Straßenrennen und Strafzumessung
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Straßenrennen und Strafzumessung
MODEDIT: Aus dem Meldethread extrahiert.
Die "volle Härte des Gesetzes" in Köln:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 78568.html
Die "volle Härte des Gesetzes" in Köln:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 78568.html
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Strafzumessung nach Tod beim Straßenrennen
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Die "volle Härte des Gesetzes" in Köln:
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft ... 78568.html
Direkt an die Eltern gewandt sagt der Richter: „Ihrer Trauer und ihren Emotionen können wir nicht gerecht werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Angeklagten im Mittelpunkt eines solchen Verfahrens stehen.“
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Die Aussage ist zweifelsohne richtig: der Strafprozess darf die Opfer nicht aus den Augen verlieren, er dient aber in erster Linie nicht ihnen und erst recht nicht deren Angehörigen, sondern der Schuldfeststellung und Strafzumessung hinsichtlich der Angeklagten.Tibor hat geschrieben:Direkt an die Eltern gewandt sagt der Richter: „Ihrer Trauer und ihren Emotionen können wir nicht gerecht werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Angeklagten im Mittelpunkt eines solchen Verfahrens stehen.“
Das schließt andererseits nicht mehr bewährungsfähige Freiheitsstrafen in einem solchen Fall keineswegs aus. Auch auf diese Weise kann man die Angeklagten in den Mittelpunkt stellen ...
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Klar, man hätte das als Richter sicherlich auch anders formulieren können, wenn es tatsächlich so gesagt wurde. "im Mittelpunkt stehen" hat zunächst in meinen Augen etwas positives an sich. Besser wäre es, wie du geschrieben hast. Dann fehlt ggf auch ein bedauern "können wir leider nicht gerecht werden". Im Ergebnis kenne ich den Fall nur am Rande und natürlich führt Freiheitsstrafe nicht unbedingt zu besseren Menschen, aber diese Strafzumessung kann man dem Volk kaum noch vermitteln. Bewährung heißt eben idR nicht nur (negativ) kein Knast, sondern eher (positiv) ist frei.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Im gegebenen Zusammenhang wirkt sie aber gleichwohl in krasser Weise zynisch und auch menschenverachtend, wobei ich freilich nicht ausschließen möchte, dass der FAZ-Artikel (auch) in dieser Hinsicht unvollständig ist und die Aussage in einen Kontext eingebettet war, der ihr etwas die Schärfe nimmt.thh hat geschrieben:Die Aussage ist zweifelsohne richtig: der Strafprozess darf die Opfer nicht aus den Augen verlieren, er dient aber in erster Linie nicht ihnen und erst recht nicht deren Angehörigen, sondern der Schuldfeststellung und Strafzumessung hinsichtlich der Angeklagten.Tibor hat geschrieben:Direkt an die Eltern gewandt sagt der Richter: „Ihrer Trauer und ihren Emotionen können wir nicht gerecht werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Angeklagten im Mittelpunkt eines solchen Verfahrens stehen.“
Das schließt andererseits nicht mehr bewährungsfähige Freiheitsstrafen in einem solchen Fall keineswegs aus. Auch auf diese Weise kann man die Angeklagten in den Mittelpunkt stellen ...
In jedem Fall ist mir jedoch angesichts der bekannten Umstände das Strafmaß völlig unverständlich. Dass es - keineswegs nur von Angehörigen - mit Empörung aufgenommen wird, ist nachvollziehbar und die Justiz sollte sich keinesfalls gegen diesbezügliche Kritik mit stereotypen Hinweisen auf angebliche (Gesetzes-)Zwänge immunisieren, die so gar nicht bestehen (in diese Richtung scheint mir die Bemerkung des Richters allemal zu gehen).
