle unglücklich waren mit der Entscheidung. Der Staatsanwalt brauchte endlich mal eine höchstgerichtliche Entscheidung um zu wissen, ob er künftig solche Fälle anklagen soll, der Richter damit er weiß, wie er in diesen Fällen entscheiden soll und der Anwalt wollte natürlich eigentlich einen Freispruch für seinen Mandanten erkämpfen. Nun ja... trotzdem wurde eingestellt.
Das mutet seltsam an. Eine Einstellung nach § 153a StPO gegen Auflage ist keine einsame Entscheidung des Richters gegen den Willen aller Beteiligten und kann daher nur mit Zustimmung des Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft erfolgen.
Das ist mir klar. Aber es war für alle auch der bequemste Weg. Der Anwalt ging kein Risiko ein, denn wenn er den Angeklagten durch alle Instanzen gejagt hätte und dieser am Ende trotzdem verurteilt worde wäre, wäre es teuer für den Mandanten geworden. Die Einstellung war definitiv mit weniger Risiken verbunden. Der Staatsanwalt wollte sich da wahrscheinlich einfach nicht querstellen (die Auflage war schon nicht ohne) und vielleicht hatte er auch keine Lust, weiter in die Materie einzusteigen (es ging um Sportwetten und Anwendbarkeit des GlüStV mit ausländischem Bezug) außerdem hätte er die Berufung schreiben müssen, da der Richter wohl dazu neigte freizusprechen. Und der Richter wollte halt nicht zwingend aufgehoben werden. Aber als die Sitzung geschlossen wurde standen auf und meinten, dass es ja eigentlich schade ist, so haben sie ja immernoch keine Ahnung, wie weiter zu verfahren ist - ach nee!
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Mr_Black
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Mr_Black »

carstella hat geschrieben: Das ist mir klar. Aber es war für alle auch der bequemste Weg. Der Anwalt ging kein Risiko ein, denn wenn er den Angeklagten durch alle Instanzen gejagt hätte und dieser am Ende trotzdem verurteilt worde wäre, wäre es teuer für den Mandanten geworden. Die Einstellung war definitiv mit weniger Risiken verbunden. Der Staatsanwalt wollte sich da wahrscheinlich einfach nicht querstellen (die Auflage war schon nicht ohne) und vielleicht hatte er auch keine Lust, weiter in die Materie einzusteigen
Tja und das sind schon die Gründe. Das hat weniger mit der Angst eines Richters zu tun aufgehoben zu werden.
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Achim
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Achim »

carstella hat geschrieben: Wird es in der Pesonalakte notiert, wenn ein Richter mit seiner Entscheidung aufgehoben wird? Wenn ja, welche Konsequenzen hat das?

Sorry, aber in meiner "jugendlichen Naivität" denke ich, dass es doch erstrebenswert wäre, wenn ein Richter frei von Zwängen nur nach dem Gesetz und seinem Gewissen entscheidet und so auch mal längst überfällige Änderungen antiquierter Rechtsprechung ermöglicht. Das ist doch kaum noch möglich, wenn die erstinsanzlichen Richter aus Angst aufgehoben zu werden immer im Sinne der höheren Gerichte entscheiden. Verstehe ich da was falsch?

Grüße
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Ähm, mit Verlaub, das würde mittelbar gegen Art. 97 GG (richterliche Unabhängigkeit) verstoßen. Die Zahl der Aufhebungen wird m.W. nirgendwo vermerkt und ist auch - zumindest bei uns - grds. nicht von Belang. Es macht natürlich irgendwann einen schlechten Eindruck, wenn man andauernd aufgehoben wird. Wie überall auf der Welt spricht sich das dann - obwohl die Mühlen im öD langsam mahlen - bis zu den Personalverantwortlichen rum. Dass man dann bei einer Beförderung u.U. mit Vorurteilen zu kämpfen hat, ist nicht nur in der justiz so.

Aber: Don't panic! :D
Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren (Bertold Brecht)
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law and order
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von law and order »

carstella hat geschrieben:
Ich war während der Wahlstation beim Strafrichter und erstanut darüber, dass die Richter so eine Angst davor haben, aufgehoben zu werden. Aber warum?
Ich habe von einer Strafrichterin am Amtsgericht erfahren, dass der zuständige Präsident des LG dies dann mitbekommt, was sich negativ in der von ihm zu verfassenden dienstlichen Beurteilung niederspiegeln kann. Damit verschlechtern sich die Chancen der Richter auf eine Beförderung.
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batman
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von batman »

Achim hat geschrieben:Die Zahl der Aufhebungen wird m.W. nirgendwo vermerkt und ist auch - zumindest bei uns - grds. nicht von Belang.
So ist es!

