[Röm. Rechtsgeschichte] Pacta sunt servanda

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Moderator: Verwaltung

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Gelöschter Nutzer

[Röm. Rechtsgeschichte] Pacta sunt servanda

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Hallo,

ich habe eine Frage zum Grundsatz "pacta sunt servanda": Stimmt es, dass dieser Satz _nicht_ aus dem römischen Recht stammt, so wie es in der Wikipedia behauptet wird?

http://de.wikipedia.org/wiki/Pacta_sunt_servanda

Bei einer kurzen Recherche über Beck-Online habe ich folgenden Text gefunden, der die Behauptung zu untermauern scheint:
Emmerich in MueKo BGB § 311, 4. A. 2003

Rn. 14

... Das antike römische Recht kannte nur bestimmte Formen und Typen klagbarer schuldrechtlicher Verträge. (Fußnote: Kaser, Das Römische Privatrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1971, § 112 II 3 (S. 477) und § 144 I 2 (S. 484).) ...

Rn. 15

Die Entwicklung im Hochmittelalter bei den Glossatoren und Kommentatoren (Fußnote: Vgl. zum Folgenden Söllner ZRG RomAbt 77 (1960), 182, 195, 212 f.) ist geprägt durch ein neues Verständnis des Begriffs „pactum“, der nun zum Oberbegriff für alle durch Willensübereinstimmung zustandegekommenen Verträge verpflichtenden Inhalts wird. Entsprechen „pacta“ einem anerkannten Vertragstyp oder erfüllen sie die vorgeschriebenen Formerfordernisse, so heißen sie „pacta vestita“. Andernfalls sind sie als „pacta nuda“ nicht klagbar. Im kanonischen Recht dagegen wurde unter Verzicht auf jeden Typenzwang der Grundsatz entwickelt, dass Verträge ohne Rücksicht auf ihre Form klagbar seien („pacta sunt servanda“). (Fußnote: Ausgehend von einem im Corpus iuris canonici wiedergegebenen Beschluss des Konzils von Karthago aus dem Jahr 348 n. Chr. (c. 1 X de pactis 1.35 = „c. Antigonus“); dazu Söllner (Fn. 14) S. 240 ff.) ...
Wisst ihr, ob der Wikipedia-Artikel stimmt oder nicht (noch besser, wenn es dafür sogar eine Quellenangabe gäbe)?

Danke und Gruß
ce

PS: Ein Fehler ist auf jeden Fall in dem Wikipedia-Artikel. Nach dem Duden Fremdwörterbuch bedeutet Parömie nämlich altgriechisches Sprichwort bzw. Denkspruch.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Stimmt. Pacta sunt servanda stammt nicht aus dem klassischen römischen Recht, sondern wurde erst viel später entwickelt.
Frittenverkäufer
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Re: [Röm. Rechtsgeschichte] Pacta sunt servanda

Beitrag von Frittenverkäufer »

ce hat geschrieben:Hallo,

ich habe eine Frage zum Grundsatz "pacta sunt servanda": Stimmt es, dass dieser Satz _nicht_ aus dem römischen Recht stammt, so wie es in der Wikipedia behauptet wird?
Stimmt!
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Christian aus Mainz
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Beitrag von Christian aus Mainz »

detlef liebs zitiert als beleg für diese rechtsregel in seinem wunderbaren buch "lateinische rechtsregeln und rechtssprichwörter" auf seite 150 folgende fundstellen:

* dekretalen 1, 35, 1 summarium von papst gregor IX. (1227 bis 1241)

* digesten 2, 14, 7 § 7 und 2, 14, 1 pr. a.E (533 n.chr. vom oströmischen kaiser justinian I. als gesetzbuch verkündet)

[Eine Digestenstelle zitiert man heute (im Mittelalter zitierte man ganz anders) in der Regel mit vier Zahlen, bei der die erste das Buch, die zweite den Titel, die dritte die lex und die vierte den Paragraphen bezeichnet. D. 17,1,26,3 meint daher den vierten Abschnitt der lex 26 im 1. Titel des 17. Buches der Digesten, nachdem das principium den 1. Abschnitt und § 1 den zweiten Abschnitt bezeichnen. - siehe wikipedia]

* älteste fundstelle: cicero, de officiis 3, 92 Mitte (Bei “de officiis” handelt es sich um Ciceros Bearbeitung eines Wer-
kes des Stoikers Panaitios. Es ist Ciceros letztes Werk philosophi-
schen Inhalts, entstanden im Herbst 44 v. Chr. siehe http://www.unizh.ch/latinum/utzinger/pdf/De_officiis.pdf (Verwaister Link automatisch entfernt))

die jahreszahlen habe ich herausgesucht.

cam
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Danke für eure Hilfe!