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Warum ist das zynisch, es ist vor allem ehrlich. Er wirft den Angehörigen ihren Wunsch nach einem Ausgleich des Verlustes eines Familienangehörigen ja nicht vor. Er äußert Verständnis hierfür und bereitet sie darauf vor, dass es nicht Aufgabe eines Strafverfahrens sein kann und darf, diesen unerfüllbaren Wunsch zu verfolgen. Während der Strafstation äußerte sich meine Ausbilderin am Schöffengericht bei einer fahrlässigen Tötung, die gegen Auflagen eingestellt wurde, in gleicher Weise gegenüber den Angehörigen. Ich hatte den Eindruck, dass diese sich davon zumindest nicht angegriffen fühlten. Zumal der Anwalt die Nebenkläger auch entsprechend darauf vorbereitet haben dürfte. Auch gegenüber der Öffentlichkeit kann man diesen Umstand nicht oft genug kommunizieren. Den Satz mit den Tätern und dem Mittelpunkt hätte man vielleicht weglassen können, aber "krass zynisch" finde ich das jetzt auch nicht.Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Im gegebenen Zusammenhang wirkt sie aber gleichwohl in krasser Weise zynisch und auch menschenverachtend, wobei ich freilich nicht ausschließen möchte, dass der FAZ-Artikel (auch) in dieser Hinsicht unvollständig ist und die Aussage in einen Kontext eingebettet war, der ihr etwas die Schärfe nimmt.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Das Strafverfahren hat aber sehr wohl auch eine gewisse Befriedunngsfunktion, die m.E. mit dem entsprechenden Urteil offensichtlich verfehlt werden musste (auch deshalb ist es mir nach den bekannten Umständen völlig unverständlich). Wenn dann ein solches Urteil gesprochen wird und ein Richter im Angesicht aufgebrachter Reaktionen der Angehörigen (so war der Ablauf nach dem FAZ-Artikel wohl) ernsthaft erklärt, es liege "in der Natur der Sache", dass die Angeklagten "im Mittelpunkt" stünden, so finde ich durchaus, dass das zynisch und menschenverachtend wirkt - erst recht, wenn er es nicht in Worte des Bedauerns für den persönlichen Verlust und des Verständnisses eingekleidet haben sollte.[enigma] hat geschrieben:Warum ist das zynisch, es ist vor allem ehrlich. Er wirft den Angehörigen ihren Wunsch nach einem Ausgleich des Verlustes eines Familienangehörigen ja nicht vor. Er äußert Verständnis hierfür und bereitet sie darauf vor, dass es nicht Aufgabe eines Strafverfahrens sein kann und darf, diesen unerfüllbaren Wunsch zu verfolgen. Während der Strafstation äußerte sich meine Ausbilderin am Schöffengericht bei einer fahrlässigen Tötung, die gegen Auflagen eingestellt wurde, in gleicher Weise gegenüber den Angehörigen. Ich hatte den Eindruck, dass diese sich davon zumindest nicht angegriffen fühlten. Zumal der Anwalt die Nebenkläger auch entsprechend darauf vorbereitet haben dürfte. Auch gegenüber der Öffentlichkeit kann man diesen Umstand nicht oft genug kommunizieren. Den Satz mit den Tätern und dem Mittelpunkt hätte man vielleicht weglassen können, aber "krass zynisch" finde ich das jetzt auch nicht.Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Im gegebenen Zusammenhang wirkt sie aber gleichwohl in krasser Weise zynisch und auch menschenverachtend, wobei ich freilich nicht ausschließen möchte, dass der FAZ-Artikel (auch) in dieser Hinsicht unvollständig ist und die Aussage in einen Kontext eingebettet war, der ihr etwas die Schärfe nimmt.
Es ist eine Binse, dass man Straftaten nicht ungeschehen machen kann und dass die staatliche Reaktion auf den Verlust eines Angehörigen häufig den Eindruck machen muss, nicht ausreichend zu sein. Ich bin mir insofern auch nicht sicher, ob (und inwieweit) Eltern z.B. in Kalifornien dadurch getröstet worden wären, dass die Täter dort aller Wahrscheinlichkeit nach "lebenslänglich" bekommen hätten. Im hier gegebenen Fall ist aber ein Urteil gesprochen worden, das nach allem, was bekannt ist, tatsächlich in krasser Weise den angerichteten Schaden auszublenden scheint - und darauf angesprochen zieht der Richter sich dann auf eine solche Plattheit zurück. Damit unterminiert man m.E. erst recht die Akzeptanz von Entscheidungen (die immer eine gewisse Kontingenz aufweisen).
