Was Richter sich von Anwälten wünschen

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

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[enigma]
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von [enigma] »

Ara hat geschrieben:
Aber wer eine Verständigung in einer Wirtschaftstrafsache möchte, der ist in der Regel bemüht die Stimmung im Gerichtssaal nicht zu eisig werden zu lassen.
Wobei die Verständigungsbereitschaft des Gerichts auch und gerade in Wirtschaftsstrafsachen doch eher weniger mit Sympathie für die Verteidigung zu tun hat, als vielmehr mit der Aussicht, ein komplexes Verfahren mit möglichst geringem Aufwand zu beenden. Diese Bereitschaft kann der Verteidiger dann durchaus fördern, indem er den Weg zu einer Verurteilung eben möglichst steinig macht. Zwischen "prozessordnungsgemäß aber aggressiv" (das kann in einigen Strafverfahren durchaus angezeigt sein), "schlechtem Benehmen" und "eisiger Stimmung im Gerichtssaal" gibt es zumindest unter vernünftigen und erwachsenen Profis doch ne Menge Spielraum. Gegen "hart in der Sache, sachlich im Ton" spricht doch gerade im Strafverfahren wirklich nichts. Allerdings verwechseln leider viele (nicht alle) Staatsanwälte und Richter die angemessene Härte in der Sache mit Konfliktverteidigung. Dass es auch Strafverteidiger gibt, die dabei weit übers Ziel hinaus schießen und ihrem Mandanten damit sogar schaden, ist auch richtig. Beides kann man aber wohl nicht verallgemeinern, deshalb sehe ich den grundlegenden Konflikt irgendwie nicht.
11 Freunde hat geschrieben:Diesen Schwachsinn liest bzw. hört man öfter, um den ehrhaften Strafverteidiger als huldvollen Retter der Gerechtigkeit anzupreisen. Richtiger wird es dadurch leider nicht....
Ich würde das nicht als Schwachsinn abtun, es ist natürlich eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge. Die haben viele (glücklicherweise nicht alle) Staatsanwälte und Richter aber auch, nur eben anders herum.
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julée
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von julée »

[enigma] hat geschrieben:Ich würde das nicht als Schwachsinn abtun, es ist natürlich eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge. Die haben viele (glücklicherweise nicht alle) Staatsanwälte und Richter aber auch, nur eben anders herum.
M. E. muss man sich aber nicht die naheliegende Sicht des Mandanten, der Gericht und StA per se als feindlich gesinnt und von Verfolgungseifer gekennzeichnet sieht, zu Eigen machen. In vielen Fällen ist der Strafverteidiger eben nicht als der edle Ritter gefragt, der den Angeklagten vor eine völlig aus der Luft gegriffenen Anklage und einer Justiz, die ihn trotzdem um jeden Preis verurteilen möchte, retten muss. In den allermeisten Fällen möchte die Justiz den Angeklagten auch nicht in seiner Existenz "vernichten" (ja, natürlich geht es für den Angeklagten um existenzielle Fragen, aber daraus folgt nicht zwingend ein "Vernichtungswille"), sondern eine Straftat aufklären - mit welchem Ergebnis auch immer. Wer mit einer solchen Sichtweise an die Dinge herangeht, wird natürlich sämtliche Verhaltensweisen der Gegenseite als Bestätigung seiner Ausgangshypothese ansehen bzw. auch entsprechende Verhaltensweisen provozieren. Das gilt natürlich auch umgekehrt.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Ich würde das nicht als Schwachsinn abtun, es ist natürlich eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge. Die haben viele (glücklicherweise nicht alle) Staatsanwälte und Richter aber auch, nur eben anders herum.
M. E. muss man sich aber nicht die naheliegende Sicht des Mandanten, der Gericht und StA per se als feindlich gesinnt und von Verfolgungseifer gekennzeichnet sieht, zu Eigen machen. In vielen Fällen ist der Strafverteidiger eben nicht als der edle Ritter gefragt, der den Angeklagten vor eine völlig aus der Luft gegriffenen Anklage und einer Justiz, die ihn trotzdem um jeden Preis verurteilen möchte, retten muss.
Das sehe ich grundsätzlich auch so. Zumindest in den allermeisten Fällen.
julée hat geschrieben: In den allermeisten Fällen möchte die Justiz den Angeklagten auch nicht in seiner Existenz "vernichten" (ja, natürlich geht es für den Angeklagten um existenzielle Fragen, aber daraus folgt nicht zwingend ein "Vernichtungswille"), sondern eine Straftat aufklären - mit welchem Ergebnis auch immer.
In den allermeisten - vor allem den alltäglichen - Fällen mag das stimmen, oft genug lässt zumindest die Staatsanwaltschaft aber eben jene Objektivität vermissen. Das werfe ich ihr gerade bei schweren Tatvorwürfen nicht mal vor, das liegt wohl eher in der Natur der Sache. Dennoch ist die Staatsanwaltschaft ja von der Schuld des Angeklagten überzeugt und dessen Verurteilung in der überwiegenden Anzahl der Fälle ihr Arbeitsziel. Die Mär von der "objektivsten Behörde der Welt" ist also genauso einseitig und in der Praxis unrichtig wie das Selbstverständnis vieler Verteidiger, die sich als weisse Ritter im Kampf gegen den bösen Staat stilisieren.