Es ist auch m.E. keine Angst. Jeder Vorderrichter weiß, dass das Rechtsmittelgericht die Sache anderes sehen kann. Ob das dann die "richtigere" Entscheidung ist, weiß ohnehin niemand. Im Zivilprozess sind wirkliche Aufhebungen etwas seltener - das Berufungsgericht vergleicht solche Sachen eher.
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Volki
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Volki »

Keiner hat Angst, aufgehoben zu werden. Darum geht es nicht. Es handelt sich vielmehr um die weitverbreitete Angst des Richters vor dem Urteilschreiben. Einstellung: Kein Urteil schreiben. Keine Arbeit. 14.30 Schluss. Freundin freut sich. Sehr gut. Rechtsmittelverzicht oder kein Rechtmittel: Abgekürztes Urteil schreiben. Kaum Arbeit. 15.30 Schluss. Kinder freuen sich. Nicht schlecht. Rechtsmittel: Urteil schreiben, mit Feststellungen zur Person, zur Sache, zu den Gründen und zur Strafzumessung. Ganz viel Arbeit. 18.30 Schluss. Frau sauer. Ganz schlecht.
Die Robe ist über der Kleidung zu tragen.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Scaevola »

Aber was ist mit den Idealisten im Richteramt? :D
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batman
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von batman »

Die drücken sich nicht vorm Urteile schreiben.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Zippocat »

Idealismus und effizientes "Hinarbeiten" auf eine Einstellung oder einen RM-Verzicht schließen sich nicht aus.

Es befriedigt weder meinen Idealismus noch fördert es den Rechtsfrieden, wenn ich zu einer glatten Trunkenheitsfahrt mit 1.7 Promille ein rechtsmittelfähiges Urteil schreibe. Selbstverständlich hat der Angeklagte ein Recht darauf, aber es führt zu nichts und bindet meine Zeit. Andererseits habe ich gerade ein Urteil mit 15 Seiten zu einem in der Sitzung rechtskräftigem Freispruch geschrieben. Weil ich es wollte. Wie so oft: es kommt darauf an.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Swann »

Zippocat hat geschrieben:Idealismus und effizientes "Hinarbeiten" auf eine Einstellung oder einen RM-Verzicht schließen sich nicht aus.

Es befriedigt weder meinen Idealismus noch fördert es den Rechtsfrieden, wenn ich zu einer glatten Trunkenheitsfahrt mit 1.7 Promille ein rechtsmittelfähiges Urteil schreibe. Selbstverständlich hat der Angeklagte ein Recht darauf, aber es führt zu nichts und bindet meine Zeit. Andererseits habe ich gerade ein Urteil mit 15 Seiten zu einem in der Sitzung rechtskräftigem Freispruch geschrieben. Weil ich es wollte. Wie so oft: es kommt darauf an.
Wie umgehst du denn ein rechtsmittelfähiges Urteil bei einer TF mit 1,7 Promille? Stellst du die Sache ein? Das kann ich mir nicht vorstellen, denn damit nimmst du dir die 69er-Möglichkeiten und ist mW bei TF auch völlig unüblich. Drängst du zu einer Absprache? Dann ist aber ein Rechtsmittelverzicht nicht möglich.
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Zippocat
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Zippocat »

Häufig laufen die TiV als Strafbefehle, so dass die Einspruchsrücknahme (wenn die StA zustimmt) möglich ist. Eingestellt wird das - zurecht - nie. Ansonsten führt eine Absprache zwar dazu, dass das Urteil nicht in der Sitzung rechtskräftig werden kann, aber bei einer Absprache legt ja trotzdem binnen Wochenfrist regelmäßig keiner ein Rechtsmittel ein, so dass sich der Schreibaufwand in Grenzen hält.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von TimAdomeit »

Scheint eher die Angst davor zu sein, in der Kaffepause zwischen Frühstückspause und Mittagsessen sowie der Kaffeepause zwischen Mittagspause und vorzeitigem Feierabend Gesprächsstoff zu sein ;-)
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Falls ich mal nicht sofort "repliziere"... Entschuldigung - ich lebe nicht online.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Iuridicus »

Muss man als Proberichter Angst vor Berufungen haben im Hinblick auf die dienstliche Beurteilungen und die Berufungsquote
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