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Wenn das richtig wäre, was es nicht ist, könnte man sich Strafverfahren auch sparen. Natürlich werden Strafverfahren auch gerade deshalb durchgeführt, damit die Personen im Umfeld der Opfer nicht das Gefühl haben, der Staat zeige gar keine (oder keine ausreichende) Reaktion auf das Unrecht, das die Opfer erlitten haben. Dies ist auch eine Voraussetzung dafür, daß das Gewaltmonopol des Staates in der Bevölkerung überhaupt akzeptiert wird.[enigma] hat geschrieben:Er wirft den Angehörigen ihren Wunsch nach einem Ausgleich des Verlustes eines Familienangehörigen ja nicht vor. Er äußert Verständnis hierfür und bereitet sie darauf vor, dass es nicht Aufgabe eines Strafverfahrens sein kann und darf, diesen unerfüllbaren Wunsch zu verfolgen.
Wie kommen Du und dieser Richter da bloß zu so merkwürdigen Rechtsansichten? Es ist doch eigentlich allgemeine Meinung, daß es ein Makel des Strafverfahrens ist, daß es sich vornehmlich um den Angeklagten kümmert, und daß die Rechte des Opfers, bzw. der Angehörigen des Opfers stärker berücksichtigt werden sollten. Deshalb gibt es ja schon Institute wie die Nebenklage, den Täter-/Opfer-Ausgleich und das Adhäsionsverfahren oder Institutionen wie den Weißen Ring. Wobei eigentlich Einigkeit herrscht, daß dies immer noch nicht ausreicht und daß das Strafverfahren verfahrensbedingt immer noch zu täterzentriert ist. Aber daß jemand sagt, das soll auch so sein, und die Opfer und ihre Angehörigen sollen doch sehen, wo sie bleiben, ist reichlich abwegig und verkennt letztlich auch die Aufgaben eines Rechtsstaates.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Arbeitest du eigentlich wirklich als Anwalt?
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Zumindest in der strafrechtlichen Praxis würde ich eher davon ausgehen, dass die Auffassung vorherrscht, die Ausweitung der Opferbeteiligung habe das Maß des Erträglichen erreicht, wenn nicht überschritten.hlubenow hat geschrieben:Es ist doch eigentlich allgemeine Meinung, daß es ein Makel des Strafverfahrens ist, daß es sich vornehmlich um den Angeklagten kümmert, und daß die Rechte des Opfers, bzw. der Angehörigen des Opfers stärker berücksichtigt werden sollten.
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Der Strafprozess soll gerade kein Parteiprozess sein, in dem das Opfer oder seine Angehörigen dem (mutmaßlichen ...) Täter gegenübertreten und mit ihm abrechnen, ihm ihren - verständlichen - Schmerz, meist ihre Wut, vielleicht auch ihren Hass ins Gesicht schleudern können, während er sich das von Gesetzes wegen anhören muss, die bei Äußerungen der Angeklagten "verächtlich schnauben" oder "abschätzige Kommentare murmeln" (und zwar offensichtlich so, dass sie für Zuschauer verständlich sind), die ihr Leid gegen das den Angeklagten zuzufügende Leid abwägen.
Der - nicht selten schwierigen - Ermittlung des (möglichst) wahren Sachverhalts und der Findung einer angemessenen Sanktion tut die Befrachtung des Verfahrens mit Emotionen nicht gut, und welches (mutmaßliche ...) Opfer kann schon nicht emotional sein?
