Arbeitstechnik große Strafkammer
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Arbeitstechnik große Strafkammer
Hallo zusammen. Nach zwei Jahren im Dienst, in denen ich im Wesentlichen Zivil- und zuletzt auch noch ein wenig Betreuungssachen gemacht habe, werde ich jetzt recht kurzfristig in eine Große Strafkammer gesetzt. Ehrlich gesagt hab' ich lediglich schemenhafte Vorstellungen davon, wie sich das Berufsbild eines beisitzenden Richters in einer Strafkammer überhaupt darstellt. Deshalb würde ich gerne als allererstes mal wissen, wie sich überhaupt die Arbeitstechniken darstellen, die ich demnächst anwenden muss. Was sind, mal abgesehen von der Anwesenheit in der Sitzung und dem Absetzen von Urteilen meine Aufgaben? Wie wird ein typischer Arbeitstag für mich aussehen und wie viel Prozent meiner Arbeitszeit werde ich für welche Art von Tätigkeiten aufwenden?
Vielen Dank schonmal für hilfreiche Antworten
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- non-liquet
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Die Vorbereitung der Berichterstattungen und die Bearbeitung von Beschwerdeverfahren kommen hinzu.Stanleyubrick hat geschrieben:Ehrlich gesagt hab' ich lediglich schemenhafte Vorstellungen davon, wie sich das Berufsbild eines beisitzenden Richters in einer Strafkammer überhaupt darstellt. Deshalb würde ich gerne als allererstes mal wissen, wie sich überhaupt die Arbeitstechniken darstellen, die ich demnächst anwenden muss. Was sind, mal abgesehen von der Anwesenheit in der Sitzung und dem Absetzen von Urteilen meine Aufgaben?
Wie sich das im Einzelnen (z. B. bei den von Dir angesprochenen zeitlichen Verteilung) darstellt, ist auch beim gleichen Gericht von Kammer zu Kammer ganz unterschiedlich. Das hängt neben dem Sachgebiet maßgeblich davon ab, wie der Vorsitzende sich das vorstellt. Der eine macht viel selbst, der andere kümmert sich hauptsächlich darum, Arbeit zu delegieren.
Und ihn (bzw. sie) sowie die künftigen Kammerkollegen würde ich auch darauf ansprechen.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Auch zu einem "typischen Arbeitstag" kann man so allgemein vermutlich keine Aussagen treffen - es kommt ja zum Beispiel schon sehr darauf an, wie oft deine Kammer Sitzungen hat. Bei uns am LG gibt es Kammern, die ein- bis zweimal pro Woche sitzen, aber auch Vorsitzende, die gar nicht so selten vier oder fünf Sitzungstage pro Woche durchziehen.
- Urs Blank
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Hier (Landgericht einer der größten und schönsten Städte in NRW) läuft’s grob so:
Sitzungsstunden großer Strafkammern im Monat etwa zwischen 20 und 60 (Pausen inbegriffen).
Der Berichterstatter schreibt in der Hauptverhandlung die Einlassungen bzw. Zeugenaussagen bzw. Gutachten der Sachverständigen mit, bis die Finger qualmen. Anschließend diktiert er einen Terminsvermerk, der je nach Länge der Sitzung und Auskunftsfreudigkeit der Angeklagten usw. bis zu 25 oder 30 Druckseiten umfassen kann. Lästig, aber insbesondere bei längeren Verfahren unabdingdar. Denn niemand weiß bei der Urteilsberatung noch aus dem Kopf, was der Zeuge KOK Schniggendiller am 13. Hauptverhandlungstag zur Auswertung des PCs des Angeklagten zu 5) gesagt hat.
Idealerweise sollte der Berichterstatter auf die Hauptverhandlung besser vorbereitet sein als der Vorsitzende selbst, so dass er ihm bei Bedarf sachdienliche Fragen an den Zeugen ins Ohr flüstern kann, zu verlesende Urkunden jederzeit zur Hand hat und ohne Blättern in den Akten weiß, dass die Zeugin Schulze Öchtering als Schwester des Angeklagten über ein Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren ist.
Wie du zutreffend schreibst, setzt der Berichterstatter das schriftliche Urteil ab und achtet auf die Einhaltung der Urteilsfrist. Zum Glück gibt’s den Meyer-Goßner/Appl, da steht alles drin, was du wissen musst.
Für’s Eröffnungsverfahren und die Vorbereitung der Hauptverhandlung gibt es keine allgemeine Übung: Einige Vorsitzende lassen den Berichterstatter „alles“ machen, einschließlich Terminierung und Ladungsplan. Bei anderen beschränkt sich die Aufgabe auf’s Lesen der Akten, das Mitberaten des Eröffnungsbeschlusses und gelegentliche schriftliche Stellungnahmen zu einzelnen Rechtsfragen.
Ist das (nicht rechtskräftige) Urteil erstmal abgesetzt, bekommt der Berichterstatter noch zwei Schriftstücke zu sehen: Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
Aus meiner Sicht gibt’s in der ordentlichen Gerichtsbarkeit keinen besseren Job als Beisitzer der Großen Strafkammer (ich selbst habe es mehrere Jahre gemacht), also: Viel Spaß.
Sitzungsstunden großer Strafkammern im Monat etwa zwischen 20 und 60 (Pausen inbegriffen).