Richtig ist jedenfalls, dass dem Mandanten oft weder mit einer krawallartigen Konfliktverteidigung, noch mit einer um Harmonie bemühten Verhandlungsbegleitung gedient ist. Den perfekten Mittelweg zu finden ist die Herausforderung. Mag sein, dass ich den TE falsch verstehe, aber unter "prozessordnungsgemäß, aber aggressiv" sehe ich per se noch kein Problem, es kommt halt auf den Einzelfall an.

Ein gutes Beispiel für extrem verhärtete Fronten zwischen Verteidigung, StA und Gericht kann man übrigens in dieser empfehlenswerten Doku sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=32r0lMNUmvE
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Ara
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von Ara »

julée hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Ich würde das nicht als Schwachsinn abtun, es ist natürlich eine sehr einseitige Sicht auf die Dinge. Die haben viele (glücklicherweise nicht alle) Staatsanwälte und Richter aber auch, nur eben anders herum.
M. E. muss man sich aber nicht die naheliegende Sicht des Mandanten, der Gericht und StA per se als feindlich gesinnt und von Verfolgungseifer gekennzeichnet sieht, zu Eigen machen. In vielen Fällen ist der Strafverteidiger eben nicht als der edle Ritter gefragt, der den Angeklagten vor eine völlig aus der Luft gegriffenen Anklage und einer Justiz, die ihn trotzdem um jeden Preis verurteilen möchte, retten muss. In den allermeisten Fällen möchte die Justiz den Angeklagten auch nicht in seiner Existenz "vernichten" (ja, natürlich geht es für den Angeklagten um existenzielle Fragen, aber daraus folgt nicht zwingend ein "Vernichtungswille"), sondern eine Straftat aufklären - mit welchem Ergebnis auch immer. Wer mit einer solchen Sichtweise an die Dinge herangeht, wird natürlich sämtliche Verhaltensweisen der Gegenseite als Bestätigung seiner Ausgangshypothese ansehen bzw. auch entsprechende Verhaltensweisen provozieren. Das gilt natürlich auch umgekehrt.
Aber gerade bei einem offensichtlich schuldigen Angeklagten zeigt sich doch der Verfolgungseifer und die Feindlichkeit von StA und Gericht? Wenn Gericht und StA von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind, werden sie alles versuchen ihm eine Strafe aufzubrummen. Selbst wenn sie "gerecht" (was auch immer das ist) sein mag, so ist sie häufig doch existenzbedrohend.

Und hier hat der Mandant nun mal das Recht auf eine "prozessordnungsgemäße" Verteidigung. Der klassische Lehrbuchfall ist doch der offensichtliche Mord, bei dem schon früh im Verfahren offenkundig ist, dass das LG verurteilen will zu lebenslang + Schwere der Schuld. Hier ist es doch gerade Pflicht des Verteidigers mögliche Fallstricke für eine Revision zu legen und auch, für das Gericht absurde, Anträge zu stellen. Wir hatten das Thema ja schon bei den Befangenheitsanträgen, in solchen Fällen ist es ja manchesmal sogar ein handwerklicher Fehler nicht die Befangenheit zu rügen, auch wenn sie aussichtslos sind. Und das kann auch mal aggressiv und provokant erfolgen, denn genau das verleitet ja das Gericht vielleicht zu Fehlern.