Der Strafprozess hat eine klare Aufgabe: den strafrechtlich relevanten Sachverhalt aufzuklären (nicht aber einen geschichtlichen Lebensvorgang aufzuklären und die Fragen zu beantworten, mit denen sich Angehörige oft quälen, die aber für die Schuld- und Rechtsfolgenentscheidung nicht von Bedeutung sind) und eine angemessene Rechtsfolge zu finden, mit der der Staat (nicht die Angehörigen) straft, unpersönlich (und nicht aus persönlicher Betroffenheit), als Sühne für die Schuld (nicht aber als Vergeltung durch Betroffene), zur individuellen und kollektiven "Abschreckung" und Mahnung zur Einhaltung der Gesetze, und mit dem Ziel, den Bestraften (danach wieder) in die Gesellschaft einzugliedern. Dafür haben Strafverfolgungsbehörden und die Strafjustiz umfangreiche, tiefgehende Eingriffsrechte, die auch nur daraus ihre Rechtfertigung gewinnen und die in einem Parteiprozess, wo das (mutmaßliche ...) Opfer seinem (mutmaßlichen ...) Peiniger gegenübertritt, keinen Platz haben dürften.
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Dieser Aufgabe, diesem Ziel und Zweck des Strafprozesses ist es immanent, dass die Angeklagten mehr im Fokus stehen als die Geschädigten, und zwar in mehrerlei Hinsicht:
Zum einen trifft bei der Klärung der Schuldfrage der Vorwurf den Angeklagten, und daher ist es immer von Bedeutung, was er sich gedacht hat, was er gefühlt, was er getan hat, denn er muss vorsätzlich gehandelt oder eine Sorgfaltspflicht verletzt haben. Viel weniger bedeutsam sind Verhalten und vor allem Gedankenwelt des Geschädigten, denn für die Mehrzahl der Tatbestände ist es weitgehend egal, wie der Geschädigte sich verhalten hat.
Zum anderen steht auch bei der Strafzumessung die Persönlichkeit des Angeklagten im Vordergrund, nicht die des Geschädigten, denn das Maß der Schuld des Angeklagten ist festzustellen, nicht aber das Verhalten des Geschädigten, es sei denn, er hat auch "Schuld" an dem Geschehen. Es darf keine Rolle für die Strafzumessung spielen, ob das Nesthäkchen, der Augenstern einer glücklichen Familie, die erfolgreiche Jurastudentin sinnlos totgefahren wird oder der Säufer, dessen Frau insgeheim ganz froh ist, dass er sie jetzt nicht mehr jeden zweiten Abend verprügelt - denn wir bewerten nicht zwischen der fahrlässigen Tötung wertvoller Menschen oder lebensunwerten Lebens, und das ist auch gut so. Dann aber spielt die Persönlichkeit des Tatopfers zu Recht kaum eine Rolle, und dann gibt es auch keinen Grund, sie näher zu erörtern. Auch dafür gibt es freilich seinen Platz, wo es nur und ausschließlich um das Opfer geht, aber dieser Platz ist nicht der Gerichtssaal, sondern - zum Beispiel - die Trauerfeier. So wenig angebracht es wäre, dem Täter zu gestatten, auf der Trauerfeier zu verkünden, dass vielleicht das Opfer auch unvorsichtig gefahren sei (oder auch nur, sich zu entschuldigen, wenn das nicht gewünscht wird), so wenig haben abfälliges Gemurmel und spöttisches Schnauben und - nachvollziehbare, berechtigte - Vorwürfe und Anwürfe der leidenden Hinterbliebenen im Gerichtssaal ihren angemessenen Platz.
Und schließlich übt im Strafverfahren der Staat ganz unmittelbar und so hart und stringent wie sonst kaum irgendwo (außer vielleicht durch die Finanzverwaltung ...) seine (justizielle) Macht aus, und dafür muss er sich rechtfertigen; dem stehen (vielleicht zu) umfangreiche prozessuale Sicherungen auf Seiten desjenigen gegenüber, gegen den der Staat seine Machtfülle zum Tragen bringt. Auch deshalb muss es im Strafverfahren im Kern um die Rechte der Angeklagten gehen, und auch deshalb verträgt sich die Ausübung des staatlichen Strafanspruchs nur sehr schlecht mit der Vertretung der Opferinteressen im selben Verfahren.
