Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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j_laurentius
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von j_laurentius »

Nein, das ist ja der weiter oben schon verlinkte Fall. Mir schwebt irgendwas im Kopf herum von einem sozialrechtlichen Fall, in dem der Anwalt angeblich ein Gerichtsverfahren führte und an den Mandanten nach dessen angeblichem Obsiegen sogar einen fünfstelligen Betrag, den die Gegenseite angeblich gezahlt hatte, auskehrte. Gegen den Anwalt wurden berufsrechtliche Schritte eingeleitet und da half es ihm dann auch nichts, daß er seinem Mandanten ja im Ergebnis nicht geschadet hatte...
Iuridicus
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Iuridicus »

Also sie hat ein bombenzeugnis bekommen, von der Präsidentin wurde sie insbesondere für den Stil ihrer Urteile gelobt. Trotzdem versteht sie die Welt gerade wieder nicht mehr, weil die letzte Zeit sehr viele Urteile wieder in die Berufung gegangen sind und sie nicht versteht warum. Sie ist schon ein wenig verzweifelt, da sie sich sehr viel Mühe gibt und sie Berufungen kassiert, wo in gleich gelagerten Fällen die kurzen Urteile ihrer älteren Kollegen rechtskräftig werden. Von insgesamt ihrer 215 Urteile 36 in die Berufung gegangen .

Edit: von den 36 Berufungen hat sie zehn zurück, drei Vergleiche, 2 Rücknahmen nach Hinweis gemäß § 522 zpo und fünf berufungszurückweisungen.
Syd26
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Syd26 »

Ich glaube, es wurde schon geschrieben, warum man Berufung einlegt. Manchmal hat das völlig irrationale Gründe.

- es geht den Parteien ums Prinzip
- die RSV zahlt
- man will einfach die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hören, um sich evtl. in 2. Instanz zu vergleichen
- Mandant ist beratungsresistent (und da ist ein Hinweis nach § 522 ZPO aus Anwaltssicht sehr willkommen)
"Eine Verschiebung eines Termins setzt jedoch denklogisch voraus, dass vorher ein fester Termin vereinbart worden ist."
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Niederegger »

Man muss sich von dem Gedanken lösen, es allen recht machen zu können, auch mit noch so viel Mühe. Das gelingt schon dem Vertragsjuristen nicht, dem Richter oder Prozeßanwalt, denke ich, naturgemäß noch weniger. Vielleicht hilft der Gedanke, dass der Berufungsführer, der sich zB gegen eine völlig zu Recht ergangene Entziehung der Fahrerlaubnis wendet, wegen der Auswirkungen auf seine berufliche Existenz noch viel verzweifelter sein kann als die urteilende Richterin?
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julée
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von julée »

Iuridicus hat geschrieben:Sie ist schon ein wenig verzweifelt, da sie sich sehr viel Mühe gibt und sie Berufungen kassiert, wo in gleich gelagerten Fällen die kurzen Urteile ihrer älteren Kollegen rechtskräftig werden.
Wo keine vernünftige Begründung steht, kann man auch nichts angreifen. Vllt. führt bei dem ein oder anderen Mandanten ja auch eine gute Begründung mit dem Für und Wider gerade dazu, dass er der Ansicht sind, er hätte aber fast gewonnen und deshalb lohne sich die Berufung auf jeden Fall? :-k
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Urs Blank
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Urs Blank »

Syd26 hat geschrieben:Ich glaube, es wurde schon geschrieben, warum man Berufung einlegt. Manchmal hat das völlig irrationale Gründe.

- es geht den Parteien ums Prinzip
- die RSV zahlt
- man will einfach die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hören, um sich evtl. in 2. Instanz zu vergleichen
- Mandant ist beratungsresistent (und da ist ein Hinweis nach § 522 ZPO aus Anwaltssicht sehr willkommen)
Und oft geht's schlicht darum, durch das Rechtsmittel die Rechtskraft noch herauszuzögern, um z. B. (im Strafrecht) nicht "sofort" in Haft zu müssen, das Geld für die Geldstrafe zusammenzubringen, das Fahrverbot zu vertagen, u. ä.
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batman
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von batman »

Urs Blank hat geschrieben:Und oft geht's schlicht darum, durch das Rechtsmittel die Rechtskraft noch herauszuzögern...
Das gilt v.a. auch für Beklagte in Liquiditätsschwierigkeiten. Die wenigsten Kläger werden die Sicherheitsleistung auf den Tisch legen und aus dem erstinstanzlichen Urteil trotz Berufung vollstrecken.
Iuridicus
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Iuridicus »