Natürlich ist das nicht "höflich", weil es Gericht und StA unnötige Arbeit macht. Aber das ist nun mal der Job des Verteidigers für den er vom Mandanten bezahlt wird. Und wenn eine "Konfliktverteidigung" (auch wieder etwas, was kaum zu definieren ist) mal sinnvoll ist, dann muss das Gericht damit halt leben. Aber wir stimmen ja alle überein, dass es wirklich Ausnahmen sind, wo solch eine Strategie angebracht ist. In den meisten Fällen kommt man natürlich mit professionellem Abstand zur Sache und einem gepflegten Umgang deutlich weiter.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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batman
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von batman »

[enigma] hat geschrieben:Allerdings verwechseln leider viele (nicht alle) Staatsanwälte und Richter die angemessene Härte in der Sache mit Konfliktverteidigung.
Ich weiß nicht genau, woher Deine Erfahrungen stammen, aber viele (nicht alle) Staatsanwälte und Richter können beide Varianten durchaus vorneinander unterscheiden.
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non-liquet
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von non-liquet »

Ara hat geschrieben:Und hier hat der Mandant nun mal das Recht auf eine "prozessordnungsgemäße" Verteidigung. Der klassische Lehrbuchfall ist doch der offensichtliche Mord, bei dem schon früh im Verfahren offenkundig ist, dass das LG verurteilen will zu lebenslang + Schwere der Schuld. Hier ist es doch gerade Pflicht des Verteidigers mögliche Fallstricke für eine Revision zu legen und auch, für das Gericht absurde, Anträge zu stellen.
Am laufenden Meter offenkundig substanzlose Anträge zu stellen, hat mit prozessordnungsgemäßer Verteidigung denkbar wenig zu tun.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von [enigma] »

batman hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Allerdings verwechseln leider viele (nicht alle) Staatsanwälte und Richter die angemessene Härte in der Sache mit Konfliktverteidigung.
Ich weiß nicht genau, woher Deine Erfahrungen stammen, aber viele (nicht alle) Staatsanwälte und Richter können beide Varianten durchaus vorneinander unterscheiden.
Was kein Widerspruch zu meiner Aussage ist ;) Mir fällt in Gesprächen mit Staatsanwälten im Freundes- und Bekanntenkreis nur immer wieder auf, dass die Schwelle, ab der eine Verteidigungsstrategie als "aggressiv" wahrgenommen wird doch sehr niedrig zu liegen scheint. Da wird dann abfällig über "taktische" Beweisanträge oder "harte" Zeugenbefragungen gesprochen. Genau solche Maßnahmen können im Einzelfall durchaus den Unterschied für den Angeklagten machen, dafür wird der Verteidiger - wie von Ara richtig gesagt - bezahlt. Umgekehrt gibt es natürlich auch viele Verteidiger, die Staatsanwälten einen persönlichen Verurteilungseifer vorwerfen, obwohl sie nur ihren Job machen. Letztendlich ist ein gewisses Maß an Konfliktpotenzial dem Strafprozess doch immanent, das liegt eben in der Natur des Strafverfahrens mit seinem im Vergleich zum Zivilprozess ungleichen Kräfteverhältnis.

Und ich behaupte eben nicht, dass Staatsanwälte grundsätzlich unprofessioneller und persönlicher an ein solches Verfahren herangehen würden, als Strafverteidiger. Mir geht es nur darum, dass beide Seiten vielleicht etwas Empathie für die jeweils andere Seite zeigen sollten, ein Mindestmaß an Respekt versteht sich ohnehin von selbst und fehlt in den meisten Fällen ja auch nicht. Dann würde eine "prozessordnungsgemäße aber aggressive" Verteidigung dem TE auch vielleicht etwas weniger Bauchschmerzen bereiten.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von julée »

Ara hat geschrieben: Aber gerade bei einem offensichtlich schuldigen Angeklagten zeigt sich doch der Verfolgungseifer und die Feindlichkeit von StA und Gericht? Wenn Gericht und StA von der Schuld des Angeklagten überzeugt sind, werden sie alles versuchen ihm eine Strafe aufzubrummen. Selbst wenn sie "gerecht" (was auch immer das ist) sein mag, so ist sie häufig doch existenzbedrohend.
Ja, die Verurteilung eines Angeklagten, der es nach allen zur Verfügung stehenden, verwertbaren Beweisen war, ist Ziel des Strafverfahrens. Daraus folgt aber noch nicht ein feindlicher Verfolgungseifer der Justiz, wenn sie einfach ihren Job macht. Und wenn die StA der (ggf. naheliegenden) Ansicht ist, es sei Mord und die besondere Schwere der Schuld festzustellen, dann bleibt für die Verteidigung noch genügend Spielraum, um für den Angeklagten das Beste herauszuholen.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von [enigma] »