Diese Einigkeit sehe ich bei den professionellen Verfahrensbeteiligten keineswegs. Auf keiner Seite.hlubenow hat geschrieben:Deshalb gibt es ja schon Institute wie die Nebenklage, den Täter-/Opfer-Ausgleich und das Adhäsionsverfahren oder Institutionen wie den Weißen Ring. Wobei eigentlich Einigkeit herrscht, daß dies immer noch nicht ausreicht und daß das Strafverfahren verfahrensbedingt immer noch zu täterzentriert ist.
Die Nebenklage ist realiter auf der einen Seite nicht selten geeignet, das Verfahren massiv zu belasten, zu verkomplizieren und seinen "Erfolg" - sowohl im Sinne der Nebenkläger als auch Sinne der Sachverhaltsaufklärung und Strafzumessung -- zu gefährden. Auf der anderen Seite führt sie fast immer zu enttäuschten Erwartungen bei der Nebenklage, weil der Strafprozess nicht leisten kann, was man sich von ihm erwartet: Aufklärung und Antworten nach dem Wie, vor allem aber dem Warum, die es oft genug nicht gibt oder die dann erschreckend banal sind; Mitgefühl, Entschuldigung, Wiedergutmachung, Übernahme von Verantwortung durch die Täter; die Möglichkeit, abzuschließen. Diese Wünsche sind verständlich; sie sind aber oft schon bei Unfällen oder Erkrankungen (oder Selbsttötungen) nicht zu erfüllen, und noch viel weniger sind sie es in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Niemand kann gezwungen werden, "die Wahrheit" oder überhaupt auszusagen, sich zu entschuldigen, zu bereuen oder Verantwortung zu übernehmen - erst recht überfrachten diese Wünsche den Strafprozess.
Ja, das soll so sein. Das Strafverfahren dient der Feststellung der Schuld und der Festlegung der Strafe des Täters. Er wird beschuldigt, angeklagt, muss sich verteidigen und wird dann abgeurteilt und im Zweifel bestraft. Natürlich steht er deshalb im Zentrum dieses Verfahrens, und das kennzeichnet gerade den Rechtsstaat.hlubenow hat geschrieben:Aber daß jemand sagt, das soll auch so sein, und die Opfer und ihre Angehörigen sollen doch sehen, wo sie bleiben, ist reichlich abwegig und verkennt letztlich auch die Aufgaben eines Rechtsstaates.
Nein, natürlich sollen die Angehörigen" nicht sehen, wo sie bleiben". Der geeignete Platz für ihre Fragen, ihre Trauer, ihre Wut, ihre Vorwürfe, ihr Leid, ihre Anklage, ihre Rachewünsche ist aber nicht der Strafprozess. Der kann nämlich nicht einerseits neutral dem (möglicherweise gar unschuldigen) Angeklagten und zugleich empathisch-mitfühlend dem Opfer (wenn es denn eines ist) gegenübertreten.
Und Opfer wie Angehörige brauchen jedenfalls in der Zeit der Trauer alles, aber keine objektive Bewertung des Geschehens. Die Eltern, die ihre Kinder weiter an der belebten Straße fangen spielen lassen, obwohl sie mehrfach im Eifer des Spiels auf dieselbe rennen, wollen natürlich die Bestrafung des Autofahrers, der ihr Kind totgefahren hat, obschon der Unfall für ihn - rechtlich - unvermeidbar war, und des Verkehrsdezernenten, weil der keine Geschwindigkeitsbegrenzung oder Gitter an der Gehwegkante angebracht hat, und sie wollen das mit aller Macht und blindlings und ohne Gefühl für Zwischentöne, und das ist auch ihr gutes Recht, wie es auch ihr gutes Recht ist, damit für sich selbst von der Frage abzulenken, ob nicht auch sie eine - vielleicht sogar die größte - Mitschuld tragen. Es ist aber nicht ihr gutes Recht, diesem unbedingten, mit der objektiven Sachlage nicht vereinbaren Bestrafungswunsch in einem Strafverfahren Ausdruck zu verleihen, und es ist sicherlich für niemanden förderlich, wenn Verteidigung, Richter oder Staatsanwaltschaft ihnen - objektiv zutreffend - mitteilen müssen, dass wenn überhaupt jemand eine Schuld am Tod ihres Kindes trägt, sie das sind, oder wenn gar (als Reaktion auf ihr Verhalten) Strafanzeige gegen sie wegen fahrlässiger Tötung erstattet und ggf. gegen sie ermittelt wird.