Ich habe jetzt auch noch eine Seminararbeit gefunden, die sich näher mit dem Thema beschäftigt und weitere Literaturhinweise gibt:

http://www.ruhr-uni-bochum.de/ls-musche ... thema2.pdf (Verwaister Link http://www.ruhr-uni-bochum.de/ls-muscheler/Sem0506/thema2.pdf automatisch entfernt)

An der Richtigkeit des Wikipedia-Artikels hatte ich gezweifelt, weil ich in mehreren Prüfungsprotokollen auf die Frage, woher der Satz komme, die übereinstimmende Antwort "aus dem römischen Recht" gefunden habe.
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Der Satz wurde vom mittelalterlichen Kirchenrecht (12. Jh.: Idee der ethischen Vertragstreue) entwickelt, in bewusster Abkehr von der römischrechtlichen Einteilung in klagbare und klaglose Vertragstypen (vgl. Meder, Rechtsgeschichte, 2001, 131 ff., 338 ff.).

Ich habe den Satz spontan mit Hugo Grotius in Verbindung gebracht, weiß allerdings keine Textstelle zu nennen.
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strafrechtler
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Re: [Röm. Rechtsgeschichte] Pacta sunt servanda

Beitrag von strafrechtler »

ce hat geschrieben: PS: Ein Fehler ist auf jeden Fall in dem Wikipedia-Artikel. Nach dem Duden Fremdwörterbuch bedeutet Parömie nämlich altgriechisches Sprichwort bzw. Denkspruch.
Und davon abgesehen ist es auch unsinnig, bei jeder in Latein verfassten Rechtsregel zu behaupten, sie gebe sich den Anschein, aus dem römischen Recht zu stammen. Latein war doch noch ein paar Jährchen länger die Sprache der Gelehrten ...
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Beitrag von Frittenverkäufer »

ce hat geschrieben:Danke für eure Hilfe!

Ich habe jetzt auch noch eine Seminararbeit gefunden, die sich näher mit dem Thema beschäftigt und weitere Literaturhinweise gibt:

http://www.ruhr-uni-bochum.de/ls-musche ... thema2.pdf (Verwaister Link http://www.ruhr-uni-bochum.de/ls-muscheler/Sem0506/thema2.pdf automatisch entfernt)

An der Richtigkeit des Wikipedia-Artikels hatte ich gezweifelt, weil ich in mehreren Prüfungsprotokollen auf die Frage, woher der Satz komme, die übereinstimmende Antwort "aus dem römischen Recht" gefunden habe.
Auch diese Aussage ist nicht ganz falsch, wenn man sich überlegt, was alles unter Römisches Recht fällt.

Für die Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts galt der Satz pacta sunt servanda. Niemand wird bestreiten, dass Puchta, Windscheid, Vangerow usw. Römisches Recht gelehrt haben.
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Frittenverkäufer hat geschrieben:
ce hat geschrieben:...auf die Frage, woher der Satz komme, die übereinstimmende Antwort "aus dem römischen Recht" gefunden habe.
Auch diese Aussage ist nicht ganz falsch, wenn man sich überlegt, was alles unter Römisches Recht fällt.

Für die Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts galt der Satz pacta sunt servanda. Niemand wird bestreiten, dass Puchta, Windscheid, Vangerow usw. Römisches Recht gelehrt haben.
... kommt drauf an, ob man die Aussage historisch versteht oder nicht. Ich glaube sie war historisch gemeint. Es stellt sich zudem die Frage, inwieweit diese Vertragslehre von der Pandektenwissenschaft des 19. Jh. aufgenommen wurde, insbesondere die Abkehr vom Typenzwang.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Frittenverkäufer hat geschrieben:Niemand wird bestreiten, dass Puchta, Windscheid, Vangerow usw. Römisches Recht gelehrt haben.
Wie verstehst du dann den Titel von Savignys Hauptwerk "System des heutigen römischen Rechts"?
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Beitrag von Frittenverkäufer »

ce hat geschrieben:
Frittenverkäufer hat geschrieben:Niemand wird bestreiten, dass Puchta, Windscheid, Vangerow usw. Römisches Recht gelehrt haben.
Wie verstehst du dann den Titel von Savignys Hauptwerk "System des heutigen römischen Rechts"?
Das verstehe ich so, dass es da Differenzierungen gegeben haben wird. Konkret vermute ich, dass z.b. Puchta eher quellentreu gearbeitet hat und den Satz p. s. s. eher abgeleht haben dürfte, während ihm Leute wie Savigny und Windscheid eher positiv gegenüberstanden.

Aber ist alles bloße Vermutung, müsste man mal nachlesen.
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Beitrag von Frittenverkäufer »

Für Puchta stimmte meine Vermutung nicht:

http://dlib-pr.mpier.mpg.de/m/kleioc/0010/exec/bigpage/%22187425_00000406%22 (Verwaister Link automatisch entfernt)
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Beitrag von Lacan »

Lacan hat geschrieben:... habe den Satz spontan mit Hugo Grotius in Verbindung gebracht, ...
... inzwischen kann ich auch zwei geeignete Textstellen nennen:
- Röhl, FS Schelsky (1978), 458 f.
- Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht (2001), 47 ff.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
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