julée hat geschrieben:
Ja, die Verurteilung eines Angeklagten, der es nach allen zur Verfügung stehenden, verwertbaren Beweisen war, ist Ziel des Strafverfahrens. Daraus folgt aber noch nicht ein feindlicher Verfolgungseifer der Justiz, wenn sie einfach ihren Job macht.
Feindlich oder nicht ist für den Angeklagten und die Verteidigung doch völlig egal, es geht nur um den Verurteilungseifer (oder sachlicher formuliert: die Verurteilungsabsicht). Dass das der Job der StA ist, bestreitet niemand. Der Job der Verteidigung besteht umgekehrt darin, für den Mandanten das Beste herauszuholen. Bei sicherer Verurteilung und wenig Spielraum im Strafmaß ist das eben zumindest die Revisionsmöglichkeit. Und wenn die Verteidigung die Möglichkeit sieht, das Gericht durch eine entsprechende prozessordnungsgemäße Strategie zu Fehlern zu verleiten, muss diese Strategie doch nicht falsch sein und persönlich oder unsachlich ist sie in den meisten Fällen erst recht nicht.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von batman »

[enigma] hat geschrieben:Bei sicherer Verurteilung und wenig Spielraum im Strafmaß ist das eben zumindest die Revisionsmöglichkeit.
Diese Möglichkeit ist aber ihrerseits nicht zwingend "das Beste" für den Mandanten. Der hockt u.U. länger als ihm lieb ist in U-Haft.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von julée »

@[enigma]: Es ging mir insoweit vor allem um die Formulierung von Ara, der meint, die Anklageerhebung sei schon so unhöflich (quasi ein feindlicher Akt), dass vom Verteidiger kein höflicher Umgang mit den Beteiligten erwartet werden könne und rechtfertige vielmehr auch ein aggressives Verhalten (und darunter würde ich noch nicht allein nervige, weil unbequeme Anträge oder Zeugenbefragungen fassen, sondern einen allgemeinen Umgangston, der in dem Freund/Feind-Schema denkt). Umgekehrt: auch Befangenenheitsanträge oder schwachsinnige Beweisanträge kann man im Rahmen eines sachlich-höflichen Miteinanders vorbringen.
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von Ara »

julée hat geschrieben:@[enigma]: Es ging mir insoweit vor allem um die Formulierung von Ara, der meint, die Anklageerhebung sei schon so unhöflich (quasi ein feindlicher Akt), dass vom Verteidiger kein höflicher Umgang mit den Beteiligten erwartet werden könne und rechtfertige vielmehr auch ein aggressives Verhalten.
Die letztere Assoziation wollte ich damit gar nicht ausdrücken. Es ging mir tatsächlich um die bedingungslose Höflichkeit die man einfordert und wollte nur darauf hinweisen, dass für den Angeklagten die Anklageerhebung kein Akt der Höflichkeit ist.

All in all sind wir glaube ich gar nicht so weit auseinander mit unseren Ansichten alle.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von Ara »

duhastangefangen hat geschrieben:
Und wenn die Verteidigung die Möglichkeit sieht, das Gericht durch eine entsprechende prozessordnungsgemäße Strategie zu Fehlern zu verleiten, muss diese Strategie doch nicht falsch sein und persönlich oder unsachlich ist sie in den meisten Fällen erst recht nicht.
Wenn ein Verteidiger Anträge stellt, die einzig dem Sinn dienen, das Gericht zu möglichen Fehlern zu verleiten, dann hat dieser Verteidiger meiner Meinung nach einen Berufsethos, der mit der Rolle des Anwalts als Organ der Rechtspflege nichts mehr zu tun hat.
Unabhängiges Organ der Rechtspflege bitte.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von Tibor »

