Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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Ara
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von Ara »

Anne_Boleyn hat geschrieben:Und man würde zumindest mal das Gespräch mit dem Richter suchen.
Erklärt so einiges in Bayern...

Zur Ausgangsfrage: Außerhalb Bayerns passiert dir wohl eher nichts...

Jahrelang gab es hier bei uns die Jugendrichter in Abt. 113 und 114 für die sich die Sprüche bei den Jugendlichen eingebürgert hatten "Eins Eins Drei und du kommst frei" und "Eins Eins Vier und du bleibst hier"... Ersterer hat aus Prinzip keine Jugendstrafe ausgesprochen, letztere war ein harter Hund.

Die einzige Konsequenz ist, dass die Staatsanwälte sich in der Kantine über dich aufregen.

Dass ein Staatsanwalt sich jedoch wirklich anmaßt ein "Gespräch zu suchen", wäre hier aber ebenfalls undenkbar. Maximal entsteht hier der Dialog, wenn der Richter am Ende der Verhandlung (in Abwesenheit des Angeklagten) den Sitzungsvertreter fragt, ob er eine Rechtsmittelempfehlung in den Sitzungsvermerk schreibt. Dann mag es sein, dass der Staatsanwalt in dem konkreten Fall anspricht, dass er die Strafe für deutlich zu lasch hält. Aber ansonsten sind sich hier wohl tatsächlich die meisten Staatsanwälte bewusst, dass es ihnen nicht zusteht einem Richter zu erklären, ob er seinen Job anständig macht. Es liegt nun einmal häufig in der Natur der Sache, dass die Staatsanwaltschaft die Sache etwas strenger sieht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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batman
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von batman »

Auch in Bayern würde allenfalls der Abteilungsleiter (OStA) das Gespräch mit dem Amtsrichter suchen, wohl wissend, dass er außer einem Rechtsmittel im konkreten Fall keine Handhabe hat.
OJ1988
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von OJ1988 »

...liegt der einzige "Fehler" in dem Abweichen von der örtlich "gültigen" Taxe, bleibt freilich auch das Rechtsmittel ohne Erfolg.
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batman
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von batman »

Im strafrechtlichen Berufungsverfahren geht es ja ohnehin nicht um Fehler des Ersturteils.
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von OJ1988 »

Klar, stimmt - und der nächste Richter ist dann "eingenordeter". Hatte nur an Revision gedacht.
julée
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von julée »

OJ1988 hat geschrieben:Klar, stimmt - und der nächste Richter ist dann "eingenordeter". Hatte nur an Revision gedacht.
Es dürfte jedenfalls den eigenen Arbeitsanfall in der Berufungskammer signifikant vermehren, wenn bekannt ist, dass in Kammer X aus dem bayrisch-harten Urteil des AG regelmäßig irgendwas am untersten Rande des Strafrahmens wird. In der Konstellation dürfte es sich ja aus Verteidigersicht lohnen, einfach erstmal Berufung einzulegen und zu schauen, ob man bei Kammer X landet und sonst die Berufung zurückzunehmen. Blöd, wenn die Kollegen die einfachen Erledigungen sammeln und man selbst tatsächlich alles verhandeln muss, weil keiner die Berufung zurücknehmen will.
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Re: Abweichung von üblicher Rechtsprechung

Beitrag von Koala_Desperado »

Irgendwie gehört es zum Berufsbild, dass man da einen Weg für sich findet.

Einerseits soll man sich nicht verbiegen und Entscheidungen treffen, die man selbst nicht vertreten kann. Andererseits ist die Justiz auch ein praktisches Geschäft. Somit muss man auch ein wenig pragmatisch denken. Eine gut gemeinte Mindermeinungsrechtsprechung hilft den Beteiligten nicht, wenn sie dann sowieso aufgehoben wird; im Gegenteil. Für den Otto-Normal-Beteiligten ist ein Hin-und-her noch weniger nachvollziehbar als ein vielleicht etwas "zu hoch" oder als sachlich falsch empfundenes Urteil.

Übrigens mal zum Cannabis:
Das strafrechtlich rigorosere Vorgehen in Bayern wird durch die verhältnismäßig liberale fahrerlaubnisrechtliche Praxis wieder ausgeglichen, die in den norddeutschen Bundesländern und auch im Bereich des OVG B/BRB deutlich rigoroser ist.

Viele Grüße

Koala Desperado
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