Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Tobias__21
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

Naja, warum sollte sich Boehermann auch bedeckt halten und den reuigen geben? Eigentlich läuft es doch gerade perfekt für ihn. Es droht ihm ja auch nicht wirklich Ungemach. Drei Jahre wird er wohl kaum in den Knast gehen und in seinem Lebenslauf macht sich die Sache sicher nicht schlecht :D

Angenommen es kommt wirklich so weit, dass die Türkei das Strafverlangen stellt, dann wird die Verhandlung doch auch bis zum Ende durchgezogen und endet mit einem "richtigen" Urteil, oder? Eine Verfahrenseinstellung gegen Auflagen o.ä wäre ja in dem Fall witzlos.
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Honigkuchenpferd
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Tobias__21 hat geschrieben:Naja, warum sollte sich Boehermann auch bedeckt halten und den reuigen geben? Eigentlich läuft es doch gerade perfekt für ihn. Es droht ihm ja auch nicht wirklich Ungemach. Drei Jahre wird er wohl kaum in den Knast gehen und in seinem Lebenslauf macht sich die Sache sicher nicht schlecht :D
Ich weiß nicht so recht. Böhmermann mag tatsächlich nicht verstehen, dass er Journalisten/Regierungskritikern in der Türkei mit alledem einen Bärendienst erweist. Aber ob ihn das alles persönlich wirklich völlig kaltlässt, wage ich doch zu bezweifeln. Insbesondere sind die Anhänger Erdogans nun auch nicht ganz zart besaitet.
Angenommen es kommt wirklich so weit, dass die Türkei das Strafverlangen stellt, dann wird die Verhandlung doch auch bis zum Ende durchgezogen und endet mit einem "richtigen" Urteil, oder? Eine Verfahrenseinstellung gegen Auflagen o.ä wäre ja in dem Fall witzlos.
Davon würde ich so pauschal nicht ausgehen.
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Tobias__21
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:Naja, warum sollte sich Boehermann auch bedeckt halten und den reuigen geben? Eigentlich läuft es doch gerade perfekt für ihn. Es droht ihm ja auch nicht wirklich Ungemach. Drei Jahre wird er wohl kaum in den Knast gehen und in seinem Lebenslauf macht sich die Sache sicher nicht schlecht :D
Ich weiß nicht so recht. Böhmermann mag tatsächlich nicht verstehen, dass er Journalisten/Regierungskritikern in der Türkei mit alledem einen Bärendienst erweist. Aber ob ihn das alles persönlich wirklich völlig kaltlässt, wage ich doch zu bezweifeln. Insbesondere sind die Anhänger Erdogans nun auch nicht ganz zart besaitet.
Stimmt, da hast Du sicherlich Recht.

Ich kenne mich in der Materie des § 103 StGB natürlich nicht aus, aber der Straftatbestand und die erhöhte Strafandrohung, im Vergleich zu § 185, hat doch sicherlich auch eine politisch motivierte Dimension. Einen erhöhten Handlungsunwert bei der Beleidigung eines Staatsoberhaupts kann ich jetzt aus meiner Sicht nicht ausmachen. Es mag ja sein, dass man den Bundespräsidenten oder ein ausländisches Staatsoberhaupt nicht so einfach beleidigen soll, weil das ja doch nochmal ne andere Geschichte ist, als wenn man seinen Nachbarn am Gartenzaun beschimpft, aber in der "Praxis" ist die Hemmschwelle doch eigentlich deutlich niedriger eine Person des politischen Lebens zu beleidigen. Von daher würde ich schon sagen, dass § 103 eine gewisse Genugtuungsfunktion erfüllt. Dann müsste man doch aber auch das Verfahren, sofern es denn eröffnet wird, auch voll durchziehen und gerade nicht gegen Auflagen einstellen.

Ich kann da natürlich auch völlig daneben liegen, aber so ganz erschließt sich mir die erhöhte Strafandrohung im Vergleich zu § 185 StGB nicht, es sei denn es spielen neben der persönlichen Schuld auch tatsächlich aussenpolitische/diplomatische Motivationen eine Rolle.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Rechtspolitisch kann man an § 103 StGB sicher Kritik üben, aber auf den ersten Blick scheint es mir auch nicht abwegig, dass die Vorschrift einen höheren Strafrahmen aufweist. Man kann schon berücksichtigen, dass solche Beleidigungen geeignet sind, diplomatische Verwicklungen nach sich zu ziehen und politischen oder sogar wirtschaftlichen Schaden für die Bundesrepublik herbeizuführen.

Eine interessante Frage ist im Übrigen, ob § 103 StGB einen Rückgriff auf § 185 StGB ganz ausschließt. Wenn man das bejaht, enthielte die Vorschrift auch insoweit eine Privilegierung, als sie es der Bundesregierung ermöglichen würde, eine Person vor Strafverfolgung abzuschirmen, indem sie die Ermächtigung nach § 104a StGB nicht erteilt. Überwiegend wird ein Rückgriff auf § 185 StGB aber wohl für möglich gehalten, wenn die Voraussetzungen nach § 104a StGB nicht vorliegen. Dann gilt ganz normal § 194 StGB.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Ich weiß nicht so recht. Böhmermann mag tatsächlich nicht verstehen, dass er Journalisten/Regierungskritikern in der Türkei mit alledem einen Bärendienst erweist. Aber ob ihn das alles persönlich wirklich völlig kaltlässt, wage ich doch zu bezweifeln. Insbesondere sind die Anhänger Erdogans nun auch nicht ganz zart besaitet.
Böhmermann legt sich auch mit Haftbefehl-Fans an, der kennt da nix :D
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von famulus »

