Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
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Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Hallo,
wie den meisten von euch ja bekannt sein wird, wurde die BRD durch ein sog. Piloturteil des EGMR verpflichtet, binnen Jahresfrist einen Rechtsschutz vor überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ins Leben zu rufen.
Der Gesetzentwurf hierzu findet sich auf der Homepage des BMJ.
In Artikel 22 dieses Entwurfes wird die Anwendung auf Altfälle konstituiert.
Hier im Kollegenkreis wird das Gesetz mit "Spannung" erwartet. Die Kollegen insbesondere vom Sozialgericht sehen das ganze aber eher beunruhigt. Dort liegen teilweise noch Verfahren aus 2005, von 2006-2009 ganz zu schweigen.
Fühlt euch bitte alle aufgerufen, eure Erwartungen aus der jeweils eigenen Sicht zu schildern. Ich bitte auch um wilde Spekulationen hinsichtlich der Folgen.
Gruß
Kai30
wie den meisten von euch ja bekannt sein wird, wurde die BRD durch ein sog. Piloturteil des EGMR verpflichtet, binnen Jahresfrist einen Rechtsschutz vor überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ins Leben zu rufen.
Der Gesetzentwurf hierzu findet sich auf der Homepage des BMJ.
In Artikel 22 dieses Entwurfes wird die Anwendung auf Altfälle konstituiert.
Hier im Kollegenkreis wird das Gesetz mit "Spannung" erwartet. Die Kollegen insbesondere vom Sozialgericht sehen das ganze aber eher beunruhigt. Dort liegen teilweise noch Verfahren aus 2005, von 2006-2009 ganz zu schweigen.
Fühlt euch bitte alle aufgerufen, eure Erwartungen aus der jeweils eigenen Sicht zu schildern. Ich bitte auch um wilde Spekulationen hinsichtlich der Folgen.
Gruß
Kai30
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Zu dem Thema hat sich heute das BVerfG geäußert:
Hiergegen erhob dieser am 24. Juni 2006 Klage beim Sozialgericht. Nach Klagebegründung im Juli 2006 und weiterem Schriftwechsel der Verfahrensbeteiligten verfügte die Kammervorsitzende im April 2007 das Verfahren ins Terminsfach. Auf zwei Sachstandsanfragen teilte die Vorsitzende u. a. mit, dass noch weitaus ältere Verfahren vorrangig zu entscheiden seien; zuletzt wies sie im September 2008 darauf hin, es würden derzeit Klagen aus dem Jahrgang 2004 terminiert. Die Klage wurde schließlich mit Urteil vom 27. Mai 2010 durch das Sozialgericht abgewiesen. Mit seiner bereits im Januar 2010 eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die überlange Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens von knapp vier Jahren den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Absatz 4 Satz 1 GG verletzt.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Hallo Kai,
darf ich mal mit den Spekulationen und Prognosen aus anwaltlicher Sicht beginnen:
1. Wegen Art. 22 Satz 2 wird mit Inkrafttreten eine Flut von Verzögerungsrügen quer über alle Gerichtszweige über die Gerichte hereinbrechen (in Hinblick auf den materiellen Nachteil aber wohl zu einem guten Teil unsubstantiiert). Ich selbst überlege mir gerade, ob nicht auch schon vor Inkrafttreten angebrachte Rügen den Entschädigungsanspruch auslösen.
2. Die Richter werden die Reihenfolge der Bearbeitung der Fälle ändern. Zuerst werden die Verfahren, in denen die Rüge erhoben wurde, bearbeitet. Innerhalb dieser Gruppe werden die Fälle zuerst angefasst, in denen die Rüge substantiiert erscheint und es um hohe potentielle Schäden geht. Also im Ergebnis eine Bevorzugung der Fälle mit hohem Streitwert.
3. Generell werden Anträge auf Fristverlängerung und Terminsverlegung restriktiver gehandhabt werden, um den etwaigen Vorwürfen der überlangen Verfahrensdauer von vorherein den Boden zu entziehen (auch wenn von den Verfahrensbeteiligten verursachte Verzögerungen herausgerechnet werden).
