VA?

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

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Lacan
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VA?

Beitrag von Lacan »

Jemand ist der Behörde als "Protestler" bekannt. Vor dem Weltwirtschaftstreffen in Davos wird er (und andere) mit Behördenschreiben darauf hingewiesen, dass er es doch bitte unterlassen solle, dorthin zu fahren. Falls doch, seien an der Grenze Maßnahmen eingerichtet, um die Ausreise unmöglich zu machen. Er unterlässt daraufhin die Reise, hält die Maßnahme aber für rechtswidrig. Fortsetzungsfeststellungsklage? Handelt des sich um einen VA?

Ich meine, der Regelungscharakter könnte fehlen, halte es aber für einen VA, weil vom Betroffenen ein bestimmtes Handeln (Unterlassen) verlangt wird und eine verbindliche Feststellung getroffen wird, dass ein Zuwiderhandeln rechtswidrig wäre und deshalb Gegenmaßnahmen zu erwarten sind.

Was meint ihr?
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
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Calmy
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Beitrag von Calmy »

Imho sind alle Voraussetzungen des § 35 1 VwVfG erfüllt.
Inwiefern fehlt denn deines Erachtens der Regelungscharakter?
"Also hopphopp!"
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Es könnte auch eine verfahrensmäßige Vorbereitungshandlung für spätere Ersatzvornahmen gem. § 44a VwGO sein.
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Elandee
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Beitrag von Elandee »

Ich würde in dem Schreiben noch nicht mal eine Vorbereitungshandlung (44a) sehen, dann müsste sie ja Bestandteil irgendeines größeren Verfahrens sein.
So wie ich den SV verstehe, sagt die Behörde auch gar nicht deutlich, dass die Ausreise illegal wäre. Höchstens so in der Art "Dein Name steht auf der Liste, du kommst uns nicht durch die Lappen". Eine Regelungswirkung würde demnach erst beim Aufgreifen an der Grenze bestehen.

Als Rechtsschutzmittel für den Protestler wäre ich also für eine präventive Feststellungsklage (vor dem Demo), danach fehlt m.E. das Feststellungsinteresse (es sei denn, es besteht konkrete Wdh-Gefahr).
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Elandee hat geschrieben:So wie ich den SV verstehe, sagt die Behörde auch gar nicht deutlich, dass die Ausreise illegal wäre.
Nein, die Behörde sagt ganz klar: Wenn du ausreist, werden wir dich aufhalten, weil es rechtswidrig sei.
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Manosfighter
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Beitrag von Manosfighter »

Ich würde meinen hier liegt klar ein VA vor... klare Auswirkung und Regelungscharakter fehlt auch nciht, da konkret die Folge geregelt wird was pasisert wenn der P sich in einer bestimmten Weise verhält...
"Die „Seehunde in der Nordsee“ sind im Verwaltungsstreitverfahren nicht beteiligungsfähig."
VG Hamburg, Beschluß vom 22.09.1988 - 7 VG 2499/88
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Elandee
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Beitrag von Elandee »

Lacan hat geschrieben:
Elandee hat geschrieben:So wie ich den SV verstehe, sagt die Behörde auch gar nicht deutlich, dass die Ausreise illegal wäre.
Nein, die Behörde sagt ganz klar: Wenn du ausreist, werden wir dich aufhalten, weil es rechtswidrig sei.
Na gut, wenn es so deutlich auf dem Papier steht, haben wir einen VA.

Trotzdem keine FFK ohne nachträgliches Feststellungsinteresse (Wdh-Gefahr?).
Lacan
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"Gefährderanschreiben"

Beitrag von Lacan »

Nach OVG Lüneburg NJW 2006, 391 ist das sog. Gefährderanschreiben doch kein VA. Es fehle an der Regelungswirkung. Im Bspr.-Aufsatz schreibt Waddorff JuS 2006, 276, das Gefährderanschreiben enthalte nur (z.T wertende) Tatsachenmitteilungen. Verbindliche Rechtsfolgen würden dagegen nicht angeordnet. Es handle sich bei dem Schreiben um schlichthoheitliches Verwaltungshandeln.