Also meint ihr es ist alles gut?
falsus
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von falsus »

Als Bonmot zur "Angst des Richters, aufgehoben zu werden":
Ich habe neulich ein Urteil gelesen, in dem die gleiche Kammer in der selben Sache auch das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz hatte. Der einstweilige Beschluss ist aufgehoben worden, was die Kammer aber nicht daran hinderte, im Hauptsacheverfahren wieder wie im einstw. Verfahren zu entscheiden und als Rechtsprechungshinweis lapidar "a.A. Beschwerdeinstanz vom 11.11.11, Az. XYZ" angab und dadurch auf das einstweilige Verfahren verwies.
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Re: AW: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von markus87 »

Iuridicus hat geschrieben:Also meint ihr es ist alles gut?
Nein. Sie sollte dringend psychologische Hilfe in Anspruch nehmen. Sonst war es das mit dem Staatsdienst spätestens, sobald etwas wirklich nicht ganz perfekt läuft.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von 11 Freunde »

julée hat geschrieben:
Iuridicus hat geschrieben:Sie ist schon ein wenig verzweifelt, da sie sich sehr viel Mühe gibt und sie Berufungen kassiert, wo in gleich gelagerten Fällen die kurzen Urteile ihrer älteren Kollegen rechtskräftig werden.
Wo keine vernünftige Begründung steht, kann man auch nichts angreifen. Vllt. führt bei dem ein oder anderen Mandanten ja auch eine gute Begründung mit dem Für und Wider gerade dazu, dass er der Ansicht sind, er hätte aber fast gewonnen und deshalb lohne sich die Berufung auf jeden Fall? :-k
Dieses Gefühl habe ich mittlerweile auch. Ich sehe es bspw. bei Klagen wegen restlicher Mietwagenkosten. Vom Rechenmodus haben eine Kollege und ich das selbe Verfahren angewandt, bei identischen Parteivertretern und nahezu identischem Streitwert. Bei meinem Kollegen steht in den Entscheidungsgründen quasi ein Satz ("Das Gericht erachtet gemäß § 287 ZPO einen Betrag von xx für ersatzfähig"). Ich gehe in meinen Urteilen auf die von den Parteien vorgebrachten Argumente ein. Sein Urteil wird rechtskräftig, meins nicht. Im Grunde (aber nicht der Höhe nach :D ) kann ich dir Sorgen deiner Schwester zumindest zum Teil nachvollziehen. Ich habe zur Zeit auch eine Phase, in der ich dem Gefühl nach machen kann, was ich will, ich kassiere eine Berufung. Das nervt schon.
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Maik84 »

Der Großteil wird doch aber gehalten. Gerade bei den leidigen Mietwagenkosten. :)
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Bart Wux »

Maik84 hat geschrieben:Der Großteil wird doch aber gehalten. Gerade bei den leidigen Mietwagenkosten. :)
Mein letztes Mietwagenkosten-Urteil hat das LG aufgehoben. :( Ich war da eigentlich von überzeugt (ok, sonst hätt ich natürlich auch nicht so urteilen dürfen). Andererseits hatte ich ein Urteil, wo ich nie im Leben mit einer Berufung gerechnet hatte und dem entsprechend, sagen wir, jetzt nicht unbedingt für eine Veröffentlichung in der NJW geeignet wäre. Das Teil hatte vielleicht 6 Sätze. Das wurde gehalten. Generell hab ich schon alles erlebt. Beschlüsse oder Urteile, von denen ich vorher ein Rechtsmittel garantiert hätte, die rechtskräftig wurden und vermeintlich klare Sachen, die in die nächste Instanz gehen. System gibt es da keines dahinter.
"Attempted murder. Now honestly, what is that? Do they give a Nobel Prize for attempted chemistry?"

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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Thandor79 »

Naja, wenn die Entscheidung richtig war und eine kurze Begründung reicht, warum dann aufheben?

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Bart Wux
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Re: Angst des Richters aufgehoben zu werden - warum?

Beitrag von Bart Wux »

Von der Richtigkeit bin ich auch nach wie vor überzeugt. Letztlich hieß meine Begründung nur, dass die Klägerin nicht substantiiert genug in einem wesentlichen Punkt vorgetragen hat. Gleichwohl, hätte ich geahnt, dass die Landrichter da noch mal drüber sehen, hätte ich mir vielleicht auch gesagt: Komm, etwas ausführlicher geht das wohl noch. Ich mein, die Rechtsmittelbelehrung hat mehr Platz auf der Seite eingenommen als meine Begründung.
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