4. Wenn Ihr mich nicht vom Gegenteil überzeugt, gehe ich davon aus, dass zukünftig bei dienstlichen Beurteilungen natürlich auch eine Rolle spielt, welche Schadensersatzansprüche ein Richter durch überlange Verfahrensdauer ausgelöst hat. Ich weiss nicht, ob dann alle Richter der Versuchung widerstehen werden, lieber schnell anstatt richtig (und das aber so schnell wie möglich) zu entscheiden.
5. Ich glaube aber schon, dass dieser Druck auf die Gerichte und damit auf die öffentliche Hand die Verfahren im Ergebnis verkürzen wird.
Fazit: Ich breche über den Entwurf nicht in ein Freudengeheul aus, obwohl ich in einigen Bundesländern auch unter extrem langen Verfahrensdauern in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu leiden habe. Es wäre mir aber lieber, die Verfahrensdauern würden durch bessere Ausstattung an Personal- und Sachmitteln und durch Ausnutzung prozessualer Möglichkeiten verkürzt als durch diesen sehr schematischen Druck. Mal gucken, ob es in der Praxis tatsächlich etwas bringt.
P.S. Das BMJ geht in der Begründung davon aus, dass die Schadensersatzansprüche nicht unbedingt zu Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte führen, weil im Gegenzug zukünftig die Kosten der Verfahren vor dem EGMR wegfallen und im übrigen die Richter ja dann jetzt schneller entscheiden. Deshalb sei auch kein zusätzliches Personal erforderlich. Je nach meiner Stimmung empfinde ich diese Begründung als naiv, als zynisch oder nur als putzig.
darf ich mal mit den Spekulationen und Prognosen aus anwaltlicher Sicht beginnen:
1. Wegen Art. 22 Satz 2 wird mit Inkrafttreten eine Flut von Verzögerungsrügen quer über alle Gerichtszweige über die Gerichte hereinbrechen (in Hinblick auf den materiellen Nachteil aber wohl zu einem guten Teil unsubstantiiert). Ich selbst überlege mir gerade, ob nicht auch schon vor Inkrafttreten angebrachte Rügen den Entschädigungsanspruch auslösen.
2. Die Richter werden die Reihenfolge der Bearbeitung der Fälle ändern. Zuerst werden die Verfahren, in denen die Rüge erhoben wurde, bearbeitet. Innerhalb dieser Gruppe werden die Fälle zuerst angefasst, in denen die Rüge substantiiert erscheint und es um hohe potentielle Schäden geht. Also im Ergebnis eine Bevorzugung der Fälle mit hohem Streitwert.
3. Generell werden Anträge auf Fristverlängerung und Terminsverlegung restriktiver gehandhabt werden, um den etwaigen Vorwürfen der überlangen Verfahrensdauer von vorherein den Boden zu entziehen (auch wenn von den Verfahrensbeteiligten verursachte Verzögerungen herausgerechnet werden).
4. Wenn Ihr mich nicht vom Gegenteil überzeugt, gehe ich davon aus, dass zukünftig bei dienstlichen Beurteilungen natürlich auch eine Rolle spielt, welche Schadensersatzansprüche ein Richter durch überlange Verfahrensdauer ausgelöst hat. Ich weiss nicht, ob dann alle Richter der Versuchung widerstehen werden, lieber schnell anstatt richtig (und das aber so schnell wie möglich) zu entscheiden.
5. Ich glaube aber schon, dass dieser Druck auf die Gerichte und damit auf die öffentliche Hand die Verfahren im Ergebnis verkürzen wird.
Fazit: Ich breche über den Entwurf nicht in ein Freudengeheul aus, obwohl ich in einigen Bundesländern auch unter extrem langen Verfahrensdauern in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu leiden habe. Es wäre mir aber lieber, die Verfahrensdauern würden durch bessere Ausstattung an Personal- und Sachmitteln und durch Ausnutzung prozessualer Möglichkeiten verkürzt als durch diesen sehr schematischen Druck. Mal gucken, ob es in der Praxis tatsächlich etwas bringt.