Das halte ich insgesamt für zu formalistisch gedacht. Sehr wohl kann meiner Meinung nach ein als bloße "Information" getarntes Schreiben ein VA sein, wenn ein obj. Empfänger danach davon ausgehen kann, die Behörde halte ein (zukünftiges) konkretes Verhalten für rechtswidrig. Schließlich enthält das Schreiben indirekt die Drohung, dass man bestimmte Maßnahme bei Zuwiderhandlung ergreifen werde. Sonst machte das Schreiben gar keinen Sinn.

So wie ich den Sachverhalt (in der JuS mit abgedruckt) aber verstehe, hat sich die Behörde bewusst unverbindlich ausgedrückt: ... es ist nicht auszuschließen, dass ... um zu vermeiden, dass ... Deshalb hat das OVG wahrscheinlich eine Regelung und damit einen VA abgelehnt. Dass die Angelegenheit aber in Grundrechte des Betoffenen engreift, hat das Gericht dann umso stärker betont. Das Schreiben war am Ende rechtswidrig, weil eine erforderliche Ermächtigung aus der polizeirechtlichen Generalklausel nicht gezogen werden konnte.
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Calmy
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Beitrag von Calmy »

Dein Beispielfall und der des OVG sind ja nicht identisch.

In deinem Beispiel wurde dem Betroffenen die Ausreise unmöglich gemacht. Da liegt ein VA vor.

Im OVG-Fall geht mE nicht richtig hervor, ob es an der Grenze zur Zurückweisung kommt. Im Zweifel aber eher nicht. Da kann ich es nachvollziehen, wenn das OVG sagt, es liegt keine richtige Regelungswirkung vor. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie du richtig sagst, nach dem Sinn des Schreibens...
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Beitrag von Lacan »

Calmy hat geschrieben:Dein Beispielfall und der des OVG sind ja nicht identisch.

In deinem Beispiel wurde dem Betroffenen die Ausreise unmöglich gemacht. Da liegt ein VA vor.

Im OVG-Fall geht mE nicht richtig hervor, ob es an der Grenze zur Zurückweisung kommt. Im Zweifel aber eher nicht. Da kann ich es nachvollziehen, wenn das OVG sagt, es liegt keine richtige Regelungswirkung vor. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie du richtig sagst, nach dem Sinn des Schreibens...
Ja, die Fälle unterscheiden sich. So, wie ich ihn ursprünglich eingestellt habe, war er Klausurfall bei uns. Den Sachverhalt habe ich mir nur berichten lassen. Im Originalfall klang das Schreiben dann schon viel abgeschwächter. Wenn ich das so richtig wiedergegeben habe, hätte man aber im Klausurfall tatsächlich einen VA annehmen können. Das werde ich sehen, wenn er besprochen wird.

Zum Fall des OVG Lüneburg: Im offensichtlich zugrunde liegenden Urteil des VG Göttingen (BeckRS 2004 21546) wird deutlich, warum es kein VA war:

"Die in dem Anschreiben enthaltenen Tatsachenmitteilungen über den EU-Gipfel in Brüssel, in diesem Zusammenhang befürchtete gewaltsame Aktionen und das polizeiliche In-Erscheinung-Treten des Kl. stellen keine verbindlichen Regelungen von Rechten und Pflichten des Kl. i.S. eines Verwaltungsaktes nach § 35 S. 1 VwVfG i. V. m. § 1 I Nds. VwVfG dar. Ebenso wenig hatte das Nahelegen, sich nicht an den Demonstrationen zu beteiligen, eine verbindliche Regelung für den Kl. zum Inhalt. Die Formulierung “um zu vermeiden, dass sie sich der Gefahr präventiver polizeilicher Maßnahmen (bis hin zur Zurückweisung an der deutsch-belgischen Grenze) oder strafprozessualen Maßnahmen aus Anlass der Begehung von Straftaten im Rahmen der demonstrativen Aktionen aussetzen, ...“ beinhaltete keine Androhung oder Ankündigung von konkreten Maßnahmen unter konkreten Voraussetzungen. Insbesondere wurde nicht mitgeteilt, dass der Kl. im Falle einer Fahrt nach Brüssel an der deutsch-belgischen Grenze zurück gewiesen würde."

So macht das auch Sinn.
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Calmy
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Beitrag von Calmy »

Yup, genauso sehe ich das auch!
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