Naja, zumindest war er ja offenbar verzweifelt genug, den Altmaier um "Beistand" zu bitten. Mimimi.

http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 86128.html
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von OJ1988 »

Das Ganze spitzt sich auf die - noch nicht entschiedene? - Frage zu, ob Äußerungen (=das "Gedicht"), die für sich genommen Schmähkritik darstellen, ausnahmsweise dann vom Schutzbereich des Art. 5 I GG erfasst sind, wenn diese anlässlich einer gerade geführten öffentlichen Debatte über die Grenze von Meinungsfreiheit zu Schmähkritik (hier in Bezug auf das vorangegange extra3-Video) zur Verdeutlichung dessen fallen, was Schmähkritik bedeutet. Ich meine: Nein. Wenn es Böhmermann wirklich nur darum gegangen wäre, Beispiele dafür zu nennen, was "Schmähkritik" bedeutet, hätte das auch ohne den Namen Erdogans getan werden können ("Herr XY fickt Schafe" usw.). Deshalb kann ich demgegenüber in der Hinzunahme der Person Erdogans ("Erdogans fickt Schafe") keinen sachlichen Mehrhwert in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung sehen. Insofern erschöpfen sich die Äußerungen hinsichtlich Erdogans dann wieder auf eine schlichte Herabwürdigung der Person ohne meinungsprägenden Gehalt.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

OJ1988 hat geschrieben:Das Ganze spitzt sich auf die - noch nicht entschiedene? - Frage zu, ob Äußerungen (=das "Gedicht"), die für sich genommen Schmähkritik darstellen, ausnahmsweise dann vom Schutzbereich des Art. 5 I GG erfasst sind, wenn diese anlässlich einer gerade geführten öffentlichen Debatte über die Grenze von Meinungsfreiheit zu Schmähkritik (hier in Bezug auf das vorangegange extra3-Video) zur Verdeutlichung dessen fallen, was Schmähkritik bedeutet. Ich meine: Nein. Wenn es Böhmermann wirklich nur darum gegangen wäre, Beispiele dafür zu nennen, was "Schmähkritik" bedeutet, hätte das auch ohne den Namen Erdogans getan werden können ("Herr XY fickt Schafe" usw.). Deshalb kann ich demgegenüber in der Hinzunahme der Person Erdogans ("Erdogans fickt Schafe") keinen sachlichen Mehrhwert in Bezug auf die öffentliche Meinungsbildung sehen. Insofern erschöpfen sich die Äußerungen hinsichtlich Erdogans dann wieder auf eine schlichte Herabwürdigung der Person ohne meinungsprägenden Gehalt.
Dass es auch anders ginge, ist in der Frage mE eher kein Argument, das würde bei künstlerischen Provokationen schlichtweg immer ziehen. Es geht auch nicht um die Aktualität der Debatte, das alleine kann natürlich keine Rechtfertigung sein. Darüber hinaus ging es Böhmermann gezielt darum, die Grenzen der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit der Politik der Türkei zu thematisieren. Hätte er deinen "Herr XY" also "Herr Yüldürüm" o.ä. genannt, wäre das Gedicht unter ganz anderen Gesichtspunkten deutlich offensichtlicher rechtswidrig.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von OJ1988 »

"Provokation", "Grenzen thematisieren", das sind mir zu schwammige Ausdrücke, die letztlich nur die Situation umschreiben.

Und: Wer "Grenzen austesten" will, der nimmt in Kauf, diese zu überschreiten.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Sicher. Aber auch das spielt für die Bewertung im konkreten Einzelfall ja keine Rolle. Ich will auch gar nicht behaupten, dass das Gedicht offensichtlich von Art. 5 GG geschützt wäre, es sei denn Einwendungsduschgriff belehrt mich da doch noch eines besseren. Aber es ist mE auch zu einfach, die Aktion alleine auf die Beleidigung zu reduzieren.

Und wie gesagt: Böhmermanns Intention und die "schwammigen Begriffe" werden klar, wenn man sich den ganzen Ausschnitt anschaut, ich finde das vollständige Video leider nicht mehr auf Youtube. Ob das dann am Ende für Art. 5 GG reicht, ist ne andere Frage.
Zuletzt geändert von [enigma] am Freitag 8. April 2016, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Wieso soll es nicht von der Meinungsfreiheit geschützt sein?
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von OJ1988 »

Weil es ja - wie "beabsichtigt" - auch rechtlich gesehen Schmähkritik sein könnte?
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von [enigma] »

Darauf lässt sich die Absicht aber nicht reduzieren.
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Tobias__21 »

Meiner Meinung nach ist auf jeden Fall der Schutzbereich des Art. 5 eröffnet. Ob irgendetwas einfachgesetzlich als Schmähkritik oder "Beleidigung" eingeordnet wird kann dafür doch keine Rolle spielen. Die Meinungsfreiheit hat Boehmermann mE erstmal auf seiner Seite, ob man sie zurücktreten muss ist eine andere Frage
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Re: Böhmermann: § 103 StGB/Meinungsfreiheit

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Wieso sollte Schmähkritik nicht im Schutzbereich der Meinungsfreiheit liegen? Das ist doch ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Du - OJ1998 - meinst wohl eher, ob die Meinungsfreiheit nicht doch zwingend zurücktreten muss, wenn es sich bei der geschützten Meinungsäußerung um Schmähkritik handelt. Das ist natürlich eine vertretbare Ansicht, entspricht aber nicht der verfassungsrechtlichen Dogmatik.
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