P.S. Das BMJ geht in der Begründung davon aus, dass die Schadensersatzansprüche nicht unbedingt zu Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte führen, weil im Gegenzug zukünftig die Kosten der Verfahren vor dem EGMR wegfallen und im übrigen die Richter ja dann jetzt schneller entscheiden. Deshalb sei auch kein zusätzliches Personal erforderlich. Je nach meiner Stimmung empfinde ich diese Begründung als naiv, als zynisch oder nur als putzig.
- non-liquet
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Ich ergänze mal aus Sicht "hinter der Richterbank" (Sozialgericht):
Übrigens sind die Zahl der Altfälle in der Kammer und die Verfahrensdauer heute bereits Kriterien, die in Beurteilungen herangezogen werden.
Interessant wird in diesem Zusammenhang freilich sein, wie die Nutzung von verfahrensbeschleunigenden Instrumenten im Verfahrensrecht künftig bewertet werden wird. Derzeit ist es so, dass die - noch aus alten SG-Zeiten geprägten - Gerichtsvorstände stark dazu neigen, die Anwendung derartiger Mittel (Fristsetzungen mit Präklusionswirkung, Klagerücknahmefiktion, Entscheidung durch Gerichtsbescheid usw.) als unsorgfältige Arbeitsweise zu beanstanden; in den Gesetzessammlungen mancher obergerichtlicher Senate scheinen diese Regelungen gar nicht vorhanden zu sein und, wenn doch, werden sie in die Bedeutungslosigkeit reduziert.
Fazit: Die direkten Veränderungen dürften eher geringfügig ausfallen, "über die Bande" könnte sich mehr ergeben. Ob man das jeweils gut oder schlecht findet, ist dann freilich eine andere Frage.
Die Rügen kommen jetzt schon - nicht massenhaft, aber sie tauchen auf. Vorzugsweise natürlich von den Experten, die wochen- bis monatelang nicht auf Hinweise und Anfragen reagieren oder nach Terminierung ganz plötzlich aufwachen, eine Terminsverlegung und die Anhörung allerlei weiterer Ärzte beantragen.Herr Schraeg hat geschrieben:1. Wegen Art. 22 Satz 2 wird mit Inkrafttreten eine Flut von Verzögerungsrügen quer über alle Gerichtszweige über die Gerichte hereinbrechen (in Hinblick auf den materiellen Nachteil aber wohl zu einem guten Teil unsubstantiiert). Ich selbst überlege mir gerade, ob nicht auch schon vor Inkrafttreten angebrachte Rügen den Entschädigungsanspruch auslösen.
Hm. Hm. Gute Frage. Bislang haben die Kollegen hier es so gehandhabt, dass die ältesten Verfahren auch als erste zur Terminierung anstehen. Das lässt sich natürlich nicht immer durchhalten (z. B. wegen zusätzlichen Begutachtungen, die im sozialgerichtlichen Verfahren vom Kläger durch § 109 SGG auch erzwungen werden können), ist aber eine beliebte Richtschnur. Neben Eilverfahren, die ohnehin vorrangig zu bearbeiten und zu erledigen sind, gibt es ja auch noch Prioritäten zwischen den Rechtsgebieten. Über eine Reha-Maßnahme muss schneller entschieden werden als über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen (z. B.). Verfahren, die existenzsichernde Maßnahmen zum Inhalt haben, gehen vor solchen Prozessen, in denen sich jemand nur amtlich bestätigen lassen will, wie krank er ist.2. Die Richter werden die Reihenfolge der Bearbeitung der Fälle ändern. Zuerst werden die Verfahren, in denen die Rüge erhoben wurde, bearbeitet. Innerhalb dieser Gruppe werden die Fälle zuerst angefasst, in denen die Rüge substantiiert erscheint und es um hohe potentielle Schäden geht. Also im Ergebnis eine Bevorzugung der Fälle mit hohem Streitwert.
Übrigens sind die Zahl der Altfälle in der Kammer und die Verfahrensdauer heute bereits Kriterien, die in Beurteilungen herangezogen werden.