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Angesichts des belehrenden Absolutheitsanspruchs vielleicht das erschreckendste Posting, das ich bisher in diesem Forum gelesen habe, erinnert mich an die Umfragen an Jurastudenten zur Todesstrafe und bietet ein gutes Argument dafür, dass den Grundlagenfächern, insbesondere der Strafrechtstheorie bzw. der Rechtstheorie im Allgemeinen mehr Raum in der Lehre eingeräumt werden sollte. Ich habe bisher zum Glück keinen einzigen Kollegen - einschließlich der großen Mehrheit von Schöffen - erlebt, der deine Ansicht auch nur ansatzweise teilen würde. Bei den rechtspolitischen Äußerungen des weißen Rings sträuben sich mir regelmäßig die Haare, es ist mir unbegreiflich, wie man dessen Forderungen als ausgebildeter Jurist gutheißen kann.hlubenow hat geschrieben:Wenn das richtig wäre, was es nicht ist, könnte man sich Strafverfahren auch sparen. Natürlich werden Strafverfahren auch gerade deshalb durchgeführt, damit die Personen im Umfeld der Opfer nicht das Gefühl haben, der Staat zeige gar keine (oder keine ausreichende) Reaktion auf das Unrecht, das die Opfer erlitten haben. Dies ist auch eine Voraussetzung dafür, daß das Gewaltmonopol des Staates in der Bevölkerung überhaupt akzeptiert wird.[enigma] hat geschrieben:Er wirft den Angehörigen ihren Wunsch nach einem Ausgleich des Verlustes eines Familienangehörigen ja nicht vor. Er äußert Verständnis hierfür und bereitet sie darauf vor, dass es nicht Aufgabe eines Strafverfahrens sein kann und darf, diesen unerfüllbaren Wunsch zu verfolgen.
Wie kommen Du und dieser Richter da bloß zu so merkwürdigen Rechtsansichten? Es ist doch eigentlich allgemeine Meinung, daß es ein Makel des Strafverfahrens ist, daß es sich vornehmlich um den Angeklagten kümmert, und daß die Rechte des Opfers, bzw. der Angehörigen des Opfers stärker berücksichtigt werden sollten. Deshalb gibt es ja schon Institute wie die Nebenklage, den Täter-/Opfer-Ausgleich und das Adhäsionsverfahren oder Institutionen wie den Weißen Ring. Wobei eigentlich Einigkeit herrscht, daß dies immer noch nicht ausreicht und daß das Strafverfahren verfahrensbedingt immer noch zu täterzentriert ist. Aber daß jemand sagt, das soll auch so sein, und die Opfer und ihre Angehörigen sollen doch sehen, wo sie bleiben, ist reichlich abwegig und verkennt letztlich auch die Aufgaben eines Rechtsstaates.
Im Übrigen hat thh schon den Großteil vorweggenommen, insoweit +1.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Mei, hlubenow halt.
Mich wundert, dass das noch jemanden wundert.
Mich wundert, dass das noch jemanden wundert.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
(aus: Warum Strafe sein muss, Berlin 2009)Winfried Hassemer hat geschrieben:Es gibt in der Bürgergesellschaft zahlreiche unterschiedliche Hilfestellungen für Opfer, und es breitet sich immer mehr die Erkenntnis aus, dass Opfer in ihrer großen Mehrheit keine Scharfmacher sind, die es auf eine Demütigung des Täters oder auf hohe Strafen anlegen, sondern Beteiligte am Verbrechenskonflikt, die ein spiegelbildliches Recht auf Zurechnung haben wie der Täter: die öffentliche Feststellung der Strafgerichte, dass ihre Belastung Unrecht war und nicht Unglück. Mehr Mitbestimmung des Opfers über das Strafverfahren und seinen Ausgang gehört nicht dazu. Diese Bestimmungen verantwortet die Strafjustiz.