Der Berichterstatter schreibt in der Hauptverhandlung die Einlassungen bzw. Zeugenaussagen bzw. Gutachten der Sachverständigen mit, bis die Finger qualmen. Anschließend diktiert er einen Terminsvermerk, der je nach Länge der Sitzung und Auskunftsfreudigkeit der Angeklagten usw. bis zu 25 oder 30 Druckseiten umfassen kann. Lästig, aber insbesondere bei längeren Verfahren unabdingdar. Denn niemand weiß bei der Urteilsberatung noch aus dem Kopf, was der Zeuge KOK Schniggendiller am 13. Hauptverhandlungstag zur Auswertung des PCs des Angeklagten zu 5) gesagt hat.
Idealerweise sollte der Berichterstatter auf die Hauptverhandlung besser vorbereitet sein als der Vorsitzende selbst, so dass er ihm bei Bedarf sachdienliche Fragen an den Zeugen ins Ohr flüstern kann, zu verlesende Urkunden jederzeit zur Hand hat und ohne Blättern in den Akten weiß, dass die Zeugin Schulze Öchtering als Schwester des Angeklagten über ein Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren ist.
Wie du zutreffend schreibst, setzt der Berichterstatter das schriftliche Urteil ab und achtet auf die Einhaltung der Urteilsfrist. Zum Glück gibt’s den Meyer-Goßner/Appl, da steht alles drin, was du wissen musst.
Für’s Eröffnungsverfahren und die Vorbereitung der Hauptverhandlung gibt es keine allgemeine Übung: Einige Vorsitzende lassen den Berichterstatter „alles“ machen, einschließlich Terminierung und Ladungsplan. Bei anderen beschränkt sich die Aufgabe auf’s Lesen der Akten, das Mitberaten des Eröffnungsbeschlusses und gelegentliche schriftliche Stellungnahmen zu einzelnen Rechtsfragen.
Ist das (nicht rechtskräftige) Urteil erstmal abgesetzt, bekommt der Berichterstatter noch zwei Schriftstücke zu sehen: Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
Aus meiner Sicht gibt’s in der ordentlichen Gerichtsbarkeit keinen besseren Job als Beisitzer der Großen Strafkammer (ich selbst habe es mehrere Jahre gemacht), also: Viel Spaß.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Urs Blank hat geschrieben:Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Vielen Dank! Ich bin gespannt...Urs Blank hat geschrieben: Viel Spaß.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Urs Blank hat geschrieben:
Ist das (nicht rechtskräftige) Urteil erstmal abgesetzt, bekommt der Berichterstatter noch zwei Schriftstücke zu sehen: Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
Aus meiner Sicht gibt’s in der ordentlichen Gerichtsbarkeit keinen besseren Job als Beisitzer der Großen Strafkammer (ich selbst habe es mehrere Jahre gemacht), also: Viel Spaß.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Ach, bei Euch war er auch schon...Urs Blank hat geschrieben:Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt gelesen wird. Gibt es dafür einen rechtlichen Grund?
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Gab vor einigen Monaten ein Interview mit dem in einer halbseidenen Juristenzeitung, die für Umme in diversen Fakultäten und Bibliotheken ausliegt. Dort hat er sich wortstark über die Praxis des BGH beklagt, seine tieffundierten Revisionsbegründungen "in 95% der Fälle" (oder so ähnlich) als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.non-liquet hat geschrieben:Ach, bei Euch war er auch schon...Urs Blank hat geschrieben:Die Revisionsbegründung, in der Rechtsanwalt Norouzi (Berlin, früher Karlsruhe) mit gestelzten Worten, in Garamond gesetzt, mitteilt, dass die Kammer aus wissenschaftlicher Sicht nur aus Deppen besteht. Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Und wenn man Glück hat, steht da kein böser Satz drin, der mit "Ergänzend bemerkt der Senat" anfängt, z.B.:Urs Blank hat geschrieben:Einige Monate später dann in einem unscheinbaren DIN-A5-Umschlag den Beschluss des BGH: Verwerfung der Revision als „offensichtlich unbegründet“.
BGH, Beschluss vom 01. September 2015 – 3 StR 227/15 –Ergänzend bemerkt der Senat:
Das Urteil lässt die Regeln für die Abfassung von Urteilen in Strafsachen weitgehend außer Acht. (...)
Zum notwendigen Inhalt eines (teilweise) freisprechenden Urteils verweist der Senat auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Nachweise ausgelassen)
oder
BGH, Beschluss vom 31. März 2010 – 2 StR 21/10 –Ergänzend bemerkt der Senat:
Wie vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt, hätte der Angeklagte im Fall 4 der Urteilsgründe wegen versuchter Nötigung und im Fall 10 der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt werden müssen. Die verhängten Strafen sind unvertretbar milde, die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 Abs. 2 StGB ist nicht nachvollziehbar und widerspricht dem Gebot der Verteidigung der Rechtsordnung. All dies beschwert den Angeklagten jedoch nicht.
- Urs Blank
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Diese Formulierung ist so vornehm, dass sie vom Revisionsrichter nur mit abgespreiztem kleinen Finger getippt oder diktiert wird. Wobei der 2. Strafsenat inzwischen nicht mehr die Zeit haben dürfte, Fragen zu beantworten, die niemand gestellt hat.Swann hat geschrieben:BGH, Beschluss vom 31. März 2010 – 2 StR 21/10Ergänzend bemerkt der Senat
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- thh
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Re: Arbeitstechnik große Strafkammer
Das wurde an ein Senatsmitglied delegiert, das diese Aufgabe seitdem presseöffentlich erfüllt.Urs Blank hat geschrieben:Wobei der 2. Strafsenat inzwischen nicht mehr die Zeit haben dürfte, Fragen zu beantworten, die niemand gestellt hat.
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