Dafür sehe ich ehrlich gesagt wenig Spielraum, da man an dieser Stelle zwar recht großzügig ist, aber andererseits auch sehr schnell in einen Gehörsverstoß hinein laufen kann. Und das ist auch nicht besser als glaziale Bearbeitungsgeschwindigkeiten.3. Generell werden Anträge auf Fristverlängerung und Terminsverlegung restriktiver gehandhabt werden, um den etwaigen Vorwürfen der überlangen Verfahrensdauer von vorherein den Boden zu entziehen (auch wenn von den Verfahrensbeteiligten verursachte Verzögerungen herausgerechnet werden).
Zunächst siehe oben, so eine Einflussnahme gibt es auch ganz ohne Schadensersatzansprüche heute schon. Sog. Altfälle sind bei uns nach drei Jahren ans LSG meldepflichtig, außerdem fragt die Gerichtsleitung regelmäßig die Bestandslisten ab. Wenn auf diese Weise ruchbar wird, dass sich da zu viel alter Kram häuft, gibt es da auch recht schnell außerhalb von Beurteilungsrunden Nachfragen.4. Wenn Ihr mich nicht vom Gegenteil überzeugt, gehe ich davon aus, dass zukünftig bei dienstlichen Beurteilungen natürlich auch eine Rolle spielt, welche Schadensersatzansprüche ein Richter durch überlange Verfahrensdauer ausgelöst hat. Ich weiss nicht, ob dann alle Richter der Versuchung widerstehen werden, lieber schnell anstatt richtig (und das aber so schnell wie möglich) zu entscheiden.
Interessant wird in diesem Zusammenhang freilich sein, wie die Nutzung von verfahrensbeschleunigenden Instrumenten im Verfahrensrecht künftig bewertet werden wird. Derzeit ist es so, dass die - noch aus alten SG-Zeiten geprägten - Gerichtsvorstände stark dazu neigen, die Anwendung derartiger Mittel (Fristsetzungen mit Präklusionswirkung, Klagerücknahmefiktion, Entscheidung durch Gerichtsbescheid usw.) als unsorgfältige Arbeitsweise zu beanstanden; in den Gesetzessammlungen mancher obergerichtlicher Senate scheinen diese Regelungen gar nicht vorhanden zu sein und, wenn doch, werden sie in die Bedeutungslosigkeit reduziert.
Fazit: Die direkten Veränderungen dürften eher geringfügig ausfallen, "über die Bande" könnte sich mehr ergeben. Ob man das jeweils gut oder schlecht findet, ist dann freilich eine andere Frage.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Vielen Dank euch beiden für die erste Einschätzung, sowohl aus anwaltlicher, als auch aus sozialrichterlicher Sicht. Interessant auch das Urteil des BVerfG. War mir noch nicht geläufig, ist ja allerdings auch erst gestern ergangen
Was dem Tatbestand des genannten Urteils zu entnehmen ist, gibt mir allerdings schwer zu denken. Dass die Situation dermaßen prekär ist, war mir nicht gegenwärtig. Das sieht in der Zivilgerichtsbarkeit dann doch noch etwas anders aus, wenngleich auch dort die Gesamtbelastung in den letzten Jahren trotz generell zurückgehender Eingänge pro Richter wohl gestiegen ist. Verfahren aus 2004 und 2005 habe ich jedenfalls nicht liegen
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang auch ein gewisses Misstrauen gegenüber dem betroffenen Justizministerium zu äußern. Sowas darf schlichtweg nicht vorkommen. Bedenkt man zudem, dass dies nur die Spitze des Eisberges sein dürfte, ist eine Beurteilung als Unverschämtheit nicht weit. Dass diese Situation noch nicht weitreichendere Konsequenzen gehabt hat, erstaunt mich überdies. Allerdings mag da jetzt etwas ins Rollen kommen. Schließlich haben wir es hier wohl mit einem lupenreinen Teufelskreis zu tun. Jede Nichtaktivität seitens der Ministerialen macht die Angelegenheit ja letztlich nur noch schlimmer.
