EuGH, Ungarn und das StrEG

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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dosenbaer
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EuGH, Ungarn und das StrEG

Beitrag von dosenbaer »

Der Sachverhalt, wie er sich aus den Zeitungen zusammenstückeln lässt:
Zwei etwa 30-jährige "flüchten" (unklar, vor was) aus Bangladesch mit Ziel Deutschland. In Ungarn werden sie von der Polizei festgenommen und für 23 Tage in einem bewachten Transitzentrum untergebracht ohne anwaltlichen Beistand. Anschließend ging es zurück nach Serbien, was die beiden dem "Risiko" ausgesetzt habe, zurück nach Griechenland zurückgeschoben zu werden.

Nun spricht der EuGH den beiden jeweils 10.000 Euro zu.
Meine Fragen an die Europarechtsexperten:
1. Geht davon noch was ab?
2. Sind derartig hohe Summen normal oder politisch motiviert?

Generell: falls die Entscheidung in Ordnung ist, was gilt dann für das deutsche StrEG?

§ 7 III StrEG sieht für Schaden, der nicht Vermögensschaden ist (darum ging es hier ja wohl ebenfalls nur), 25 € pro Tag vor. Die gibt es für den Unschuldigen aber auch nur, wenn kein Mitverschulden § 6 StrEG, § 254 BGB vorliegt. Selbst dann muss die Entschädigung freilich noch versteuert werden. Hinzu kommt, dass die bürgerliche Existenz zu 99% eh vernichtet ist (Firma/Job weg, etc. und § 7 I StrEG ist da ein Witz, bzw. Frage des Nachweises) und bleibt, denn mit der Lücke im Lebenslauf ists eh Essig.

Demgegenüber stehen nun Personen, die bewusst einen erheblichen Teil der Welt illegal durchqueren und erwischt werden. Bzgl. Lebenslauf verschwindet halt der Pass und gut ist. Und die Nichtverfügbarkeit des Anwalts dürfte wohl kaum die Inhaftierten so belasten, dass es die Differenz 25 € -> ca. 435 € pro Tag rechtfertigt - andernfalls werden unsere Strafverteidiger erheblichst unterbezahlt.

Mag etwas polemisch klingen, aber ich bin echt erstaunt bzw. entsetzt.
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thh
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Re: EuGH, Ungarn und das StrEG

Beitrag von thh »

dosenbaer hat geschrieben:Nun spricht der EuGH
Der EGMR.
dosenbaer hat geschrieben:den beiden jeweils 10.000 Euro zu.
Meine Fragen an die Europarechtsexperten:
1. Geht davon noch was ab?
2. Sind derartig hohe Summen normal oder politisch motiviert?
Ohne nähere Kenntnis erscheinen mir diese Beträge für den EGMR nicht ungewöhnlich.
dosenbaer hat geschrieben:Generell: falls die Entscheidung in Ordnung ist, was gilt dann für das deutsche StrEG?
Da besteht ein entscheidender Unterschied: das StrEG entschädigt für rechtmäßiges staatliches Handeln. Der EGMR hat aber einen Fall entschieden, bei dem der Staat eben gerade nicht konventionsgemäß gehandelt hat.
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
dosenbaer
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Re: EuGH, Ungarn und das StrEG

Beitrag von dosenbaer »

Saudoof von mir #-o

Zum letzten Einwand: die Frage ist nur, ob dieser Unterschied einen derartigen Faktor rechtfertigt. Denn die Summe kommt ja den Betroffenen zugute als Ersatz Ihrer immateriellen Schäden. Und den Betroffenen selbst dürfte es relativ egal sein, ob ihnen ihre Freiheit aufgrund rechtmäßigem oder rechtswidrigen Verhalten entzogen wird.

Sprich: ich könnte es wohl eher nachvollziehen, wenn die Betroffenen einen dem StrEG vergleichbaren Anspruch plus ggfs. Aufschlag erhielten und davon getrennt eine hohe Strafe gegen Ungarn wegen Verstoß gegen die Konvention verhängt würde, zu zahlen an eine gemeinnützige Organisation oder Ähnliches.

Wobei ich jetzt erfahren habe, dass eine Zwangsvollstreckung eines EmGR-Urteils nicht möglich ist (Stand 2010), sodass die beiden Kläger wohl auf good will angewiesen sind. Das ist natürlich übel.

Heute Abend lese ich mir das Urteil mal durch, vielleicht wird es dann klarer:
http://dpaq.de/FDQGi
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Re: EuGH, Ungarn und das StrEG

Beitrag von dosenbaer »

Da ich meinen Beitrag nicht mehr editieren kann - liest man das Urteil, klingt der Sachverhalt deutlich harmloser:

- Fluchtroute (soweit nachvollziehbar) Bangladesch -> Pakistan -> Iran -> Türkei -> Griechenland -> Mazedonien -> Serbien -> Ungarn (9)
- am 15.09.2015 Ankunft in der Transitzone in Ungarn (9)
- am selben Tag (15.09.2015) ablehnende Entscheidung über Asylantrag: "Ihr müsst zurück nach Serbien" (15)
zudem verboten, Transitzone nach Ungarn zu verlassen (10) aber Rückkehr nach Serbien jederzeit möglich, so auch das UNHCR (37)
representatives of the Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (“UNHCR”) had access to the transit zone (16)
- 21.09.2015 erste gerichtliche Entscheidung: Entscheidung der Asylbehörde aufgehoben
- 23.09.2015 erneute Anhörung durch Asylbehörde (22)
- 25.09.2015 application EGMR (3)
- 28.09.2015 Eingabe durch die Anwälte (24)
- 30.09.2015 zweite, erneut ablehnende Anhörung durch Behörde (25)
- 05.10.2015 zweite Entscheidung durch Gericht, diesmal bestätigend (27)
- 08.10.2015 schriftliche Ausfertigung der Entscheidung, die beiden zur Grenze nach Serbien gebracht (29)
- Bzgl. der Schadenshöhe schlüsselt der EGMR nicht auf (129ff.).

D.h.:
- sie wussten am Tag ihrer Ankunft, dass sie zurück nach Serbien sollen, also ihnen kein Festhalten in der Transitzone drohte, im Gegenteil
- Mitarbeiter vom UNHCR standen ihnen stets zur Verfügung, lediglich die beauftragten Anwälte selbst wurden nicht eingelassen
- innerhalb dieser 23 Tage gab es zwei behördliche und zwei gerichtliche Entscheidungen (davon eine gerichtliche zugunsten der beiden); zudem hatte am 10. Tag der EGMR ihre application vorliegen

Also auf sachlicher Ebene ist da nahezu nichts zu holen, mal sehen was die rechtliche Ebene zutage fördert.
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