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
@thh Sehr guter Beitrag, danke
Dass die Strafe in krassem Missverhältnis zur Tat steht, war auch meine erste Reaktion. Andererseits ist das aus der Ferne fast unmöglich zu beurteilen. Keiner von uns kennt die konkreten Umstände und Details, die zu diesem Urteil geführt haben. Dass Prozessberichterstatter bei ihren Artikeln gerne mal vermeintlich unwichtige, tatsächlich aber juristisch erhebliche Details wegfallen lassen, kommt ja häufig vor.Honigkuchenpferd hat geschrieben:Es ist eine Binse, dass man Straftaten nicht ungeschehen machen kann und dass die staatliche Reaktion auf den Verlust eines Angehörigen häufig den Eindruck machen muss, nicht ausreichend zu sein. Ich bin mir insofern auch nicht sicher, ob (und inwieweit) Eltern z.B. in Kalifornien dadurch getröstet worden wären, dass die Täter dort aller Wahrscheinlichkeit nach "lebenslänglich" bekommen hätten. Im hier gegebenen Fall ist aber ein Urteil gesprochen worden, das nach allem, was bekannt ist, tatsächlich in krasser Weise den angerichteten Schaden auszublenden scheint - und darauf angesprochen zieht der Richter sich dann auf eine solche Plattheit zurück. Damit unterminiert man m.E. erst recht die Akzeptanz von Entscheidungen (die immer eine gewisse Kontingenz aufweisen).
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Re: Manches muss einfach gemeldet werden
Letzteres ist sicher richtig. So gesehen dürfte man dann aber gar keine Fälle mehr aus der Ferne irgendwie beurteilen. Zudem fehlt mir, ehrlich gesagt, die Phantasie, mir Umstände vorzustellen, die, träten sie hinzu, dieses Urteil verständlich machen würden. Die Staatsanwaltschaft hat denn auch in dem einen Fall sofort Revision eingelegt.
Abgesehen davon muss man in einem Rechtswesen, in dem Urteile im Namen des Volkes gesprochen werden, schon (auch) berücksichtigen, was für Reaktionen sie bei der Bevölkerung auslösen - und die sind vernichtend. Die Vorstellungen über "Gerechtigkeit" gehen naturgemäß auseinander und mögen im Einzelnen nur schwer auszusöhnen sein, aber es gibt doch einen gewissen Konsens, was nicht darunter fällt.
Falls es tatsächlich überzeugende Gründe für die milden Strafen gegeben haben sollte, hätte das Gericht überdies jedenfalls völlig darin versagt, sie zu vermitteln. Dass Gerichtsreporter die Justiz absichtlich schlecht machen wollen, dürfte kaum vorkommen. Im Gegenteil erweckt das so eben nachgerade zwingend den Eindruck, die Auffassung des Täters, der sich mehr um sein Auto sorgte als um das Unfallopfer, werde hinsichtlich der Wertigkeit menschlichen Lebens von "der" deutschen Justiz geteilt.
Abgesehen davon muss man in einem Rechtswesen, in dem Urteile im Namen des Volkes gesprochen werden, schon (auch) berücksichtigen, was für Reaktionen sie bei der Bevölkerung auslösen - und die sind vernichtend. Die Vorstellungen über "Gerechtigkeit" gehen naturgemäß auseinander und mögen im Einzelnen nur schwer auszusöhnen sein, aber es gibt doch einen gewissen Konsens, was nicht darunter fällt.
Falls es tatsächlich überzeugende Gründe für die milden Strafen gegeben haben sollte, hätte das Gericht überdies jedenfalls völlig darin versagt, sie zu vermitteln. Dass Gerichtsreporter die Justiz absichtlich schlecht machen wollen, dürfte kaum vorkommen. Im Gegenteil erweckt das so eben nachgerade zwingend den Eindruck, die Auffassung des Täters, der sich mehr um sein Auto sorgte als um das Unfallopfer, werde hinsichtlich der Wertigkeit menschlichen Lebens von "der" deutschen Justiz geteilt.
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