Ich werde die Angelegenheit, wie viele andere Kollegen auch, natürlich weiter beobachten. Wenn es nach mir ginge, drohten den verantwortlichen Ministerien und den jeweiligen Landeshaushalten allerdings sehr viel weitreichendere Folgen, als bisher angedacht. Offensichtlich ist die Ignoranz dort ja beträchtlich. Klamme Haushalte sind bei einem solch gewichtigen Rechtsgut, wie dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter, in meinen Augen nicht ansatzweise berücksichtigungsfähig. Das ist allerdings nur meine höchstpersönliche Ansicht.
Gruß
Kai30
Was dem Tatbestand des genannten Urteils zu entnehmen ist, gibt mir allerdings schwer zu denken. Dass die Situation dermaßen prekär ist, war mir nicht gegenwärtig. Das sieht in der Zivilgerichtsbarkeit dann doch noch etwas anders aus, wenngleich auch dort die Gesamtbelastung in den letzten Jahren trotz generell zurückgehender Eingänge pro Richter wohl gestiegen ist. Verfahren aus 2004 und 2005 habe ich jedenfalls nicht liegen
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang auch ein gewisses Misstrauen gegenüber dem betroffenen Justizministerium zu äußern. Sowas darf schlichtweg nicht vorkommen. Bedenkt man zudem, dass dies nur die Spitze des Eisberges sein dürfte, ist eine Beurteilung als Unverschämtheit nicht weit. Dass diese Situation noch nicht weitreichendere Konsequenzen gehabt hat, erstaunt mich überdies. Allerdings mag da jetzt etwas ins Rollen kommen. Schließlich haben wir es hier wohl mit einem lupenreinen Teufelskreis zu tun. Jede Nichtaktivität seitens der Ministerialen macht die Angelegenheit ja letztlich nur noch schlimmer.
Ich werde die Angelegenheit, wie viele andere Kollegen auch, natürlich weiter beobachten. Wenn es nach mir ginge, drohten den verantwortlichen Ministerien und den jeweiligen Landeshaushalten allerdings sehr viel weitreichendere Folgen, als bisher angedacht. Offensichtlich ist die Ignoranz dort ja beträchtlich. Klamme Haushalte sind bei einem solch gewichtigen Rechtsgut, wie dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter, in meinen Augen nicht ansatzweise berücksichtigungsfähig. Das ist allerdings nur meine höchstpersönliche Ansicht.
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Kai30
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Das ist richtig, allein die Realität spricht dagegen. Ob das "Beschleunigungsgesetz" hieran etwas ändert, wage ich zu bezweifeln. Denn es setzt ja auf der Sekundärebene an und die Staatshaftungssenate der OLGe werden mit den Entschädigungsansprüchen vermutlich sehr restriktiv umgehen.Kai30 hat geschrieben:Klamme Haushalte sind bei einem solch gewichtigen Rechtsgut, wie dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter, in meinen Augen nicht ansatzweise berücksichtigungsfähig. Das ist allerdings nur meine höchstpersönliche Ansicht.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
@batman:
Gewisse Zweifel sind selbstverständlich angebracht. Ob der aktuelle Entwurf dann allerdings den Vorstellungen insbesondere des EGMR entsprechen, wage ich wiederum zu bezweifeln. Ich bin schon der Ansicht, dass Intention dieses Piloturteils, als auch des aktuellen BVerfG-Urteils Fingerzeige auf eine viel zu dünne Personaldecke sind.
Letztlich ist die entscheidende Frage doch, was und wieviel davon sind notwendig, um die jeweiligen Ministerien zu nötigen, eine entsprechende Personalaufstockung vorzunehmen. Um keine andere Frage dreht sich wohl diese Diskussion. Ich denke, wir beide sind uns einig, dass man die Justiz in den letzten Jahren schon zu viele Sparrunden hat drehen lassen. Irgendwann schlägt das Pendel dann halt zurück. Und je stärker der Ausschlag in die eine Richtung,desto stärker der spätere Ausschlag in die entgegengesetze Richtung.
Kurzum: Versprechen sollte man sich zunächst nicht zu viel davon. Es könnte aber Anstoß zu einer weiterführenden Entwicklung gewesen sein.