duhastangefangen hat geschrieben:
Und wenn die Verteidigung die Möglichkeit sieht, das Gericht durch eine entsprechende prozessordnungsgemäße Strategie zu Fehlern zu verleiten, muss diese Strategie doch nicht falsch sein und persönlich oder unsachlich ist sie in den meisten Fällen erst recht nicht.
Wenn ein Verteidiger Anträge stellt, die einzig dem Sinn dienen, das Gericht zu möglichen Fehlern zu verleiten, dann hat dieser Verteidiger meiner Meinung nach einen Berufsethos, der mit der Rolle des Anwalts als Organ der Rechtspflege nichts mehr zu tun hat.
Nunja, verstehen kann ich genau das aber schon. Denn ein Fehler des Gerichts eröffnet idR eine neue Instanz. Da habe ich schon Verständnis, dass man diesen Weg versucht. Wenn also ein Verteidiger - oder auch jenseits des Strafrechts - Beweisanträge stellt, muss man die eben beachten. Entweder man geht diesen nach oder man begründet halt sauber, warum man es nicht machen musste. Das ist eben der Job des Richters. Es heißt ja nicht umsonst Prozess iSv "die Handlungen die zum Urteil führen". Macht der Richter einen Fehler, entspricht es also nicht nur dem Gesetz, sondern auch dem richtigen Bauchgefühl, wenn es neu verhandelt wird.

Das ist wie beim Fall, der hier geschildert wird:

http://www.focus.de/regional/potsdam/pr ... 48129.html

Natürlich hätte man als Verteidiger auch das Gericht darauf hinweisen können, ggf einen Ersatzschöffen gleich im Boot zu haben. Ist aber auch nicht die Aufgabe des Anwalts.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
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Re: Was Richter sich von Anwälten wünschen

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ara hat geschrieben:
Tanja110 hat geschrieben: Ich wünsche mir von Anwälten vor allem eins: Höflichkeit. Wer meint, Rechte "prozessordnungsgemäß", aber aggressiv durchsetzen zu müssen, ist meiner Meinung nach sowohl als Richter als auch als Anwalt ungeeignet. Für aggressives und provokantes Verhalten gibt es meiner Meinung nach niemals einen Grund, ohne Ausnahmen (ja, ich weiß, dass es auch Richter gibt, die sich tierisch danebenbenehmen ;) ).
Die Einstellung werde ich nie verstehen. Im Strafprozess versuchen Gericht und Staatsanwalt die Existenz des (möglicherweise unschuldigen) Angeklagten zu vernichten. Beide haben schon vorher durch Anklageerhebung und dem Zwischenverfahren deutlich gemacht, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgehen. Und dann wird tatsächlich bedingungslose "Höflichkeit" verlangt? Die meisten Angeklagten finden die Anklageerhebung/Eröffnung des Hauptverfahrens auch nicht besonders "höflich" von Gericht und Staatsanwaltschaft.

Man muss ja nicht den Choleriker von Anfang an in jedem Prozess raushängen lassen. Aber wenn das Gericht ganz offensichtlich kein Interesse an ein faires Verfahren hat und nur noch das Ziel einer schnellen Verurteilung verfolgt, dann erwarte ich von meinem Strafverteidiger keine "Höflichkeit" gegenüber dem Gericht, sondern dass er aggressiv alle meine prozessualen Rechte durchsetzt, auch wenn er es sich dann mit dem Gericht verscherzt (was ja eh egal ist, wenn die Vorverurteilung schon in den Köpfen ist).

Im Grundsatz kommt man aber, wie immer im Leben, mit Höflichkeit natürlich immer weiter, als mit Kampf. Aber ein Gerichtsverfahren ist ja nicht dafür da, damit die Juristen gegenseitig Höflichkeiten und Respekt austauschen. Von daher halte ich aggressives aber prozessordnungsgemäßes Verhalten für ein legitimes Mittel.

But just my 2 cent.
Diese Einstellung teile ich absolut überhaupt nicht. Ich schließe mich eher meinen Vorrednern an. Hart in der Sache, aber höflich und respektvoll im Benehmen ist der richtige Weg. Ich finde es eine Schande für die Justiz, wenn Anwälte oder Richter sich im Gerichtssaal aggressiv verhalten. Es ist völlig unnötig und schadet dem Mandanten eher als dass es ihm nutzt. Das sehen die aggressiven Anwälte anscheinend nicht. Ich finde es ein Unding, wenn man einem Mandanten mit Rumgeböbel imponieren will. Am meisten imponiert man doch dem Mandant, wenn man etwas für ihn rausholt. Und dass mit Aggressivität zu versuchen, ist ein sehr hohes Risiko.
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