Gewisse Zweifel sind selbstverständlich angebracht. Ob der aktuelle Entwurf dann allerdings den Vorstellungen insbesondere des EGMR entsprechen, wage ich wiederum zu bezweifeln. Ich bin schon der Ansicht, dass Intention dieses Piloturteils, als auch des aktuellen BVerfG-Urteils Fingerzeige auf eine viel zu dünne Personaldecke sind.
Letztlich ist die entscheidende Frage doch, was und wieviel davon sind notwendig, um die jeweiligen Ministerien zu nötigen, eine entsprechende Personalaufstockung vorzunehmen. Um keine andere Frage dreht sich wohl diese Diskussion. Ich denke, wir beide sind uns einig, dass man die Justiz in den letzten Jahren schon zu viele Sparrunden hat drehen lassen. Irgendwann schlägt das Pendel dann halt zurück. Und je stärker der Ausschlag in die eine Richtung,desto stärker der spätere Ausschlag in die entgegengesetze Richtung.
Kurzum: Versprechen sollte man sich zunächst nicht zu viel davon. Es könnte aber Anstoß zu einer weiterführenden Entwicklung gewesen sein.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1 ... aC39FstabsVielleicht ist es auch gut, sich die Frage zu stellen, ob die international gültigen Elemente eines Rechtsstaates, die im Grundgesetz ehemals anno 1949 so perfekt umgesetzt wurden, in dieser Breite und Tiefe auch heute noch gelten. Es ist nämlich vor diesem Hintergrund schon beängstigend, dass Instanzenzüge eingedampft, Klagehürden aufgebaut und Stellen in der Justiz abgebaut werden, so dass von einer barrierefreien Rechtsweggarantie in Teilbereichen wie etwa dem Verwaltungs- und Sozialrecht nicht mehr die Rede sein kann.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Hatte den slash ganz am Ende vergessen:
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1 ... C39Fstabs/
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1 ... C39Fstabs/
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Re: Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren etc.
Ah ja, vielen Dank. Guter Artikel insgesamt. Der von dir zitierte Absatz trifft es natürlich besonders.
Ich hatte übrigens Montag die Gelegenheit mit Ministerialen das Urteil des EGMR zu besprechen. Jedenfalls auf dieser Ebene wird wohl durchaus das Vorliegen eines gewissen Zwanges gesehen. Wobei es für gut erachtet wurde, dass die unmittelbaren Folgen die Landeshaushalte betreffen wird. Offenkundig fällt es den jeweiligen Justizministern grundsätzlich schwer, entsprechende Mittel für die Justiz loszueisen. Allerdings hätte das Fixum der Entschädigung nach allgemeiner Auffassung deutlich höher liegen sollen, als auch eine materielle Entschädigungsregelung beigefügt gehört. So jedenfalls der Tenor dort.
Man war sich jedenfalls auch einig, dass die Verantwortung für rückständige Verfahren keinesfalls den jeweiligen Hauptakteuren, ergo den Richter und Richterinnen, aufzuerlegen ist, da diese bereits jetzt über der Belastungsgrenze arbeiteten. Welch eine Einsicht
Man wird sehen. In gewisser Hinsicht spannend finde ich das schon.
Ich hatte übrigens Montag die Gelegenheit mit Ministerialen das Urteil des EGMR zu besprechen. Jedenfalls auf dieser Ebene wird wohl durchaus das Vorliegen eines gewissen Zwanges gesehen. Wobei es für gut erachtet wurde, dass die unmittelbaren Folgen die Landeshaushalte betreffen wird. Offenkundig fällt es den jeweiligen Justizministern grundsätzlich schwer, entsprechende Mittel für die Justiz loszueisen. Allerdings hätte das Fixum der Entschädigung nach allgemeiner Auffassung deutlich höher liegen sollen, als auch eine materielle Entschädigungsregelung beigefügt gehört. So jedenfalls der Tenor dort.
Man war sich jedenfalls auch einig, dass die Verantwortung für rückständige Verfahren keinesfalls den jeweiligen Hauptakteuren, ergo den Richter und Richterinnen, aufzuerlegen ist, da diese bereits jetzt über der Belastungsgrenze arbeiteten. Welch eine Einsicht
Man wird sehen. In gewisser Hinsicht spannend finde ich das schon.